BT-Drucksache 15/4943

Rahmenbedingungen für die industrielle stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in Deutschland schaffen

Vom 23. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4943
15. Wahlperiode 23. 02. 2005

Antrag
der Abgeordneten Andrea Wicklein, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels,
Klaus Barthel (Starnberg), Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Ute Berg, Gerd Friedrich
Bollmann, Willi Brase, Ulla Burchardt, Martina Eickhoff, Dagmar Freitag,
Dieter Grasedieck, Wolfgang Grotthaus, Klaus Hagemann, Christel Humme,
Nicolette Kressl, Horst Kubatschka, Ute Kumpf, Lothar Mark, Gesine Multhaupt,
Dietmar Nietan, Dr. Carola Reimann, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Siegfried Scheffler, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Horst Schmidbauer (Nürnberg),
Heinz Schmitt (Landau), Carsten Schneider, Swen Schulz (Spandau),
Dr. Angelica Schwall-Düren, Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Franz Müntefering und
der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. Reinhard
Loske, Winfried Hermann, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Franziska
Eichstädt-Bohlig, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Michaele Hustedt, Undine Kurth
(Quedlinburg) Friedrich Ostendorff, Albert Schmidt (Ingolstadt), Ursula Sowa,
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rahmenbedingungen für die industrielle stoffliche Nutzung von
nachwachsenden Rohstoffen in Deutschland schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Fossile Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle werden immer knapper. Es
zeichnet sich ab, dass das Fördermaximum von Erdöl vermutlich schon in
diesem Jahrzehnt erreicht sein wird und die Weltmarktpreise für Rohöl weiter
steigen werden. Diese Verteuerungen bergen eine wirtschaftspolitische Brisanz.
Allein aus ökonomischen Erwägungen heraus ist der Schutz der knappen fossi-
len Ressourcen durch entsprechende politische Rahmensetzungen wichtig.
Weiterhin ist festzustellen, dass sich Deutschland verpflichtet hat, das Ziel der
Klimarahmenkonvention einzuhalten. Das bedeutet, dass Deutschland als Indus-
triestaat die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2010 um 21 Prozent gegen-
über 1990 senken muss.
Der Deutsche Bundestag hat im Energiebereich einen wichtigen Beitrag zum
nachhaltigen Klimaschutz, zur Förderung der mittelständischen Unternehmens-
landschaft und für zukunftsfähige Arbeitsplätze geleistet. Beispiele hierfür sind
die Mineralölsteuerbefreiung von Biokraftstoffen und die Förderungen der
energetischen Nutzung regenerativer Energien über das Erneuerbare Energien
Gesetz.
Wir haben den Weg eines sinnvollen ökologischen und ökonomischen Wirt-
schaftsumbaus beschritten, den wir auch künftig gehen wollen, um die Abhän-

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gigkeit von den endlichen Energieressourcen weiter zu verringern und den
nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.
Es ist dringend erforderlich, dass auch die industrielle stoffliche Nutzung nach-
wachsender Rohstoffe zunimmt. Der Blick in die Chronik der Kunststoffpro-
duktion zeigt, dass bis Mitte des 20. Jahrhunderts Kohle die Rohstoffbasis für
die chemische Industrie war. Mit der Umstellung auf Erdöl wurden und werden
inzwischen einfach zu handhabende und exakt definierte, chemisch reine
Grundstoffe in Raffinerien zur Herstellung von Kunststoffen erzeugt.
Wichtigster fossiler Grundstoff der chemischen Industrie ist Erdöl. Bei der Her-
stellung chemischer Produkte beträgt der Anteil nachwachsender Rohstoffe bis-
her nur 10 Prozent. Insgesamt benötigt die Chemische Industrie zur Herstellung
chemischer Produkte in Deutschland jährlich etwa 14 Mio. Tonnen Erdöl.
Die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe durch die chemische Indus-
trie und die verarbeitende Industrie erfordert völlig neue Ansätze in Forschung
und Entwicklung, Bildung und Lehre, Produktion, Vertrieb und Konsum. Lang-
fristig werden sich die biobasierten Industrien als volkswirtschaftliche Basisin-
dustrien etablieren. Deutschland selbst hat ein umfangreiches Potenzial in Wis-
senschaft und Wirtschaft, das die wissenschaftliche und technische Grundlage
für die Umstellung auf Biomasse ermöglichen würde.
Ziel muss es sein, die Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern und den Kreislauf
aus Umweltzerstörung und Verteilungskonflikten zu durchbrechen. Gleich-
zeitig trägt die Einführung von Bioraffinerien als neue Produktionsstätten für
chemische Grundstoffe dazu bei, dass in den ländlichen Gebieten Arbeitsplätze
erhalten und neue geschaffen werden sowie der Land- und Forstwirtschaft
Produktions- und Einkommensalternativen geboten werden.
Nicht zuletzt kann die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe zum Er-
halt der biologischen Vielfalt beitragen und die Kulturlandschaft bereichern,
insbesondere wenn entsprechende nachhaltige Anbaumethoden angewandt
werden. Für die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe durch Bioraffi-
nerie-Systeme kommt der Biotechnologie eine große Bedeutung zu. Mit Hilfe
von Bioraffineriesystemen und Bioraffinerien können nicht nur Ausgangsstoffe
für die chemische Industrie gewonnen werden, sie bieten auch die Möglichkeit
zur Erzeugung von Bioethanol als Treibstoff.
Die Nutzung von biologischen Materialien und Prozessen für technische Ver-
fahren oder zur industriellen Produktion kann dazu beitragen, den Rohstoff
Biomasse möglichst effizient zu nutzen. So lassen sich Ressourcen schonen
und die Umwelt entlasten. Gleichzeitig kann damit ein wichtiger Beitrag zur
Verringerung der Treibhausgasemissionen geleistet werden, denn nachwach-
sende Rohstoffe sind weitgehend CO2-neutral.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. neue Strategien zur Schaffung nachhaltiger Produkte aus nachwachsenden

Rohstoffen und deren stoffliche Nutzung in Deutschland zu erarbeiten. Dazu
müssen innovationsfördernde Rahmenbedingungen geschaffen werden, die
Investitionen auf dem Sektor der Biomassekonversion, der Biomassetechno-
logie und der Herstellung von biobasierten Produkten erleichtern;

2. sich innerhalb der Europäischen Union für einen gemeinsamen abgestimm-
ten Handlungsrahmen auf dem Gebiet der biologisch basierten Produkte ein-
zusetzen. Dies wäre eine notwendige Ergänzung zu den klaren europäischen
Zielsetzungen in den Bereichen Bioenergie und Biokraftstoffe;

3. am Memorandum „nachwachsende Rohstoffe“ der Länder Deutschland,
Österreich, Frankreich und Polen an den Rat der Europäischen Union festzu-
halten;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4943

4. unter Wahrung der Verhandlungsposition der Bundesregierung zur Agenda
2007 sich innerhalb der Europäischen Union im Rahmen des 7. EU-For-
schungs-Rahmenprogramms für die verstärkte industrielle stoffliche Nut-
zung nachwachsender Rohstoffe einzusetzen;

5. in Deutschland gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung
einen nationalen Fahrplan für die schrittweise Umstellung auf eine biologi-
sche Rohstoffbasis zu erarbeiten;

6. das Markteinführungsprogramm zur stofflichen Nutzung nachwachsender
Rohstoffe fortzuführen und über die Anwendungsmöglichkeiten von nach-
wachsenden Rohstoffen aufzuklären;

7. bestehende nationale Förderinstrumentarien und Forschungsprogramme
auf dem Gebiet der stofflichen Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen
stärker miteinander zu vernetzen und einen hohen Stellenwert einzuräu-
men;

8. die Zuständigkeit für die Grundlagenforschung der industriellen stofflichen
Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen eindeutig zu regeln und im Rah-
men der haushaltspolitischen Leitlinien die erforderlichen Mittel dafür vor-
zusehen, um neue Verfahren zur industriellen stofflichen Nutzung von
nachwachsenden Rohstoffen zu fördern;

9. die industrielle stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in die
Innovationsoffensive der Bundesregierung aufzunehmen;

10. dass bei der Forschungsförderung im Bereich der nachwachsenden Roh-
stoffe die Schwerpunkte auf Pflanzenzüchtung und nachhaltigen Anbau
sowie auf biotechnologische Aufschluss- und Verwertungsmethoden von
Pflanzenmaterial gelegt werden, um so nachwachsende Rohstoffe unter
Berücksichtigung von Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit nachhaltig zu
nutzen;

11. sich gemeinsam mit den Bundesländern dafür einzusetzen, dass Forschung
und Lehre an den deutschen Hochschulen künftig, soweit dies nicht schon
jetzt der Fall ist, auch die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe in
ihrer ganzen Breite zu berücksichtigen;

12. Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit zu fördern und bestehende Hemm-
nisse für Produkte auf Basis nachwachsender Rohstoffe abzubauen.

Insgesamt soll die Bundesregierung im Rahmen der Nationalen Nachhaltig-
keitsstrategie eine Konzeption für den verstärkten Einsatz nachwachsender
Rohstoffe erarbeiten und in diesem Zusammenhang
– die Potenziale nachwachsender Rohstoffe und ihre Chancen für eine zu-

kunftsgerichtete und auch ökonomisch vertretbare Nutzung darstellen,
– aussichtsreiche Einsatzbereiche definieren, bei denen die Vorzüge besonders

zur Geltung kommen,
– Prioritäten innerhalb einer umfassenden Grundlagenforschung festlegen und
– Vorschläge unterbreiten, wie eventuell weitere Hemmnisse für den Einsatz

nachwachsender Rohstoffe beseitigt werden können.

Berlin, den 23. Februar 2005
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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