BT-Drucksache 15/5590

Landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm sachgerecht handhaben

Vom 1. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5590
15. Wahlperiode 01. 06. 2005

Antrag
der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Dr. Christel Happach-Kasan, Birgit
Homburger, Hans-Michael Goldmann, Michael Kauch, Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, JoachimGünther (Plauen), Klaus Haupt,
Ulrich Heinrich, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
EberhardOtto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. HermannOtto
Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Jürgen Türk, Dr. Volker Wissing,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm sachgerecht handhaben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Europäische Union arbeitet intensiv an der Erstellung einer umfassenden
Bodenschutzstrategie für Europa und hat mit der Mitteilung der Kommission
„Hin zu einer spezifischen Bodenschutzstrategie“ im Jahr 2002 erstmals ein
Dokument ausschließlich dem Bodenschutz gewidmet. Explizit findet in dieser
Diskussion auch die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm Berück-
sichtigung. Die EU-Kommission bereitet im Zuge der Bodenschutzstrategie
eine Novellierung der EU-Klärschlammrichtlinie (86/278/EWG) vor. Dies ver-
deutlicht die Relevanz des Klärschlamms in Bezug auf den Bodenschutz und
die Notwendigkeit einer möglichst europaweit einheitlichen Regelung, wobei
regionale und nationale Besonderheiten im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes
angemessen zu berücksichtigen sind.
Die EU favorisiert grundsätzlich die landwirtschaftliche Verwertung von Klär-
schlamm. So sind neben Phosphor die Hauptnährstoffe Stickstoff, Magnesium,
Schwefel und gegebenenfalls Calcium im Klärschlamm enthalten. Die stoff-
liche Zusammensetzung des Klärschlamms, besonders die organischen Subs-
tanz, führen darüber hinaus zu einer Verbesserung der Bodenstruktur. Somit
unterstützt der Klärschlamm die natürlichen Bodenfunktionen, schützt vor Ero-
sion und gibt die gespeicherten Nährstoffe erst sukzessive frei.
Die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlammen muss unter Berück-
sichtigung eines europaweiten Agrarhandels gesehen werden. Ein Verbot der
landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung in Deutschland bei zugleich er-
folgender Einfuhr von Agrarprodukten aus den europäischen Nachbarstaaten,
die auf mit Klärschlamm beaufschlagten Flächen angebaut werden, erscheint
wenig plausibel. Eine weitere Wettbewerbsverzerrung im europäischen Agrar-
sektor ist aus Sicht der Verbraucher wie auch der Landwirte nicht wünschens-
wert.

Drucksache 15/5590 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Sofern auf einheitliche Regelungen verzichtet wird und in den einzelnen EU-
Mitgliedstaaten unterschiedlich restriktive Vorschriften zur Klärschlammver-
wertung gelten, steht zu befürchten, dass Verschiebungen von Klärschlamm
innerhalb der EU stattfinden, die aus ökologischen oder aus gesundheits- und
verbraucherpolitischen Gründen unerwünscht sind.
Die praktische Handhabung des Klärschlamms orientiert sich am Konzept des
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG). Zu dessen Zielsetzun-
gen gehört die Förderung der Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen
Ressourcen und die Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfäl-
len. Demnach sind Abfälle entweder einer stofflichen Verwertung zuzuleiten,
zur Gewinnung von Energie zu nutzen oder sachgerecht zu beseitigen. Eine
stoffliche Verwertung liegt laut KrW-/AbfG vor, wenn nach einer wirtschaft-
lichen Betrachtungsweise der Hauptzweck der Maßnahme in der Nutzung des
Abfalls und nicht in der Beseitigung des Schadstoffpotentials liegt. Der Ansatz
„Verwertung vor Beseitigung“ muss selbstverständlich auch für den Klär-
schlamm gelten. Daraus ergibt sich, dass die Grenze zwischen landwirtschaft-
licher und thermischer Verwertung auf der einen und der einer Beseitigung von
Klärschlamm auf der anderen Seite eindeutig sein muss. Eine Klärung dieser
Frage hat gleichermaßen Auswirkungen auf die Verwertung von Kompost, wei-
terer biologischer Abfallprodukte (auch aus Biomasse- und Biogasanlagen),
Wirtschaftsdünger (Gülle, Jauche und Stallmist) sowie auf die sachgerechte
Verwendung von Mineraldünger in Deutschland. Zur Bestimmung von Nähr-
stoff/Schadstoffverhältnissen verschiedener Düngemittel erscheint deshalb ein
konsolidiertes Vergleichssystem sinnvoll, nach dem die Düngemittel anhand
einheitlicher Kriterien bewertet werden können. Zur Festlegung von jährlichen
Mengenobergrenzen für Schadstoffe können die in der Bundes-Bodenschutz-
und Altlastenverordnung genannten zulässigen Zusatzbelastungen zur Orientie-
rung herangezogen werden.
Die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm hat in der Vergangenheit
verschiedentlich zu Irritation und Kritik seitens der Landwirte in Deutschland
und der Nahrungsmittelindustrie geführt. So war gelegentlich die Abnahme
landwirtschaftlicher Produkte durch die Nahrungs- und Futtermittelindustrie
zeitweise verweigert worden, weil diese auf mit Klärschlamm beaufschlagten
Flächen angebaut worden waren. Beispielsweise hatte die Südzucker AG An-
fang des Jahres 2005 in diesem Sinne vorübergehend ein Aufbringungsverbot
für Sekundärrohstoffe an alle Vertragslandwirte ausgesprochen. Dessen unge-
achtet sind viele landwirtschaftliche Betriebe bereit, Klärschlamm als kosten-
losen Dünger auf ihre Felder aufzubringen. Der Düngewert des Klärschlamms
findet insoweit Anerkennung.
Überdies gilt mit Inkrafttreten der Abfallablagerungsverordnung seit dem 1. Juni
2005 ein implizites Verbot für die Deponierung von Klärschlamm. Neben einer
eingeschränkten Verwendung des Klärschlamms im Landschaftsbau bleibt da-
mit im Wesentlichen allein die thermische oder landwirtschaftliche Verwertung
von Klärschlamm.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. das gegenwärtig praktizierte Verfahren der landwirtschaftlichen Verwertung

von Klärschlamm als grundsätzlich nachhaltige Option der Verwertung bei-
zubehalten und dies als Basis der Novellierung der Klärschlammverordnung
in Deutschland zu berücksichtigen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5590

2. darauf hinzuwirken, dass der für eine landwirtschaftliche Verwertung vor-
gesehene Klärschlamm frei von gefährlichen Schadstofffrachten ist und
seine Verwertung umweltverträglich erfolgen kann, damit Klärschlamm
sich weiterhin als Dünger mit Qualitätsstandard bewährt. Dazu ist die Klär-
schlammverordnung (AbfKläV) und das Düngemittelrecht gegebenenfalls
anzupassen und Initiativen wie die „Qualitätssicherung landbauliche Abfall-
verwertung, QLA“ vom Verband Deutscher Landwirtschaftlicher Untersu-
chungs- und Forschungsanstalten VDLUFA und DWA einzubeziehen;

3. die gewünschten Qualitätsstandards durch entsprechende Behandlungs-
und Untersuchungsmethoden abzusichern. Ebenso ist die Entwicklung
neuer stoffbezogener Reinigungsverfahren zu unterstützen;

4. sich in Koordination mit den Nachbarstaaten in der Europäischen Union
um eine abgestimmte Position bei der Verwertung von Klärschlamm zu
bemühen, damit keine Standortnachteile für die Landwirtschaft in
Deutschland entstehen. Dabei sind die unterschiedlichen Behandlungs-
und Verwertungskapazitäten in den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.
Dazu gehört auch die Begleitung der Diskussion auf der Ebene des europä-
ischen Lebensmittelhandels, um auch mit Blick auf nachgeschaltete Markt-
teilnehmer eine abgestimmte und verlässliche Position zur landwirtschaft-
lichen Verwertung von Klärschlamm zu erarbeiten;

5. bei weiterführenden Regelungen zur Verwertung von Klärschlamm dessen
Potential zur Verbesserung der Bodenstruktur, zur Schonung der natür-
lichen Rohphosphatvorkommen und zur Kosten- und Energieeinsparung
durch Substitution von Mineraldünger angemessen zu berücksichtigen;

6. bei der Festlegung zulässiger Verwertungswege für den Klärschlamm in
einer Stoffbilanz das „Wirksystem Landwirtschaft“ (Klima, Boden,
Fruchtfolge und Düngung) zu berücksichtigen und auch den Nähr- und
Schadstoffentzug durch die angebauten Pflanzen und den somit langfristig
im Boden verbleibenden Schadstoffanteil zu beachten;

7. im Sinne des KrW-/AbfG dafür Sorge zu tragen, dass Klärschlamm dann
entsorgt wird, wenn dessen Verwertung aus ökologischen oder gesundheit-
lichen Gründen nicht in Betracht kommt oder aus ökonomischen Erwägun-
gen – beispielsweise mit Blick auf den Transportaufwand – unwirtschaft-
lich ist;

8. darauf hinzuwirken, dass Klärschlamm nicht nur anhand von Schadstoff-
konzentrationen, sondern unter Berücksichtigung der Düngewirkung
(Nährstoff/Schadstoffverhältnis) und des vorgenannten „Wirksystems
Landwirtschaft“ (Klima, Boden, Fruchtfolge und Düngung) beurteilt wird
und dass bei der Bewertung der Schwermetallfrachten zwischen essentiel-
len Nährstoffen und offensichtlichen Schadstoffen unterschieden wird;

9. bei weiterführenden Regelungen zur Verwertung von Klärschlamm die
Option, Klärschlämme in Biogasanlagen und Faultürmen zur Energie-
gewinnung zu nutzen, eingehender zu untersuchen. Dazu gehören auch
Projekte mit flüssigen und festen Co-Substraten und die Produktion von
Wasserstoff aus Biomasse;

10. im Falle einer thermischen Verwertung von Klärschlämmen langfristig
Maßnahmen zur Rückgewinnung des Phosphates zu unterstützen, wenn
dies zum Zweck einer wirtschaftlichen Sicherung des essentiellen Pflan-
zennährstoffs Phosphat notwendig erscheint;

11. bei weiterführenden Regelungen zur Verwertung von Klärschlamm ange-
messene Maßnahmen zu ergreifen, die den Eintrag von Schadstoffen in
den Nährstoffkreislauf und damit in das Abwassersystem vermindern.
Dazu gehören neben den bekannten Schwermetallen weitere Substanzen,
wie Arzneimittelrückstände oder langlebige organische Schadstoffe;

Drucksache 15/5590 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
12. in Anbetracht der sorgfältigen Schadstoffkontrollen in Deutschland die Er-
gebnisse der Klärschlammuntersuchungen als Rückschluss für die Erken-
nung von Belastungsquellen zu nutzen, anstatt den Klärschlamm als nicht
zu vermeidendes Abfallprodukt grundsätzlich zu beseitigen. Vielmehr gilt
es, die Schadstoffe an der Quelle zu eliminieren und den Klärschlamm als
wertvolle Nährstoffquelle in einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft zu
verstehen;

13. bei weiterführenden Regelungen zur Verwertung von Klärschlamm sicher-
zustellen, dass bei einer Verschärfung von Schadstoffgrenzwerten und der
Aufnahme neuer Schadstoffe in den bestehenden Grenzwertekatalog dies
ggf. dem aktuellen Erkenntnisstand entsprechend geschieht, wobei beson-
ders organische Schadstoffe und Pharmaka zunehmend in den Blickpunkt
rücken.

Berlin, den 31. Mai 2005
Angelika Brunkhorst
Dr. Christel Happach-Kasan
Birgit Homburger
Hans-Michael Goldmann
Michael Kauch
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Jürgen Türk
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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