BT-Drucksache 15/5124

Keine Re-Zentralisierung der Deutschen Bahn - Kurs der Bahnreform beibehalten

Vom 17. März 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5124
15. Wahlperiode 17. 03. 2005

Antrag
derAbgeordnetenHorst Friedrich (Bayreuth), JoachimGünther (Plauen), Eberhard
Otto (Godern), Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto
Fricke, Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Harald Leibrecht, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-
Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Keine Re-Zentralisierung der Deutschen Bahn – Kurs der Bahnreform beibehalten

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
den Plänen des Vorstands der Deutsche Bahn AG zum „Umbau der Konzern-
strukturen“ nicht zuzustimmen und dafür Sorge zu tragen, dass die organisato-
rische Entwicklung des DB Konzerns innerhalb der Ziele und Strukturen ver-
bleibt, die durch die Bahnreform vorgegeben sind. Dies beinhaltet insbesondere:
1. Keine Re-Zentralisierung der operativen Unternehmenssteuerung beim Vor-

stand der Holding.
2. Einhaltung der durch die zweite Stufe der Bahnreform vorgegebenen Orga-

nisationsstruktur durch Wahrnehmung der operativen Aufgaben des Per-
sonennahverkehrs, des Personenfernverkehrs, des Güterverkehrs und der
Infrastruktur durch die Vorstände der dafür zuständigen und verantwortlichen
Aktiengesellschaften.

3. Konsequente Umsetzung der Vorgaben des neuen Allgemeinen Eisenbahnge-
setzes hinsichtlich der Unabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturbetreiber.

4. Keine Maßnahmen zur Verstärkung der vertikalen Integration von Netz und
Transport, bevor nicht über die zukünftige Struktur – nach Vorlage des
„Ergänzungsgutachtens“ (gemäß Beschluss des Deutschen Bundestags vom
7. Juni 2004) politisch entschieden worden ist.

Berlin, den 16. März 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 15/5124 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Begründung
Die wesentlichen konzeptionellenMerkmale der Bahnreform sind imGesetz zur
Neuordnung des Eisenbahnwesens vom27. Dezember 1993 niedergelegt. Dieses
„Artikelgesetz“ enthält inArtikel 2 dasGesetz über dieGründung einerDeutsche
Bahn Aktiengesellschaft (Deutsche Bahn Gründungsgesetz – DBGrG). Die or-
ganisatorische Entwicklung des DBKonzerns erfolgte tatsächlich bis Ende 1999
in einerWeise, die nicht nur demBuchstaben, sondern auch demSinn und Zweck
des DBGrG entsprach. Entsprechend § 2 Abs. 1 DBGrG wurde die DB AG
zunächst intern in die Bereiche für Personennahverkehr und Fernverkehr, Güter-
verkehr, Personenbahnhöfe und Fahrwege gegliedert. Entsprechend § 25
DBGrGwurde eine strenge organisatorische und rechnerische Trennung vonein-
ander eingeführt. Im Jahre 1999 folgte die zweite Stufe der Bahnreform. Dazu
wurden die genannten Bereiche auf fünf Aktiengesellschaften („Führungsgesell-
schaften“) ausgegliedert, wobei die DB AG als Dachgesellschaft des Konzerns
bestehen blieb.
Die genannten organisatorischenVorgabenwaren nachKonzept und Struktur der
Bahnreform keinesfalls beliebiger Art. Vielmehr zielte die zweite Stufe der
Bahnreform mit der rechtlichen Verständigung der „Führungsgesellschaften“
gleichermaßen auf Wettbewerb und Privatisierung der jeweiligen Teilgesell-
schaften des DB Konzerns. Die verselbständigten Verkehrsgesellschaften des
DB Konzerns sollten darauf vorbereitet werden, in einer Wettbewerbsbranche
Schienenverkehr ihren Platz zu finden.
Im Jahr 2000 stellte der – damals neue – Bahnvorstand folgende Analyse: „Die
Deutsche Bahn steht vor der größten Herausforderung in ihrer Geschichte. Das
komplexe Gebilde Deutsche Bahn muss von Grund auf neu gestaltet werden, um
Kapitalmarktreife zu erreichen … Die heutige Führungsstruktur ist bei weitem
zu komplex und verschachtelt, sie lässt keine effiziente Führung der Bahn aus
einem Guss zu.“ (Hartmut Mehdorn, Präsentation „Deutsche Bahn – Organisa-
tion“ Januar 2000). Seit Anfang 2000 wurde daraufhin unter dieser Losung „Die
Bahn aus einem Guss“ mit großem Aufwand eine „Weiterentwicklung der Füh-
rungsstrukturen“ durchgesetzt, mit denen die bis dahin klar und einfach geglie-
derte Konzernstruktur (die voll und ganz den Vorgaben der zweiten Stufe der
Bahnreform entsprach) aufgelöst wurde, wenn die Führungsgesellschaften auch
formal weiter bestanden. Alle relevanten Entscheidungskompetenzen wurden
auf die Ebene des Konzernvorstands und der „Unternehmensbereiche“ verlagert.
Diese „Unternehmensbereiche“ sind eine Einrichtung, die imKonzept der Bahn-
reform und dementsprechend in den einschlägigen Gesetzen nicht vorgesehen
sind.
Im Dezember 2004 hat der Vorstandsvorsitzende der DB AG nun einen erneuten
„Konzernumbau“ angekündigt. Die Ebene der Unternehmensbereichsführun-
gen, die erst im Jahr 2000 geschaffen wurden, soll nun abgeschafft werden mit
der gleichen Begründung, mit der sie der sie damals eingeführt wurde: „Durch
Wegfall gesellschaftsrechtlich ausgeprägter Unternehmensbereiche werden Ent-
scheidungen beschleunigt, da sich die Entscheidungswege verkürzen.“ (Erläute-
rungen zur Weiterentwicklung der Konzernstruktur der Deutsche Bahn AG,
S. 5). Gegen diese Korrektur wäre nichts einzuwenden, wenn nunmehr die rich-
tige, von der Bahnreformgesetzgebung vorgegebene Struktur implementiert
würde. DasGegenteil ist jedoch der Fall: Das Rad soll nochweiter zurückgedreht
werden. Der Bahnvorstand hat in einem im Dezember 2004 verbreiteten Mitar-
beiterrundschreiben dazu erklärt: „…wollenwirmit Personenverkehr, Transport
und Logistik sowie mit Infrastruktur drei Bereiche bilden, die künftig direkt von
den zuständigen Kollegen aus dem Holdingvorstand heraus gesteuert werden.“
Die direkte Steuerung aus dem Holdingvorstand heraus steht in klarem Wider-
spruch zur Konzeption der zweiten Stufe der Bahnreform, wonach die Vorstände
der zu bildenden Aktiengesellschaften die entsprechenden Bereiche führen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5124

Bei der Diskussion um den geplanten Konzernumbau geht es keineswegs um ein
vorrangig juristisch zu beurteilendes Thema, wie der Bahnvorstand unter Hin-
weis auf ein von ihm bestelltes Gutachten Glauben machen will. Es geht um den
strategischenGrundansatz der Bahnreform: diemarktnaheDezentralisierung der
vormaligen Bundesbahn, die Privatisierung der daraus entstandenen Transport-
gesellschaften und deren Integration in eine Wettbewerbslandschaft auf einem
mehrheitlich weiterhin bundeseigenen Schienennetz. Weil dieser strategische
Grundansatz vomVorstand der Deutschen Bahn permanent bestritten wird, muss
auf die gesetzlichen Grundlagen aufmerksam gemacht werden. Dies jedoch
nicht, um auf Rechtspositionen zu beharren, sondern um das Leugnen der strate-
gischen Marschrichtung der Bahnreform zu widerlegen. Schlimmer noch als ein
möglicher Rechtsverstoß ist der falsche Weg, der mit einer Re-Zentralisierung
eingeschlagen wird. Insgesamt steht nach zehn Jahren Bahnreform fest, dass die
Ziele bei weitem nicht erreicht wurden. Die Bundestagsanhörung in diesem Jahr
hat ergeben, dass dies vor allem auf das Steckenbleiben der Bahnreform zurück-
zuführen ist. Es ist erforderlich, den ursprünglichen Kurs wieder aufzunehmen,
statt die Bahnreform wieder zurückzudrehen.
Die direkte Führung der operativen Bereiche aus dem Holdingvorstand heraus
konterkariert auch die Intention des neuen Allgemeinen Eisenbahngesetzes, das
eine stärkere Unabhängigkeit der Infrastrukturbetreiber bezweckt. Die Europäi-
sche Kommission wird bei der Prüfung der Frage, ob das deutsche AEG in
rechtskonformer Weise die Vorgaben aus den Richtlinien 91/440, 2001/12 und
2001/14 umsetzt, besonders darauf richten, ob die geforderte Unabhängigkeit
nur auf dem Papier oder auch in der Realität existiert.
Der Bundesregierung obliegt es, im Rahmen ihrer Eigentümerfunktion auf eine
Beibehaltung der strategischen Grundausrichtung der Bahnreform zu achten. Es
gehört nicht zu den unternehmerischen Freiheiten der Deutsche Bahn AG, we-
sentliche Strukturentscheidungen der Bahnreform und der ausführendenGesetze
zu unterlaufen. Es handelt sich mitnichten um eine unternehmensinterne Frage,
sondern um eine für das gesamte Eisenbahnwesen in Deutschland richtungs-
gebende Entwicklung.

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