BT-Drucksache 15/5140

Forschung und Entwicklung für innovative Energieübertragungstechnologien voranbringen

Vom 15. März 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5140
15. Wahlperiode 16. 03. 2005

Antrag
der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Cornelia Pieper, Birgit Homburger,
Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz
Guttmacher, Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Andreas Pinkwart,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Forschung und Entwicklung für innovative Energieübertragungstechnologien
voranbringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Nach dem Willen der Bundesregierung soll der Anteil der erneuerbaren Ener-
gien an der Bruttostromerzeugung von gegenwärtig rd. 10 Prozent bis zum Jahr
2010 auf 12,5 Prozent und bis 2020 auf mindestens 20 Prozent gesteigert wer-
den. Langfristig, d. h. bis Mitte dieses Jahrhunderts soll mindestens die Hälfte
der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.
Dabei setzt die Bundesregierung besonders auf den Bereich der Stromerzeu-
gung aus Windenergie. Gegenwärtig sind in Deutschland landgestützte Wind-
kraftanlagen mit einer Leistung von mehr als 16 000 MW installiert, die in
2004 etwa 25 Mrd. kWh Strom erzeugt haben. Da geeignete Standorte für einen
weiteren Ausbau der Windenergie an Land kaum mehr zur Verfügung stehen,
sollen künftig insbesondere Potenziale zur Seewindnutzung erschlossen wer-
den. Die Bundesregierung hält es nach eigenem Bekunden für realistisch, dass
entsprechende Anlagenparks bis etwa 2025/2030 eine Leistung von 20 000 bis
25 000 Megawatt erbringen.
Die Bundesregierung begründet die Förderung erneuerbarer Energien – ohne
weitere Differenzierung insbesondere hinsichtlich der Grundlastfähigkeit des
erzeugten Stroms – mit einem von fossilen Energieträgern unabhängigem Bei-
trag zur Energieversorgung sowie mit einer Verringerung klimaschädlicher
Emissionen bei der Energiegewinnung.
Eine aktuelle Studie der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) zur Reali-
sierbarkeit und den Kosten eines weiteren Ausbaus der Windenergienutzung
lässt dazu jedoch erhebliche Probleme erkennbar werden. Diese betreffen so-

Drucksache 15/5140 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

wohl die Nutzen- als auch die Kostenseite erneuerbarer Energien, insbesondere
der Windenergie.
– Mit Blick auf die Nutzenseite ist – der dena-Studie folgend – zu gewärtigen,

dass der Kapazitätseffekt der Windkraftanlagen in Deutschland bis zum Jahr
2015 aufgrund von Schwankungen in der Windenergieleistung je nach äuße-
ren Wetterbedingungen und Änderungen in der Normallast nur rd. 6 Prozent
erreichen wird. Mit anderen Worten: 94 Prozent aller Windkraftanlagen
müssen aufgrund von Windschwankungen durch konventionelle Kraftwerke
abgesichert werden. Der Beitrag der Windenergie zum Klimaschutz und zu
einer nachhaltigen Energieversorgung ist also eng begrenzt.

– Diesem eng begrenzten Nutzen stehen erhebliche Kosten gegenüber. So be-
ziffert die dena-Studie die Kosten der Vermeidung einer Tonne CO2 mitHilfe der Windenergienutzung für 2007 auf bis zu 168 Euro und selbst für
das Jahr 2015 noch auf bis zu 77 Euro. Nutzt man demgegenüber die moder-
nen Kyoto-Instrumente zur Vermeidung von Treibhausgasen, kostet die
Vermeidung derselben Menge CO2 gegenwärtig rd. 10 Euro. Zu den hohenKosten der Windenergienutzung tragen maßgeblich die Aufwendungen zur
Integration des Stroms aus erneuerbaren Energien in das Verbundnetz bei.
Der dena-Studie folgend sind bis zum Jahr 2015 rd. 400 Kilometer des vor-
handenen Hochleistungsnetzes zu verstärken und rd. 850 Kilometer neu zu
errichten, was zu voraussichtlichen Kosten von rd. 1,1 Mrd. Euro führen
wird. Die für den Netzausbau in der Nordsee ab 2020 absehbaren
Anschlusskosten werden von der dena-Studie – unter jeweils unterschied-
lichen Annahmen – auf 11 bis 12 Mrd. Euro taxiert.

Die FDP-Bundestagsfraktion hat das in Deutschland geltende Gesetz zur För-
derung erneuerbarer Energien stets kritisiert. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz
(EEG) folgt einem grundsätzlich fehlgehenden Ansatz, weil es sich um eine un-
gerechtfertigte Vorgabe von Techniken und Preisen durch den Staat handelt.
Außerdem ist die einseitige Festlegung auf eine Netzeinspeisung des gewonne-
nen Stroms kostspielig und kontraproduktiv. Die FDP-Bundestagsfraktion hat
wiederholt darauf hingewiesen, dass die Förderung erneuerbarer Energien nicht
einseitig auf die Netzeinspeisung des aus regenerativen Trägern gewonnenen
Stroms abstellen darf. Stattdessen gilt es, verstärkt die Möglichkeit zu nutzen,
die regenerativ gewonnene Energie unter Nutzung und Weiterentwicklung
geeigneter Energiespeichertechniken zu konservieren. In diesem Sinne viel ver-
sprechende Perspektiven eröffnet die Wasserstofftechnologie, die weiterent-
wickelt und in der Anwendung vorangebracht werden muss (siehe insbesondere
Anträge der FDP-Bundestagsfraktion „Energiespeicherforschung vorantreiben –
Höchsttechnologien für die Speichertechnik entwickeln“, Bundestagsdrucksache
15/1605 v. 24. September 2003 und „Exportinitiative für Erneuerbare Energien
verantwortlich und sachgerecht gestalten“ Bundestagsdrucksache 15/4845
v. 16. Februar 2005).
Mit Blick auf die geltende Rechtslage (vor allem EEG, Energiewirtschaftsge-
setz und Planungsrecht) und die dadurch hervorgerufene Situation sind die ein-
gangs skizzierten Sachverhalte und Probleme jedoch zur Kenntnis zu nehmen
und verlangen besondere Aufmerksamkeit für den Bereich der Übertragungs-
technik. Zugehörige Probleme betreffen dabei sowohl den landgestützten
Bereich als auch die Seewindnutzung. Letztere würde zu einer sehr starken
Konzentration von Windenergieleistungen im norddeutschen Raum führen. Die
Nachfrage nach Seewindstrom ist dort aber eher als gering einzuschätzen. Die
Pläne der Bundesregierung führen in der Konsequenz dazu, dass künftig große
Energiemengen in andere Nachfrageregionen weitergeleitet werden müssen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5140

Generell stellt die Windenergieerzeugung auf See, geprägt von starken tages-
und jahreszeitlichen Schwankungen, hohe Anforderungen an ein elektrisches
Verbundnetz. Dessen Aufgabe ist es, unterschiedliche Stromerzeugungs- und
Verbrauchscharakteristiken zu synchronisieren.
Die Verantwortung für das sichere und zuverlässige Funktionieren des Ver-
bundsystems tragen die Übertragungsnetzbetreiber. Sie gleichen planbare aber
auch unerwartete Lastschwankungen, Kraftwerksausfälle und Engpässe im
Übertragungsnetz innerhalb ihrer Regelzonen aus. Darüber hinaus müssen Re-
serven für Systemdienstleistungen vorgehalten werden, um den Stromkunden
eine hohe Versorgungsqualität u. a. hinsichtlich der Frequenz- und Spannungs-
haltung zu bieten.
Die durch die Pläne der Bundesregierung erforderlich werdenden Netzerweite-
rungen und Anpassungen setzen Entscheidungen über kapitalintensive Investi-
tionen voraus, deren Wirkungen sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken. Eine
verlässliche energiewirtschaftliche Planungsgrundlage und die Verständigung
zwischen den beteiligten Akteuren ist eine der Grundvoraussetzungen für opti-
male Lösungen.
Für eine Integration der Windenergie auf See in das Verbundnetz sind Ausbau-
maßnahmen im Hochspannungsübertragungsnetz notwendig, die durch eine
Verstärkung vorhandener Stromtrassen, den Bau neuer Hochspannungstrassen,
den Bau von Querreglern zur gezielten Steuerung der Lastflüsse und den Bau
von Anlagen zur Bereitstellung von Blindleistung gekennzeichnet ist.
Schon heute kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass künftig die
Energieübertragung vorrangig durch Freileitungstrassen erfolgt. Die Flächenin-
anspruchnahme der Freileitungstrassen ist enorm und wird von der betroffenen
Bevölkerung nicht mehr akzeptiert. Belange des Landschafts- und Naturschut-
zes kommen bei Entscheidungen zum Neubau von Trassen hinzu. Daher ist
bereits heute davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren neuartige Energie-
übertragungstechnologien zum Einsatz kommen müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– im Rahmen eines zu erarbeitenden 5. Energieforschungsprogramms jene

Forschungen und Entwicklungen für innovative Energieübertragungstech-
nologien zu fördern, die
– für hohe Übertragungsleistungen geeignet sind,
– im Vergleich zur Freileitung wesentlich niedrigere Übertragungsverluste

aufweisen,
– über lange Strecken auch für die Erdverlegung bzw. die Verlegung im

Seeboden geeignet sind,
– Freileitungen an Stellen sinnvoll ergänzen bzw. ersetzen können, wo

diese nicht gebaut werden können,
– in Verkehrstunnel integriert werden können,
– in ihrer Umgebung sehr niedrige elektromagnetische Felder aufweisen

und
– zugleich den hohen Anforderungen eines Landschafts- und Naturschut-

zes Rechnung tragen,
– ökonomisch fundierte Wirtschaftlichkeitsstudien zu unterschiedlichen Ener-

gieübertragungssystemen zu fördern, die alle relevanten Kosten (einschließ-
lich externer Kosten) über den gesamten Lebenszyklus der betreffenden
Anlagen einbeziehen und

Drucksache 15/5140 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
– die Förderung erneuerbarer Energien in ein umfassendes energie- und kli-
mapolitisches Gesamtkonzept einzubinden und dazu unter anderem die Wei-
terentwicklung der Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnologie sowie der
Aufbau einer geeigneten Versorgungsinfrastruktur für Wasserstoff voranzu-
treiben, um den Erneuerbaren Energien eine langfristige, wirtschaftlich trag-
fähige Perspektive zu geben.

Berlin, den 11. März 2005
Angelika Brunkhorst
Cornelia Pieper
Birgit Homburger
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.