BT-Drucksache 15/5583

Chancen der weißen Biotechnologie nutzen

Vom 1. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5583
15. Wahlperiode 01. 06. 2005

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, Daniel
Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Joachim Günther (Plauen), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Andreas Pinkwart,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Dr. Dieter Thomae,
Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Chancen der weißen Biotechnologie nutzen

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Im Bereich der Bio- und Gentechnologie sind in den letzten Jahren vor allem
die Anwendungen in der Medizin („Rote Gentechnik“) und in der Pflanzen-
züchtung („Grüne Gentechnik“) vor einer breiten Öffentlichkeit intensiv disku-
tiert worden.
Die weiße Biotechnologie kann einen eigenständigen Beitrag zur Bewältigung
grundlegender Herausforderungen an eine Industriegesellschaft leisten. Ihr
stark branchenübergreifender Charakter hat in den letzten Jahren die Vorausset-
zungen für den Einsatz biotechnologischer Verfahren in der industriellen Pro-
duktion verbessert.
Standen bislang in der „weißen Biotechnologie“ so genannte end-of-pipe-
technologies (Abbau von Umweltbelastungen in Boden, Luft und Wasser) der
Umwelttechnik im Vordergrund, so gilt die Aufmerksamkeit heute biotechno-
logischen Verfahren der Chemie.
Ein herausragendes Beispiel stellt die Herstellung von Vitamin B2 dar, was frü-her in einem komplizierten mehrstufigen Verfahren, bei hohen CO2-Emissionenund einem hohen Abfallaufkommen, gewonnen wurde. Heute gewinnt man das
Vitamin B2 kostengünstig in einem einstufigen Fermentationsverfahren ausPflanzenöl und Sojamehl.
Die Biotechnologie greift auch in den Bereich der modernen Textilveredlung
und Textilreinigung ein, indem z. B. bei der Aufbereitung von Baumwolle an
Stelle von Alkalilösungen heute Enzyme zur Faserreinigung eingesetzt werden.
Der Einsatz von Enzymen in Waschprozessen führt so zu einer Reduzierung
des Energieverbrauchs, weil Textilien bei erheblich geringerer Waschtempera-
tur gewaschen werden können, und zur Reinhaltung der Gewässer.
Neue Werkzeuge – wie Screening-Methoden, Proteomics, Bioinformatik – sind
oder werden immer besser verfügbar. Mit ihnen können maßgeschneiderte Bio-

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katalysatoren (Enzyme) und Mikroorganismen entwickelt werden, welche die
Produktionsverfahren kostengünstiger gestalten oder neue Produktionsverfah-
ren ermöglichen.
So hat sich die weiße Biotechnologie in einigen Segmenten bereits führende
Marktpositionen erobern können. Das Weltmarktvolumen wichtiger Produkt-
gruppen wie z. B. Aminosäuren, Antibiotika und Enzyme wird auf ca. 55 Mrd.
Euro geschätzt.
Europa und insbesondere auch Deutschland haben in der weißen Biotechnolo-
gie weltweit eine führende Position eingenommen. Diese gilt es zu festigen und
konsequent weiter auszubauen.
Sowohl große europäische Industrieunternehmen als auch klein- und mittel-
ständisch geprägte Unternehmen der chemischen Industrie – hier auch der Kos-
metikindustrie –, der Lebensmittel- und der Umwelttechnik gehen diesen Weg.
Jedoch werden biotechnologische Verfahren noch lang nicht von allen Bran-
chen als Chance verstanden und in ihrer Prozessplanung ausreichend berück-
sichtigt. Sie werden häufig erst dann einbezogen, wenn Schwierigkeiten bei der
Durchführung einzelner, meist chemischer, Reaktionsschritte im Gesamtpro-
zess auftreten.
Die traditionell starke deutsche Chemieindustrie muss ihren Platz gegen neue
Wettbewerber, insbesondere aus Asien, verteidigen. Gerade im Bereich Chemie
bieten biotechnologische Innovationen Chancen für neue Produkte und die
Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.
Förderpolitisch fällt Europa aber stark hinter die USA zurück. Eine explizite
Förderung der Weißen Biotechnologie im noch laufenden 6. EU-Forschungsrah-
menprogramm gibt es nicht.
Deutsche Wissenschaftler hatten in den letzten Jahren großen Anteil an der Ent-
wicklung neuer biotechnologischer Verfahren, z. B. der Biokatalyse oder der
Fermentation.
Erfolgreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in der weißen Biotechno-
logie können wegen der hohen Komplexität der Einzeldisziplinen nur im For-
schungsverbund durchgeführt werden. Daher ist die Integration von Biologen,
Chemikern, Ingenieuren, Informations- und Umweltwissenschaftlern in die Bio-
wissenschaften ein unbedingtes Erfordernis.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l die Bio- und Gentechnologie in der ganzen Breiten ihrer Anwendungsmög-

lichkeiten als Zukunftstechnologie zu akzeptieren und nicht einzelne Be-
reich gegeneinander auszuspielen;

l eine langfristige Strategie für die Entwicklung der weißen Biotechnologie
vorzulegen („Roadmap Weiße Biotechnologie“), die sich von der Rohstoff-
lage in einem globalisierten Wirtschaftsumfeld über die Identifizierung der
Akteure im wirtschaftlichen und akademischen Bereich bis hin zur Analyse
der Absatzmärkte und der damit verbundenen Förderstrategie erstreckt;

l sich dafür einzusetzen, im Bereich der thematischen Priorität „Biotechnolo-
gie“ im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm auch die weiße Biotechnologie
angemessen zu berücksichtigen;

l innerhalb der Europäischen Union darauf hinzuwirken, dass die Bestimmun-
gen über die Zulassungen von neuen Produkten nach der EU-Verordnung
zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von gentechnisch veränderten
Lebens- und Futtermitteln (1829/2003/EG und 1830/2003/EG) sowie das
europäische Chemikalienrecht vereinfacht und liberalisiert werden;

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l die Unterstützung von Förderprojekten der weißen Biotechnologie bei
der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von
Guericke“ (AiF) fortzuführen. Hier werden z. B. Projekte zur Mess-, Steuer-
und Regeltechnik oder der Produktion biotechnischer Produkte gefördert;

l die interdisziplinäre Grundlagenforschung zu stärken und die Vernetzung
und Bildung von Forschungsverbünden auf dem Gebiet der weißen Biotech-
nologie zu fördern;

l das Förderkonzept GenoMik auch nach dem Auslaufen der 2. Phase im Jahr
2006 weiterzuführen und wenn möglich zu erweitern.

Berlin, den 31. Mai 2005
Ulrike Flach
Cornelia Pieper
Hellmut Königshaus
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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