BT-Drucksache 15/5051

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -15/4832- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches

Vom 9. März 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5051
15. Wahlperiode 09. 03. 2005

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 15/4832 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes
und des Strafgesetzbuches

A. Problem
In den vergangenen Jahren ist eine kontinuierliche Zunahme rechtsextremisti-
scher Versammlungen zu verzeichnen, die sich in Themenwahl, Veranstaltungs-
ort und Ausgestaltung immer stärker an das Gepräge historischer Aufmärsche
des NS-Regimes angleichen, die nationalsozialistische Gewalt- und Willkür-
herrschaft verherrlichen oder verharmlosen und durch bewusste Provokationen
das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in unerträglicher Weise
missachten und das Gefühl der Bevölkerung, insbesondere der Nachkommen
der Opfer, hier in Frieden leben zu können, erschüttern.
Es soll insbesondere das Verbot von friedensgefährdenden Versammlungen an
Orten erleichtert werden, die an die Opfer organisierter menschenunwürdiger
Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft er-
innern.

B. Lösung
Der Gesetzentwurf konkretisiert die Möglichkeiten, gegen neonazistisch ausge-
richtete Versammlungen unter freiem Himmel vorzugehen. Er regelt zudem die
Strafbarkeit positiver Äußerungen über die nationalsozialistische Gewalt- und
Willkürherrschaft.
Annahme des Gesetzentwurfs in geänderter Fassung mit den Stimmen der
Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU/CSU gegen die
Stimmen der Fraktion der FDP

C. Alternativen
Keine

D. Finanzelle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Können nicht beziffert werden.

E. Sonstige Kosten
Keine

Drucksache 15/5051 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/4832 mit folgenden Maßgaben, im
Übrigen unverändert anzunehmen:
1. Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a wird wie folgt gefasst:

‚a) Nach Absatz 1 wird der folgende Absatz 2 eingefügt:
„(2) Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten

oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn
1. die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als

Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeu-
tung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der
nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und

2. nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren
Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den
Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist ein Ort nach
Satz 1 Nr. 1. Seine Abgrenzung ergibt sich aus der Anlage zu diesem
Gesetz. Andere Orte nach Satz 1 Nr. 1 und deren Abgrenzung werden
durch Landesgesetz bestimmt.“‘

2. Nach Artikel 1 Nr. 3 wird die folgende neue Nummer 4 angefügt:
‚4. Die Anlage zu § 15 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:

„Anlage (zu § 15 Abs. 2)
Die Abgrenzung des Ortes nach § 15 Abs. 2 Satz 2 (Denkmal für die

ermordeten Juden Europas) umfasst das Gebiet der Bundeshauptstadt
Berlin, das umgrenzt wird durch die Ebertstraße, zwischen der Straße In
den Ministergärten bzw. Lennéstraße und der Umfahrung Platz des
18. März, einschließlich des unbefestigten Grünflächenbereichs Ebert-
promenade und des Bereichs der unbefestigtenGrünfläche imBereich des
J.W.-von-Goethe-Denkmals, die Behrenstraße, zwischen Ebertstraße und
Wilhelmstraße, die Cora-Berliner-Straße, die Gertrud-Kolmar-Straße,
nördlich der Einmündung der Straße In den Ministergärten, die Hannah-
Arendt-Straße, einschließlich der Verlängerung zur Wilhelmstraße. Die
genannten Umgrenzungslinien sind einschließlich der Fahrbahnen,
Gehwege und aller sonstigen zum Betreten oder Befahren bestimmter
öffentlicher Flächen Bestandteil des Gebiets.“ ‘

3. Artikel 2 wird wie folgt gefasst:
‚Artikel 2

Änderung des Strafgesetzbuches
§ 130 des Strafgesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom

13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 Nr. 5 des
Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3007), geändert worden ist,
wird wie folgt geändert:
1. Nach Absatz 3 wird folgender neue Absatz 4 eingefügt:

„(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe wird be-
straft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden
in einer die Würde der Opfer verletzendenWeise dadurch stört, dass er die
nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht
oder rechtfertigt.“

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5051

2. Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5 und wie folgt geändert:
Die Angabe „Absatz 3“ wird durch die Angabe „den Absätzen 3 und 4“
ersetzt.

3. Der bisherige Absatz 5 wird Absatz 6 und wie folgt geändert:
Die Angabe „Absatz 4“ wird durch die Angabe „Absatz 5“ und die Anga-
be „des Absatzes 3“ durch die Angabe „der Absätze 3 und 4“ ersetzt.‘

Berlin, den 9. März 2005

Der Innenausschuss
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Vorsitzende

Sebastian Edathy
Berichterstatter

Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Berichterstatter

Silke Stokar von Neuforn
Berichterstatterin

Dr. Max Stadler
Berichterstatter

Drucksache 15/5051 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Sebastian Edathy, Erwin Marschewski
(Recklinghausen), Silke Stokar von Neuforn und Dr. Max Stadler

I. Zum Verfahren
1. Überweisung
Der Gesetzentwurf wurde in der 158. Sitzung des Deutschen
Bundestages am 18. Februar 2005 an den Innenausschuss
zur federführenden Beratung sowie an den Rechtsausschuss
zur Mitberatung überwiesen.
2. Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses
Der Rechtsausschuss hat in seiner 73. Sitzung am 9. März
2005 mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und CDU/CSU gegen die Stimmen der Frak-
tion der FDP empfohlen, den Gesetzentwurf unter Berück-
sichtigung des Änderungsantrags der Koalitionsfraktionen
auf Ausschussdrucksache 15(4)199 anzunehmen.
3. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im feder-

führenden Ausschuss
Der Innenausschuss hat die Gesetzentwürfe auf Bundes-
tagsdrucksachen 15/4832 und 15/4731 in seiner 55. Sitzung
am 23. Februar 2005 erörtert und beschlossen, eine öffent-
liche Anhörung zu diesen durchzuführen.
Die öffentliche Anhörung hat der Innenausschuss in seiner
56. Sitzung am 7. März 2005 durchgeführt.
An dieser Anhörung haben folgende Sachverständige teilge-
nommen:
Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Battis
Humboldt-Universität zu Berlin
Dr. Jürgen-Peter Graf
Richter am Bundesgerichtshof Karlsruhe
Prof. Dr. Wolfram Höfling, M. A.
Universität zu Köln
Prof. Dr. Dr. Kristian Kühl
Universität Tübingen
Armin Nack
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Karlsruhe
Prof. Dr. Ralf Poscher
Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. Ulli Rühl
Universität Bremen
Dr. Axel Schulz
Vorsitzender Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof
Kassel
Dr. Peter Seißer
Landrat des Landkreises Wunsiedel.
Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Pro-
tokoll der 56. Sitzung des Innenausschusses vom 7. März
2005 verwiesen (Protokoll 15/56).
Der Innenausschuss hat in seiner 57. Sitzung am 9. März
2005 die Vorlage abschließend beraten. Als Ergebnis der Be-
ratungen wurde der Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache
15/4832 in der Fassung des Änderungsantrags der Koali-
tionsfraktionen auf Ausschussdrucksache 15(4)199 mit den
Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und CDU/CSU gegen die Stimmen der Fraktion der FDP an-
genommen.
Mit dem gleichen Stimmenergebnis wurde zuvor der Ände-
rungsantrag der Koalitionsfraktionen auf Ausschussdruck-
sache 15(4)199 angenommen.

II. Zur Begründung
1. Die vom Innenausschuss auf Grundlage des Änderungs-

antrags der Koalitionsfraktionen auf Ausschussdruck-
sache 15(4)199 vorgenommenen Änderungen werden im
Wesentlichen wie folgt begründet:
Zu Nummer 1
Nach Nummer 1 kommen für ortsbezogene Einschrän-
kungen von Versammlungen nur Orte in Betracht, die als
Gedenkstätte von historisch herausragender, überregio-
naler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen
Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt-
und Willkürherrschaft erinnern. Ob eine Gedenkstätte
von „herausragender historischer Bedeutung“ ist, be-
stimmt sich unter anderem danach, ob sie im öffentlichen
Leben exemplarisch für einen bestimmten Verfolgungs-
komplex steht, oder ob sie über ein spezifisches, unver-
wechselbares Profil verfügt, das sich auf die Authentizi-
tät des Ortes gründet. Kriterien für eine „überregionale
Bedeutung“ der Gedenkstätte können das Ausmaß und
die Schwere der Menschenrechtsverletzungen, die dort
begangen worden sind oder derer dort gedacht wird, ihr
Bekanntheitsgrad und ihre inhaltliche Aussage sein. Als
Orte im Sinne der Vorschrift kommen danach insbeson-
dere ehemalige Konzentrationslager der nationalsozialis-
tischen Diktatur oder Orte von vergleichbarer Bedeutung
in Betracht.
Das Wort „insbesondere“ in Absatz 2 Satz 1 stellt klar,
dass auch an anderen Orten Versammlungen verboten
oder mit Auflagen eingeschränkt werden können, wenn
durch sie die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmit-
telbar gefährdet ist. Infolge der mit diesem Gesetz vorge-
nommenen Erweiterung des Straftatbestandes der Volks-
verhetzung ist die öffentliche Sicherheit insbesondere
auch dann gefährdet, wenn öffentlich oder in einer Ver-
sammlung der öffentliche Frieden in einer die Würde der
Opfer verletzenden Weise dadurch gestört wird, dass die
nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft ge-
billigt, verherrlicht oder gerechtfertigt wird (§ 130 Abs. 4
StGB).
Nummer 2 beschreibt, unter welchen Voraussetzungen an
den in Nummer 1 bestimmten Orten Versammlungen
verboten oder mit Auflagen beschränkt werden können.
Mit dem Zweck der Gedenkstätte gleichgerichtete Ver-

Drucksache 15/5051 – 5 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

sammlungen beinhalten von vornherein keine Beein-
trächtigung der Würde der Opfer.
Der Änderungsantrag bestimmt das Denkmal für die er-
mordeten Juden in Berlin als Ort im Sinne der Vorschrift.
Die Abgrenzung dieses Ortes wird in der Anlage zu die-
sem Gesetz festgelegt. Sie wird in der Weise vorgenom-
men, dass der Ort nicht nur die Fläche des Denkmals,
sondern auch die unmittelbare Nähe, d. h. die umliegen-
den (Straßen-)Flächen umfasst. Für die Festlegung wei-
terer Orte eröffnet der Änderungsantrag die Möglichkeit
einer landesgesetzlichen Regelung.
Zu Nummer 3
Die in Artikel 2 des Gesetzentwurfs vorgesehene Umset-
zung von Vorgaben aus Artikel 6 Abs. 1 des Zusatzproto-
kolls zum Übereinkommen über Computerkriminalität
mittels Computersystemen begangener Handlungen ras-
sistischer und fremdenfeindlicher Art in innerstaatliches
Recht wird zurückgestellt, da der luxemburgische EU-
Vorsitz die Beratungen zu dem Entwurf eines EU-Rah-
menbeschlusses zur Bekämpfung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit wieder aufgenommen hat. Dieser
Entwurf beinhaltet Strafbestimmungen, die von der Ziel-
setzung her den Strafbestimmungen entsprechen, die das
Erste Zusatzprotokoll zum Cybercrime-Übereinkommen
enthält, welches mit der geplanten Änderung von § 130
Abs. 3 StGB umgesetzt werden sollte. Die Umsetzung
des Ersten Zusatzprotokolls soll zurückgestellt werden,
bis das Beratungsergebnis zu dem EU-Rahmenbeschluss
vorliegt, der dann gleichzeitig mit dem Ersten Zusatzpro-
tokoll umgesetzt werden sollte.
Nach § 130 Abs. 4 StGB (neu) macht sich strafbar, wer
den öffentlichen Frieden dadurch stört, dass er die natio-
nalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt,
verherrlicht oder rechtfertigt. Dabei ist Voraussetzung,
dass die Friedensstörung in einer die Würde der Opfer
des Nationalsozialismus verletzenden Weise geschieht.
Diese Qualifizierung verdeutlicht, dass nur eine Hand-
lung tatbestandsmäßig ist, die den Achtungsanspruch der
Opfer der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft angreift.
Geschütztes Rechtsgut ist zunächst der öffentliche Frie-
de. Der Tatbestand ist als Erfolgsdelikt formuliert. Das
bedeutet, dass eine abstrakte Gefährdung des öffentlichen
Friedens noch nicht ausreicht, vielmehr muss eine kon-
krete Störung des öffentlichen Friedens vorliegen. Ob
eine Störung des öffentlichen Friedens eingetreten ist,
muss jeweils nach den Umständen des Einzelfalles beur-
teilt werden.
Die Tathandlungen müssen in einer die Würde der Opfer
verletzendenWeise begangen werden. Dabei wird man in
der Regel davon ausgehen können, dass das Billigen,
Verherrlichen oder Rechtfertigen der die NS-Gewalt- und
Willkürherrschaft kennzeichnenden Menschenrechtsver-
letzungen den Achtungsanspruch sowie die Menschen-
würde der Opfer verletzt.
Der Begriff des Billigens wird bereits in § 130 Abs. 3
StGB in der geltenden Fassung und in § 140 Nr. 2 StGB
verwendet. Billigen ist grundsätzlich als Gutheißen von
unter der NS-Herrschaft begangenen Menschenrechts-
verletzungen zu verstehen. Die Billigung muss dabei

nicht in Form vorbehaltloser Zustimmung geäußert
werden. Es genügt, wenn etwa die schwerwiegenden Ver-
brechen, welche die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft
charakterisieren, als zwar bedauerlich, aber unvermeid-
bar hingestellt werden. Dabei muss sich der Täter nicht
auf eine konkrete Tat beziehen. Es reicht aus, wenn er
konkludent – etwa durch Werturteile über verantwort-
liche Personen – eine positive Einschätzung der unter der
NS-Herrschaft begangenenMenschenrechtsverletzungen
abgibt.
Der Begriff des Verherrlichens findet sich bereits in § 131
Abs. 1 StGB. Er erfasst daher das Berühmen der NS-Ge-
walt- undWillkürherrschaft als etwas Großartiges, Impo-
nierendes oder Heldenhaftes. Darunter ist nicht nur die
direkte Glorifizierung der Unrechtshandlungen der NS-
Gewalt- und Willkürherrschaft zu verstehen, sondern es
reicht aus, wenn das Dargestellte in einen positiven Be-
wertungszusammenhang gestellt wird oder in der Schil-
derung der Unrechtshandlungen und ihrer Verantwor-
tungsträger entsprechende positive Wertakzente gesetzt
werden. Dies kann sich zum Beispiel darin ausdrücken,
dass ein Verantwortungsträger oder eine Symbolfigur des
NS-Regimes angepriesen oder in besonderer Weise her-
vorgehoben wird.
Die Tathandlung des Rechtfertigens bezeichnet das Ver-
teidigen der die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft kenn-
zeichnenden Menschenrechtsverletzungen als notwendi-
ge Maßnahmen. Dies kann auch dadurch geschehen, dass
die Handlungsweise eines für die Menschenrechtsverlet-
zungen Verantwortlichen als richtig oder gerechtfertigt
dargestellt wird.
Die Nummern 2 und 3 in Artikel 2 betreffen Folgeände-
rungen.

2. Die Fraktionen SPD undBÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN
heben hervor, Ziel der Gesetzesänderung sei, den
Aktionsradius der Rechtsextremisten, die zunehmend
dreister auftreten würden, in verfassungsrechtlich zuläs-
siger Form zu beschränken. Aufgrund der Auswertung
der Sachverständigenanhörung sei eine erneute Über-
arbeitung des Gesetzentwurfs vorgenommen worden, die
sich im jetzigen Änderungsantrag 15(4)199 ausdrücke.
Die Anhörung insgesamt habe wertvolle Hinweise zu
verfassungs- und versammlungsrechtlichen Rahmenbe-
dingungen gegeben und auch zu dem erfreulichen Ergeb-
nis beigetragen, dass sich nun eine breite parlamentarische
Mehrheit abzeichne.
Für ortsbezogene Einschränkungen von Versammlungen
kämen nach dem Entwurf nur Orte in Betracht, die von
historisch herausragender und überregionaler Bedeutung
seien. Durch den Bundesgesetzgeber werde das Denkmal
für die ermordeten Juden Europas bestimmt, weitere Orte
durch die Landesparlamente. Hierauf habe man sich ge-
einigt, um eine Kompetenzstreitigkeit vor dem Bundes-
verfassungsgericht zu vermeiden. Man gehe davon aus,
dass die jeweiligen Landesgesetzgeber ihrer Verantwor-
tung hierbei gerecht würden. Dem Anliegen der Fraktion
der CDU/CSU, den befriedeten Bezirk auf das Branden-
burger Tor auszudehnen, könne man sich nicht anschlie-
ßen. Dies helfe nicht weiter, da außerhalb der Sitzungs-
zeiten des Parlaments keine Funktionsbeeinträchtigung
zu befürchten sei. Zudem hätten in der Vergangenheit um

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 6 – Drucksache 15/5051

das Brandenburger Tor herum zahlreiche Veranstaltun-
gen und Demonstrationen stattgefunden, ohne dass die
Arbeit des Parlaments beeinträchtigt worden wäre. Abge-
ordnete hätten etwaige Umwege zwischen Büro und Par-
lamentsgebäude in Kauf zu nehmen.
Der neue § 130 Abs. 4 StGB sei – entgegen der ursprüng-
lich diskutierten Version – als Erfolgsdelikt ausgestaltet
worden. Der öffentliche Friede müsse durch die Billi-
gung, Verherrlichung oder Rechtfertigung nationalsozia-
listischer Gewalt- und Willkürherrschaft in einer die
Würde der Opfer verletzenden Weise tatsächlich gestört
werden. Man wolle sich nicht dem Vorwurf aussetzen,
Gesinnungsstrafrecht zu betreiben. Eine Patentlösung für
die Hess-Aufmärsche in Wunsiedel gebe es zwar nicht,
der neu gefasste Strafrechtstatbestand könne aber eine
Handhabe für eine erleichterte Untersagung darstellen.
Die Fraktion der CDU/CSU teilt die Zielsetzungen der
beabsichtigten Gesetzesänderungen. Zwar sei das eigent-
liche Ziel erst erreicht, wenn man die Menschen über-
zeugt habe, dass Rechtsradikalismus falsch sei. Man
halte den jetzigen Vorschlag aber für praktikabel und
rechtmäßig. Er werde auch der Brokdorf-Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts gerecht. Auch für die
Problematik in Wunsiedel biete der Entwurf in der jetzi-
gen Fassung eine verbesserte Handhabe, selbst wenn es
sich nicht um einen Königsweg handele. Allerdings sei
unklar, warum im Koalitionsentwurf zum neuen § 130
Abs. 4 StGB nur auf die Würde der Opfer, nicht auch auf
die Würde der Lebenden abgestellt werden solle. Ange-
sichts der Tatsache, dass sich viele Bürger in ihrer Würde
verletzt fühlten, wenn sie rechtsextremistische Aufmär-
sche durch das Brandenburger Tor sehen müssten, halte
man auch dessen Einbeziehung in die Bannmeile weiter-
hin für geboten und verfassungsrechtlich zulässig. Für

viele Parlamentarier, die ihre Büros und Sitzungsräume
in der Straße Unter den Linden Nr. 71 und Nr. 50 hätten,
stelle der Weg durch das Brandenburger Tor den kürzes-
ten Weg zu den Parlamentsgebäuden dar. Wenn das
sowjetische Ehrenmal in den befriedeten Bezirk einbe-
zogen worden sei und dies rechtmäßig ist, dann gelte dies
erst recht für das Brandenburger Tor. Außerdem verweise
die Fraktion der CDU/CSU auf ihren ebenfalls im Innen-
ausschuss ausführlich erörterten Gesetzentwurf zu
befriedeten Bezirken auf Bundestagsdrucksache 15/4731
einschließlich des Änderungsantrags auf Ausschuss-
drucksache 15(4)200, der zur federführenden Behand-
lung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung überwiesen wurde.
Die Fraktion der FDP betont, dass sie das Ziel des
Gesetzentwurfs, den Rechtsradikalismus zu bekämpfen,
nachdrücklich unterstütze. Die vorgesehenen Gesetzes-
änderungen seien aber überflüssig, weshalb man diese
ablehne. Bereits nach geltendem Recht sei es möglich,
Demonstrationen am Denkmal für die ermordeten Juden
Europas, die die Würde der Opfer verletzten, zu verbie-
ten. Da der Koalitionsvorschlag für ein Verbot die Be-
jahung der im Tatbestand genannten Voraussetzungen
verlange, stelle er keine nennenswerte Erleichterung dar,
da eine Subsumtion nicht entbehrlich werde. Demonstra-
tionen von Rechtsextremisten zu allgemeinen Themen
seien damit nicht zu verhindern und auch ein Lösungsbei-
trag für eine Vermeidung der Hess-Aufmärsche in Wun-
siedel sei in den jetzigen Anträgen nicht zu erkennen.
Was das Brandenburger Tor angehe, so werde dessen
Umgebung für zahlreiche Veranstaltungen genutzt, so
dass nicht zu begründen sei, warum plötzlich durch
Versammlungen an diesem Ort die Arbeitsfähigkeit des
Parlaments behindert sein sollte.

Berlin, den 9. März 2005
Sebastian Edathy
Berichterstatter

Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Berichterstatter

Silke Stokar von Neuforn
Berichterstatterin

Dr. Max Stadler
Berichterstatter

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