BT-Drucksache 15/742

Wiederbelebung des Friedensprozesses in Kolumbien

Vom 1. April 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/742
15. Wahlperiode 01. 04. 2003

Antrag
der Abgeordneten Lothar Mark, Hans Büttner (Ingolstadt), Detlef Dzembritzki,
Petra Ernstberger, Anke Hartnagel, Monika Heubaum, Jelena Hoffmann
(Chemnitz), Hans-Ulrich Klose, Karin Kortmann, Markus Meckel, Dr. Rolf
Mützenich, Volker Neumann (Bramsche), Dietmar Nietan, Johannes Pflug,
Rudolf Scharping, Dr. Hermann Scheer, Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Gert Weisskirchen (Wiesloch), Uta Zapf, Dr. Christoph Zöpel, Franz Müntefering
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Dr. Ludger Volmer, Volker Beck
(Köln), Alexander Bonde, Thilo Hoppe, Winfried Nachtwei, Christa Nickels,
Marianne Tritz, Katrin Dagmar Göring-Eckhardt, Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wiederbelebung des Friedensprozesses in Kolumbien

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Seit Jahrzehnten leidet die kolumbianische Bevölkerung an dem gewaltsamen
innerstaatlichen Konflikt, in dem Guerillabewegungen, paramilitärische Gruppen,
Drogenhändler, aber auch staatliche Sicherheitskräfte schwerste Verbrechen und
Menschenrechtsverletzungen begehen:
Das von der Guerillabewegung „Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC,
Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) zu verantwortende Massaker am
16. Januar 2003 in der Gemeinde San Carlos, bei dem 17 Zivilisten ermordet und
über 750 Personen von ihrem Wohnort vertrieben wurden, verdeutlicht, dass der
Bürgerkrieg in Kolumbien wieder an Schärfe gewinnt und sich das Land immer
weiter von einer friedlichen Lösung entfernt. Dieser längste Konflikt in einem
lateinamerikanischen Land hat sich, angesichts von jährlich nahezu 5 000 in Folge
der Kampfhandlungen Getöteten sowie mittlerweile über 2,5 Millionen Flüchtlin-
gen und intern Vertriebenen, längst zu einer nationalen humanitären Katastrophe
entwickelt.
Die am 20. Januar 2003 erfolgten Übergriffe von Einheiten der paramilitärischen
„Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens“ (AUC, Autodefensas Unidas de Colom-
bia) im Nachbarland Panama, bei der zwei Indigenen-Dörfer zerstört, die Bewohner
getötet oder verwundet und über 600 Personen vertrieben wurden, zeigen zudem
die akute Gefahr einer Ausdehnung des Konfliktes auf die gesamte Region auf.
Eine entschlossene Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft bei der
Zurückdrängung dieser existentiellen Bedrohung des Friedens und der Sicherheit
nicht nur Kolumbiens, sondern der gesamten Region, ist daher erforderlich und vor-
dringlich.

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Kampfhandlungen und andere gewaltsame Maßnahmen mit dem eindeutigen Ziel,
die Zivilbevölkerung zu schädigen und sie aus ihrem angestammten Wohn- und
Lebensumfeld zu vertreiben, sind schwerste Menschenrechtsverletzungen und Ver-
letzungen des humanitären Völkerrechts, die durch nichts zu rechtfertigen sind.
Auch die jährlich rund 3 000 Entführungen, die hauptsächlich von den am Bürger-
krieg beteiligten, nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen zu verantworten sind, stel-
len schwere Verletzungen der Menschenrechte dar, insbesondere auf die Freiheit
und die Unversehrtheit der Person.
Von den Kampfhandlungen und den Übergriffen der illegalen bewaffneten Gruppen
(Guerilla und Paramilitärs) sowie der staatlichen Sicherheitskräfte sind ausnahms-
los alle Bevölkerungsschichten und -gruppen betroffen, insbesondere leidet aber die
ländliche Bevölkerung und damit der ärmere Teil der kolumbianischen Bevölke-
rung. Besonders besorgniserregend ist zudem die Situation der indigenen und afro-
kolumbianischen Minderheiten. Immer wieder wird von staatlichen Behinderungen
der Arbeit internationaler Menschenrechtsorganisationen und sogar von Verfolgung
von Mitgliedern nationaler Menschenrechts-Nichtregierungsorganisationen (NRO)
berichtet.
In Kolumbien herrscht heute ein Klima der Gewalt vor, in dem sich niemand mehr
sicher fühlt und in dem offensichtlich Verbrechen ohne strafrechtliche Konsequen-
zen begangen werden können. Die Tatsache, dass viele Bürgermeister aus Angst
und aufgrund von Druck durch die illegal bewaffneten Kräfte ihre Ämter niederge-
legt haben, Schulkinder vor dem Besuch des Unterrichts gewarnt werden und der
Terror damit auch auf die Bildungseinrichtungen übergreift, zeigt, dass der kolum-
bianische Staat und seine Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert werden.
Aus Anlass des Attentates vom 7. Februar 2003 haben die Vereinten Nationen, die
Europäische Union, die Organisation der Amerikanischen Staaten und die am
11. Februar 2003 in Panama-Stadt versammelten Vertreter der zentralamerikani-
schen Staaten sowie von Argentinien und Kolumbien den Terror, den der bewaff-
nete Konflikt ausgelöst hat, verurteilt und ihre Solidarität mit der kolumbianischen
Bevölkerung bekundet. Es ist auch weiterhin erforderlich, dass die internationale
Gemeinschaft den kolumbianischen Staat und die Gesellschaft konsequent bei der
Suche nach einer schnellen, nachhaltigen und friedlichen Lösung des Konfliktes
unterstützt. Der Schlüssel dazu liegt in der Wiederbelebung des Friedensprozesses.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. gemeinsam mit der Europäischen Union und anderen Staaten die neue Regierung

von Präsident Alvaro Uribe darin zu unterstützen, das staatliche Gewaltmonopol
wieder herzustellen, das neutral und nicht im Interesse von Sondergruppen aus-
zuüben ist. Die Garantie von elementaren Grund- und Menschenrechten im
gesamten Staatsgebiet ist absolute Voraussetzung für Rechtssicherheit und
Rechtsstaatlichkeit. Die in Zusammenhang mit der Ausrufung des Ausnahmezu-
standes stehenden Einschränkungen gewisser Freiheitsrechte, insbesondere in
den so genannten Rehabilitationszonen, bedürfen daher der genauen Beobach-
tung. Eine schnelle Aufhebung des Ausnahmezustands und die volle Wieder-
einsetzung aller Verfassungsrechte durch die kolumbianische Regierung soll
angestrebt werden;

2. angesichts der jüngsten Eskalation der Gewalt und der drohenden Gefahr einer
Regionalisierung des Konflikts an alle an den Auseinandersetzungen beteiligten
Gruppen in Kolumbien eindringlich zu appellieren, endlich die Anwendung von
Gewalt gegen Zivilisten zu unterlassen, das Recht der Zivilbevölkerung wie
auch der Friedensgemeinden, nicht in den bewaffneten Konflikt einbezogen zu
werden, zu respektieren sowie das humanitäre Völkerrecht, die Menschenrechte
und die humanitären Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu beachten
und alle Entführten umgehend freizulassen;

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3. gegenüber der kolumbianischen Regierung darauf zu drängen, die Empfehlun-
gen des örtlichen Büros des Hochkommissariats für Menschenrechte der Ver-
einten Nationen (VN) zügig umzusetzen. Dazu gehören u. a. die teilweise
immer noch bestehenden Verbindungen zwischen paramilitärischen Gruppen
und den staatlichen Sicherheitskräften entschieden abzubrechen sowie
Menschenrechtsverletzungen, die von den illegal bewaffneten Gruppen und
von den staatlichen Sicherheitskräften zu verantworten sind, konsequent straf-
rechtlich zu verfolgen;

4. gegenüber der kolumbianischen Regierung darauf hinzuwirken einen stärkeren
Schutz vor Zwangsvertreibungen sowie eine bessere Unterstützung von Opfern
der Vertreibungen zu gewährleisten;

5. im Rahmen der Europäischen Union und in Koordination mit dem Büro des
VN-Hochkommissars für Menschenrechte in Kolumbien die kolumbianische
Regierung bei der Entwicklung eines Aktionsplans zur Umsetzung der Men-
schenrechte zu unterstützen. Zu einem solchen Aktionsplan gehört auch die
Anerkennung und Unterstützung der Tätigkeit internationaler und nationaler
Menschenrechts-NRO durch die kolumbianische Regierung sowie eine vorbe-
haltlose Anerkennung des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, dem
Kolumbien beigetreten ist;

6. gegenüber der kolumbianischen Regierung darauf zu drängen, dass sie nicht
auf eine militärische Lösung („Siegfrieden“) des Bürgerkriegs, wie sie sich als
Hauptelement des Plan Colombia manifestiert, setzt, sondern ihre Bemühungen
verstärkt fortsetzt, wieder Friedensverhandlungen mit allen beteiligten Grup-
pen aufzunehmen bzw. fortzusetzen. Diese Anstrengungen sollen durch hu-
manitäre Abkommen flankiert werden, um das Leiden der Zivilbevölkerung
aufgrund der Kriegshandlungen einzudämmen;

7. innerhalb der Europäischen Union darauf hinzuwirken, dass die Union sich in
Abstimmung mit der kolumbianischen Regierung, den Vereinten Nationen
sowie mit der Organisation der Amerikanischen Staaten weiterhin aktiv in den
Friedensprozess einbringt. Auch wenn die Situation in Kolumbien nicht mit der
Lage in den 1980er Jahren in Zentralamerika zu vergleichen ist, so hat das
erfolgreiche Engagement der damaligen Europäischen Gemeinschaft doch
gezeigt, dass eine aktive Rolle Europas entscheidend für das zivile Krisen-
management in der Region war und damit auch heute wieder sein kann;

8. in diesem Zusammenhang innerhalb der Europäischen Union die Ernennung
und Entsendung eines „Hohen Beauftragten der Europäischen Union für den
Konflikt in Kolumbien“ wohlwollend prüfen zu lassen, dessen Aufgabe darin
bestünde, den vorhandenen europäischen Ansatz für eine friedliche Konflikt-
lösung auf dem Verhandlungswege mit Nachdruck zur Geltung zu bringen und
damit dazu beitragen soll, in enger Abstimmung mit der kolumbianischen Re-
gierung und dem Sondergesandten der Vereinten Nationen den Friedensprozess
wieder zu beleben und zu dynamisieren;

9. bei der kolumbianischen Regierung darauf hinzuwirken, in höchstmöglichem
Maße den Verhandlungsprozess insbesondere für die eigene Bevölkerung, aber
auch für die internationale Staatengemeinschaft transparent zu gestalten, um
die Erfolgsaussichten dank einer auf breiter gesellschaftlicher Basis beruhen-
den Legitimation zu erhöhen. Bei Friedensverhandlungen gilt es, zivilgesell-
schaftliche Organisationen frühzeitig zu beteiligen sowie die vermittelnde
Rolle der katholischen Kirche, die allgemein anerkannt wird, zu unterstützen
und zu fördern;

10. gegenüber der kolumbianischen Regierung darauf zu drängen, dass sie den
Drogenhandel als Finanzierungsquelle für die Kriegsparteien zwar effektiv
bekämpfen muss, dabei jedoch auf chemische Besprühungen und den damit
verbundenen Einsatz von Pestiziden zu verzichten, weil deren Einsatz zwar die

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angebauten Drogen vernichtet, dafür aber auch die landwirtschaftliche Anbau-
fläche nachhaltig zerstört wird und unkalkulierbare Risiken für die Gesundheit
der Bevölkerung, die tropikalen Ökosysteme und somit für die allgemeinen
Lebensgrundlagen von Mensch und Tier mit sich führt;

11. gegenüber der kolumbianischen Regierung darauf zu drängen, endlich eine
alternative Drogenpolitik im Sinne von sozialen Maßnahmen für die Bauern zu
entwickeln und zu implementieren, die sich jetzt noch aus existentiellen Grün-
den dazu gezwungen sehen, Drogen statt alternativer landwirtschaftlicher Pro-
dukte anzubauen;

12. die von der Bundesregierung im Rahmen polizeilicher Zusammenarbeit bereits
geleistete Unterstützung für Kolumbien weiterzuführen;

13. die bilaterale und europäische Entwicklungszusammenarbeit in Kolumbien
durch Projekte zur Lösung der sozio-ökonomischen Ursachen des Konfliktes
fortzuführen und dabei sicherzustellen, dass bei allen von der Bundesregierung
und der EU finanzierten Entwicklungsprogrammen eine frühzeitige Beteili-
gung der Zivilgesellschaft in der Projektplanung erfolgt und ein Menschen-
rechtsmonitoring durchgeführt wird. Die Ansätze der Organisierung einer
Zivilgesellschaft quer zu den herkömmlichen Parteistrukturen und in strikter
Abgrenzung zu den bewaffneten Gruppen im Land verdienen dabei eine beson-
dere Förderung und Unterstützung;

14. sich im Rahmen der Europäischen Union dafür einzusetzen, für das „Prinzip der
geteilten Verantwortung“, wie es bereits in der Politik der Europäischen Union
gegenüber Drogenproduzenten praktiziert wird, auch bei anderen Drogenabneh-
merländern aktiv zu werben und ebenfalls dadurch der kolumbianischen Regie-
rung ihre Solidarität beim Kampf gegen das Drogenproblem auszudrücken;

15. die kolumbianische Regierung in ihren Bemühungen bei der Suche nach einer
nachhaltigen Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme sowie der Be-
kämpfung der angestiegenen Armut zu unterstützen. Hierzu gehört insbesondere
der kleinbäuerliche Zugang zu Land durch eine überfällige und umfassende
Landreform. Diese sollte unter Berücksichtigung zivilgesellschaftlicher Vor-
schläge für eine gerechte und nachhaltige Agrarpolitik eingeleitet werden;

16. sich im Rahmen der Europäischen Union auch in Zukunft dafür einzusetzen,
dass Produkte aus alternativem Anbau weiterhin die Sondervergünstigungen
des Allgemeinen Präferenzsystems (APS „Drogen“) beim Zugang zum europä-
ischen Binnenmarkt erhalten und den jetzigen Coca- und Mohnpflanzern damit
eine zuverlässige, weil langfristige Perspektive für einen alternativen Anbau
geboten wird;

17. der kolumbianischen Regierung technische Unterstützung und Beratung anzu-
bieten, um die bereits bestehenden Möglichkeiten, die das APS „Drogen“ den
Drogen produzierenden Ländern, also auch Kolumbien, für ihren Export in die
Europäische Union gewährt, auch vollends auszuschöpfen;

18. sich im Rahmen der Europäischen Union darüber hinaus dafür einzusetzen,
dass die Liste der vom APS „Drogen“ begünstigten landwirtschaftlichen Pro-
dukte erweitert wird, von der Möglichkeit zur Graduierung im Rahmen des
Allgemeinen Präferenzsystems nur sehr restriktiv Gebrauch gemacht wird und
zusätzlich der Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen wie z. B. einer
Importkontingentierung wohlwollend geprüft wird.

Berlin, den 1. April 2003
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Dagmar Göring-Eckhardt, Krista Sager und Fraktion

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