BT-Drucksache 16/10613

Eigentumsfreiheit weltweit schützen

Vom 15. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10613
16. Wahlperiode 15. 10. 2008

Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Rainer
Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker
Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion
der FDP

Eigentumsfreiheit weltweit schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Eigentumsfreiheit in Deutschland

Die Eigentumsfreiheit ist ein eigenständiges Recht, das den Charakter einer
Gesellschaft maßgeblich bestimmt. Es ist von zentraler Bedeutung für die
Stellung des Einzelnen im Gemeinwesen und damit für die Gesellschafts-
ordnung insgesamt.

a) Schutzbereich

Eigentum ist das umfassende Recht, über Grundstücke, bewegliche Sachen und
Gegenstände innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung nach freiem Belieben
zu bestimmen. Eigentum dient grundsätzlich dem privaten Nutzen des Berech-
tigten und schützt diesen gegen Übergriffe durch Staat oder Privatpersonen.

In Deutschland ist der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff weit gefasst.
Das Bundesverfassungsgericht bezieht in das Eigentum alle vermögenswerten
Rechte ein. Somit umfasst der Schutzbereich des Artikels 14 Abs. 1 des Grund-

gesetzes (GG) nicht nur das Eigentum an Sachen im zivilrechtlichen Sinn,
sondern auch dingliche Rechte (wie Pfandrechte, Erbbaurecht) und sonstige
vermögenswerte Rechte (z. B. Aktien, GmbH-Anteile, Urheber- und Patent-
rechte, Forderungen, Vorkaufsrechte). Ebenso sind vermögenswerte öffentlich-
rechtliche Rechtspositionen geschützt, „wenn der ein subjektiv-öffentliches
Recht begründende Sachverhalt dem Einzelnen eine Rechtsposition verschafft,
die derjenigen des Eigentümers entspricht“ (BVerfGE 53, 257 [289]).

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b) Bedeutung des Rechts auf Eigentum

Zuvörderst ist Eigentum ein eigenständiges Freiheitsrecht. Der Schutz des
Eigentums ist grundlegend für die Stellung des Einzelnen im Gemeinwesen.
Laut Bundesverfassungsgericht steht Artikel 14 GG im „inneren Zusammen-
hang mit der Garantie der persönlichen Freiheit“ (BVerfGE 24, 367 [389], 30,
292 [334]; 31, 229 [239]; 42, 263 [293]; 50, 290 [339]; 70, 191 [201]). Daher
kommt der Eigentumsgarantie im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe
zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen
Bereich zu ermöglichen (BVerfGE 24, 267 [389]; 50, 290 [339]; 93, 121[14f]).

Eigentum ist der Ausdruck unmittelbarer Verantwortung für eine Sache, aber
auch das Ergebnis einer Lebensleistung und der Ertrag jahrelanger Arbeit. Im
Verhältnis von Bürger zu Staat ist die Eigentumsgarantie ein Abwehrrecht. Wo
Eigentumsrechte nicht gewährleistet werden, sind Menschen oft Willkür oder
Abhängigkeit ausgesetzt. Eine Gesellschaft ohne Eigentum kann keine freiheit-
liche, demokratisch-selbstbewusste und prosperierende sein.

2. Eigentumsfreiheit im Völkerrecht und Europarecht

Das Völkerrecht bekennt sich in einer Vielzahl von Rechtsnormen zum Schutz
der Eigentumsfreiheit. Schon das Völkergewohnheitsrecht gewährleistet ein
Mindestmaß an Eigentumsschutz. Eine Enteignung darf nur im öffentlichen
Interesse erfolgen. Sie darf weder gegen vertragliche Verpflichtungen verstoßen
noch diskriminieren und muss immer gegen Entschädigung erfolgen. Entschä-
digungslose Enteignungen, sog. Konfiskationen, sind völkerrechtswidrig.

Auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) beinhaltet in
Artikel 17 die Eigentumsfreiheit.

Die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 legt in Artikel 13 fest:
„Die vertragsschließenden Staaten werden jedem Flüchtling hinsichtlich des
Erwerbs von beweglichem und unbeweglichem Eigentum und sonstiger dies-
bezüglicher Rechte sowie hinsichtlich von Miet-, Pacht- und sonstigen Ver-
trägen über bewegliches und unbewegliches Eigentum eine möglichst günstige
und jedenfalls nicht weniger günstige Behandlung gewähren, als sie Aus-
ländern im Allgemeinen unter den gleichen Umständen gewährt wird.“ Damit
dürfen Flüchtlinge hinsichtlich des Erwerbs von Eigentum grundsätzlich nicht
gegenüber anderen Ausländern benachteiligen werden.

In bewaffneten Konflikten werden zivile Einrichtungen und Privateigentum in
besetzten Gebieten durch das Genfer Abkommen IV vom 12. August 1949 vor
Zerstörung geschützt (Artikel 53). Ebenso schützt das Genfer Abkommen IV
das Eigentum von Kriegsgefangenen (Artikel 97).

Das Römische Statut zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs er-
möglicht es, schwere Verletzungen der Genfer Abkommen als Kriegsverbre-
chen zu ahnden. Das Römische Statut stellt die „Zerstörung und Aneignung
von Eigentum in großem Ausmaß, die durch militärische Erfordernisse nicht
gerechtfertigt sind und rechtswidrig und willkürlich vorgenommen werden,“
als Kriegsverbrechen unter Strafe (Artikel 8 Abs. 2 Buchstabe a Nr. iv des
Römischen Statuts des Internationalen Gerichtshofs – IStG-Statut). Ferner sind
vorsätzliche Angriffe auf zivile Objekte (Artikel 8 Abs. 2 Buchstabe b Nr. ii
IStGH-Statut) sowie die unverhältnismäßige Beschädigung ziviler Objekte
(Artikel 8 Abs. 2 Buchstabe b Nr. iv IStGH-Statut) strafbewährt.

In zahlreichen anderen VN-Menschenrechtsabkommen (VN: Vereinte Natio-
nen) wird die Bedeutung des Rechts auf Eigentumsfreiheit durch Aufnahme
gesonderter Artikel unterstrichen. Das Internationale Übereinkommen zur Be-
seitigung jeder Form von rassischer Diskriminierung (Convention on the Elimi-

nation of all Forms of Racial Discrimination/CERD) vom 21. Dezember 1965

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greift in Artikel 5 Buchstabe d Nr. v den Artikel 17 Abs. 1 der AEMR auf und
verbietet in rechtlich verbindlicher Form Verletzungen des Rechts auf Eigen-
tum durch Diskriminierung aufgrund der Rasse, Hautfarbe, des Geschlechts,
der Sprache, Religion oder der sozialen Herkunft. Aus Artikel 11 des Inter-
nationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom
19. Dezember 1966 (IPwskR) ergibt sich ein Verbot von Vertreibungen von
Menschen aus ihren Behausungen.

Auf der Ebene der grundlegenden VN-Menschenrechtsabkommen besteht
jedoch eine Lücke hinsichtlich des Eigentumsschutzes. Der Internationale Pakt
über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) vom 16. Dezember 1966 ent-
hält bisher keine Regelungen zum Schutz des Eigentums. Diese Lücke muss
durch die Aushandlung eines entsprechenden Zusatzprotokolls zum IPbpR ge-
schlossen werden.

Daneben finden sich in regionalen Abkommen Regelungen, die das Recht auf
Eigentum der Bürger der Unterzeichnerstaaten schützen. So legt das 1. Zusatz-
protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) einen ver-
bindlichen Rahmen für den Eigentumsschutz in den Unterzeichnerstaaten fest.
Vergleichbare Vorschriften sind in Artikel 14 und 21 der Afrikanischen Charta
der Menschenrechte und der Rechte der Völker (African [Banjul] Charter on
Human Rights and Peoples’ Rights) sowie in Artikel 21 der Amerikanischen
Menschenrechtskonvention enthalten.

Auch die Europäische Union schützt die Eigentumsfreiheit umfassend. Der
Europäische Gerichtshof hat schon früh das Recht auf Eigentum in seiner
Rechtsprechung anerkannt (EuGH, RS. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, 3727,
3745 ff.; dazu Penski/Elsner DÖV 2001, 265 ff.). Die Charta der Grundrechte
legt in Artikel 17 fest, dass jede Person das Recht hat, ihr rechtmäßig erworbe-
nes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben.
Enteignungen dürfen nur im öffentlichen Interesse und unter gesetzlich fest-
gelegten Bedingungen vorgenommen werden, die unter anderem eine ange-
messe Entschädigung umfassen müssen.

3. Gefahren für den Eigentumsschutz

In zahlreichen Staaten wird das Eigentum Einzelner Gegenstand von gezielten
unberechtigten Übergriffen durch private Dritte oder durch den Staat. Dagegen
vorzugehen wird für die Betroffenen zusätzlich erschwert, wenn Korruption in
Verwaltung und Justiz die Inanspruchnahme wirksamer Rechtsmittel ver-
hindert. Diesen Verletzungen der Eigentumsfreiheit muss entschlossen begeg-
net werden.

a) Eigentumsverletzungen in bewaffneten Konflikten

Bewaffnete Konflikte führen regelmäßig neben Gewalt an Leib und Leben zu
erheblichen Zerstörungen am Eigentum der Bevölkerung. Besonders in Bürger-
kriegen versuchen Konfliktparteien durch Beschädigung des Eigentums ihren
Gegnern die Existenzgrundlage zu entziehen. Meist ist davon gerade auch die
unbeteiligte Zivilbevölkerung betroffen.

Die Gewalt in der sudanesischen Provinz Darfur ist hierfür beispielhaft. Trup-
pen der sudanesischen Zentralregierung sowie mit ihr verbündete arabische
Reitermilizen gehen ebenso wie Rebellengruppen mit Bombardements, der
Zerstörung von Dörfern, Raubüberfällen und Vertreibungen gegen die Zivil-
bevölkerung vor und vernichten gezielt deren Lebensgrundlage.

Die langjährige Gewalt in der ostafrikanischen Region der Großen Seen wie in
der Demokratischen Republik Kongo oder Ruanda, die Konflikte am Horn von

Afrika in Somalia oder Äthiopien, die westafrikanischen Bürgerkriege in Sierra
Leone und Liberia in den 1990er Jahren waren allesamt von ungezügelten

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Eigentumszerstörungen und von Vertreibungen gekennzeichnet. In Kolumbien
vertrieben insbesondere paramilitärische Gruppen und Guerillabewegungen
Teile der Landbevölkerung von ihrem Land, um dieses für die Produktion von
Drogen zu nutzen oder es zu verkaufen. Die „ethnischen Säuberungen“ der
Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien waren mit Massenmord, großflächi-
gen Vertreibungen und Zwangsenteignungen im großen Umfang verbunden.

Die durch bewaffnete Konflikte herbeigeführten Enteignungen werden vielfach
zu einem substantiellen Hindernis für eine stabile Friedensordnung. Vertriebene
können oft nicht in ihre alte Heimat zurück, sodass eine Herstellung des Status
quo ante durch Eigentumsrestitution meist nicht möglich ist. Selbst bei ent-
sprechendem Willen einer Regierung übersteigt oft die Zahlung von vollen, dem
Verkehrswert entsprechenden Entschädigungen die Ressourcen einer Nach-
kriegsgesellschaft. In solchen Fällen sollten zumindest geringere Ausgleichs-
leistungen und insbesondere bei lang zurückliegenden oder nicht dokumentier-
ten Eigentumsverletzungen alternative Wiedergutmachungsformen, wie öffent-
liche Entschuldigungen, symbolische Entschädigungen, Denkmäler und Museen
oder die Einrichtung von Zukunftsfonds, zugunsten der Nachkommen der un-
mittelbaren Opfergeneration in Betracht gezogen werden. Der politische Neu-
beginn nach Konflikten wird durch diesen schmerzhaften Prozess, angefangen
von der Klärung der Eigentumsverhältnisse bis hin zur Wiedergutmachung, be-
lastet und verlangt von allen Beteiligten hohe Kompromissbereitschaft. Ansons-
ten drohen ungeklärte Eigentumskonflikte zur Belastung für einen politischen
Neuanfang zu werden.

b) Enteignung zur Gängelung politischer Gegner

Ebenso traumatisch kann es für die Betroffenen sein, wenn Regierungen zur
Repression politischer Gegner Menschen gezielt vertreiben, zwangsumsiedeln
oder ihr Eigentum beschädigen. So wurden beispielsweise in Simbabwe im Mai
2005 im Zuge des so genannten Weg mit dem Schmutz-Programms („Clear the
Filth“/“Operation Murambatsvina“) schätzungsweise 700 000 Menschen von
der Regierung aus ihren Behausungen vertrieben. Menschenrechtsorganisa-
tionen kritisieren, dass es sich dabei um Personen handelte, die der Regierung
von Robert Mugabe kritisch gegenüber standen, und erhoben den Vorwurf einer
gezielten Strafaktion gegen politisch Andersdenkende. Ebenso werden in
Simbabwe seit Jahren weiße Farmer systematisch Opfer von Übergriffen und
Vertreibungen seitens der Unterstützer von Präsident Robert Mugabe.

In Birma/Myanmar greift die Militärregierung zu Vertreibungen von ethnischen
Minderheiten insbesondere hinsichtlich der Volksgruppen der Karen und Shan
im Grenzgebiet zu Thailand, da diese Gruppen sich der Kontrolle durch die
Zentralregierung zu entziehen versuchen. Als Folgen leben ca. 160 000 Flücht-
linge aus diesen Regionen in Aufnahmelagern in Thailand oder als Binnen-
flüchtlinge in Birma/Myanmar.

Nach den kenianischen Parlamentswahlen vom 27. Dezember 2007 brach in
dem ostafrikanischen Land politisch motivierte Gewalt aus, bei der militante
Mitglieder rivalisierender Gruppen auf politische Gegner losgingen und auch
gezielt das Eigentum der Opfer zerstörten. Dadurch wurde den Betroffenen,
insbesondere Mitgliedern der ethnischen Gruppe der Kikuyu, die Existenz-
grundlage entzogen und sie wurden zur Flucht im Lande gezwungen.

In Russland wurden die Anteilseigner des Energiekonzerns Yukos durch eine
Zwangsversteigerung der Aktien unter enteignungsähnlichen Bedingungen aus
politischen Motiven gezielt geschädigt. Dies geschah, um insbesondere den
Vorstandschef des Unternehmens, Michail Chodorkowski, politisch kaltzu-
stellen und ihn nach einem rechtsstaatlichen Standards widersprechenden Ver-

fahren zu inhaftieren.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10613

c) Enteignungen zugunsten von Bauprojekten

Der VN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf angemessenes
Wohnen, Miloon Kothari, weist in seinem am 14. März 2006 vorgelegten Be-
richt auf das besondere Problem von entwicklungsbedingten Vertreibungen in
vielen Staaten hin, bei denen Land- und Gebäudebesitzer Eigentum ohne dem
Marktwert entsprechende Entschädigung oder unter Zwang aufgeben müssen,
um Bau- und Entwicklungsvorhaben Platz zu machen. Markante Großprojekte,
die zur großräumigen Verdrängung der ansässigen Bevölkerung geführt haben,
sind Staudammbauten. Insbesondere aus Brasilien, China und der Türkei sind
wiederholt diesbezügliche Berichte bekannt geworden. Ähnliches gilt für Ent-
eignungen von chinesischen Bürgern, die zugunsten des Baus der olympischen
Sportstätten in Peking von den Behörden zwangsumgesiedelt wurden. Da diese
Umsiedlungen häufig mit dem Verlust von Eigentum sowie physischen und
psychischen Verletzungen verbunden sind, führen sie regelmäßig zu Protesten
und Unruhen. Menschenrechtsorganisationen weisen auf zahlreiche Bürgerpro-
teste in Staaten mit einem rasanten Wirtschaftswachstum wie China hin. Hier
sind Regierungen in der Pflicht das Eigentum ihrer Bürger vor unberechtigten
Übergriffen durch den Staat zu schützen. In Fällen gerechtfertigter Enteignun-
gen zur Förderung des Gemeinwohls müssen die Staaten für die Betroffenen
eine vollwertige Entschädigung für verlorenes Eigentum oder andere verlorene
Rechtspositionen sicherstellen.

d) Enteignungen von Unternehmen

Hinter jeder juristischen Person eines Unternehmens stehen die natürlichen
Personen von Eigentümern, die mit dem Unternehmen verbunden sind. Daher
wirken sich willkürliche Eingriffe in das Eigentum von Unternehmen auch auf
die eigentumsrechtliche Position dieser dahinterstehenden natürlichen Personen
aus. Solche Eingriffe sind geeignet, den Weg in einen Willkürstaat zu ebnen, der
sich nach Belieben der Rechte seiner Bürger bemächtigt.

Die staatlichen Eingriffe in die Rechtspositionen von Energieunternehmen in
Venezuela, Ecuador oder Bolivien waren besonders schädlich. Die Unter-
nehmen wurden vor die Alternative gestellt, entweder unfreiwillig neue Kon-
zessionsverträge abzuschließen oder ihre Investitionen komplett durch Ver-
staatlichungen zu verlieren. Anderen Unternehmen im Energiesektor wurden in
Russland und Kasachstan unter Vorgabe unsachlicher Begründungen die
Förderlizenzen entzogen.

Besonders dramatisch wirken sich willkürliche staatliche Enteignungen von
privaten Medien aus, da sie die öffentliche Meinungsvielfalt in einem Land
empfindlich einschränken. Die schikanösen Umstände, die zur Übernahme des
letzten landesweit empfangbaren unabhängigen russischen Fernsehsenders
NTW durch den staatlich kontrollierten Energiekonzern Gazprom führten,
tragen deutliche Züge eines konzertierten von der Regierung gesteuerten Vor-
gehens, um eine wichtige kritische Stimme mundtot zu machen. In ähnlicher
Weise ist die Entscheidung der Regierung Venezuelas zu verurteilen, die 2007
die staatliche Sendelizenz für die terrestrische Frequenz des regierungs-
kritischen Fernsehsender RCTV nicht verlängerte. RCTV, der älteste Fernseh-
sender des Landes, hatte seit seiner Gründung 1953 diese Frequenz genutzt. An
Stelle von RCTV nahm ohne Neuausschreibung der Sendefrequenz am 28. Mai
2007 der öffentlich-rechtliche Sender TVes den Sendebetrieb auf. Um einen
reibungslosen Übergang zu gewährleisten, musste RCTV dem neuen Sender die
Sendeausrüstung überlassen. Dazu wurde RCTV durch einen Beschluss des
mehrheitlich von regierungsfreundlichen Richtern besetzten Obersten Gerichts-
hofes Venezuelas gezwungen, die entschieden, dass die von RCTV auf öffent-

lichem Grund errichteten Gebäude und Bauwerke, einschließlich der Sende-
antennen, alleiniges Eigentum des Staates seien. RCTV ist nun auf die Aus-

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strahlung seines Programms via Satellit, Kabel und Internet beschränkt. Durch
diesen Akt staatlicher Willkür reduzierte sich die Erreichbarkeit des Senders
von 98 Prozent der venezolanischen Bevölkerung auf schätzungsweise 35 Pro-
zent. Neben den entsprechend negativen wirtschaftlichen Konsequenzen für
den Sender ist die Maßnahme ein drastischer Eingriff in die Pressefreiheit Vene-
zuelas.

e) Rechtswidrige Eigentumsverteilung

Der Staat ist auch dazu verpflichtet, das Eigentum seiner Bürger gegen Über-
griffe durch private Dritte zu schützen. In vielen Staaten werden bestehende
soziale Konflikte dadurch verschärft, dass private Dritte, seien dies natürliche
oder juristische Personen, sich teilweise durch unrechtmäßiges Verhalten des
Eigentums von Mitbürgern bemächtigen. Für die Opfer wird es immer dann
besonders schwierig, sich zur Wehr zu setzen, wenn die privaten Dritten mit
Rückendeckung korrupter Beamter und Richter in Verwaltung und Justiz
agieren.

Dieses Problem tritt besonders häufig in Staaten in Erscheinung, in denen sich
die Wirtschaft schnell entwickelt, deren Rechtssystem jedoch nicht in der Lage
ist, den Bürgern ausreichend Schutz vor aggressiven Investoren oder anderen
privaten Dritten zu bieten. In China oder Vietnam kommt es regelmäßig zu
Unruhen unter der Landbevölkerung, wenn Bauern durch forsch auftretende
Investoren von ihrem Land verdrängt werden, ohne eine angemessene Entschä-
digung zu erhalten. Auch aus Brasilien und Indien sind solche Vorgänge be-
kannt.

In Palästina haben sich aus Israel stammende militante Siedler wiederholt Land
gewaltsam angeeignet und illegale Siedlungen errichtet. Dabei hat der israeli-
sche Staat nicht immer in ausreichendem Maße eingegriffen, um das Grund-
eigentum der ansässigen Bevölkerung zu schützen, obwohl dies nicht nur recht-
lich geboten ist, sondern auch mit den berechtigten Sicherheitsinteressen Israels
in Einklang steht.

4. Eigentumsbildung

In vielen Entwicklungsländern werden von Regierungen sowie Nichtregie-
rungsorganisationen erfolgreich Programme zur Eigentumsbildung umgesetzt.
Dabei spielt die Vergabe von Kleinkrediten eine entscheidende Rolle. Dieser
Ansatz ermöglicht es breiten Schichten, materielle Selbständigkeit zu erlangen,
was für die Betroffenen eine positive Wirkung auf die Wahrnehmung anderer
Rechte zur Folge hat. Deutschland muss diese Entwicklung verstärkt unter-
stützen. Durch den Aufbau einer Mittelschicht wird eine wichtige Voraus-
setzung für die Festigung freiheitlich-demokratischer Gesellschaften geschaf-
fen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. deutsche Auslandsvertretungen hinsichtlich des Schutzes des Eigentums zu
sensibilisieren und zu beauftragen, dem Auswärtigen Amt über Verstöße
genau zu berichten;

2. den Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und
Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt mit der Erstellung einer Liste von
Staaten zu beauftragen, die gegen das Recht auf Eigentum verstoßen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/10613

3. bei Regierungen, die selbst gegen den Schutz der Eigentumsfreiheit
verstoßen oder schuldhaft Verstöße gegen das Recht auf Eigentum durch
private Dritte einschließlich illegaler Landnahme auf ihrem Hoheitsgebiet
nicht ahnden, offiziell zu protestieren und die Achtung des Rechts auf
Eigentum einzufordern;

4. deutschen Staatsbürgern, deren Recht auf Eigentum im Ausland verletzt
wurde, Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu gewähren,
wenn ihnen kein rechtsstaatliches Verfahren zur Verfügung steht, um sich
gegen den Eingriff zur Wehr zu setzen;

5. Staaten, die über keine ausreichenden gesetzlichen Vorschriften zum
Schutz der Eigentumsfreiheit verfügen, dazu aufzufordern, diese Gesetzes-
lücke zu schließen und gegebenenfalls Unterstützung bei diesen Gesetz-
gebungsprozessen, etwa in den Bereichen Sachenrecht, Grundbuchwesen,
Staatshaftungsrecht oder Entschädigungsregelungen, anzubieten;

6. Staaten mit Defiziten bei der tatsächlichen Durchsetzung der Eigentums-
freiheit Unterstützung beim Aufbau eines effektiven Polizei- sowie Ge-
richtswesens anzubieten, wie dies im bilateralen Staatendialog mit vielen
Ländern bereits sehr erfolgreich durchgeführt wird, das den öffentlich-
rechtlichen sowie privatrechtlichen Schutz gegen unrechtmäßige Eingriffe
in die Eigentumsrechte ihrer Bürger gewährleistet;

7. gemeinsam mit den EU-Partnern auf der Ebene der Vereinten Nationen für
ein Zusatzprotokoll zum IPbpR einzutreten, das den Schutz des Eigentums
vor unberechtigten Eingriffen durch private Dritte oder den Staat garantiert
und angemessene Entschädigungen im Falle von Enteignungen vor-
schreibt;

8. das Recht auf Eigentum im VN-Menschenrechtsrat zu thematisieren;

9. die Verlängerung des Mandats des VN-Sonderberichterstatters für ange-
messene Behausung zu unterstützen und sich insbesondere für die Um-
setzung der von ihm entwickelten Grundprinzipien und Richtlinien über
entwicklungsbezogene Räumungen und Umsiedlungen einzusetzen;

10. Staaten, in denen nur wenige Bürger über Eigentum verfügen, Unter-
stützung beim Aufbau eines Vergabesystems für Kleinkredite anzubieten,
das eine bessere Vermögensbildung ermöglicht.

Berlin, den 14. Oktober 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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