BT-Drucksache 15/5831

Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen bis 2015 beschleunigt verwirklichen - Den deutschen Beitrag zur Zielerreichung entschieden verstärken

Vom 29. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5831
15. Wahlperiode 29. 06. 2005

Antrag
der Abgeordneten Karin Kortmann, Detlef Dzembritzki, Gabriele Groneberg,
Gisela Hilbrecht, Klaus Werner Jonas, Ute Kumpf, Lothar Mark, Dr. Sascha Raabe,
Walter Riester, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Dr. Angelica Schwall-Düren, Hans-Jürgen Uhl, Brigitte Wimmer (Karlsruhe),
Franz Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde,
Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Michaele Hustedt, Dr. Reinhard Loske,
Kerstin Müller (Köln), Claudia Roth (Augsburg), Hans-Christian Ströbele,
Dr. Antje Vogel-Sperl, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen bis 2015 beschleunigt
verwirklichen – Den deutschen Beitrag zur Zielerreichung entschieden verstärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Wille der internationalen Gemeinschaft, durch gemeinsame Anstrengungen
bei der Überwindung von Hunger, extremer Armut, Krankheiten, Analphabetis-
mus, der Diskriminierung von Frauen und globaler Umweltzerstörung bis 2015
ein großes Stück voranzukommen, ist in den acht Millenniumszielen (MDGs)
zur Armutsbekämpfung und in den Nachhaltigkeitszielen von Rio und Johan-
nesburg festgeschrieben. Diese Ziele sind von der Erkenntnis getragen, dass
nachhaltige Entwicklung von den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbe-
dingungen in den Entwicklungsländern selbst und von den internationalen Re-
geln für Handel, Investitionen und Kapitalverkehr abhängt. Von großer Bedeu-
tung ist darüber hinaus auch die Qualität und Effizienz der Entwicklungszu-
sammenarbeit. Die vor kurzem in Paris verabschiedete Erklärung zur effektiven
Entwicklungszusammenarbeit und Geberharmonisierung („Paris Declaration on
Aid Effectiveness“) zielt in diese Richtung. Ein entschiedenes, koordiniertes
und gleichzeitiges Handeln in den genannten Politikbereichen ist notwendig,
um die Millenniums- und die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Im September 2005 wird auf der UN-Generalversammlung die MDG-Zwi-
schenbilanz gezogen: Wo stehen wir nach Ablauf der ersten fünf Jahre bei der
Umsetzung der Entwicklungsziele und was muss geschehen, um bis 2015 die
gemeinsamen Ziele zu erreichen? Schon jetzt steht fest, dass die Weltgemein-
schaft noch weit von der Zielerreichung entfernt ist. Aktuelle Zahlen dokumen-
tieren dies überdeutlich:
l der Anteil der extremen Armut in den Partnerländern des Südens ist zwar von

1990 bis 2000 um 6,6 Prozent zurückgegangen. Aber mehr als 1 Milliarde
Menschen auf derWelt müssen immer noch von weniger als einemDollar pro

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Tag leben. Insgesamt 2,7 Milliarden Menschen haben weniger als 2 Dollar
pro Tag zum Überleben;

l mehr als 840 Millionen Menschen leiden unter chronischem Hunger;
l jedes Jahr sterben 11 Millionen Kinder – die meisten unter fünf Jahren und

mehr als 6 Millionen von ihnen an absolut vermeidbaren Ursachen wie
Malaria, Durchfall und Lungenentzündung;

l 114 Millionen Kinder besuchen keine Grundschule und 584 Millionen
Frauen sind Analphabeten;

l mehr als 1MilliardeMenschen haben keinen Zugang zu einwandfreiemWas-
ser und über 2 Milliarden haben keinen Zugang zu grundlegender Abwasser-
entsorgung.

Die Umsetzungsberichte der Vereinten Nationen und der letzte Bericht derWelt-
bank vom April 2005 zum Stand der Umsetzung der Millenniums-Entwick-
lungsziele ziehen eine gemischte Bilanz:
Hervorgehoben werden die Fortschritte, die viele Entwicklungsländer bei der
Verminderung der extremen Armut und im Kampf gegen Krankheit und Hunger
erreicht haben. Die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen ist in Ost-,
Süd- und Südostasien seit 1990 um mehr als 200 Millionen gesunken. Für diese
Länder ist die Erreichung der Millenniumsziele möglich. Auch für die nordafri-
kanischen Länder konnten Erfolge im Kampf gegen die Armut verzeichnet und
zudem ein erhöhter Zugang zur Grundschulbildung und sauberem Trinkwasser
erreicht werden. Die Bilanz in Lateinamerika ist gemischt, aufgrund wirtschaft-
licher Turbulenzen in den 90er Jahren ist die Zahl der Armen in einigen Ländern
wieder gestiegen.
Insgesamt dürfen die oben genannten Erfolge nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die Fortschritte weit hinter den anfänglichen Erwartungen zurückgeblieben
sind. In Afrika südlich der Sahara ist sogar zu befürchten, dass keines der Mil-
lenniumsziele bis 2015 erreicht werden kann. Besonders hinzuweisen ist auf die
erschreckende Ausbreitung von HIV/AIDS in Sub-Sahara-Afrika, die trotz ei-
nes Anstiegs der finanziellen Unterstützung in den letzten Jahren nicht aufgehal-
ten werden konnte. Nach den letzten Berichten des gemeinsamen Programms
der Vereinten Nationen zu HIV/AIDS (UNAIDS) sind mehr als 25 Millionen
Afrikaner mit dem HI-Virus infiziert. Es gibt in der Region 11 Millionen AIDS-
Waisen und 6 500 Menschen sterben täglich. Im Jahr 2004 infizierten sich 3,1
Millionen Afrikaner neu. Für die Armutsbekämpfung bedeutet dies einen gro-
ßen Rückschlag, da gerade die mittlere Generation im erwerbsfähigen Alter, die
für die Entwicklung ihrer Länder eine besonders wichtige Rolle spielt, haupt-
sächlich von der Ansteckungsgefahr betroffen ist. Die Pandemie wirft daher be-
sonders die ärmsten Länder in ihren Entwicklungsbemühungen zurück.
Auf zu erwartende Umsetzungsdefizite bei den Millenniums-Entwicklungs-
zielen und notwendige entwicklungspolitische Kurskorrekturen hat der Deut-
sche Bundestag bereits u. a. in den Bundestagsdrucksachen 15/1005 (MDGs),
15/1317 (Welthandelsrunde) und 15/2408 (HIV/Aids) hingewiesen.
Das Jahr 2005 ist ein Schlüsseljahr für die Erreichung der Millenniumsziele. Be-
reits im Januar hat das von Prof. Jeffrey Sachs geleitete Millenniumsprojekt der
Vereinten Nationen einen Aktionsplan vorgelegt, der es ermöglichen soll, Mil-
liarden von Menschen von der erdrückenden Last durch Armut, Krankheiten
und Hunger zu befreien. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat Ende März dieses
Jahres zur Vorbereitung der UN-Generalversammlung ebenfalls einen Bericht
vorgelegt, der bereits konkrete Entscheidungsempfehlungen an die Staats- und
Regierungschefs enthält.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5831

Wenn die Weltgemeinschaft im September diese Empfehlungen zur Erreichung
der Ziele beschließt und sie auch befolgt, werden bis zum Jahr 2015 große Er-
folge bei der Verringerung von Armut, Krankheiten und Hunger möglich sein.
Die Millenniums-Entwicklungsziele können selbst in den ärmsten Ländern bis
2015 erreicht werden, wenn ab September 2005 rasch wirkende, strategische
Maßnahmen ergriffen werden.
Die Weltbank und die Vereinten Nationen (VN) rechnen damit, dass es kurzfris-
tig einer Verdopplung der Entwicklungshilfe bedarf, um Armut und Hunger um
die Hälfte zu reduzieren, Aids zu bekämpfen, Wasserversorgung, Schulbildung
und den Zugang zu Energie zu ermöglichen, so wie es sich die internationale Ge-
meinschaft beim Millenniumsgipfel 2000 in New York vorgenommen hat. Um
dies zu erreichen, muss in den Entwicklungsländern in den Auf- und Ausbau von
sozialen Sicherungssystemen, in Infrastruktur und Wirtschaft investiert werden.
Staatliches Handeln muss effizienter, gute Regierungsführung gestärkt und op-
timiert sowie die Korruption bekämpft werden, um den wirksamen Einsatz von
zusätzlichen Finanzmitteln für die Armutsbekämpfung zu gewährleisten. In vie-
len Partnerländern des Südens gibt es kaumAnsätze eines funktionierenden, so-
zial gestaffelten Steuersystems. Landreformen scheitern immer wieder am Wi-
derstand von Großgrundbesitzern. Sowohl die Staatseliten als auch die reiche
Oberschicht in den Entwicklungsländern müssen ihren Beitrag zur Überwin-
dung von Hunger und Elend leisten.
Die Globalisierung hat dazu geführt, dass viele nationalstaatliche Politikinstru-
mente stumpf geworden sind und den neuen Herausforderungen an Krisenprä-
vention und sozialer Gerechtigkeit nicht mehr Rechnung tragen. Dies macht im
Rahmen globaler Strukturpolitik den Einsatz erweiterter Maßnahmen und neuer
Finanzierungsinstrumente aus Gründen der Verbesserung von Global Gover-
nance heute besonders vordringlich. Die Industrieländer haben sich im achten
Millenniumsziel dazu verpflichtet, ihren Beitrag im Rahmen der Entwicklung
einer globalen Partnerschaft für Entwicklung zu leisten. Das achte Ziel sieht
– die umfassende Behandlung der Schuldenprobleme von Entwicklungslän-

dern vor, damit auch langfristige Schuldentragfähigkeit erreicht wird, sowie
– die Schaffung fairer Handelsbedingungen, z. B. durch Marktöffnung und den

Abbau von Agrarsubventionen in den Industrieländern und
– die Erhöhung der öffentlichen Entwicklungzusammenarbeit (ODA).
Auf der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Welt-
bank in diesem Jahr wurden die Erfolge der Kölner Schuldeninitiative gewür-
digt. Auf dem G7-Finanzministertreffen wurde für die ärmsten Länder ein hun-
dertprozentiger Erlass ihrer multilateralen Schulden beschlossen, um die Spiel-
räume für die Armutsbekämpfung auszuweiten. Der konsequente Einsatz frei-
werdenderMittel zur Armutsbekämpfung und eine gute Regierungsführung sind
und bleiben in diesem Zusammenhang die Voraussetzung für Entschuldung. Die
Beschlüsse zu einer umfassenden Antwort auf die Probleme hochverschuldeter
armer Länder sind zu begrüßen. Die G7-Staaten sind darin aufgefordert, spätes-
tens bis zur Herbsttagung von IWF und Weltbank 2005, eine Einigung über die
Finanzierung der Entschuldung herbeizuführen, ohne die finanzielle Integrität
dieser Institutionen zu gefährden.
Um denMillenniumszielen näher zu kommen, wird neben der Entschuldung das
Ergebnis der laufenden Welthandelsrunde entscheidend sein. Bei den Verhand-
lungen muss Handelsliberalisierungmit den Zielen einer nachhaltigen Entwick-
lung, des Umweltschutzes und der sozialen Gerechtigkeit in Einklang gebracht
werden. Der Protektionismus der reichen Industrieländer kostet die Entwick-
lungsländer nach Schätzungen derWeltbank jährlich rund 100Mrd. Dollar. Dem
Abbau von handelsverzerrenden Agrarsubventionen kommt in diesem Zusam-
menhang eine besondere Rolle zu. Agrarexportsubventionen, die die Märkte in

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Entwicklungsländern zerstören oder Absatzchancen zunichte machen, wie es
bei Zucker oder Baumwolle der Fall ist, müssen so schnell wie möglich abge-
schafft werden. Gleichzeitig gilt es, den Entwicklungsländern im Rahmen der
„Doha-Entwicklungsrunde“ Schutzmaßnahmen zur Ernährungssicherung zu ge-
währen.
Die Bewältigung globaler Aufgaben wie Armutsbekämpfung und Umwelt-
schutz scheitert darüber hinaus immer wieder am Mangel an ausreichenden und
stetigen Finanzierungsquellen. Auch Deutschland ist aufgefordert, im Konzert
der reichen Nationen mehr zu tun. Dass die deutsche Bevölkerung auf interna-
tionale Not solidarisch reagiert, hat die Spendenbereitschaft angesichts der ver-
heerenden Tsunami-Flutkatastrophe in Südasien gezeigt.
Die Unterstützung von Entwicklungsprozessen braucht ein langfristiges und
verlässliches zwischenstaatliches und multilaterales Engagement. Dafür gibt es
nicht nur eine moralische Motivation: die Bekämpfung von Armut ist in unse-
rem eigenen Sicherheits- und die Förderung von Entwicklung im eigenen Wirt-
schaftsinteresse. Um die Millenniumsziele nachhaltig umzusetzen, muss die in-
ternationale Gemeinschaft ihrer Zusage, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkom-
mens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) einzusetzen, schnell
nachkommen. Dadurch könnten gegenüber 2003 zusätzliche 120 Mrd. Dollar
mobilisiert werden. Diese Summe liegt niedriger als die Kosten des Irakkrieges
und ist weniger als die Hälfte der Agrarsubventionen der Organisation für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag der britischen Regierung zur
Einführung einer Internationalen Finanzierungsfazilität (IFF) grundsätzlich zu
begrüßen. Die IFF sieht eine Verbriefung von ODA-Zusagen vor, durch die für
einen Zeitraum von 15 Jahren Zahlungen in Höhe von bis zu 50 Mrd. Dollar zu-
sätzlich pro Jahr an die ärmsten Entwicklungsländer überwiegend als Zuschuss
gewährt werden soll.
Die Einzelheiten der Ausgestaltung des britischen Vorschlags zur IFF sind zu
prüfen. Dies gilt insbesondere bezüglich der vorgeschlagenen Finanzierung der
IFF durch eine Verbriefung zukünftiger ODA-Zusagen. Bei der IFF-Ausgestal-
tung müssen kosteneffiziente Formen der Mittelmobilisierung gewählt werden,
um sicherzustellen, dass ein möglichst hoher Anteil der zukünftigen ODA-Zu-
sagen tatsächlich für die Entwicklungsländer bereitgestellt werden kann.
Um die Aufbringung zusätzlicher öffentlicher Mittel zu gewährleisten, müssen
aber auch weitere, innovative Finanzierungsinstrumente eingesetzt werden. Be-
reits im Rahmen der VN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung inMonterrey
wurden 2002 Vorschläge für eine Devisentransaktionssteuer und von Entgelten
für die Nutzung globaler öffentlicher Güter wie Umwelt und Gesundheit unter-
breitet. Der Bundeskanzler hat diese wichtigen Instrumente beim Weltwirt-
schaftsforum in Davos im Januar 2005 positiv hervorgehoben und sie waren
auch Gegenstand beim Finanzministertreffen der G7 im Februar dieses Jahres.
Diese Steuern und Abgaben haben teilweise eine ökologische Funktion als auch
eine Lenkungsfunktion auf Kapitalströme. Sie schaffen erhebliche Einnahmen,
die zur Armutsbekämpfung und für eine präventive Umweltpolitik eingesetzt
werden können. Die neuen Finanzierungsinstrumente sollten am besten interna-
tional koordiniert eingeführt werden, können jedoch in einem ersten Schritt auch
innerhalb der Europäischen Union (EU) implementiert werden, ohne dass da-
durch größere Wettbewerbsverzerrungen zu erwarten wären. Dies belegen
neuere Studien zu den Nutzungsentgelten und zur Devisentransaktionssteuer.
Bei der europaweiten Einführung einer Devisentransaktionssteuer mit einem
Steuersatz von 0,01 Prozent pro Devisentransaktion könnten z. B. pro Jahr Mit-
tel in Höhe von rund 20 Mrd. Euro mobilisiert werden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/5831

Nutzungsentgelte schließen eine Regelungslücke, da Treibhausgasemissionen
aus dem internationalen Luft- und Schiffsverkehr nicht vom Kyotoprotokoll
erfasst werden. Das Nutzungsentgelt könnte in Form einer Kerosinsteuer oder
einer Ticketsteuer erhoben werden. Die Einführung einer internationalen Kero-
sinsteuer ist Gegenstand einer gemeinsamen deutsch-französischen Initiative.
Die Möglichkeiten der EU-Energiesteuerrichtlinie zur Einführung einer Kero-
sinsteuer können kurzfristig genutzt werden. Die beste Lösung wäre die EU-
oder gar weltweite Einführung. Möglich ist jedoch auch eine länderübergrei-
fende Lösung, die möglichst viele internationale Luftdrehkreuze in Europa ein-
bezieht. Mit den Mitteln könnten Programme der Armutsbekämpfung und des
Umwelt- und Ressourcenschutzes in den Ländern des Südens finanziert werden.
Eine Anfang 2005 von den EU-Finanzministern in Auftrag gegebene Studie
kommt zu dem Ergebnis, dass mit der Besteuerung von Kerosin jährlich Mittel
in Höhe von bis zu 7 Mrd. Euro eingenommen werden könnten.
Die Besteuerung des Flugverkehrs ist auch deshalb dringend erforderlich, da er
in hohem Maße ökologisch schädliche Folgewirkungen hat: Er schädigt das
Klima in besondererWeise und sorgt durch Lärm- und Schadstoffemissionen für
eine erhebliche Beeinträchtigung von Umwelt und Gesundheit. Neue wissen-
schaftliche Erkenntnisse zeigen, dass der Flugverkehr schätzungsweise mit rund
9 Prozent zum Treibhauseffekt beiträgt. Die Klimaschädlichkeit der Emissionen
ist in großen Höhen um das zwei- bis vierfache größer als auf dem Boden. Eine
gemeinsame Kerosinsteuer wird derzeit von Deutschland und Frankreich unter-
stützt.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass
l die EU mit Zustimmung Deutschlands den Beschluss gefasst hat, dass bis

2010 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) und bis 2015
0,7 Prozent des BNE für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA)
zur Verfügung gestellt werden;

l die Bundesregierung den internationalen Diskussionsprozess zur Harmoni-
sierung von Geberpraktiken aktiv begleitet, um noch effektiver und effizien-
ter zur Erreichung der MDGs beitragen zu können. Zur Umsetzung der Har-
monisierungsagenda wurde auf Grundlage der „Rom-Deklaration“ im Jahr
2003 ein „Aktionsplan zur Harmonisierung von Geberpraktiken in der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit“ erarbeitet. Auch der aus der „Paris-De-
klaration“ resultierende Handlungsbedarf für die deutsche Entwicklungszu-
sammenarbeit (EZ), insbesondere die Anpassung der bestehenden Verfahren
an die internationale Praxis, ist nunmehr zu konkretisieren und in den MDG-
Kontext einzubetten;

l die Bundesregierung im Mai 2004 den ressortübergreifenden Aktionsplan
„Zivile Krisenprävention“ verabschiedet hat. Dieser Aktionsplan ist ein
handlungsorientiertes, umfassendes Kohärenzdokument, das den politischen
Willen zu einer verbesserten Politik der Krisenprävention deutlich aufzeigt;

l sich die führenden acht Industriestaaten (G8) ausgehend vom Leitmotiv der
Förderung der Entwicklungsziele und der Erreichung einer langfristigen
Schuldentragfähigkeit am 11. Juni 2005 auf einen hundertprozentigen Schul-
denerlass für einige der ärmsten Länder der Welt geeinigt haben. 18 Staaten,
davon 14 Länder in Afrika südlich der Sahara, werden ihre Schulden in Höhe
von mehr als 40 Mrd. US-Dollar bei der Weltbank, beim internationalen
Währungsfonds (IWF) und bei der Afrikanischen Entwicklungsbank erlas-
sen. Bis zu 20 weitere Staaten könnten ebenfalls zukünftig von einem Schul-
denerlass profitieren, wenn sie Bedingungen, wie die Umsetzung demokrati-
scher Reformen, angemessene Ausgaben für Rüstung und die Bekämpfung

Drucksache 15/5831 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

von Korruption erfüllen. Der Gesamtumfang des Entschuldungspakets
könnte dann mehr als 55 Mrd. US-Dollar erreichen.

l sich die Bundesregierung im Rahmen der laufenden WTO-Verhandlungen
für Marktöffnungen und den Abbau der Agrarexportsubventionen und ent-
sprechender handelsverzerrender Exportfördermaßnahmen einsetzt und da-
mit auch dazu beigetragen hat, dass die EU-Kommission das Angebot, die
Exportsubventionen in der Landwirtschaft abzuschaffen, im Frühjahr 2004
zur EU-Politik gemacht hat;

l der Rat der Europäischen Union für allgemeine Angelegenheiten und Außen-
beziehungen am 24. Mai 2005 beschlossen hat, die jährlichen Ausgaben für
öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) bis zum Jahr 2010 um die
Hälfte auf rund 66 Mrd. Euro zu erhöhen. Im Jahr 2015 sollen dann die alten
EU-Mitglieder das Millenniumsziel von 0,7 Prozent des Bruttonationalein-
kommens (BNE) und die neuen Beitrittsländer immerhin 0,33 Prozent er-
reicht haben. Zu unterstützen ist darüber hinaus, dass die EU und die Welt-
bank ihre Zusammenarbeit zukünftig stärker als bisher auf Afrika konzentrie-
ren wollen, um entscheidende Verbesserungen im Bereich der Regierungs-
führung und Verwaltung zu erreichen;

l die bi- und multilateralen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit Deutsch-
lands zu rund 46 Prozent dem afrikanischen Kontinent zugute kommen.
Afrika wird jährlich mit etwa 2 Mrd. Euro unterstützt;

l Deutschland sich einer Expertengruppe zu innovativen Finanzierungsinstru-
menten (Lula-Gruppe) angeschlossen hat. Die Gruppe hat im September
2004 ihren Bericht vorgestellt und darin die Einführung innovativer interna-
tionaler Finanzierungsinstrumente, vor allem internationaler Steuern, befür-
wortet und in der Berliner Erklärung vom 2. Juni 2005 bekräftigt. Die von der
Expertengruppe formulierten Vorschläge wurden im Bericht des UN-Gene-
ralsekretärs Kofi Annan vom März 2005 und im Weltbankbericht zur Ent-
wicklungsfinanzierung vom April 2005 konstruktiv aufgegriffen;

l Deutschland mit einem jährlichen Fördervolumen von rund 350 Mio. Euro
für bilaterale Projekte und Programme weltweit der zweitgrößte bilaterale
Geber imWassersektor ist. Laufende bilaterale Projekte und Programmewer-
den insgesamt mit rund 4 Mrd. Euro unterstützt. Entwicklungszusammen-
arbeit (EZ) im Bereich Wasser ist ein wichtiger Beitrag zur Erreichung der
MDGs. Deutschland konzentriert seine Zusammenarbeit auf 27 Schwer-
punktländer. Neun dieser Schwerpunktländer liegen in Afrika. In diese Län-
der flossen in den vergangenen Jahren durchschnittlich 40 Prozent der ge-
samten bilateralen EZ des Sektors. Außerdem trägt Deutschland zur Finan-
zierung der AKP-EU-Wasserfazilität 23,36 Prozent entsprechend seinemAn-
teil am 9. Europäischen Entwicklungsfonds bei, d. h. bei insgesamt 500 Mio.
Euro ist dies ein Anteil von rund 117 Mio. Euro;

l die Bundesregierung im Rahmen der EZ zwischen 2003 und 2007 insgesamt
1 Mrd. Euro für erneuerbare Energien und für die Steigerung der Energie-
effizienz in den Partnerländern des Südens bereitstellt, um auch in diesem
Politikfeld einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der MDG zu leisten.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung fördert Anfang 2005 Projekte in 39 Partnerländern mit einem Gesamt-
volumen von rund 2,3 Mrd. Euro. Von den insgesamt 157 laufenden Vorha-
ben dienen 63 Vorhaben der Verbreitung erneuerbarer Energien, das heißt der
Verwendung von Wasserkraft, Windkraft, Solarenergie, Geothermie und der
nachhaltigen Nutzung von Biomasse. 94 Vorhaben zielen auf die Erhöhung
der Energieeffizienz in den Kooperationsländern. Ergänzend zu dem Pro-
gramm „Nachhaltige Energie für Entwicklung“ hat die Bundesregierung an-
lässlich der „Internationalen Konferenz für Erneuerbare Energien“ in Bonn

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/5831

2004 die Einrichtung einer Sonderfazilität für erneuerbare Energien und
Energieeffizienz angekündigt. Mit einem Volumen von bis zu 500 Mio. Euro
sollen damit ab 2005 über fünf Jahre zinsverbilligte Darlehen für Investitio-
nen in Entwicklungsländern an staatliche und halbstaatliche Institutionen,
Banken oder auch Private vergeben werden. Diese von der Kreditanstalt für
Wiederaufbau (KfW) eingerichtete Sonderfazilität ist inzwischen operativ.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. im Rahmen eines ressortübergreifenden Konzepts zügig die mittelfristige

Finanzplanung bis zum Jahr 2009 anzupassen. Zur Umsetzugplanung für
das neue ODA-Ziel sind weitere Haushaltssteigerungen, weitere Entschul-
dungen ärmster Entwicklungsländer und die Nutzung innovativer Finanzie-
rungsinstrumente notwendig;

2. sich im Rahmen der bilateralen, europäischen und internationalen Zusam-
menarbeit für die Umsetzung der von UN-Generalsekretär Kofi Annan vor-
gelegten Entscheidungsempfehlungen an die Staats- und Regierungschefs
zur Umsetzung der MDGs einzusetzen;

3. sich dafür einzusetzen, dass die Entschuldungsinitiative vertieft und erwei-
tert wird;

4. alle Optionen eingehend zu prüfen, die der Zielsetzung der Entschuldung
dienlich sein könnten, auch die Neubewertung bzw. den teilweisen Verkauf
der Goldreserven des IWF und den Rückgriff auf bestehende Ressourcen
der Weltbank und der regionalen Entwicklungsbanken. Dabei muss sicher-
gestellt sein, dass die finanzielle Integrität der internationalen Finanzinsti-
tutionen gewahrt bleibt; dies sollte auch im Zuge kommenderWiederauffül-
lungen der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA) berücksichtigt
werden;

5. im Falle von Deckungslücken bei der multilateralen Entschuldung den zu-
sätzlichen Einsatz bilateraler Mittel in Erwägung zu ziehen. Dies sollte vor
allem durch bilaterale Mittelzuweisungen direkt in die Haushalte der Part-
nerländer erfolgen;

6. sich gegenüber nichtstaatlichen Gebern, d. h. Unternehmen, privaten Spen-
dern und Nichtregierungsorganisationen dafür einzusetzen, dass zusätzliche
Beiträge zur Bekämpfung von HIV/AIDS zur Verfügung gestellt werden,
damit die globale Partnerschaft zwischen Vereinten Nationen, Unternehmen
und Zivilgesellschaft im Kampf gegen die Pandemie intensiviert wird;

7. sich dafür einzusetzen, dass die laufende Welthandelsrunde zu einer wirk-
lichen „Doha-Entwicklungsrunde“ wird, bei der in allen Bereichen die An-
liegen der Entwicklungsländer angemessen berücksichtigt werden;

8. auf eine zügige Reform der europäischen Zuckermarktordnung zu drängen,
um die Agrarexportsubventionen zu beenden und Planungsischerheit für
alle Beteiligten zu schaffen. Mit den freiwerdenden Mitteln ist für die be-
sonders betroffenen AKP-Länder und die ärmsten Entwicklungsländer
(LDCs) ein Aktionsplan zu entwickeln, um deren Abhängigkeit zu überwin-
den und die Wertschöpfung vor Ort zu stärken;

9. sich gegenüber der EU-Kommission dafür einzusetzen, Alternativen zur
Finanzierung der afrikanischen Friedensfazilität vorzulegen;

10. kurzfristig eine europäische Initiative zur Einführung von Nutzungsentgel-
ten auf den Luftraum in Form einer Kerosinsteuer oder einer Abgabe auf
Flugtickets zu ergreifen. In einem ersten Schritt dafür mit einer Kerngruppe
von EU-Staaten voranzugehen und bilaterale Vereinbarungen über die ge-

Drucksache 15/5831 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
meinsame Einführung einer Kerosinsteuer oder einer Flugticketabgabe zu
treffen;

11. die Einrichtung einer Internationalen Finanzierungsfazilität (IFF) tatkräftig
zu unterstützen und bei der Ausgestaltung der IFF auf kosteneffiziente Lö-
sungen zur Finanzierung einzuwirken sowie in einem ersten Schritt kurz-
fristig einen Beschluss zu fassen, dass sich Deutschland an dem IFF-Pilot-
projekt zur Finanzierung einer Impfkampagne in den ärmsten Ländern
beteiligt und der die Höhe des Beitrags festsetzt;

12. sich für eine europäische Initiative zur Einführung einer Devisenumsatz-
steuer mit einem geringen Steuersatz von 0,01 Prozent einzusetzen und da-
für eine Gesetzesgrundlage zu schaffen, die die Einführung einer Devisen-
transaktionssteuer auf europäischer Ebene vorsieht, wie es bereits in
Frankreich und Belgien beschlossen wurde;

13. den FZ-Gewährleistungsrahmen auf zinsverbilligte Darlehen der KfW aus-
zuweiten, um insbesondere die Umsetzung der Bonner Beschlüsse für
erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Entwicklungsländern zu för-
dern;

14. entschieden daran mitzuwirken, dass „Steueroasen“, die die effiziente und
sozial gerechte Besteuerung von Einkommen und Vermögen in allen Län-
dern untergraben, beseitigt werden;

15. sich weiterhin nachdrücklich international dafür stark zu machen, dass ein
umfassender steuerlicher Informationsaustausch, der eine Besteuerung von
Fluchtkapital ermöglicht, stattfindet;

16. sich für eine Verstetigung der MDG-Kampagne in Deutschland über das
Jahr 2005 hinaus einzusetzen;

17. im Zuge der internationalen Geberharmonisierung das Regelwerk der bila-
teralen Entwicklungszusammenarbeit weiter zu modernisieren.

Berlin, den 29. Juni 2005
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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