BT-Drucksache 16/10633

Aktualisierung der Bilanzrechtsreform in Deutschland aufgrund der Erfahrungen mit der aktuellen Lage an den Finanzmärkten

Vom 15. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10633
16. Wahlperiode 15. 10. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Mechthild Dyckmans, Carl-Ludwig
Thiele, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto
Fricke, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk
Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Florian
Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Aktualisierung der Bilanzrechtsreform in Deutschland aufgrund der Erfahrungen
mit der aktuellen Lage an den Finanzmärkten

Die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, hat in der Regierungserklärung zur
Lage der Finanzmärkte am 7. Oktober 2008 ausgeführt, dass eine Transparenz-
initiative für die internationalen Finanzmärkte gestartet werden müsse. Des
Weiteren hat sie u. a. Regulierungen für Rating-Agenturen angeregt, ein besse-
res Liquiditätsmanagement angemahnt und die Anpassung der europäischen
Bilanzierungsregeln an die amerikanischen Bilanzierungsregeln gefordert.
Auch hat die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, schon früher, z. B. in einem
Interview des „Münchner Merkur“ am 20. September 2008, mehr Transparenz
auf den Finanzmärkten gefordert. Der Bundesminister der Finanzen, Peer
Steinbrück, spricht in einem Interview im „Handelsblatt“ am 9. Oktober 2008
von einer „Flexibilisierung“ der Bilanzregeln für Banken, die „vor allem“ in
Europa schnellstmöglich umgesetzt werden müssten. Es wird zudem im „Han-
delsblatt“ vom 8. Oktober 2008 berichtet, dass die EU-Finanzminister den Ban-
ken erlauben wollen, in bestimmten Fällen Finanzanlagen nach dem Anschaf-
fungswert statt nach dem Marktwert zu bilanzieren.

Im Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), welches bereits in erster
Lesung im Deutschen Bundestag behandelt wurde, sind einige Anpassungen

im Hinblick auf die internationalen Rechnungslegungsvorschriften vorgesehen.
So soll u. a. für zu Handelszwecken erworbene Finanzinstrumente die Zeit-
wertbilanzierung (Fair Value) erstmals im deutschen Recht eingeführt werden.
Die Bundesregierung hat dabei hervorgehoben, dass das BilMoG als eigenstän-
diges Regelwerk konzipiert sein soll und damit einerseits das Handelsgesetz-
buch (HGB)-Bilanzrecht erhalten und andererseits für den Wettbewerb mit den
internationalen Rechnungslegungsstandards gestärkt werden soll.

Drucksache 16/10633 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

In einer Pressemitteilung der amerikanischen Börsenaufsicht SEC (United States
Securities and Exchange Commission) vom 30. September 2008 wird aus-
geführt, wie eine Fair-Value-Bewertung nach FASB 157 (FASB – Financial
Accounting Standards Board) in illiquiden Märkten zu ermitteln sei. Die Presse
vom 2. Oktober 2008 interpretiert darin eine Abkehr von der marktorientierten
bzw. zeitwertorientierten Fair- Value-Bewertung. Auch wurde in den USA der
„Emergency Economic Stabilization Act of 2008“ (EESA 2008) verabschiedet,
der nicht nur die Summe von 700 Mrd. Dollar als Notprogramm bezifferte, son-
dern auch die Börsenaufsicht SEC nach Sec. 133 verpflichtet, die Auswirkungen
der „mark-to-market“- Bewertung nach FASB 157 zu untersuchen und mögliche
Alternativen aufzuzeigen. Nach Sec. 132 des EESA 2008 soll die Börsenaufsicht
SEC auch die Möglichkeit erhalten, die Anwendung des FASB 157 auszusetzen.

Am 1. Oktober 2008 hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso
angekündigt, dass eine Novellierung der Bewertungsvorschriften zu erwarten
sei. Zudem war in unterschiedlichen Presseorganen zu lesen, dass auf dem
Gipfeltreffen der europäischen G8-Staaten sowie der Euro-Gruppe am 4. bzw.
12. Oktober 2008 Regelungen zu den europäischen Bilanzierungsvorschriften
diskutiert und beschlossen wurden.

In einer Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) und des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 13. Oktober 2008 wird nochmals
hervorgehoben, dass es in Europa wie in den USA vergleichbare Bilanzierungs-
regelungen geben müsse, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Dabei
wird ausgeführt, dass zur Bewertung von Finanzinstrumenten bei denen ein ob-
jektiver Marktwert nicht zu ermitteln ist, nach den IFRS (International Financial
Reporting Standards) und den US-GAAP (United States Generally Accepted
Accounting Principles) Barwertmodelle vorgesehen sind, um die ökonomische
Werthaltigkeit der Finanzinstrumente zu bemessen – und dieses als Möglichkeit
zur Ermittlung verlässlicher Zeitwerte anzusehen. Alternativ wird über die Um-
klassifizierung von Finanzinstrumenten in andere Anlageklassen diskutiert, die
auf die Anschaffungskosten und die Halteabsicht des Bilanzierenden abstellen.

Aktuell wird auch über Fachmedien grundsätzlich über die Sinnhaftigkeit der
Fair-Value-Bewertung von Finanzinstrumenten gerade im Hinblick auf die
Lage an den Finanzmärkten diskutiert. Dabei werden unterschiedliche Argu-
mente ausgetauscht: es sei, so wird beispielsweise diskutiert, durch die Fair-
Value-Bewertung gerade bei illiquiden oder inaktiven Märkten mit Bewer-
tungsschwierigkeiten zu rechnen, die gerade in schwierigen Lagen der Finanz-
märkte zu Problemen führen könnten. So seien u. a. grundsätzlich bei neuen
oder wenig handelbaren Finanzinstrumenten erhebliche Schwankungsbreiten
und Transparenzprobleme auszumachen, da die unterschiedlichen Modelle mit
ihren Methoden, Annahmen und Parametern einen erhöhten Berichterstattungs-
aufwand verursachen würden, der dann nur schwer nachvollziehbar sei. Die
Vergleichbarkeit würde dadurch leiden.

Hinsichtlich des Zeitplans der Umsetzung des BilMoG führt das Bundes-
ministerium der Justiz in einer Pressemitteilung vom 21. Mai 2008 aus: „Der
größte Teil der neuen Vorschriften soll nach dem gegenwärtigen Stand erstmals
auf Geschäftsjahre Anwendung finden, die im Kalenderjahr 2009 beginnen.
Erleichterungen, insbesondere die Erhöhung der Schwellenwerte, könnten teil-
weise schon für das Geschäftsjahr 2008 in Anspruch genommen werden.“ Eine
Aktualisierung des Zeitplans ist bisher nicht erfolgt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10633

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sollte nach Ansicht der Bundesregierung das BilMoG aufgrund der aktuel-
len Lage an den Finanzmärkten, der Beschlüsse auf den unterschiedlichen
Gipfeltreffen und aufgrund der Entwicklungen in den Vereinigten Staaten
noch kurzfristig angepasst werden?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, weshalb nicht?

2. Geht die Bundesregierung nach wie vor davon aus, dass das BilMoG als
eigenständiges Regelwerk auf der Basis der HGB-Bilanzierung bestehen
bleibt?

Wenn ja, weshalb?

Wenn nein, weshalb nicht?

3. In welchen Bereichen und wie möchte die Bundesregierung selbst oder
über Dritte entsprechend der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin,
Dr. Angela Merkel, vom 7. Oktober 2008 die europäischen Rechnungsle-
gungsvorschriften denen der amerikanischen Rechnungslegungsvorschrif-
ten anpassen?

4. In welchen Bereichen und wie sollen die Bilanzregeln für Banken flexibili-
siert werden?

5. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass in den Vereinigten Staa-
ten der Gedanke der Fair-Value bzw. der markt- und zeitwertorientierten
Bewertung zumindest in einzelnen Aspekten in Frage gestellt wurde?

Wenn ja, weshalb?

Wenn nein, weshalb nicht?

6. Welche Argumente sprechen nach Ansicht der Bundesregierung hinsicht-
lich der Marktwertbewertung in illiquiden Märkten für die nach IFRS und
US-GAAP vergleichbaren Barwertmodelle (sog. discount cash flows) auf
der einen und der Möglichkeit der Umklassifizierung der Finanzinstru-
mente in andere Anlageklassen (aus dem Handelsbestand in den Anlage-
bestand) auf der anderen Seite?

7. Sieht die Bundesregierung durch die Regelungen des „Emergency Econo-
mic Stabilization Act 2008“ eine Änderung der bisherigen Bilanzierungs-
vorgaben nach amerikanischen Standards?

Wenn ja, weshalb, und welche?

Wenn nein, weshalb nicht?

8. Trifft es zu, dass die Bundesregierung mit EU-Staaten vereinbart hat, an
dem Grundsatz der Fair-Value-Bewertung in den IFRS oder allgemein fest-
zuhalten?

Wenn ja, weshalb?

Wenn nein, weshalb nicht?

9. Plant die Bundesregierung den engen Anwendungsbereich der Fair-Value-
Bewertung im BilMoG anzupassen?

Wenn ja, wie?

10. Ist mit der EU-Kommission ein Verfahren hinsichtlich der Anpassung der
europäischen Bilanzierungsvorschriften vereinbart?
Wenn ja, welches?

Drucksache 16/10633 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
11. Ist seitens der Bundesregierung geplant, mit dem IASB (International
Accounting Standards Board) auch nach den Veröffentlichungen des IASB
am 13. Oktober 2008 hinaus Kontakt aufzunehmen, um Änderungen der
Internationalen Bilanzstandards (IFRS) vorzunehmen?

Wenn ja, in welchen Bereichen und wie?

12. Ist seitens der EU-Kommission geplant, mit dem IASB auch nach den Ver-
öffentlichungen des IASB am 13. Oktober 2008 hinaus Kontakt aufzuneh-
men, um Änderungen der IFRS vorzunehmen?

Wenn ja, in welchen Bereichen und wie?

13. Welche Regulierungen hinsichtlich der Rating-Agenturen werden seitens
der Bundesregierung in der Bundesrepublik Deutschland oder bezüglich
Initiativen gegenüber der EU oder Dritten erwogen?

14. Befürwortet die Bundesregierung eine Verschiebung des Gesetzesvorha-
bens und ggf. nur ein Inkrafttreten von Teilregelungen des BilMoG?

15. Falls ein Inkrafttreten des BilMoG nur in Teilen befürwortet wird, welche
Teilbereiche sollten davon wie und weshalb betroffen sein?

16. Ist der Bundesregierung bekannt, dass aufgrund der Veröffentlichung des
Referentenentwurfs des BilMoG und im Vertrauen auf den veröffentlichten
Zeitplan seitens einer größeren Anzahl von Unternehmen Investitionen
(Fortbildung, Umstellungsplanung etc.) zur Vorbereitung auf die Anwen-
dung der potenziellen neuen Rechnungslegungsstandards nach dem Bil-
MoG bereits jetzt getroffen wurden?

17. Ist der Bundesregierung bekannt, dass es für einige der ab dem 1. Januar
2009 nach dem Zeitplan der Bundesregierung geltenden Regelungen des
BilMoG bei Unternehmen einen Umstellungszeitbedarf besteht, der deut-
lich vor dem Jahreswechsel beginnt (z. B. die Aktivierungspflicht selbstge-
schaffener immaterieller Vermögensgegenstände)?

Wie gedenkt sie, diesem gerecht zu werden?

Berlin, den 15. Oktober 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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