BT-Drucksache 16/10462

Verbot von kurdischem Satellitensender Roj TV

Vom 2. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10462
16. Wahlperiode 02. 10. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Hüseyin-Kenan Aydin, Wolfgang Gehrcke,
Dr. Norman Paech und der Fraktion DIE LINKE.

Verbot von kurdischem Satellitensender Roj TV

Mit Verbotsbescheid vom 13. Juni 2008, gerichtet an die Verantwortlichen der
in Dänemark ansässigen Firmen Mesopotamien Broadcast A/S METV und Roj
TV sowie VIKO in Wuppertal, hat das Bundesministerium des Innern (BMI)
den kurdischen Satellitensender Roj TV im Bereich der Bundesrepublik
Deutschland verboten. Mesopotamia Broadcast A/S darf sich danach „im
Geltungsbereich des Vereinsgesetzes nicht mehr durch den Fernsehsender
Roj TV A/S betätigen“. Es wird behauptet, die Tätigkeit des Senders laufe Straf-
gesetzen zuwider und richte sich „gegen den Gedanken der Völkerverstän-
digung“. Zudem wird behauptet, der TV-Sender betätige sich für die in der Bun-
desrepublik Deutschland seit 1993 verbotene Arbeiterpartei Kurdistans PKK
und sei somit deren „Sprachrohr, um ihre Anhängerschaft in Europa mit
Nachrichten zu versorgen“. Die ebenfalls verbotene TV-Produktionsfirma
VIKO wird als „Teilorganisation“ von Roj TV gewertet und vorhandenes Ver-
mögen zugunsten des Bundes beschlagnahmt und eingezogen.

Wesentlicher Senderinhalt sei eine „Glorifizierung des bewaffneten Kampfes
gegen die Türkei“ und das „Schüren eines Personenkultes um den inhaftierten
PKK-Führer Abdullah Öcalan“, so das BMI. Roj TV transportiere den „Konflikt,
der zwischen Teilen der kurdischen Bevölkerung in der Türkei mit dem tür-
kischen Staat besteht […] in die Wohnzimmer kurdischer Familien auch in
Deutschland“ und schüre so „Hass zwischen Menschen türkischer und kur-
discher Volkszugehörigkeit“, behauptet das BMI ungeachtet der Tatsache, das
der Sender beharrlich für eine politische Lösung der kurdischen Frage wirbt. Vor
dem Hintergrund des „verschärften Vorgehens des türkischen Staates gegen
PKK-Guerillastellungen“ – gemeint sind offenbar die völkerrechtswidrigen
Luftangriffe auf Ziele im Nordirak – erforderten „Sicherheitsinteressen der
Bundesrepublik Deutschland“ das Verbot des „PKK-Haussenders“ (alle Zitate
aus dem Verbotsbescheid des BMI).

Roj TV erreicht mit seinen Kultur- und Nachrichtensendungen in kurdischer,
türkischer, arabischer und assyrischer Sprache täglich mehrere Millionen Men-
schen im Nahen Osten und Europa. In der Türkei, wo kurdischsprachige Nach-
richtensendungen bislang verboten sind, aber auch für Hunderttausende kur-
dischstämmiger Bürger in der Bundesrepublik Deutschland ist Roj TV eine
wichtige alternative Nachrichtenquelle gegenüber den meist chauvinistisch auf-

geladenen, antikurdisch ausgerichteten türkischen Medien. Weil auch kurdische
Exilpolitiker und Vertreter kurdischer Organisationen zu Wort kommen, hat die
Türkei seit langem ein Verbot des Senders gefordert. Die US-Regierung, die
2006 eine gemeinsame Anti-PKK-Kommission mit türkischen und irakischen
Stellen gebildet hat, unterstützt die Forderung nach einem Roj TV-Verbot mit
diplomatischen Druck auf die europäischen Staaten. Konkrete Schritte zu einer
Schließung des Senders wurden insbesondere nach einer am 5. November 2007

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erfolgten Einigung zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip
Erdogan und US-Präsident George W. Bush zur engen Kooperation bei der
Bekämpfung der PKK eingeleitet. So verglich der Vizekoordinator der Anti-
terrorabteilung im US-Außenministerium bei einem Besuch in Ankara im
Februar 2008 die PKK mit einer Krake, „der jeder Arm angegriffen“ werden
müsse und nannte in diesem Zusammenhang Roj TV eine „Speerspitze des
Terrorismus“ (www.hurriyet.com.tr/english/8218535.asp?gid=74&sz=1209).
Wenig später erfolgten Razzien zuerst im Brüsseler Studio des Senders und am
7. Mai 2008 in den Studioräumen der Firma VIKO in Wuppertal sowie bei
mehreren Mitarbeitern und Journalisten. Bereits im Januar 2008 hatte die Firma
KabelBW mit Sitz in Baden-Württemberg den Empfang von Roj TV gestoppt.
Ein Firmensprecher hatte erklärt, dass diesem Schritt keine juristische Ent-
scheidung zugrunde gelegen hätte, sondern von „bestimmten Stellen“ entspre-
chende „Direktiven“ ergangen wären (Azadi Infodienst Nr.87, Juni 2008, S. 2).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Gesuche von Seiten der türkischen Regierung oder türkischer
Sicherheits- oder Justizbehörden oder Interventionen von Vertretern US-
amerikanischer Regierungsstellen oder US-amerikanischer Behörden, ein
Betätigungsverbot von Roj TV in der Bundesrepublik Deutschland zu erwir-
ken, liegen der Bundesregierung vor?

2. Welche Kooperation bzw. welche Konsultationen gab es bei Vorbereitung
des Betätigungsverbots von Roj TV von Seiten bundesdeutscher Regie-
rungsstellen oder Behörden mit ausländischen Regierungsstellen, Behörden
oder Justizinstitutionen

a) mit türkischen Regierungsstellen, Behörden oder Justizinstitutionen,

b) mit US-amerikanischen Regierungsstellen, Behörden oder Justizinstitu-
tionen,

c) mit dänischen Regierungsstellen, Behörden oder Justizinstitutionen,

d) mit belgischen Regierungsstellen, Behörden oder Justizinstitutionen,

e) mit Regierungsstellen, Behörden oder Justizinstitutionen anderer als der
in Frage 2a bis Frage 2d genannten Länder?

3. War die Bundesregierung an den Aktivitäten der Anfang 2007 von den US-
und türkischen Behörden errichteten „Anti-PKK-Koordination“ beteiligt?

a) Wenn ja, in welcher Form?

b) Wie viele gemeinsame Treffen von Spezialisten der US-Außen-, Justiz-
und Finanzministerien sowie der Türkei fanden in welchen Ländern der
EU statt?

c) Wie viele hiervon fanden in der Bundesrepublik Deutschland statt?

d) Was war im Einzelnen jeweils Gegenstand der Diskussionen bzw. Ent-
scheidungen?

e) Haben an diesen Treffen auch Vertreter des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz (BfV) und/oder des Bundesnachrichtendienstes (BND) und/oder
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) teilgenommen,
und wenn ja, welche?

f) Welche deutsche Behörde wurde mit welchen Aufgaben betraut?

g) Inwieweit hat die Bundesregierung auf diesen Treffen konkrete Zusagen
im Hinblick auf Strafverfolgungsmaßnahmen gegen in der Bundesrepu-
blik Deutschland politisch aktive Kurdinnen und Kurden gemacht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10462

h) Welche Maßnahmen sind nachweislich aufgrund dieser Konsultationen
durch die Bundesanwaltschaft, das Bundeskriminalamt (BKA) oder
Staatsanwaltschaften durchgeführt worden?

4. Wurden bei den Zusammenkünften der Anti-PKK-Koordination insbeson-
dere auch Verbotsmaßnahmen gegen kurdische Medien – Zeitungen, Nach-
richtensendungen, TV-Sender – beschlossen oder erörtert?

a) Steht die Verbotsverfügung gegen die Firma VIKO, Mesopotamien
Broadcast A/S METV und Roj TV in diesem Zusammenhang?

b) Beabsichtigt die Bundesregierung weitere Verbotsmaßnahmen gegen
kurdische Einrichtungen, und wenn ja, gegen welche?

5. Ergreift die Bundesregierung Initiativen bzw. sind der Regierung Initiati-
ven deutscher Behörden bekannt, um ein Verbot von Roj TV auch in ande-
ren Ländern der Europäischen Union zu erreichen?

a) Wenn ja, welche Initiativen in welchen Ländern und mit welchen aus-
ländischen Behörden sind der Bundesregierung bekannt?

b) Welche Initiativen deutscher Behörden sind der Bundesregierung be-
kannt, Dänemark zum Entzug der Sendelizenz für Roj TV zu bewegen?

c) Welche Initiativen deutscher Behörden sind der Bundesregierung be-
kannt, eine Schließung des Hauptsendestudios von Roj TV in Brüssel zu
erreichen?

6. Ist der Bundesregierung bekannt, aufgrund welcher von einem Firmen-
sprecher der Firma KabelBW mit Sitz in Baden-Württemberg genannten
„Direktive“ von „bestimmten Stellen“ diese Firma bereits im Januar 2008
den Empfang von Roj TV gestoppt hat?

a) Wenn ja, um Direktiven welcher Behörden handelt es sich?

b) Von welcher Stelle ging die Initiative für diese Direktiven aus?

c) Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgten diese Direktiven?

d) Inwieweit wurden derartige Direktiven auch an andere Kabelanbieter
gegeben?

7. Anhand welcher Tatsachen kommt die Bundesregierung zu der im Verbots-
bescheid genannten Erkenntnis, durch Roj TV seien „erheblichen Interes-
sen der Bundesrepublik Deutschland“ gefährdet?

8. Durch welche konkreten Vorfälle kann die Bundesregierung belegen, dass
durch den Sender „das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Aus-
ländern und verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet“ gefährdet
würde?

9. Inwieweit sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen den über
Roj TV regelmäßig von kurdischen Repräsentanten und Repräsentantinnen
verbreiteten friedenspolitischen Vorstellungen und den Behauptungen,
durch den Sender werde „Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung
politischer Belange“ hervorgerufen?

10. Welche Bedeutung hat Roj TV nach Einschätzung der Bundesregierung für
kurdischstämmige Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutsch-
land

a) zur Information über Ereignisse in ihrem Herkunftsland,

b) zur politischen Bildung,

c) zur Unterhaltung in einer Sprache und Kultur ihres Herkunftslandes?

Drucksache 16/10462 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

11. Über wie viele Zuschauer verfügt Roj TV nach Informationen der Bundes-
regierung

a) in der Bundesrepublik Deutschland,

b) in Europa (ohne die Bundesrepublik Deutschland),

c) in der Türkei,

d) im Nahen Osten (ohne Türkei),

e) weltweit?

12. Wie viele Mitarbeiter des Senders „Roj TV A/S“ und der Firma VIKO
Fernseh Produktion GmbH in der Bundesrepublik Deutschland verlieren
nach Informationen der Bundesregierung durch die Verbotsverfügung ihre
Arbeitsplätze?

13. Welche konkreten Vermögenswerte und Sachen wurden aufgrund des Ver-
bots zugunsten des Bundes beschlagnahmt und eingezogen? Bitte auf-
schlüsseln nach:

a) Vermögenswerten und Sachen der Mesopotamia Broadcast A/S,

b) Vermögenswerten und Sachen von Roj TV A/S,

c) Vermögenswerten und Sachen der Firma VIKO Fernseh Produktion
GmbH,

d) Sachen Dritter, die Broadcast A/S, Roj TV A/S oder der Firma VIKO
Fernseh Produktion GmbH zur Nutzung überlassen wurden,

e) Forderungen Dritter gegen Broadcast A/S, Roj TV A/S oder der Firma
VIKO Fernseh Produktion GmbH.

14. Inwieweit sind nach Auffassung der Bundesregierung Ausstrahlungen von
Roj TV in öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten wie Gastronomiebetrie-
ben oder Kulturvereinen im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes vom Be-
tätigungsverbot des Fernsehsenders „Roj TV A/S“ betroffen?

15. Inwieweit fällt nach Auffassung der Bundesregierung die Überlassung von
Filmaufnahmen oder Fernsehproduktionen, die im Geltungsbereich des
Vereinsgesetzes angefertigt wurden, an die Mesopotamia Broadcast A/S
zur Ausstrahlung über Roj TV unter das Betätigungsverbot?

16. Inwieweit fällt nach Auffassung der Bundesregierung die Belieferung von
Roj TV mit Agenturmeldungen von im Geltungsbereich des Vereinsgeset-
zes aktiven Presseagenturen unter das Betätigungsverbot?

17. Inwieweit fällt nach Auffassung der Bundesregierung das Schalten von
Werbung in Sendungen von Roj TV A/S durch in der Bundesrepublik
Deutschland ansässige Firmen oder Personen unter das Betätigungsverbot?

18. Inwieweit fällt nach Auffassung der Bundesregierung die Teilnahme von in
der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Bürgerinnen und Bürgern an
im Ausland produzierten Sendungen von Roj TV A/S, z. B. an Diskus-
sionsveranstaltungen oder durch Interviews, unter das Betätigungsverbot?

19. Welche anderen im Bundesgebiet zu empfangenden kurdischsprachigen
Sender sind der Bundesregierung bekannt, die im Bundesgebiet zu empfan-
gen sind?

a) Welche Gruppierungen sind für diese Sender verantwortlich?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung die politische Ausrichtung dieser
Sender?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10462

20. Welche anderen Medien sind der Bundesregierung bekannt, aus denen sich
kurdischstämmige Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutsch-
land aber auch in der Türkei und dem Nahen Osten über die Sichtweise
kurdischer Parteien und die Friedensvorschläge kurdischer Persönlichkeiten
informieren können?

21. Inwieweit hält die Bundesregierung eine Verbotsaufhebung durch das Bun-
desverwaltungsgericht wie im Oktober 2005 gegen das vom damaligen
Bundesminister des Innern Otto Schily erlassene Betätigungsverbot der
Zeitung Özgür Politika sowie der kurdischen Nachrichtenagentur MHA für
möglich?

22. Verfolgen deutsche Geheimdienstbehörden neben den kurdischen auch die
türkischen Medien in der Bundesrepublik Deutschland?

a) Wenn ja, welche Erkenntnisse im Hinblick auf „Verstöße gegen den Ge-
danken der Völkerfreundschaft“ insbesondere im Umgang gegenüber
Kurden und Armeniern sowie religiösen Minderheiten innerhalb der
Türkei wie Aleviten, Yeziden, Juden und Christen konnten hier festge-
stellt werden?

b) Wenn ja, welche Erkenntnisse im Hinblick auf eine „Glorifizierung des
bewaffneten Kampfes“ der türkischen Armee – etwa bei den völker-
rechtswidrigen Einmärschen und Bombardierungen des Nordirak –
konnten hier festgestellt werden?

c) Wenn ja, inwieweit sind Verbotsmaßnahmen gegen türkische Medien
innerhalb der Bundesrepublik Deutschland in den Augen der Bundes-
regierung wünschenswert oder notwendig?

Berlin, den 17. September 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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