BT-Drucksache 16/11029

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - 16/9900, 16/9902, 16/10420, 16/10423, 16/10424, 16/10425 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 (Haushaltsgesetz 2009) hier: Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Vom 24. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11029
16. Wahlperiode 24. 11. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider
(Saarbrücken), Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Roland Claus, Michael
Leutert und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/9900, 16/9902, 16/10420, 16/10423, 16/10424, 16/10425 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009
(Haushaltsgesetz 2009)

hier: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Der Bundestag wolle beschließen:

Wenn die auf dem Bildungsgipfel vereinbarte Zielsetzung, bis 2015 den Anteil
der Bildungs- und Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt auf 10 Prozent
zu erhöhen, erreicht werden soll, müssen die Weichen bereits im Haushaltsjahr
2009 gestellt werden. Diesen Anforderungen wird der Einzelplan 30 nicht ge-
recht. Ziel muss der gebührenfreie Zugang aller zu Bildungseinrichtungen von
der Kindertagesstätte bis zur Weiterbildung, zu kultureller, politischer, beruf-
licher und akademischer Bildung sein. Entsprechend sind die Bundesausgaben
für Bildung schrittweise zu erhöhen.

1. Kindertageseinrichtungen haben nicht nur eine Betreuungsaufgabe, sondern
einen Bildungsauftrag zu erfüllen, zu dem auch die kulturelle Bildung der
Kinder gehört. Um einen Rechtsanspruch auf gebührenfreie Ganztagsbetreu-
ung für alle Kinder umzusetzen, werden vom Bund mindestens 2 Mrd. Euro
für die Gebührenfreiheit und weitere 2 Mrd. Euro für die Ganztagsbetreuung
bereitgestellt.

2. Die Ganztagsschule bietet besonders günstige Möglichkeiten für eine vielsei-
tige Entwicklung und Förderung von Kindern und Jugendlichen, die auch
kulturelle Bildung einschließt. Für die Fortführung des Ganztagsschulpro-
gramms stellt der Bund wenigstens 5 Mrd. Euro zur Verfügung. Ferner be-

teiligt er sich mit 2 Mrd. Euro an den Kosten für Lehrmittelausstattung und
kostenfreies Mittagessen.

3. Für das Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in
den neuen Ländern und Berlin werden weiter 90 Mio. Euro veranschlagt. Der
Zweck des Titels wird umgewidmet: Statt finanzieller Förderung der Ausbil-
dungsplätze werden Maßnahmen zur Ausbildungsbegleitung der Jugend-

Drucksache 16/11029 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

lichen selbst gefördert. Solche Maßnahmen unterstützen die Auszubildenden
darin, eine Ausbildung zu beginnen und erfolgreich zu beenden, anstatt den
Unternehmen den Ausbildungsplatz aus Steuergeldern zu finanzieren.

4. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für Schülerinnen und
Schüler der Oberstufe und für Studierende wird deutlich ausgebaut, um die
soziale Auslese im Bildungssystem zu verringern und mehr Menschen
weiterführende Bildung zu ermöglichen, die sie sich sonst nicht leisten
können. Für ein bedarfsdeckendes BAföG ist eine weitere Anhebung der
BAföG-Sätze um ca. 12 Prozent notwendig. Die Freibeträge der Eltern und
der Geschwister müssen um mindestens 10 Prozent angehoben werden.

5. Wie das BAföG hinterlässt auch das Meister-BAföG (Aufstiegsfortbildungs-
förderungsgesetz – AFBG) große Regelungslücken, in denen Menschen mit
den Kosten einer Weiterbildung oder eines Studiums allein gelassen werden.
Um alle Menschen in ihren individuellen Bildungswegen zu unterstützen ist
es notwendig, das Meister-BAföG zu einem Erwachsenenbildungsförde-
rungsgesetz auszubauen. In einem ersten Schritt wird der Kreis der Berech-
tigten sowie der geförderten Bildungsmaßnahmen stark ausgeweitet. Die
Aufnahme eines Studiums nach dem 30. Lebensjahr wird ebenso gefördert
wie vor dem 30. Lebensjahr. Die Förderung ist abhängig von der gewählten
Bildungsmaßnahme und der individuellen Bildungs- und Finanzsituation bis
zum Höchstsatz des BAföG zu leisten. Hierfür sollen wenigstens 500 Mio.
Euro zusätzlich eingestellt werden.

6. Eine soziale Öffnung der Hochschulen ist dringend notwendig. Voraussetzung
dafür ist der Ausbau von ausfinanzierten Studienplätzen. Hierzu gehören eine
deutliche Aufstockung des Hochschulpaktes und zusätzliche Investitionen in
die Hochschulinfrastruktur sowie eine bessere, soziale Studienfinanzierung
und die Abschaffung von Studiengebühren.

7. Der Hochschulpakt wird auf ca. 5 Mrd. Euro aufgestockt und in einem Hoch-
schulpakt II fortgeführt. Die Zuschüsse des Bundes von 11 000 Euro pro
Studienanfänger/Studienanfängerinnen werden auf mindestens 18 000 Euro
erhöht, um Studienplätze an Hochschulen und Fachhochschulen in verschie-
denen Fachrichtungen finanzieren zu können. Die Gemeinschaftsaufgabe
Hochschulbau wird wieder eingeführt und wegen des Nachholbedarfs aus
den letzten Jahren aufgestockt. Die Finanzierung von Overheadpauschalen
(zweite Säule des Hochschulpakts) wird fortgesetzt und der Umfang auf
30 Prozent der Projektmittel erhöht.

8. Die Exzellenzinitiative läuft aus. Eine Neuauflage gibt es nicht. Die den
Hochschulen im Rahmen der dritten Säule des Exzellenzwettbewerbs „Zu-
kunftskonzepte“ zugesagten Gelder der Exzellenzinitiative kommen unmit-
telbar und sofort dem Hochschulpakt 2020 zu Gute. Die Hochschulen werden
damit angehalten, diese Mittel in den Aufbau von Studienplätzen zu investie-
ren. Die laufende Förderrunde der zweiten Säule („Exzellenzcluster“) wird
zu Ende geführt und läuft dann aus. Die entsprechenden Mittel für eine Neu-
auflage fließen stattdessen in einen Hochschulpakt II ein. Die im Rahmen der
ersten Säule geförderten Graduiertenschulen laufen nach Ende der ersten
Förderrunde aus. Die für eine Neuauflage der Förderung in diesem Bereich
vorgesehenen Mittel werden für eine bessere Betreuung von Promovierenden
an allen Hochschulen, etwa im Rahmen von Graduiertenkollegs, eingesetzt.

Berlin, den 24. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11029

Begründung

1. Öffentliche Betreuungsmöglichkeiten wie Kita- oder Hortplätze sind in
Deutschland in viel zu geringer Anzahl vorhanden und häufig schlecht aus-
gestattet. Die Bundesregierung will einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreu-
ung erst ab Oktober 2013. Derzeit haben nur 12 Prozent der unter Dreijähri-
gen einen Kinderbetreuungsplatz. Kinder erwerbsloser Eltern werden in
einigen Bundesländern zunehmend aus Krippen oder Kindergärten ausge-
grenzt. Kinderbetreuung ist ein soziales Recht. Ganztagsbetreuung verbessert
den Bildungsstand und die Sprachbeherrschung von Kindern deutlich. Die
frühen Lebensumstände prägen auch kulturell das spätere Leben. Die Schere
zwischen Benachteiligen und Privilegierten öffnet sich schon in früher Kind-
heit. Auch in der kulturellen Bildung muss viel früher angesetzt werden, weit
vor der Schulzeit. Deshalb braucht jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr
einen Rechtsanspruch auf gebührenfreie Ganztagesbetreuung, so dass auch
Kinder aus finanzschwachen Haushalten die Angebote wahrnehmen können.
Das Ausbautempo der Betreuungsplätze muss sich an den Bedürfnissen der
Menschen orientieren und nicht an einer Politik der Haushaltskonsolidierung.

2. Deutschland gibt weniger Geld pro Schülerin und Schüler aus als der Durch-
schnitt der OECD-Länder. Schülerinnen und Schüler lernen in zu großen
Klassen. Zu wenig Lehrerinnen und Lehrer werden eingestellt. Ganztagsbe-
treuung ist in vielen Bundesländern eher die Ausnahme als die Regel. Viele
Eltern können sich das Schulmittagessen für ihre Kinder nicht leisten. Das
Ganztagsangebot muss erweitert werden, um alle Schülerinnen und Schüler
individuell und vielseitig fördern zu können. Der kulturellen und interkultu-
rellen Bildung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Weiter bedarf es
einer entsprechenden Ausstattung der Schulen mit Lehrmaterialien, dem An-
gebot eines kostenfreien Mittagessens sowie einer deutlichen Aufstockung
der Anzahl an Lehrkräften und einer Reduktion der Klassengrößen. Nur so
kann die soziale Auslese an den Schulen überwunden werden.

3. Die Ausbildungslage in den neuen Bundesländern ist noch immer sehr viel
schlechter als in den alten Bundesländern. Wirklich gelöst werden könnte das
Problem durch eine umfassende Ausbildungsumlage. Solange die Bundesre-
gierung deren Einführung verweigert, darf das Sonderprogramm zur Schaf-
fung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Ländern und Berlin nicht
auslaufen. Es scheint jedoch nicht sinnvoll, dass die Bundesregierung die
Kosten für die berufliche Ausbildung den Unternehmen abnimmt. Daher sol-
len die eingesetzten Mittel nicht Unternehmen dafür belohnen, dass sie ihrer
Verpflichtung zur Ausbildung nachkommen, sondern die Jugendlichen bei
der Wahl ihrer Ausbildung und deren erfolgreichem Abschluss unterstützen.

4. Während von 100 Akademikerkindern 83 ein Studium aufnehmen, studieren
nur 23 von 100 Arbeiterkindern. Statt der notwendigen sozialen Öffnung der
Hochschulen wird das BAföG allein durch die Inflationsrate immer weniger.
Die Zahl der BAföG-Geförderten ist nach Angaben des Statistischen Bundes-
amts im Jahr 2007 weiter um 1,4 Prozent zurückgegangen. Der Bund gab
damit 68 Mio. Euro weniger aus als 2006. Nur 48 Prozent aller Geförderten
bekommen eine Vollförderung. Im Durchschnitt bekommen die geförderten
Studierenden nur 375 Euro im Monat. Die BAföG-Erhöhung zum 1. Oktober
2008 wird nicht ausreichen. Die Preise für Konsumgüter, insbesondere
Heizkosten und Lebensmittel, sind im letzten Jahr stark gestiegen. Auch die
Freibeträge müssen dringend erhöht und den Preissteigerungen angepasst
werden, damit mehr Menschen BAföG-berechtigt werden. Ebenso müssen
die Vermögensfreibeträge der Studierenden angehoben werden.

5. Durch die Weiterbildungspolitik der Bundesregierung wird die soziale

Schieflage bei der Weiterbildungsbeteiligung weiter zugespitzt. Die von der
Regierung beschlossenen Maßnahmen wie z. B. das Bildungssparen fördern

Drucksache 16/11029 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
vor allem Personen, die aufgrund ihres sozialen Status sowie guten Einkom-
mens ohnehin überdurchschnittlich an Fort- und Weiterbildungen teilneh-
men. Die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen oder Bildungsausgaben von der
Steuer abzusetzen wird vornehmlich Mitnahmeeffekte produzieren, statt
„Aufstieg durch Bildung“ zu verwirklichen. Damit verschärft die Bundes-
regierung die Ungleichheiten und erschwert Benachteiligten und Geringver-
dienerinnen die Wahrnahme von Bildungschancen. Das Versprechen die
Weiterbildung zu stärken hat die Regierung damit vorsätzlich und gezielt
gebrochen. Auch die geringfügigen Verbesserungen beim Meister-BAföG
(AFBG) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesministerin
für Bildung und Forschung nur den bereits gut Gebildeten zuteil werden las-
sen möchte.

6. Während in den Jahren 1999 bis 2003 noch knapp über 1 Mrd. Euro Bundes-
mittel in die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau zur Schaffung von Stu-
dienplätzen geflossen sind, sind es nach der Föderalismusreform im Rahmen
der Kompensationsmittel 700 Mio. Euro, d. h. mehr als 300 Mio. Euro weni-
ger.

7. In Deutschland nehmen derzeit nur 36 Prozent eines Jahrgangs ein Studium
auf. Immer mehr Studiengänge sind zulassungsbeschränkt. Der Hochschul-
pakt für zusätzliche Studienanfängerinnen und -anfänger ist mit 565 Mio.
Euro des Bundes von 2007 bis 2010 unterfinanziert. Die bisherige Bilanz des
Hochschulpakts ist katastrophal. Das Ziel sind 91 370 zusätzliche Studien-
anfängerinnen und -anfänger im Jahr 2010 gegenüber 2005. Bisher haben
von 2005 auf 2007 nur 2 597 Studierende oder 0,7 Prozent mehr ein Studium
aufgenommen. Insbesondere in den Ländern Baden-Württemberg, Hessen,
Nordrhein-Westfalen und dem Saarland – Länder mit Studiengebühren –
nahmen sogar weniger Menschen ein Studium auf. Insgesamt gibt es im Jahr
2007 60 000 Studienanfängerinnen und -anfänger weniger als von der Kul-
tusministerkonferenz anvisiert. Damit mehr Menschen ein Studium aufneh-
men können und die doppelten Abiturjahrgänge nicht vor verschlossenen
Hochschultüren stehen, müssen 200 000 neue Studienplätze bis zum Jahr
2010 und darüber hinaus mehrere Hunderttausend neuer Studienplätze ge-
schaffen werden. Der Ausbau des Hochschulpaktes kostet 1,3 Mrd. Euro
Bundesanteil jährlich. Zusätzlich brauchen die Hochschulen mindestens
1,1 Mrd. Euro, um die Betreuungsrelation zu verbessern und prekäre Beschäf-
tigungsverhältnisse an den Einrichtungen zu vermeiden.

8. Die Exzellenzinitiative finanziert die Forschung mit 1,9 Mrd. Euro bis 2011
an derzeit neun Elitehochschulen, 39 Graduiertenschulen und 19 Clustern.
Dieser Elitewettbewerb hat die Finanzierung der Forschung gegenüber der
Finanzierung der Lehre gestärkt. Er führt ein Zwei-Klassen-System von
Hochschulen ein – Eliteuniversitäten einerseits und unterfinanzierte Hoch-
schulen für die Masse der Studierenden andererseits. Während für die Elite-
hochschulen 1,9 Mrd. Euro zur Verfügung stehen, müssen sich die restlichen
256 Hochschulen die 565 Mio. Euro des Hochschulpaktes teilen.

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