BT-Drucksache 15/5731

Wärmebereich für den Klimaschutz erschließen - Erneuerbare Energien marktwirtschaftlich einbeziehen

Vom 15. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5731
15. Wahlperiode 15. 06. 2005

Antrag
der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Birgit Homburger, Michael Kauch,
Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt,
Ulrich Heinrich, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Wärmebereich für den Klimaschutz erschließen –
Erneuerbare Energien marktwirtschaftlich einbeziehen

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Wärmebereich hat ein überaus leistungsfähiges Potential für den Klima-
schutz. Über 30 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs – und damit je-
weils relativ mehr als auf die Sektoren Verkehr und Industrie – entfielen im Jahr
2003 auf die Haushalte. Der bei weitem überwiegende Teil der dort eingesetzten
Energie (91,33 Prozent) dient der Wärmegewinnung (vor allem Raumwärme
und Warmwasser), welche zu rund 76 Prozent aus fossilen Energieträgern er-
folgt (Gas, Öl und Kohle). Insgesamt haben die Haushalte in Deutschland im
Jahr 2003 für diese Zwecke 88,4 Mio. t Steinkohleeinheiten eingesetzt und
damit eine CO2-Emissionsmenge von mehr als 120 Mio. t verursacht. Diesübertrifft deutlich die Gesamtemissionen des verarbeitenden Gewerbes (rund
107 Mio. t) und erreicht ein Volumen, das in seiner Größenordnung demjenigen
des gesamten Straßenverkehrs in Deutschland vergleichbar ist (rund 160Mio. t).
Ein zukunftsfähiges Konzept, welches dazu bestimmt ist, wirksame Beiträge
zum Klimaschutz aus allen relevanten Bereichen zu erschließen, darf einen öko-
logisch und ökonomisch derart wichtigen Versorgungsbereich nicht ignorieren.
Der energetischen Sanierung bestehender Gebäude kommt in diesem Zusam-
menhang eine Schlüsselrolle zu. Im Sinne eines integralen Ansatzes müssen ge-
eignete Maßnahmen an der Gebäudehülle mit optimaler Anlagentechnik kombi-
niert werden. So können an alten Gebäuden je nach Baualter (in Frage kommen
vor allen Dingen Altbauten, die vor Inkrafttreten der erstenWärmeschutzverord-
nung im Jahre 1978 errichtet worden sind), Zustand und Gebäudetyp Energie-
einsparungen von bis zu 75 Prozent erreicht werden. Damit ließe sich insbeson-
dere der Einsatz der fossilen Energieträger wie Erdgas und Heizöl reduzieren
und ein Beitrag zur Ressourcenschonung und zur CO2-Minderung leisten. Dasmarktwirtschaftliche Konzept eines freiwilligen Energiepasses, der den Energie-
bedarf eines Hauses verständlich und verbraucherfreundlich anzeigt, ist ein
geeigneter Weg für den Gebäudebestand. Der Energiepass schafft die notwen-

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dige Transparenz und macht deutlich, dass zugehörige Investitionen nicht nur
den Wohnkomfort steigern, sondern auch den Wert der betreffenden Immobilie.
Dies bietet ergänzende Anreize zur Sanierung des Gebäudebestandes. Um eine
größere Breitenwirkung zu erzielen, müssen weitere flankierende Maßnahmen
erfolgen. Dazu gehören zunächst Motivation, Information und Beratung der
Gebäudeeigentümer sowieWeiterbildung der Handwerker und Planer. Letzteren
kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Es gilt, beispielsweise bei der
baulichen Ausrichtung von Dächern auch darauf zu achten, dass einer solarther-
mischen Nutzung dieser Flächen nichts entgegensteht.
Für ein umfassendes Energiekonzept für den Gebäudesektor müssen Maßnah-
men überdies auf den Einsatz und die Weiterentwicklung moderner und effizi-
enter, brennstoffsparender Techniken der Wärmegewinnung (aktive Energie-
effizienz) sowie auf die Wärmedämmung (passive Energieeffizienz) zielen.
Zusätzlich muss der Wärmebereich für eine Nutzung Erneuerbarer Energien er-
schlossen werden. Zur Gewinnung von Raumwärme geht es dabei vor allem um
die Biomasse und um die oberflächennahe Geothermie, während die Sonnen-
energie leistungsfähige Potentiale für die Warmwassergewinnung und für die
Raumklimatisierung bereithält.
Ein nachhaltiges Energiekonzept für den Gebäudesektor muss dabei technolo-
gieoffen und diskriminierungsfrei sowohl Maßnahmen der Nutzung Erneuerba-
rer Energien im Gebäudebereich als auch Maßnahmen zur aktiven und passiven
Verbesserung der Energieeffizienz marktwirtschaftlich und wettbewerbsneutral
umfassen. Dabei ist eine konzeptionelle Verbindung zu den modernen Instru-
menten der Klimapolitik, namentlich zum Zertifikatehandel zu schaffen, weil
dieser gewährleistet, dass je eingesetztem Euro soviel CO2 wie möglich vermie-den wird.

II. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung,
dass die Klimaschutzpotentiale der Wärmegewinnung in Deutschland dauerhaft
erschlossen werden müssen. Geeigneter Ausgangspunkt sind dazu die in dem ab
2006 voraussichtlich vorgesehenen Gebäudeenergieausweise. Diese dokumen-
tierten bedarfsspezifisch auch die CO2-Emissionen aus demBereich derWärme-gewinnung. Entschließt sich ein Gebäudeeigentümer freiwillig zur Investition in
Maßnahmen zur Nutzung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich oder zu
einer Maßnahme zur aktiven oder passiven Verbesserung der Energieeffizienz
des Gebäudes, so bewirkt dies unmittelbar eine Verringerung der CO2-Emissio-nen aus dem Bereich der Wärmegewinnung. Dienstleistungen zur Berechnung,
Dokumentierung und Zertifizierung können innerhalb der privatwirtschaftlichen
Strukturen der Wärmemärkte und zwischen den Marktteilnehmern (unter Betei-
ligung der Bauvorlagenberechtigten, der Energieberater, der Ausstellungsbe-
rechtigten für Energiebedarfsauswiese nach § 13 Energieeinsparverordnung und
einschlägigen Gewerke des Handwerks) entgeltlich und wettbewerblich orga-
nisiert werden. Durch einen systematischen Rückgriff auf bewährte Strukturen
dürften der zusätzliche administrative Aufwand und die Organisationskosten
gering sein.
Die durch eine der genannten Investitionen vermiedenen CO2-Emissionen sol-len als innerhalb Deutschlands handelbare Emissionsgutschriften zertifiziert
werden. Auf dieser Grundlage soll mittelfristig eine konzeptionelle Verbindung
auch der regenerativen Wärmegewinnung zu den modernen Mechanismen der
internationalen Klimapolitik, namentlich zum Zertifikatehandel geschaffen wer-
den.
Dazu ist auf europäischer Ebene imweiteren Verfahren darauf hinzuwirken, dass
die Nutzung derartiger Gutschriften durch Umtausch in eine gleiche Anzahl han-
delbarer Zertifikate im Rahmen des europäischen Emissionshandels erfolgt –

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5731

analog beispielsweise zu Gutschriften aus so genannten Nationalen Ausgleich-
sprojekten (siehe dazu Antrag der FDP-Bundestagsfraktion Bundestagsdruck-
sache 15/4948 „Mehr Klimaschutz zu geringeren Kosten durch nationale Pro-
jekte ermöglichen“ vom 23. Februar 2005). Geeignete Anpassungen im Recht
des Emissionshandels innerhalb Deutschlands können bereits vorgenommen
werden, um eine entsprechende Signalwirkung für die Marktteilnehmer und für
die Willensbildung auf europäischer Ebene zu erzielen. Auf Basis eines auf die-
ser Grundlage in die Zukunft gerichteten Handels von Emissionsgutschriften aus
dem Wärmebereich erhalten diejenigen Anlagen- bzw. Gebäudeeigentümer
regelmäßige und marktwirtschaftlich fundierte Erlöse, welche CO2-freie oderbesonders CO2-arme Techniken zur Wärmegewinnung nutzen bzw. die wärme-gewinnungsabhängige CO2-Intensität ihrer Gebäude mindern. Die regelmäßi-gen Erlöse sollen die bereits bestehenden Instrumente zur Verbesserung der
Energieeffizienz von Gebäuden und zur Förderung regenerativer Energien im
Wärmebereich ergänzen.

Berlin, den 15. Juni 2005
Angelika Brunkhorst
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Karl Addicks
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt,
Ulrich Heinrich
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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Begründung
Die Nutzung Erneuerbarer Energien ist in Deutschland fast ausschließlich auf
den Bereich der Stromversorgung beschränkt. Ursächlich ist hierfür, dass sich
die Regelungen des „Gesetzes für den Vorrang Erneuerbarer Energien“ (EEG)
allein auf Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien sowie
auf die Abnahme, Vergütung und Übertragung des in diesen Anlagen erzeugten
Stroms beziehen.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat immer wieder betont, dass die Voraussetzun-
gen für die Nutzung Erneuerbarer Energien auf breiter Basis verbessert werden
müssen, weil es sich um Zukunftstechnologien für eine nachhaltige Energiever-
sorgung und für den Klimaschutz handelt. Allerdings kann das EEG – selbst
beim eingeschränkten Blick auf die Stromversorgung – wegen erheblicher kon-
zeptioneller Schwächen nicht als sinnvoller Weg zur Erreichung dieses Ziel be-
zeichnet werden. Diese Einschätzung hat die FDP-Bundestagsfraktion in meh-
ren Anträgen an den Deutschen Bundestag ausgeführt, begründet und alternative
Möglichkeiten zur Förderung Erneuerbarer Energien im Strombereich aufge-
zeigt (siehe dazu die Anträge der FDP-Bundestagsfraktion „Marktwirtschaft-
liche Förderung des Einsatzes Erneuerbarer Energieträger“ (Bundestagsdruck-
sache 14/5328 vom 14. Februar 2001), „Perspektiven für eine marktwirtschaft-
liche Förderung Erneuerbarer Energien“ (Bundestagsdrucksache 15/1813 vom
22. Oktober 2003) sowie „Nationales Energieprogramm vorlegen – Planungs-
sicherheit für Wirtschaft und Verbraucher herstellen“ (Bundestagsdrucksache
15/2760 vom 24. März 2004)).
Von den in diesen Anträgen im Einzelnen aufgeführten Mängeln des EEG abge-
sehen weist dieses Gesetz in konzeptioneller Hinsicht die gravierende Schwäche
auf, dass es in seiner selektiven Beschränkung auf den Strombereich den Wär-
memarkt vollständig ignoriert. Das EEG ist für denWärmebereich konzeptionell
ungeeignet, weil es auf die Einspeisung von Energie in Übertragungsnetze fest-
gelegt und damit für den Wärmebereich nicht praktikabel ist. Der Anteil Erneu-
erbarer Energien im Wärmemarkt hat sich in den vergangenen Jahren im Ver-
gleich zur Stromgewinnung kaum erhöht und belief sich im Jahr 2004 nach An-
gaben der Bundesregierung auf lediglich rund 4,2 Prozent. Für den systemati-
schen Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Erneuerbaren Energien droht
damit ein unverzichtbarer Ansatzpunkt verloren zu gehen.
Der Wärmemarkt ist auch wegen seiner dezentralen Struktur für eine Nutzung
Erneuerbarer Energien besonders attraktiv, weil dieWärmeversorgung zumweit
überwiegenden Teil dezentral, also ohne Netzanbindung erfolgt. Anders als im
Strombereich sind hier deshalb keine immensen Zusatzkosten für Netzeinspei-
sung, Netzmanagement und Netzerweiterung zu erwarten. Überdies stellt sich
das Problem einer unregelmäßigen Energieausbeute nicht bzw. nicht in ver-
gleichbarer Schärfe wie im Strombereich. Überdies kann Wärme im Vergleich
zu elektrischem Strom vergleichsweise gut bzw. in relativ kostengünstigen Ver-
fahren gespeichert werden.
Ein zukunftsfähigesModell zur marktwirtschaftlichenMengensteuerung Erneu-
erbarer Energien im Strombereich liegt als Alternative zum EEG vor (siehe dazu
die eingangs aufgeführten Anträge der FDP-Bundestagsfraktion). In gleicher
Weise muss ein tragfähiges Konzept zur verstärkten Nutzung Erneuerbarer En-
ergien im Bereich der Wärme wirksam und zugleich wirtschaftlich sein. Je ein-
gesetztem Euro muss so viel CO2 wie möglich vermieden werden. Überdiesmuss das Konzept technologieoffen, einfach in der Handhabung und unbürokra-
tisch sein.

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