BT-Drucksache 15/5584

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes

Vom 1. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5584
15. Wahlperiode 01. 06. 2005

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, Daniel Bahr
(Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Jörg van
Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Michael Kauch,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes

A. Problem
Das StZG verbietet die Einfuhr und Verwendung von embryonalen Stamm-
zellen, die nach dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Wegen der dadurch
beschränkten Anzahl an nutzbaren Stammzellen, ist die Stammzellforschung in
Deutschland stark eingeschränkt.
Momentan können sich Wissenschaftler, die sich an im Ausland durchgeführten
Forschungsarbeiten mit dort bereits bestehenden Stammzellen beteiligen, nach
§ 13 des Stammzellgesetzes (StZG) strafbar machen, wenn die Voraussetzungen
des § 9 Abs. 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) vorliegen.

B. Lösung
Durch die Abschaffung des Stichtages, des 1. Januar 2002, wird es den For-
schern ermöglicht, auch Stammzellen einzuführen, die erst nach diesem Datum
gewonnen wurden. Die Möglichkeiten für die deutsche Stammzellforschung
werden somit auf eine zukunftsfähige Basis gestellt. Indem man durch die Ein-
führung des § 13 Abs. 3 StZG die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 2 Satz 2 des
Strafgesetzbuchs (StGB) auf die Strafbarkeit nach § 13 Abs. 1 und Abs. 2 StZG
ausschließt, entfällt die Strafbarkeit der Forscher, wenn sie sich an im Ausland
durchgeführten Forschungsarbeiten an dort bereits bestehenden Stammzellen
beteiligen.

C. Alternativen
Die einzige Alternative zur Abschaffung des Stichtages ist es, zuzulassen, dass
auch in Deutschland embryonale Stammzellen gewonnen werden. Zur Einfüh-
rung des neuen § 13 Abs. 3 StZG gibt es die Alternative, den § 9 Abs. 2 Satz 2
StGB abzuschaffen.

D. Kosten
Zusätzliche Kosten fallen durch die Änderungen nicht an.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5584

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderungen des Stammzellgesetzes

Das Stammzellgesetz vom 28. Juni 2002 (BGBl. I
S. 2277), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. November
2003 (BGBl. I S. 2304), wird wie folgt geändert:
1. In § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a wird die Angabe „vor

dem 1. Januar 2002“ gestrichen.
2. Dem § 13 wird folgender neue Absatz 3 angefügt:

„(3) § 9 Abs. 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs findet auf
die Strafbarkeit nach den Absätzen 1 und 2 keine Anwen-
dung.“

3. Nach § 15 wird folgender neue § 15a eingefügt:
„Dieses Gesetz wird fünf Jahre nach seiner Änderung

einer parlamentarischen Überprüfung unterzogen. Sollte
die wissenschaftliche Entwicklung soweit gekommen
sein, dass die Forschung an körpereigenen adulten
Stammzellen oder an anderen Zellarten als gleichwertig
im Hinblick auf die in § 5 genannten Forschungsziele
erscheinen und deshalb auf die Forschung an embryo-
nalen Stammzellen verzichtet werden kann, so sind die
Änderungen zurückzunehmen.“

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt sechs Monate nach seiner Verkündung
in Kraft.

Berlin, den 1. Juni 2005

Ulrike Flach
Cornelia Pieper
Hellmut Königshaus
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 15/5584 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Begründung

Zu Artikel 1
Zu Nummer 1
Der Stichtag – bisher der 1. Januar 2002 – wird gestrichen.
Eingeführt wurde er mit der Begründung, nur so könne
gewährleistet werden, dass die Tötung von Embryonen zur
Stammzellgewinnung zum Zwecke des Imports nach
Deutschland vermieden wird. Es ist zutreffend, dass es
dadurch nicht mehr zu einer legalen Veranlassung eines
Verbrauchs weiterer Embryonen zur Stammzellgewinnung
kommen kann. Allerdings ist es fraglich, ob dies vom
Schutzzweck des StZG gefordert wird. In § 1 Nr. 2 StZG
wird als Zweck festgeschrieben, dass es vermieden werden
soll, dass von Deutschland aus eine Gewinnung embryonaler
Stammzellen oder eine Erzeugung von Embryonen zur Ge-
winnung embryonaler Stammzellen veranlasst wird. Dass es
jedoch zu einer Veranlassung kommen kann, wird bereits
durch die Formulierung „zu vermeiden“ in Kauf genommen.
Die Veranlassung wird bereits durch die Vorgaben des § 4
Abs. 2 und 3 StZG auch ohne Stichtag beschränkt. Würde
man den Stichtag beibehalten, so würde eine Veranlassung
nicht nur vermieden werden, vielmehr wäre sie unmöglich.
Hätte man das gewollt, so hätte man dies im Gesetzeszweck
auch so erklären müssen.
Darüber hinaus ist nicht einzusehen, dass übrig gebliebene
Embryonen, Embryonen also, die eigentlich zumZwecke der
Herstellung der Schwangerschaft erzeugt wurden, dann aber
aus Gründen, die nicht im Embryo selbst liegen, nicht ver-
wendet wurden, nicht für die Gewinnung von Stammzellen
verwendet werden können. In diesem Fall wird vorgegeben,
die Ethik fordere, diese bis zu ihrem Absterben einzufrieren,
anstatt sie für die Erforschung und Therapie schwerster
Krankheiten einzusetzenunddamit vielenkrankenMenschen
Linderung zu verschaffen. Die Entwicklungen der letzten
Jahre in der embryonalen Stammzellforschung, die bisher nur
außerhalb Deutschlands stattgefunden haben, zeigen, dass in
diesem Bereich die Aussichten auf neue Heilungsmethoden
für schwerste Erkrankungen, wie beispielsweise Multiple
Sklerose oder Herzinfarkt, am größten sind. Die Ausschöp-
fung derHeilungsmöglichkeiten solcherKrankheiten,wie sie
durch die embryonale Stammzellforschung entwickelt wer-
den können, ist ein Gebot der Ethik.
Ein Stichtag ist auch nur eine Lösung der Doppelmoral:
eigentlich will man keine Embryonen töten, aber die getöte-
ten werden benutzt. Dem Schutz der Embryonen wird bereits
durch die Vorgaben des § 4 Abs. 2 und 3 StZG ausreichend
Rechnung getragen. Auch angesichts der neuesten For-
schungsentwicklungen ist es für Deutschland unerlässlich,
wenigstens die rigide Einfuhrpolitik hinsichtlich embryona-
ler Stammzellen zu lockern. Es würde wieder nur der Dop-
pelmoral Vorschub leisten, wenn alle Staaten forschen dürf-
ten und sich die Bundesrepublik Deutschland dann die
gewonnenen Ergebnisse zu Nutze machte, aber gleichzeitig

mit dem moralischen Zeigefinger auf diese Staaten zeigte.
Die Einführung des Stichtages hätte daher nie erfolgen
dürfen; die Abschaffung des Stichtages in § 4 Abs. 2 Nr. 1
Buchstabe a StZG ist somit schon längst überfällig.
Zu Nummer 2
§ 9 Abs. 2 Satz 2 StGB findet auf § 13 Abs. 1 und 2 StZG
keine Anwendung.
Durch die Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes
(ESchG) in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Satz 2 StGB ist
sichergestellt, dass die von Deutschland ausgehende Beteili-
gung an der Gewinnung von embryonalen Stammzellen und
dem damit verbundenen Verbrauch von Embryonen im Aus-
land strafbar ist. Dieser Schutz bleibt in vollem Umfang be-
stehen. Die Teilnahme an der Gewinnung von menschlichen
embryonalen Stammzellen und dem damit verbundenen Ver-
brauch von Embryonen im Ausland ist jedoch nicht gleich-
zusetzen mit der Teilnahme an im Ausland durchgeführten
Forschungsarbeiten mit dort bereits bestehenden Stammzel-
len. Die Strafbestimmungen der Absätze 1 und 2 dürfen in
Verbindung mit § 9 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht mehr dazu füh-
ren, dass die internationale Zusammenarbeit im Bereich der
Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen ge-
nerell gefährdet wird. Deutsche Wissenschaftler könnten
sich in allen Fällen strafbar machen, in denen sie sich von
Deutschland aus in irgendeiner Form an Forschungsarbeiten
beteiligen, bei denen die Forscher im Ausland mit mensch-
lichen embryonalen Stammzellen forschen, die nach den
Vorschriften dieses Gesetzes nicht eingeführt und verwendet
werden dürfen. Eine solche Regelung ginge über den mit
dem StZG verfolgten Schutzzweck hinaus und würde die
Forschungsfreiheit unverhältnismäßig einschränken. Dass
§ 9 Abs. 2 Satz 2 StGB überhaupt im Hinblick auf § 13 StZG
zur Anwendung kommt, wird zwar durch renommierte
Rechtswissenschaftler bestritten; das machte die Einfügung
des § 13 Abs. 3 StZG überflüssig. Um jedoch abschliessend
Klarheit nicht zuletzt für die betroffenen Wissenschaftler zu
haben, ist die Einfügung des § 13 Abs. 3 StZG trotzdem
nötig.
Dadurch soll es deutschen Forschern wenigstens ermöglicht
werden, an internationalen Forschungskooperationen teilzu-
nehmen, ohne sich strafbar zu machen.
Zu Nummer 3
Die zeitliche Befristung des Gesetzes stellt eine erneute par-
lamentarische Befassung nach fünf Jahren sicher, nach deren
Ablauf überprüft wird, ob der dann geltende Stand der
Medizin und Wissenschaft z. B. die alleinige Forschung an
adulten Stammzellen rechtfertigt, die Forschung an embryo-
nalen Stammzellen daher obsolet wird und die Erlaubnis zur
Forschung daran widerrufen werden sollte.

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