BT-Drucksache 15/4947

Weitere Monopolisierung im Schienengüterverkehr stoppen

Vom 23. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4947
15. Wahlperiode 23. 02. 2005

Antrag
der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Eberhard Otto (Godern),
Joachim Günther (Plauen), Gudrun Kopp, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike
Flach, Otto Fricke, Rainer Funke, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Dirk Niebel, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und
der Fraktion der FDP

Weitere Monopolisierung im Schienengüterverkehr stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
In ganz Europa ist seit Jahren die Expansion staatlicher und halbstaatlicher
Unternehmen, die mit öffentlichen Geldern bzw. Einnahmen aus Monopol-
stellungen ausgestattet sind, festzustellen. Dies betrifft insbesondere Bahn- und
Postkonzerne. Die Tendenz zur Herausbildung von „Staatskonzernen“ oder
auch „nationalen Champions“ ist besonders in Deutschland, Frankreich und
den Beneluxländern festzustellen. Namentlich im Bahnbereich ist in den letzten
Jahren eine durch Zukäufe bedingte Expansion der Deutschen Bahn, der belgi-
schen Eisenbahn SNCB mit ihrer Tochter ABX-Logistik, der französischen
Staatsbahn SNCF mit ihren Töchtern Sernam, Geodis und Calberson zu beob-
achten. Im Postbereich trifft dies für die Expansion der Deutschen Post World
Net mit ihren Filialen DHL und Danzas, der Post Francaise sowie der nieder-
ländischen TNT Post Group zu.
Diese Expansion führt zu einem Verlust von diversifizierten logistischen
Dienstleistungen, der Zerstörung von privatwirtschaftlich aufgebauten Trans-
portnetzen und der Abdrängung des Mittelstands in Subunternehmertum. Im
Ergebnis wird die Liberalisierung der Transportmärkte konterkariert durch eine
Stärkung der Ex-Monopole von Bahn und Post.
Im Bereich des Schienengüterverkehrs ist beim deutschen Staatskonzern Deut-
sche Bahn AG mit seinen Tochtergesellschaften Stinnes AG und Railion AG
eine ausgeprägte Expansionspolitik festzustellen. Dies steht zunächst in einem
auffälligen Widerspruch zu der Tatsache, dass das angestammte Geschäft des
Schienengüterverkehrs der Deutschen Bahn AG nach wie vor ein Sanierungs-
fall ist. Gewinne werden lediglich in den zugekauften Bereichen, wie der
Stinnes AG, erzielt. Vor der Übernahme durch die Deutsche Bahn AG war die
Stinnes AG ein börsennotierter Konzern. Heute befindet er sich in mittel-
barem Bundeseigentum und wurde damit quasi „verstaatlicht“. Die Deutsche

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Bahn AG hat im Schienengüterbereich nicht nur die niederländische und die
dänische Güterverkehrssparte der dortigen Staatsbahnen übernommen. Sie hat
sich in letzter Zeit europaweit für Beteiligungen auch an kleineren Bahnen und
Privatbahnen interessiert. Im Januar dieses Jahres erfolgte die Übernahme des
Gladbecker Eisenbahnunternehmens RAG-Bahn und Häfen durch die Deutsche
Bahn AG. Für die Übernahme hatte sich auch ein Konsortium aus den polni-
schen Staatsbahnen PKP Cargo, der Spedition Rhenus und der in Essen ansässi-
gen privaten Eisenbahngesellschaft Rail-4-Chem interessiert. Den Zuschlag hat
jedoch die Deutsche Bahn AG erhalten. Hintergrund war unter anderem, dass
die Ausschreibung des Verkaufs direkt auf die Deutsche Bahn AG zugeschnit-
ten war. Gefordert war in der Ausschreibung u. a., rund 2 500 Güterwagen der
Gattung Fal zu stellen was de facto nur der Deutschen Bahn AG möglich war.
Der Vorstandsvorsitzende der RAG Aktiengesellschaft, Ex-Bundeswirtschafts-
minister Werner Müller, ist gleichzeitig Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen
Bahn AG. Der Erwerb der RAG durch die Deutsche Bahn AG ist ein poten-
tieller Wettbewerber im Schienengüterverkehr für die Deutsche Bahn AG ver-
schwunden. Die RAG-Bahn hatte sich u. a. als Traktionär für den IKEA-Zug
zwischen Elmhult und Duisburg einen guten Namen gemacht. Seit der Über-
nahme der RAG-Bahn durch die Deutsche Bahn AG ist im Bereich Kohlen-
transports auf der Schiene in Deutschland eine marktbeherrschende Stellung
entstanden. Zur Debatte steht ferner eine Übernahme oder eine strategische
Partnerschaft zwischen der Deutschen Bahn AG und Kölner Eisenbahn HGK.
Das Interesse der Deutschen Bahn AG zielt in diesem Fall offenbar darauf, dass
bisherige Engagement der Schweizerischen SBB Cargo in Deutschland zu
unterbinden.
Eine weitere Monopolisierung droht nun auf dem Marksegment der Mietkes-
selwagen zu entstehen. Die TUI AG plant sich im Laufe des Jahres 2005 voll-
ständig von ihrer 100 Prozent Tochter VTG AG zu trennen. Eine Ausschrei-
bung ist europaweit erfolgt. Die Deutsche Bahn AG ist als Bieter in die engere
Wahl gekommen. Diese Beteiligungskonstellation ist schon deswegen pikant,
weil der Vorstandsvorsitzende der TUI AG, Michael Frenzel, gleichzeitig Auf-
sichtsratvorsitzender der Deutschen Bahn AG ist. Durch den Erwerb der
VTG AG würde die Deutsche Bahn AG nicht nur die Kontrolle über den Miet-
kesselwagenmarkt erhalten, sondern auch im Übrigen ihre marktbeherrschende
Stellung im deutschen Schienengüterverkehr ausbauen. Von besonderer Bri-
sanz ist insofern die Tatsache, dass die VTG AG einen Anteil von 25 Prozent
an der im Güterverkehr tätigen Privatbahn Rail-4-Chem Eisenbahnverkehrsge-
sellschaft mbH, einem der weniger relevanten Wettbewerber der Deutschen
Bahn AG, hält. Im Bereich der Miet-Kesselwagen besitzt die VTG AG heute
eine marktbeherrschende Stellung, da sie über 35 000 der in Gesamteuropa ver-
fügbaren rund 100 000 Mietkesselwagen verfügt. Die Verstärkung der schon
jetzt gegebenen marktbeherrschenden Stellung der DB AG auf dem Eisenbahn-
transportmarkt würde nach einem Erwerb der VTG AG gleichermaßen dadurch
verstärkt, dass die DB AG entweder die VTG AG vollständig in ihrem Konzern
integriert und nicht mehr als selbständigen Anbieter auf dem Markt auftreten
lässt oder aber als zwar eigenen Anbieter von Mietkesselwagen platziert, der
jedoch von der DB AG vollständig kontrolliert würde.
Eine besonders schwerwiegende Wettbewerbsverzerrung könnte nach der
Integration von VTG AG dadurch entstehen, dass der DB AG ein wirkungs-
volles Instrument zur Verfügung stünde, die Marge ihrer Wettbewerber auf dem
Schienengüterverkehr zu drücken. Dieser Effekt könnte nach der VTG in den
konsolidierten DB-Konzern dadurch entstehen, dass die DB AG-kontrollierte
VTG den Preis für die Vermietung von Kesselwagen erhöht, wodurch sich für
die verladende Industrie der Gesamttransportpreis (Kesselwagen+Traktion) er-
höht, sofern nicht die Eisenbahnverkehrsunternehmen ihre ihre Marge für die
reine Transportleistung senken. Treten die privaten Wettbewerber der Deut-

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schen Bahn AG in den Preiswettbewerb ein, verringert sich also ihre Marge;
treten sie nicht in den Preiswettbewerb ein, verlieren ihre Wettbewerbsfähig-
keit. Gleichzeitig würde der DB Gesamtkonzern wegen der gestiegenen Miet-
einnahmen für Kesselwagen, der den auch bei Railion in diese Situation eintre-
tenden Margenverlust ausgleichen würde, insgesamt keinen Einnahmeverlust
erleiden. Es entstünde also im Marktsegment Kesselwagen eine vergleichbare
Situation wie sie schon heute im Bereich der Infrastruktur. Auch hier ist es
möglich, dass Wettbewerber im Schienengüterverkehr aus dem Markt gedrängt
werden, in dem die Trassenpreise für alle (also auch für die DB Railion AG) er-
höht werden. Die erhöhten Trassenpreise bedeuten zwar für die DB Railion AG
eine Ausgabe, gleichzeitig jedoch für die DB Netz AG eine Einnahme. Im Kon-
zernergebnis ändert sich also nichts. Ganz anders ist die Situation für die priva-
ten Wettbewerber: sie müssen höhere Trassenpreise bezahlen, ohne gleichzeitig
an anderer Stelle höhere Einnahmen zu bekommen. Die gestiegenen Kosten
können sie an die Kunden nicht weitergeben, da dort eine scharfe Konkurrenz-
situation zu DB Railion AG besteht.
Durch den Erwerb der VTG AG würde aus diesen Gründen eine fast voll-
ständige Monopolisierung der deutschen Eisenbahntransportmärkte resultieren.
Die DB AG wäre in der Lage, der verladenden Industrie integrierte Produkte
aus Kesselwagen und Traktion anzubieten bei günstigeren Preisen als bei der
getrennten Inanspruchnahme. Es würde ferner die Gefahr drohen, dass die
Kapazitäten an Kesselwagen reduziert und damit Wettbewerbern wie der Firma
Rail-4-Chem GmbH die Anmietung von Kesselwagen mit dem Hinweis auf
Engpässe verweigert wird. Gleichzeitig würde die DB AG Information aus der
Anmietung der Kesselwagen durch Dritte über das Marktgeschehen erhalten.

Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung
auf,
1. bei der Prüfung der fusionskontrollrechtlichen Zulässigkeit einer solchen

Übernahme das klare ordnungspolitische Interesse zum Ausdruck zu brin-
gen, die Anbietervielfalt im Schienengüterverkehr insgesamt und im Markt-
segment der Miet-Kesselwagen zu erhalten und zu steigern;

2. in der weiteren Ausrichtung der deutschen Verkehrspolitik darauf zu achten,
die Rolle der privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen und des privatwirt-
schaftlich geprägten Speditionsgewerbes stärker zu achten;

3. auf ein striktes Verbot der Verwendung von Monopoleinnahmen und staat-
lichen Kapitalzufuhren für den Aufkauf privater Betriebe durch bundes-
eigene Unternehmen zu achten;

4. eine strikte Einhaltung des europarechtlich verankerten Verbots von Quer-
subventionierungen innerhalb integrierter Eisenbahnunternehmen zu über-
wachen.

Berlin, den 23. Februar 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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