BT-Drucksache 16/10617

Neue Kohlekraftwerke verhindern - Genehmigungsrecht verschärfen

Vom 15. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10617
16. Wahlperiode 15. 10. 2008

Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Ulrike
Höfken, Renate Künast, Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neue Kohlekraftwerke verhindern – Genehmigungsrecht verschärfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Rechtsvorschriften, nach denen in Deutschland Kohlekraftwerke geplant und
genehmigt werden, sind dringend reformbedürftig. Auf Klimaschutz und Res-
sourceneffizienz nimmt das geltende Genehmigungsrecht keine Rücksicht. Die
Einhaltung der Grenzwerte des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG)
reicht in der Regel aus, um einen Anspruch auf den Bau des Kraftwerks zu
begründen. Der CO2-Ausstoß oder die Effizienz des Kraftwerks spielen bei der
Genehmigungsentscheidung dagegen keine Rolle. So haben die zuständigen
Behörden kaum eine juristische Handhabe, den Bau ineffizienter und extrem
klimaschädlicher Kraftwerke zu verhindern. Investoren können unter An-
drohung von Milliardenklagen die Genehmigung von Klimakillern auch gegen
den Willen der zuständigen Behörden erzwingen. Das muss sich ändern, wenn
Deutschland seine internationalen Klimaschutzverpflichtungen erfüllen und eine
katastrophale Erderwärmung um mehr als 2 Grad verhindern will. Dies ist eine
der zentralen Anforderungen auch an ein künftiges Umweltgesetzbuch.

Klimaschutz und Ressourceneffizienz müssen endlich zu wichtigen Faktoren
bei der Kraftwerksgenehmigung werden. Dies kann im deutschen Recht kurz-
fristig am besten durch die Einführung von Mindestwirkungsgraden für neue
Kraftwerke geschehen. Ohne eine entsprechende Regelung werden die deut-
schen Klimaschutzziele von 40 Prozent CO2-Einsparung bis 2020 und 80 Pro-
zent CO2-Einsparung bis 2050 nicht zu erreichen sein. Denn mit CO2-Emissio-
nen von 750 bzw. 950 Gramm pro Kilowattstunde stoßen auch die neuesten
Braun- und Steinkohlekraftwerke zwei bis dreimal soviel schädliche Klimagase
aus wie moderne Gaskraftwerke. Außerdem lassen sie mit elektrischen Wir-
kungsgraden von 43 Prozent bis 46 Prozent mehr als die Hälfte der erzeugten
Energie ungenutzt verpuffen. Nicht zuletzt sprechen auch die ökologischen und
sozialen Folgen des Bergbaus gegen die Kohle. So drohen neue Tagebaue z. B.
in Brandenburg vielen Menschen die Heimat zu zerstören und das Klima zu
schädigen.

Der geplante Neubau von mehr als 20 Kohlekraftwerken würde diese klima-
schädliche und ineffiziente Stromversorgung für 50 Jahre und mehr zementieren.
Zusammen würden die geplanten Kohlekraftwerke 2050 in etwa soviel CO2
emittieren, wie ganz Deutschland bei Zugrundlegung des 80 Prozent-Einspar-
ziels noch ausstoßen darf. Für die übrige Energieerzeugung, die Industrie, den
Verkehr, die Landwirtschaft und die Haushalte blieben dann keine Emissions-

Drucksache 16/10617 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

rechte mehr übrig – ein völlig unrealistisches Szenario, bei dem am Ende der Kli-
maschutz auf der Strecke bleiben würde.

Deshalb muss durch die Festlegung von Mindestwirkungsgraden für Kraft-
werke der Neubau von Kohlekraftwerken verhindert werden, solange die CCS-
Technik (Carbon Capture and Storage) nicht sicher und umweltverträglich zur
Verfügung steht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● für neue Kraftwerke einen elektrischen Mindestwirkungsgrad von 58 Prozent
gesetzlich festzulegen und so den Neubau von Kohlekraftwerken zu ver-
hindern;

● bei den Verhandlungen zur Überarbeitung der Europäischen Emissions-
handelsrichtlinie auf eine Klarstellung zu drängen, dass das Europarecht
weitergehende nationale Regelungen der Minderung des CO2-Ausstoßes
von Kraftwerken nicht untersagt.

Berlin, den 15. Oktober 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Ein Mindestwirkungsgrad von 58 Prozent für die Stromerzeugung stellt sicher,
dass nur noch moderne Gas- und Dampf-Kraftwerke mit einem CO2-Ausstoß
von etwa 365 Gramm je Kilowattstunde Strom gebaut werden können. Braun-
und Steinkohlekraftwerke mit einem doppelten bis dreimal so hohen CO2-Aus-
stoß und einem maximalen Wirkungsgrad von 43 Prozent bzw. 46 Prozent
wären hingegen nicht mehr genehmigungsfähig. Auf europäischer Ebene sollte
außerdem bei der Überarbeitung der Emissionshandelsrichtlinie klargestellt
werden, dass der Emissionshandel weitergehende nationale Klimaschutzregeln
im Kraftwerksbereich nicht ausschließt. Dadurch wird der Weg zu einer direk-
ten Regulierung des CO2-Ausstoßes von Kraftwerken im Interesse des Klima-
schutzes geöffnet.

Zur Senkung der Emissionen im Kraftwerkssektor reicht es nicht aus, allein auf
den bestehenden Emissionshandel zu setzen. Denn der Emissionshandel wird in
seiner dritten Handelsperiode nur Emissionsobergrenzen bis zum Jahr 2020
festlegen. Sind die neuen Kohlekraftwerke erst einmal gebaut, schafft das für
die 50 Jahre der Betriebszeit der Kraftwerke Fakten, die eine deutliche Emis-
sionssenkung nach 2020 kaum mehr zulassen werden. Auf diese Weise droht
der Neubau von Kohlekraftwerken den Emissionshandel mehr einzuschränken
als der Emissionshandel den klimaschädlichen Kraftwerksausbau.

Eine Möglichkeit, die Klimaschäden durch Kohlekraftwerke zu verringern,
könnte langfristig die Technik der CO2-Abscheidung und -Lagerung (CCS) bie-
ten. Sie ist aber derzeit noch eine Rechnung mit zu vielen Unbekannten, als
dass sie bereits als fester Beitrag zum Klimaschutz eingerechnet werden
könnte. Noch ist völlig offen, ob CCS sich als praktikabel, wirtschaftlich, um-
weltverträglich und sicher herausstellen wird. Auch Befürworter gehen davon
aus, dass die Technik frühestens im Jahr 2020 marktreif sein wird. Bis CCS ein-
setzbar ist, ist der Neubau von Kohlekraftwerken klimapolitisch nicht verant-
wortbar.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10617

Wenn sich CCS eines Tages als praktikabel, wirtschaftlich, umweltverträglich
und sicher erweisen sollte, wird sich die Kohlefrage neu stellen. Bis dahin muss
aber ein Moratorium für neue Kohlekraftwerke durchgesetzt werden. Dabei
geht es nicht um einen Komplettausstieg aus der Kohleverstromung. Auch
2020 werden Altkraftwerke noch in erheblichem Umfang Strom aus Kohle pro-
duzieren. Was es aber zu verhindern gilt, ist eine langfristige Festlegung auf die
Kohle durch den Zubau neuer Kraftwerkskapazitäten.

Neue Kohlekraftwerke werden zur Sicherstellung der Energieversorgung auch
nicht gebraucht. Warnungen vor einer drohenden Stromlücke haben sich wieder-
holt als interessengeleitete Stromlügen erwiesen. Deutschland steht 2008 vor
einem Rekordjahr beim Stromexport, trotz des reparaturbedingten Stillstands
einiger Atomkraftwerke. Wenn die von der Bundesregierung gesetzten Ziele bei
der Energieeinsparung mit einem kraftvollen Ausbau der erneuerbaren Energien
und der Kraft-Wärme-Kopplung verbunden werden, lässt sich die Energie-
versorgung des Jahres 2020 auch ohne neue Kohlekraftwerke gewährleisten:
mit mindestens 40 Prozent aus erneuerbaren Energien, 30 Prozent aus hoch-
effizienter Kraft-Wärme-Kopplung und dem Rest aus modernen Gaskraft-
werken und bestehenden Kohlekraftwerken.

Für diesen notwendigen Umbau hin zu einer klimaverträglichen, effizienten
und sicheren Energieversorgung müssen jetzt die Weichen gestellt werden.

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