BT-Drucksache 15/4774

Probleme des Steinkohlebergbaus in Deutschland, insbesondere am Niederrhein

Vom 26. Januar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4774
15. Wahlperiode 26. 01. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Otto Fricke, Gudrun Kopp, Gisela Piltz, Daniel Bahr (Münster),
Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga
Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Klaus
Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht,
Ina Lenke, Dirk Niebel, Detlef Parr, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der FDP

Probleme des Steinkohlebergbaus in Deutschland, insbesondere am Niederrhein

Die Diskussion um die Steinkohlesubventionen wird meist aus haushalterischer
Sicht geführt. Darüber hinaus sind aber auch umweltpolitische sowie wirt-
schafts- und arbeitsmarktpolitische Argumente anzuführen, die gegen die Fort-
setzung des Steinkohlebergbaus in Deutschland sprechen.
Der Steinkohlebergbau ist mit einer großen Hochwassergefahr verbunden. Ein-
zig in Deutschland gibt es Bergbau unter einem Strom wie dem Rhein. Im Falle
eines Hochwassers wären ganze Regionen betroffen wie z. B. der Niederrhein.
Die Hochwassergefahren, die vom Bergbau ausgehen, hebt auch das Umwelt-
bundesamt in seinem Jahresbericht 2003 (S. 18) hervor: „Insbesondere die Ab-
senkungen bei Gruben unterhalb des Rheins können zu bedrohlichen Situatio-
nen führen, sollten hier aufgrund eines Rheinhochwassers die mittlerweile tiefer
liegenden Rheinebenen flächenhaft überflutet werden, ohne dass die Wasser-
massen eine Ablaufmöglichkeit hätten.“
Betroffene Bürger, die in den Bergbauregionen leben, weisen auch immer wie-
der auf die vom Steinkohlebergbau ausgehenden Gefahren für die Umwelt hin.
Über Kohlewaschwasser, Grubenwässer und durchWaschbergehalden gelangen
Chloride und Schwermetalle in das Grundwasser und in Flüsse. Außerdem fal-
len beim Steinkohlebergbau die radioaktiven Elemente Radium und Radon an.
Flora und Fauna in Bergbaugebieten werden durch Abpumpmaßnahmen, Rück-
leitung von Gewässern, Trockenlegung und Vernässung geschädigt.
Die Eindämmung und Beseitigung von Umweltschäden, die durch den Stein-
kohlebergbau verursacht wurden, erzeugen wiederum hohe Kosten. Beispielhaft
seien hier die Folgen der Wasserhaltung erwähnt: Das Grundwasser muss durch
energieaufwendiges Pumpen niedrig gehalten werden und ebenso muss für die
Umlenkung von Fließrichtungen von Flüssen, Bächen und Kanälen ohne natür-
liches Gefälle immense Energie aufgebracht werden.
Auch aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Sicht ist die Subventionie-
rung des Steinkohlebergbaus nicht sinnvoll. Von 1980 bis 2001 reduzierte die
Deutsche Steinkohle AG (DSK) die Anzahl ihrer Beschäftigten von ca. 187 000
auf ca. 53 000, d. h. um 72 %. Die geförderte Kohlenmenge sank von 87 auf

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27 Mio. t/a. Von 2005 bis 2012 sollen nach dem Willen der aktuellen Bundes-
regierung die Förderung weiter von ca. 22 Mio. t/a auf 16 Mio. t/a und die An-
zahl der Beschäftigten von ca. 42 000 auf 20 000 zurückgeführt werden. Allein
der Bund stellt dafür wieder 15,9 Mrd. Euro bereit. Würde man diesen Förder-
betrag auf jeden einzelnen abgebauten Arbeitsplatz umrechnen, so ergäbe sich
ein Betrag von 720 000 Euro pro abgebautem Arbeitsplatz. In seinem Hinter-
grundpapier „Abbau der Steinkohlesubventionen – Ergebnisse von Modellrech-
nungen“ vom 3. Juli 2003 stellt das Umweltbundesamt fest, dass mit Einsatz der
entsprechendenMittel in anderen Bereichenmehr Arbeitsplätze geschaffen wer-
den könnten, als im Bergbau verloren gehen.
Die Steinkohlesubventionen sind nicht nur ein sehr ineffektives und ineffizien-
tes Förderinstrument, der Steinkohlebergbau ist darüber hinaus ein Hindernis für
zukunftsweisende Investitionen. Viele Unternehmen wandern aus Bergbaure-
gionen aus bergbauspezifischen Gründen ab oder siedeln sich dort erst gar nicht
an. Hierzu gehören z. B. Unternehmen, die erschütterungssensibel oder emp-
findlich gegenüber Schieflagen im Millimeterbereich sind wie die Druckindus-
trie und der Maschinenbau. Aber auch Gärtnereien unter Glasüberbau und
vollautomatisierte Betriebe wie z. B. Bäckereigroßbetriebe klagen über berg-
bauspezifische Standortnachteile.
Auch das Argument, dass sich Bergbautechnologie allein durch den Steinkohle-
bergbau in Deutschland aufrechterhalten und gewinnbringend exportiert werden
könne, ist nicht überzeugend. Die Umsätze der betreffenden Unternehmen sind
so gering, dass sich damit die hohe Subvention des Steinkohlebergbaus in
Deutschland nicht rechtfertigen lässt. Zudem bedingt die Weiterentwicklung
bergmännischer Abbaumaschinen nicht ihren Einsatz in Deutschland. Das be-
weisen zahlreiche deutsche Maschinenentwicklungen, die andere Branchen fast
zu 100 % ins Ausland exportieren (z. B. Textilmaschinenindustrie).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Steinkohlebergbau in den be-
troffenen Regionen große Umweltprobleme verursacht. Die Hochwassergefahr
birgt ein hohes Gefährdungspotential für die Bevölkerung. Aber auch aus wirt-
schafts- und arbeitsmarktpolitischer Sicht ist der Ausstieg aus dem Steinkohle-
bergbau so schnell wie möglich geboten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Menschen sind in Deutschland durch die vom Steinkohlebergbau

ausgehenden Hochwassergefahren bedroht?
2. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den volkswirtschaftlichen Schaden

bei einer Hochwasserkatastrophe in einer Bergbauregion wie dem Nieder-
rhein ein?

3. In welchen Konzentrationen gelangen Chloride und Schwermetalle durch
den Steinkohlebergbau in die in Bergbauregionen gelegenen Gewässer (z. B.
in den Rhein, die Fossa Eugeniana und die Mommbach-Niederung in Dins-
laken/Voerde)?
Überschreiten diese Konzentrationen die zulässigen Grenzwerte, und wenn
ja, welche Maßnahmen werden dagegen unternommen?

4. Welche dauerhaften Schäden wurden in Flora und Fauna durch bergbaube-
dingte Abpumpmaßnahmen, Rückleitung von Gewässern, Trockenlegung
und Vernässung seit Beginn der Steinkohlesubventionierung verursacht, wie
hoch sind die Kosten ihrer Beseitigung und wer trägt diese Kosten?

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5. In welchen Konzentrationen werden durch den Steinkohlebergbau die radio-
aktiven Stoffe Radium und Radon in die Umwelt abgegeben?
Überschreiten diese Konzentrationen die zulässigen Grenzwerte, und wenn
ja, welche Maßnahmen werden dagegen unternommen?

6. Wie hoch sind die durch bergbaubedingte Folgen der Wasserhaltung entste-
henden Kosten für die betroffenen Kommunen, Länder und den Bund?

7. Welche weiteren Folgekosten des Steinkohlebergbaus entstehen für die
betroffenen Kommunen, Länder und den Bund?

8. Wie kann es die Bundesregierung aus arbeitsmarktpolitischer Sicht ver-
antworten, den Steinkohlebergbau mit hohen Subventionen entgegen we-
sentlichen marktwirtschaftlichen Kriterien künstlich am Leben zu halten,
während – wie das Hintergrundpapier des Umweltbundesamtes „Abbau der
Steinkohlesubventionen – Ergebnisse von Modellrechnungen“ vom 3. Juli
2003 zeigt – in anderen Wirtschaftsbereichen weitaus mehr Arbeitsplätze
geschaffen werden könnten als durch den Ausstieg aus dem Steinkohleberg-
bau verloren gingen?

9. Wie viele Unternehmen wandern aus den Bergbauregionen Deutschlands
aus bergbauspezifischen Gründen ab oder siedeln sich dort nicht an wie
z. B. erschütterungssensible oder gegenüber Schieflagen im Millimeterbe-
reich empfindliche Betriebe der Druckindustrie und des Maschinenbaus?

10. Hält es die Bundesregierung im Vergleich mit anderen Berufsgruppen für
arbeitsmarktpolitisch sinnvoll, in der Steinkohleindustrie die Verrentung ab
einemAlter von 50 bzw. 55 Jahren mit öffentlichenMitteln zu unterstützen?

11. Wird die Bundesregierung einen festen Termin für die Einstellung der Sub-
ventionen für den Steinkohlebergbau festschreiben und einen Zeitplan für
den Ausstieg aus dem Bergbau vorlegen, damit die Politik auf lokaler Ebene
zukunftsweisend planen und entscheiden kann?

12. Wie steht die Bundesregierung zu der Auffassung, dass im Steinkohleberg-
bau das Prinzip der Nachhaltigkeit keine Anwendung findet, und wie kann
sie dies aus wirtschafts- und umweltpolitischer Sicht verantworten?

13. Hält die Bundesregierung eine Reformierung des Bundesberggesetzes
(BBergG) für sinnvoll, die dem Schutz der Bevölkerung in einer Weise
Rechnung trägt, wie dies etwa auch in anderen umweltrechtlichen Fachge-
setzen der Fall ist, und wenn ja, ist es vorgesehen, das Bundesberggesetz
(BBergG), z. B. § 55 Abs. 1 Nr. 9 BBergG, dahin gehend zu ändern, dass
einem Betriebsplan die Zulassung verweigert wird, wenn die Deckung der
Folgekosten nicht gesichert ist oder der Abbau unter Flussdeichen oder
Wohngebieten durchgeführt werden soll?

Berlin, den 26. Januar 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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