BT-Drucksache 16/10316

Keine unverhältnismäßigen Eingriffe in personenbezogene Daten sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bei der Durchsuchung elektronischer Speichermedien durch Zollbehörden und bei Einreise in die USA

Vom 23. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10316
16. Wahlperiode 23. 09. 2008

Antrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Jan Mücke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Max
Stadler, Christian Ahrendt, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter
Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut
Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Markus Löning, Horst
Meierhofer, Patrick Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Keine unverhältnismäßigen Eingriffe in personenbezogene Daten sowie Betriebs-
und Geschäftsgeheimnisse bei der Durchsuchung elektronischer Speichermedien
durch Zollbehörden und bei Einreise in die USA

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Vereinigten Staaten führen bei der Einreise ohne richterliche Anordnung
Durchsuchungen und Beschlagnahmen informationstechnischer Systeme, u. a.
Laptops, Handys oder MP3-Playern, durch.

Durch einen Eingriff wie die Durchsuchung der Speichermedien von Laptops,
iPods oder anderen Medien bei der Einreise besteht nicht nur die Gefahr erheb-
licher wirtschaftlicher Schäden, sondern auch die Gefahr der Erstellung von Per-
sönlichkeitsprofilen. Computer sind heute quasi das elektronische Gedächtnis
der Menschen. Sie enthalten einen Teil des Lebens der Bürgerinnen und Bürger,
u. a. Termine, Kontakte, Korrespondenz und viele weitere Daten, die Rück-
schlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers erlauben. Ebenso dienen Computer
zur Speicherung sensibler Unternehmensdaten; gerade bei Geschäftsreisen be-
finden sich mitunter gerade solche Daten auf den Rechnern, die eines besonde-
ren Schutzes bedürfen. Bei Computern, die auch online genutzt werden, kann
zudem durch zwischengespeicherte Inhalte nachvollzogen werden, welche
Websites besucht wurden.

Neben der Gefahr der Wirtschaftsspionage, die in der Durchsuchung liegen
kann, entsteht weiterer wirtschaftlicher Schaden durch die zum Teil sehr lange
Wartezeit, bis die Durchsuchung abgeschlossen ist. Die Reisenden werden von

Drucksache 16/10316 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

den US-Behörden zumeist nicht darüber informiert, was in der Zwischenzeit mit
ihren Geräten und den darauf gespeicherten Daten geschieht.

In der Durchsuchung von informationstechnischen Systemen und der darauf ge-
speicherten Inhalte liegt mithin ein erheblich schwererer Grundrechtseingriff als
in der Durchsuchung von mitgeführten Sachen. Der besonderen Bedeutung der
neuen Medien für die Persönlichkeitsentfaltung und die damit einhergehenden
neuartigen Gefährdungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat das Bun-
desverfassungsgericht Rechnung getragen, als es mit der Entscheidung vom
27. Februar 2008 zum Verfassungsschutzgesetz des Landes Nordrhein-West-
falen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Grundrecht
auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer
Systeme konkretisiert hat.

Die Bundesregierung hat in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen 5
und 13 der Abgeordneten Gisela Piltz (Bundestagsdrucksache 16/10124) ausge-
führt, dass eine Gefahr für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht zu be-
fürchten sei, da das amerikanische Recht strikte Vorschriften zu deren Schutz
kenne. Weiterhin finde eine solche Durchsuchung nur in „Einzelfällen“ statt.
Auch würden Daten „unverzüglich vernichtet“, wenn die Durchsuchung „kei-
nen Verdacht auf illegale Handlungen und somit Anlass zur Beschlagnahme des
Systems“ ergäbe. Allerdings muss bedacht werden, dass bei vielen Daten wie
z. B. Musik- oder Videodateien nicht ohne weiteres erkennbar ist, ob es sich um
legal erworbene Dateien handelt. Mithin besteht die Gefahr, dass derartige Da-
ten, bei denen die Zollbeamten über eine mögliche „illegale Handlung“ nicht
umgehend erkennen können, gespeichert werden. Eine Differenzierung zwi-
schen verschiedenen Speichermedien wie z. B. Laptops, MP3-Playern oder
Handys wird zudem nicht vorgenommen.

Hingegen veröffentlichte das US-Heimatschutzministerium im Juni 2008 ein
Dokument, das die anlasslose Durchsuchung sowie das Zurückhalten elektroni-
scher Geräte für eine „vernünftige Zeitdauer“ bei der Einreise zur Standardmaß-
nahme erklärt. Besorgt über die Praxis der US-Behörden äußerten sich bereits
der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sowie die nordrhein-westfä-
lische Datenschutzbeauftragte, die Reisenden rät, „keine Daten auf Laptops oder
sonstigen Datenträgern mit sich zu führen“. In den Vereinigten Staaten von
Amerika sind zudem Klagen von Geschäftsleuten sowie Bürgerrechtsorganisa-
tionen gegen die Grenzkontrollen von elektronischen Speichermedien vor dorti-
gen Bundesgerichten anhängig.

Zugleich laufen derzeit internationale Verhandlungen über ein Anti-Counterfeit-
ing Trade Agreement (ACTA) zum Schutz von Rechten an geistigem Eigentum,
an denen unter anderem Deutschland, die Vereinigten Staaten von Amerika,
Japan und die EU beteiligt sind. Durch das Abkommen soll den jeweiligen Zoll-
behörden der Unterzeichnerstaaten ermöglicht werden, an den Grenzen elektro-
nische Speichermedien zu durchsuchen, um Verstöße gegen Urheberrechte und
andere gewerbliche Schutzrechte zu ermitteln und hiergegen vorzugehen.
Gerade hier stellt sich aber das bereits angesprochene Problem, dass bei vielen
Daten deren legale oder illegale Herkunft nicht ohne weiteres erkennbar ist, so
z. B. bei Musikdateien auf MP3-Playern oder Handys. Wenngleich außer Zwei-
fel steht, dass Rechte an geistigem Eigentum des Schutzes bedürfen, wäre ein
solcher Eingriff nicht verhältnismäßig, da beim Durchsuchen elektronischer
Speichermedien die Schwelle zur umfassenden Ausforschung des gesamten
Systems überschritten wird und so höchstpersönliche Daten zur Kenntnis ge-
nommen werden können, bis hin zur Bildung von Persönlichkeitsprofilen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10316

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika bilateral sowie gemein-
sam mit der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass der Schutz persön-
licher Daten sowie von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bei der Einreise
in die Vereinigten Staaten von Amerika geachtet wird, insbesondere mit dem
Ziel, dass

– angesichts des Eingriffs in grundlegende Menschen- und Bürgerrechte bei
der Durchsuchung informationstechnischer Systeme keine anlasslosen
Kontrollen durchgeführt werden;

– dennoch erhobene Daten umgehend gelöscht werden, sofern eine Speiche-
rung für ein Strafverfahren im Bezug auf eine schwere Straftat und/oder
die Verweigerung der Einreise in die Vereinigten Staaten von Amerika
nicht erforderlich ist;

– den Betroffenen umfassende Informationen über Weitergabe, Speicherung
und Nutzung der Daten (durch welche Stellen) in den Vereinigten Staaten
von Amerika oder anderswo mitgeteilt werden;

– bei Datenverlusten oder Beschädigung wie auch bei wirtschaftlichen
Schäden aufgrund der Beschlagnahme Entschädigungsansprüche gewähr-
leistet sind;

– die Vereinigten Staaten von Amerika effektive Maßnahmen zum Schutz
vor Wirtschaftsspionage sicherstellen, um ggf. erhobene Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse zu schützen;

2. sich bei den Verhandlungen über ein Anti-Counterfeiting Trade Agreement
für einen umfassenden Schutz persönlicher Daten sowie von Betriebs- und
Geschäftsgeheimnissen einzusetzen und unverhältnismäßigen Eingriffen in
das allgemeine Persönlichkeitsrecht ihre Zustimmung zu verweigern.

Berlin, den 23. September 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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