BT-Drucksache 15/5774

Minderung des Schienenlärms an der Quelle

Vom 15. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5774
15. Wahlperiode 15. 06. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Friedrich (Bayreuth), Birgit Homburger,
Angelika Brunkhorst, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Rainer
Funke, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Klaus Haupt, Ulrich
Heinrich, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Minderung des Schienenlärms an der Quelle

Jeder fünfte Bürger fühlt sich durch den Lärm des Schienenverkehrs gestört oder
belästigt (Quelle: Umweltbundesamt 2004, „Umweltbewusstsein in Deutsch-
land, 2004“). Schienenlärm wird weniger durch einen geschlossenen Geräusch-
pegel, sondern durch laute Einzelereignisse bestimmt. Lärmereignisse in der
Nacht – insbesondere durch nächtliche Gütertransporte – führen zu Aufweck-
reaktionen, stören die Regenerationsphase des Körpers und stellen eine Gefahr
für die Gesundheit der Betroffenen dar. Hier hat die Bahn, die in vielen Belangen
ein umweltfreundliches Verkehrsmittel ist, ein massives Umweltproblem.
In diesem Zusammenhang kommt dem sog. Schienenbonus eine besondere Be-
deutung zu. Als Ergebnis von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen wurde
im Jahr 1990 in die 16. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz ein
Schienenbonus „zur Berücksichtigung der Besonderheiten des Schienenver-
kehrs“ von 5 dB(A) aufgenommen, der von jedem gemessenen Schallpegel ab-
gezogen wird. Damit gelten für Straßen- und Schienenverkehrslärm unter-
schiedliche Grenzwerte. Diese Regelung folgt der Annahme des Gesetzgebers,
dass Anlieger an Schienenwegen durch Lärm weniger belastet werden als An-
lieger an Straßen. Insbesondere wegen neuer Betriebsformen im Schienenver-
kehr (z. B. Hochgeschwindigkeitsverkehr, schnell fahrende Güterzüge, dichtere
Zugfolge etc.), die sich nach Einführung des Schienenbonus entwickelt haben,
ist dies aber kritisch zu überprüfen.
Bereits heute besteht ein großes Lärmminderungspotential insbesondere durch
den technischen Einsatz an der Quelle. So spielen die Bremssysteme von Güter-
waggons bei der Geräuschentwicklung eine entscheidende Rolle. Verbundbrem-
sen aus Kunststoff (sog. K-Sohlen) sind geräuscharmer und verursachen keine
bzw. nur eine geringe „Verriffelung“ der Räder. Der Unterschied zwischen
einem glatten und einem verriffelten Rad bei glatter Schiene kann bis zu
15 dB(A) ausmachen. Nach einer Faustformel kann man davon ausgehen, dass
eine Steigerung um 10 dB(A) bereits als Verdoppelung der Lautstärke empfun-
den wird. Vor allem ältere Güterzüge sind aber zumeist noch mit den deutlich

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lauteren Graugussklotzbremsen ausgestattet, die zudem Unebenheiten auf den
Gleisen verursachen. Zudem könnten weitere Maßnahmen an den Güterwagen
wie Radschallabsorber oder geräuschdämpfende Federungen Anwendung fin-
den. Des Weiteren könnten leisere Loks (wie z. B. in Österreich) und Dreh-
gestelle auch in Deutschland zum Einsatz kommen und erheblich zur Reduzie-
rung der Lärmbelastung der Bürgerinnen und Bürger beitragen.
Die Haushaltsmittel zur Lärmsanierung sind begrenzt. Verstärkt muss daher der
Lärmschutz an der Quelle in Angriff genommen werden. Diese Maßnahmen
sind darüber hinaus besser geeignet und effizienter als allein der Bau von Schall-
schutzwänden oder -fenstern. Dies wurde unter anderem im EU-Projekt
STAIRRS (Strategies and tools to assess and implement noise reducing mea-
sures for railway systems) zwischen 1. Januar 2000 und 31. Dezember 2002
deutlich herausgearbeitet. Tatsächlich bestehen aber derzeit für die Bahnunter-
nehmen außer Imagegründen keine Anreize für einen verstärkten Lärmschutz an
der Quelle. Dagegen sind in anderen Ländern marktwirtschaftliche Konzepte
wie z. B. die Einführung von lärmabhängigen Trassenpreisen implementiert
oder geplant. Auch in Deutschland könnte der Einsatz leiserer Fahrzeuge bei den
Trassenpreisen nach den Bestimmungen der Eisenbahninfrastruktur-Benut-
zungsverordnung (EiBV) berücksichtigt werden. Die DB Netz AG will die ge-
setzliche Möglichkeit bislang aber nicht nutzen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hat die Bundesregierung aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, die die

Aufrechterhaltung des sog. Schienenbonus rechtfertigen?
Wenn ja, welche, wenn nein, hat sie entsprechende Studien in Auftrag gege-
ben?

2. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung in Bezug auf die Gesund-
heitsgefährdungen durch den Lärm nächtlicher Güterzüge vor, und rechtfer-
tigen diese Erkenntnisse den sog. Schienenbonus auch in der Nacht?

3. Ist die Bundesregierung auch trotz veränderter Betriebsformen auf den
Hauptschienenwegen (Hochgeschwindigkeitsverkehr, schnell fahrende Gü-
terzüge, dichtere Zugfolge etc.) noch der Meinung, Anlieger an Schienenwe-
gen würden durch einen gleichen Lärmpegel weniger belastet als Anlieger an
Straßen?
Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

4. Teilt die Bundesregierung die von Bahnanliegern vorgetragene These, dass
die Grenzwerte, auf die sich die Bundesregierung für die nunmehr nicht mehr
realisierte Novelle des Fluglärmgesetzes geeinigt hatte, aus Gründen des Ge-
sundheitsschutzes auch auf den Schallschutz im Bahnverkehr übertragen
werden müssen?
Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

5. Welchen Unterschied sieht die Bundesregierung in der Gesundheitsgefähr-
dung durch sechs Einzelschallereignisse à 57 dB(A) in der Nacht, die durch
überfliegende Flugzeuge oder durch vorbeifahrende Güterzüge verursacht
werden?
Auf welche wissenschaftlichen Studien aktueller Lärmwirkungsforschung
stützt sie sich bei diesem Vergleich?

6. Plant die Bundesregierung eine Abschaffung, eine Modifikation oder Über-
prüfung des sog. Schienenbonus?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5774

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein Motiv für die Beibehal-
tung des sog. Schienenbonus eine wesentliche Einsparung an Kosten für
Lärmschutzmaßnahmen ist?
Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

8. Teilt die Bundesregierung die Meinung, dass die Lärmreduzierung an der
Schallquelle vorrangig anzugehen ist und in Kombination mit Maßnahmen
an besonders belasteten Strecken – wie dem Bau von Schallschutzwänden
und -fenstern – die effektivste und kostengünstigste Methode zur Lärmmin-
derung darstellt?
Wenn ja, welche politischen Schlüsse zieht sie daraus?

9. Plant die Bundesregierung, das Schienenlärmsanierungsprogramm für die
Finanzierung der Umrüstung von Schienengüterfahrzeugen (z. B. Nachrüs-
tung der „K-Sohle“) zu öffnen?

10. Plant die Bundesregierung darüber hinaus Fördermaßnahmen zur Lärm-
bekämpfung an der Quelle?

11. Welche europäischen Regelungen gibt es bezüglich des Lärmschutzes an
der Quelle bzw. welche sind mit welcher Zeitperspektive in Vorbereitung?

12. Trifft es zu, dass nur etwa die Hälfte der auf dem deutschen Schienennetz
verkehrenden Güterwagen der DB-Tochtergesellschaft Railion gehören, die
andere Hälfte sich im Besitz in- und ausländischer Waggonvermietgesell-
schaften oder Bahnunternehmen befindet?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass lärmabhängige Trassen-
preise ein Weg sind, auch für diese Betreiber marktwirtschaftliche Anreize
zu setzen, diese Waggons mit der „K-Sohle“ oder anderen Lärmminde-
rungsmaßnahmen wie Scheibenbremsen oder Radschallabsorber nachzu-
rüsten, oder welche Alternative sieht die Bundesregierung, die Nachrüstung
dieser Fahrzeuge zu beeinflussen?

13. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, im Rahmen des Überein-
kommens über die gegenseitige Benutzung der Güterwagen im internatio-
nalen Verkehr (RIV) Anreize für die Eigentümer von ausländischen Güter-
wagen zu setzen, diese mit der „K-Sohle“ oder anderen fahrzeugseitigen
Lärmschutzvorrichtungen auszustatten?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass lärmabhängige Trassenprei-
se Anreize für den Kauf lärmärmerer Lokomotiven geben würden, wie sie
etwa in Österreich oder der Schweiz im Einsatz sind?
Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

15. Hält die Bundesregierung das in der Schweiz praktizierte Verfahren, wo-
nach lärmarme Schienenfahrzeuge durch einen Trassenpreisbonus belohnt
werden auch auf Deutschland übertragbar?
Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung Pläne der Republik Österreich und des
Königreichs der Niederlande, lärmabhängige Trassenpreise einzuführen,
und welche Details sind ihr hierzu bekannt?

17. Ist der Bundesregierung die Studie über lärmabhängige Trassenpreise be-
kannt, die die Technische Universität Berlin für das niederländische Ver-
kehrsministerium erstellt hat?
Wenn ja, wie beurteilt sie das Modell hinsichtlich einer möglichen Über-
nahme für das deutsche Schienennetz?

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18. Hat die Bundesregierung Kenntnis von anderen Ländern, in denen die Ein-
führung von lärmabhängigen Trassenpreisen geplant ist?
Wenn ja, wie sehen die dortigen Konzeptionen aus?

19. Aus welchen Gründen lehnt die DB Netz AG bisher die Einführung von
lärmabhängigen Trassenpreisen ab?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Stichhaltigkeit dieser Argumente?

20. Beabsichtigt die Bundesregierung eine Änderung des § 6 Eisenbahninfra-
struktur-Benutzungsverordnung (EiBV), wonach bei der Bemessung der
Trassenentgelte die Emission der eingesetzten Fahrzeuge berücksichtigt
werden kann, dahin gehend, aus dieser Kann-Vorschrift eine Soll- oder
Muss-Vorschrift zu machen?
Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 15. Juni 2005
Michael Kauch
Horst Friedrich (Bayreuth)
Birgit Homburger
Angelika Brunkhorst
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Hellmut Königshaus

Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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