BT-Drucksache 15/4728

Organisationsverfügung des Bundeskanzlers zum Wechsel der Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom Innen- ins Kulturressort rückgängig machen

Vom 26. Januar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4728
15. Wahlperiode 26. 01. 2005

Antrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Ernst Burgbacher, Jürgen
Koppelin, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Rainer Funke, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Hans-Michael
Goldmann, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Dirk Niebel, Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Dr. Hermann Otto Solms, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Organisationsverfügung des Bundeskanzlers zum Wechsel der Beauftragten
für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik vom Innen- ins Kulturressort rückgängig machen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Gegen denWechsel der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicher-
heitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (fortan:
Stasi-Unterlagen-Behörde) vom Innen- ins Kulturressort auf Grund einer Orga-
nisationsverfügung des Bundeskanzlers bestehen erhebliche rechtliche Beden-
ken:
Die Maßnahme verstößt gegen § 35 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
(StUG). Danach ist die Stasi-Unterlagen-Behörde eine Bundesoberbehörde im
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Der Wortlaut des Gesetzes ist
eindeutig. Wer etwas anderes will, muss das Gesetz ändern.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Zuständigkeitsanpassungsgesetz
(ZustAnpG). Danach würde im Nachgang zu einer Organisationsverfügung des
Bundeskanzlers eine so genannte Zuständigkeitsanpassungsverordnung aus-
reichen. Das Zuständigkeitsanpassungsgesetz meint jedoch andere Fälle, z. B.
solche, in denen eine Behördenbezeichnung und eine Zuständigkeit für eine be-
stimmte Aufgabe geändert werden. Hier werden jedoch nicht Aufgaben einem
anderen Ressort übertragen. Hier geht es vielmehr um den Wechsel einer Be-
hörde von einem Ressort in ein anderes.
Auch hat § 35 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nicht bloß deklaratorischen
Charakter. In diesem Falle wäre eine Gesetzesänderung erst im Nachgang zur
Organisationsverfügung des Bundeskanzlers wohl noch vertretbar. Gegen die
Annahme eines bloß deklaratorischen Charakters spricht jedoch die Entste-
hungsgeschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Die Frage, in wessen Ge-
schäftsbereich die Stasi-Unterlagen-Behörde zu verankern sei, ist seinerzeit im
Innenausschuss ausführlich erörtert worden. In der Diskussion war neben einer
Anbindung an den Bundesminister des Innern eine Anbindung an den Deut-

Drucksache 15/4728 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
schen Bundestag selbst oder aber an den Bundesminister der Justiz. Die Frage
war dem Deutschen Bundestag so wichtig, dass er sich – anders als sonst üblich
– entschloss, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschäftsbereich gesetz-
lich zu regeln. Hierbei handelt es sich um eine gesetzgeberische Grundentschei-
dung, die nur vom Deutschen Bundestag durch Gesetz, nicht aber vom Bundes-
kanzler durch Organisationsverfügung geändert werden kann.
Ein anderes Ergebnis wäre auch aus systematischen Gründen nicht vertretbar
und letztlich wider den Geist des Gesetzes. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist
Ausdruck des unbedingten gesetzgeberischen Willens, die Aufarbeitung der
Stasi-Vergangenheit einer starken, unabhängigen und nicht zur Disposition der
Exekutive stehenden Behörde zu übertragen. Gewollt war vielmehr eine beson-
ders enge Beziehung zum Deutschen Bundestag. So ist die Bundesbeauftragte
für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen De-
mokratischen Republik vomDeutschen Bundestag zu wählen. Sie hat das Recht,
sich bei Beanstandungen an den Deutschen Bundestag zu wenden und ist diesem
gegenüber rechenschaftspflichtig. Mit diesen institutionellen Garantien wäre es
unvereinbar, wenn ausgerechnet die für die Unabhängigkeit der Behörde wich-
tige Frage, in welchem Geschäftsbereich sie angesiedelt ist, der Entscheidung
des Deutschen Bundestages entzogen wäre.
Die Entscheidung der Bundesregierung ist jedoch nicht nur rechtlich zu
beanstanden, sie ist auch politisch bedenklich und in ihren Begleitumständen
skandalös. Die Behördenleiterin wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Die
Berichterstatter im Innenausschuss und die Mitglieder im Beirat der Behörde
erfuhren vom Wechsel erst aus den Nachrichten. Stasi-Opfer wurden nicht ge-
hört. Darüber hinaus tauchte plötzlich ein Papier aus dem Kulturressort auf, wo-
nach die Stasi-Unterlagen-Behörde aufgeteilt werden solle. DenMitgliedern des
Innenausschusses des Deutschen Bundestages warf der Bundesminister des
Innern, Otto Schily, zudem Rechtsunkenntnis vor, ohne Bereitschaft erkennen
zu lassen, sich mit deren Argumenten auseinander zu setzen.
Möglicherweise sind die Gründe, die zu einer Verortung der Stasi-Unterlagen-
Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern geführt haben,
heute, gut 13 Jahr später, einer politischen Neubewertung zuzuführen. Auchmag
es sachliche Gründe geben, die für einenWechsel der Stasi-Unterlagen-Behörde
vom Innen- in das Kulturressort sprechen. Derartige Gesichtspunkte sind jedoch
in einem geordneten parlamentarischen Verfahren zu erörtern, an dessen Ende
eine Gesetzesänderung stehen kann. Sollte die Bundesregierung an ihrer Ab-
sicht, die Behörde in ein anderes Ressort zu überführen, festhalten wollen, mag
sie einen Gesetzentwurf mit Begründung vorlegen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
die Organisationsverfügung zum Wechsel der Stasi-Unterlagen-Behörde aus
dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern in den Geschäftsbereich
der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien unverzüglich
rückgängig zu machen.

Berlin, den 26. Januar 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.