BT-Drucksache 15/4946

Für die mandatsgebundene Begleitung VN-mandatierter Friedensmissionen durch Menschenrechtsbeobachter

Vom 23. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4946
15. Wahlperiode 23. 02. 2005

Antrag
der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen),
Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Für die mandatsgebundene Begleitung VN-mandatierter Friedensmissionen
durch Menschenrechtsbeobachter

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Zahl und die Bedeutung der durch die Vereinten Nationen beschlossenen
Friedensmissionen nehmen stetig zu. Zudem ist abzusehen, dass der fortschrei-
tende Wandel der Natur der Konflikte vom klassischen zwischenstaatlichen
Konflikt hin zu Konflikten innerhalb von Staaten oder sich auflösenden Staaten
in Zukunft verstärkt Missionen erforderlich machen wird, in denen Friedens-
truppen mit einem robusten Mandat ausgestattet sind. Damit die Vereinten
Nationen und insbesondere der Weltsicherheitsrat ihre immer wichtiger wer-
dende Rolle als Hüter des Weltfriedens effektiv und glaubwürdig erfüllen und
sich dabei auch weiterhin auf weltweite Legitimität und Akzeptanz stützen kön-
nen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass bei derartigen von den Vereinten
Nationen autorisierten Maßnahmen die grundlegenden Menschenrechte und die
Prinzipien des humanitären Völkerrechts zwingend und vorbildlich eingehalten
werden. Gerade die jüngsten massiven Vorwürfe sexuellen Missbrauchs, die
gegenüber VN-Soldaten im Kongo (Kinshasa) erhoben werden, zeigen, wie
sehr die Glaubwürdigkeit von VN-Operationen von der sorgfältigen Beachtung
der Menschenrechte bei der Missionserfüllung abhängig ist. Dieses Erfordernis
gilt nicht nur für originäre VN-Friedensmissionen, sondern auch für robuste
Militäreinsätze, die wie beispielsweise in Somalia oder im ersten Golfkrieg
vom Weltsicherheitsrat auf einzelne Mitgliedstaaten übertragen wurden. Die
Verpflichtung der Vereinten Nationen zur Einhaltung und Förderung der Men-
schenrechte kann nicht dort enden, wo solche Maßnahmen auf die Mitglied-
staaten übertragen werden; auch und gerade hier müssen die Vereinten Nationen
sicherstellen, dass die Einhaltung der Menschenrechte umfassend und effektiv
gewährleistet wird.

Drucksache 15/4946 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Auch die im letzten Jahr bekannt gewordenen Vorfälle in den US-amerikanisch
bzw. britisch geführten Militärgefängnissen Abu Ghraib und Umm Qasr/Camp
Bucca im Irak und bei den britischen Truppenverbänden im irakischen Basra
haben weltweit Empörung und Befremden ausgelöst. Diese Vorfälle waren
Wasser auch auf die Mühlen derer, die den absoluten Geltungsanspruch der
Menschenrechte und die Legitimität der Vereinten Nationen bei deren Durch-
setzung in Frage stellen. Zwar wurde den Besatzungstruppen erst im Mai bzw.
Oktober 2003 ein eindeutiges Mandat durch den Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen erteilt, nach IKRK-Berichten fielen aber viele der Vorfälle auf einen
Zeitpunkt nach dieser Mandatierung oder dauerten darüber hinaus unverändert
an. Diese Ereignisse stellen einen Höhepunkt von menschenrechtlichen Ver-
fehlungen bei VN-mandatierten internationalen Militäreinsätzen dar. Berichtet
wird aber auch an anderer Stelle über Menschenrechtsverletzungen am Rande
von VN-Missionen, so beispielsweise über die erwähnten gravierenden Fehl-
tritte von VN-Soldaten im Kongo (Kinshasa), aber auch in Somalia oder über
die Förderung von Zwangsprostitution und Menschenhandel durch Mitglieder
der VN-Truppen im Kosovo.
Auch wenn diese Verfehlungen Einzelner den Vereinten Nationen als Organisa-
tion nicht zugerechnet werden können, fällt jeder Einzelfall doch stets auf die
Vereinten Nationen insgesamt zurück. Wichtige Errungenschaften und Leistun-
gen der Vereinten Nationen bei der Sicherung des Weltfriedens und der Verbes-
serung des Menschenrechtsschutzes werden durch solche Einzelfälle konter-
kariert. Die Glaubwürdigkeit und die Legitimität der VN als Hüter des Welt-
friedens stehen auf dem Spiel.
Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (HCHR) ist
die weltweit wichtigste Autorität des internationalen Menschenrechtsschutzes.
Dennoch gibt es in Fragen der internationalen Sicherheit und insbesondere bei
der Terrorismusbekämpfung bislang keine wirklich wirksame Zusammenarbeit
zwischen dem Sicherheitsrat und dem Hochkommissar für Menschenrechte.
Dies wird auch von Nichtregierungsorganisationen zu Recht immer wieder be-
mängelt.
Um in Zukunft im Rahmen von VN-Maßnahmen oder von den Vereinten Nati-
onen autorisierten Missionen Menschenrechtsverletzungen besser verhindern
bzw. einen angemessenen Umgang mit menschenrechtssensiblen Vorfällen ge-
währleisten zu können, muss die Zusammenarbeit zwischen dem Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen und dem Hochkommissar für Menschenrechte auf eine
neue Stufe gestellt werden. Die Kompetenz des Hochkommissars kann dabei
als Beratungsinstanz und Frühwarnsystem genutzt werden, um Verletzungen
der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechts bei der Durchführung
solcher Maßnahmen zu verhindern oder um gegebenenfalls frühestmöglich Ge-
genmaßnahmen einleiten zu können. Auf diese Weise können die Vereinten
Nationen ihre Glaubwürdigkeit, Legitimität und Akzeptanz bei der Verhinde-
rung und Beilegung von Konflikten stärken.
Wie sich insbesondere an den Vorfällen in den Gefängnissen im Irak gezeigt
hat, können die bereits heute bestehenden Kontrollmechanismen vor Ort oft nur
ungenügend oder verspätet durchgreifen. Die Hauptprobleme bestanden darin,
dass die maßgeblichen Informationen vor Ort nicht oder nur eingeschränkt
erfasst werden konnten und nur langsam und mühsam ihren Weg zu den ent-
scheidenden Stellen gefunden haben. An anderer Stelle, zum Beispiel bei den
Unruhen im letzten Jahr im Kosovo oder etwa beim Versagen der VN-Truppen
bei der Verhinderung des Völkermordes in Ruanda, hat sich herausgestellt, dass
die mandatsausführenden Stellen vor Ort nur ungenügend oder zu spät auf die
notwendigen Kenntnisse über ihre Befugnisse zugreifen konnten, um auf akute

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4946

Situationen schnell und mandats- bzw. menschenrechtskonform reagieren zu
können.
Diese Probleme können dadurch gelöst werden, dass den Friedensmissionen
der VN oder den vom Sicherheitsrat mit einer Vollmacht auf einzelne Mitglied-
staaten übertragenen Maßnahmen ein unabhängiger und fachkundiger Beob-
achter beigeordnet wird, der direkt dem Hochkommissar für Menschenrechte
unterstellt ist. Dieser Beobachter soll die Ausführung der Maßnahmen vor Ort
beobachten und über den Hochkommissar dem Generalsekretär oder dem
Sicherheitsrat direkt Bericht erstatten können. Durch die Einbindung eines sol-
chen Beobachters in die Maßnahmen vor Ort wird gewährleistet, dass wichtige
Informationen unabhängig und umfassend erhoben werden können und schnell
und direkt zu den entscheidenden Stellen im VN-System gelangen. Zudem soll
der Beobachter den mandatsausführenden Stellen vor Ort in beratender Funk-
tion zur Seite stehen und gegebenenfalls Empfehlungen abgeben, um so bereits
im Vorfeld Menschenrechtsverletzungen durch die VN- oder VN-mandatierten
Friedenstruppen verhindern zu können. Dabei soll der Beobachter die bereits
bestehenden Kontrollmechanismen der beteiligten Staaten, der Nichtregie-
rungsorganisationen oder auch des IKRK keines Falls ersetzen, sondern viel-
mehr eng mit diesen zusammenarbeiten und deren Arbeit ergänzen.
Auch wenn sich durch einen solchen Beobachter einzelne Verfehlungen nie
hundertprozentig verhindern lassen werden, kann und soll eine weitere wich-
tige Aufgabe des Beobachters darin bestehen, für solche Fälle Informationen
und Belege zu erfassen, die eine effektive und zügige Verfolgung durch natio-
nale oder internationale Gerichte sicherstellen. Auch und gerade diese umfas-
sende Verfolgung von gravierenden Menschenrechtsverletzungen im Rahmen
von VN- oder VN-mandatierten Maßnahmen stellt ein wichtiges Element der
Glaubwürdigkeit dar, auf die die Vereinten Nationen für ihre Aufgabe zur Er-
haltung des Weltfriedens zwingend angewiesen sind.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
1. im Kreise der EU-Partner und über die ständigen europäischen Mitglieder

im Weltsicherheitsrat darauf zu drängen, dass künftig in allen Beschlüssen
des Weltsicherheitsrates, durch die ein mit einer Handlungs- oder Entschei-
dungsbefugnis verbundenes Mandat zur Friedenserhaltung, -konsolidierung
oder -erzwingung erteilt wird, eine Klausel eingefügt wird, wonach dieses
Mandat obligatorisch durch einen direkt dem VN-Hochkommissar für Men-
schenrechte unterstellten Beobachter begleitet wird, der die Ausführung des
Mandats unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten vor Ort beobachtet,
über die Ausführung Bericht erstattet und den mandatsausführenden Stellen
beratend zur Seite steht;

2. darauf zu drängen, dass in dieser Klausel eine Bestimmung enthalten ist, die
die mandatsausführenden Stellen zur Zusammenarbeit mit und zur Gewähr-
leistung des Schutzes und der Sicherheit des Beobachters verpflichtet;

3. gemeinsam mit den europäischen Partnern in der 61. Sitzung der Menschen-
rechtskommission und in der nächsten Generalversammlung auf eine Reso-
lution hinzuwirken, die diese obligatorische Bestellung eines Beobachters
für VN-Mandate fordert und sich dafür einzusetzen, dass eine solche Bedin-
gung für VN-Mandate eine rechtliche Grundlage erhält;

Drucksache 15/4946 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
4. sicherzustellen und sich in den Vereinten Nationen dafür einzusetzen, dass
das Büro des VN-Hochkommissars für Menschenrechte personell und finan-
ziell in die Lage versetzt wird, solche Beobachtermissionen mit fachkundi-
gem und entsprechend geschultem Personal durchzuführen.

Berlin, den 22. Februar 2005
Rainer Funke
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Frick
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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