BT-Drucksache 15/4695

DNA-Reihentest auf sichere Rechtsgrundlage stellen

Vom 20. Januar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4695
15. Wahlperiode 20. 01. 2005

Antrag
der Abgeordneten Jörg van Essen, Gisela Piltz, Rainer Funke, Dr. Max Stadler,
Sibylle Laurischk, Ernst Burgbacher, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
JoachimGünther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Christel Happach-Kasan,
Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Michael Kauch, Hellmut
Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Harald
Leibrecht, Ina Lenke, Markus Löning, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

DNA-Reihentests auf sichere Rechtsgrundlage stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Zur Aufklärung von schweren Verbrechen wird oftmals auf die Methode der
DNA-Reihenuntersuchung zurückgegriffen, wenn alle anderen Versuche zur
Ermittlung des Täters gescheitert sind. Dazu wird meist ein sog. geografisches
Täterprofil erstellt, um den Raum einzugrenzen, in dem sich der Täter aufhalten
könnte. Immer wieder ist es in spektakulären und medienwirksamen Fällen ge-
lungen, mit Hilfe des sog. genetischen Fingerabdrucks den Täter zu überführen.
In anderen Fällen werden jedoch reihenweise Speichelproben genommen, ohne
dass der Täter ermittelt werden kann. Bei diesen Maßnahmen, die ohne richter-
liche Anordnung erfolgen, werden Daten nicht gespeichert und auch nicht mit
der DNA-Datei des Bundeskriminalamtes abgeglichen.
Regelmäßig werden bei einem sog. Reihenscreening in großem Umfang auch
Daten Unschuldiger erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat 2000 festge-
stellt, dass erstens die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters in das vom
Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein-
greift und zweitens dieses Grundrecht nur im überwiegenden Interesse der All-
gemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein-
geschränkt werden darf (2 BvR 1741/99).
Eine spezifische Rechtsgrundlage für die Anordnung von DNA-Reihentests gibt
es in der Strafprozessordnung (StPO) nicht. Diese Rechtsauffassung hat die
Bundesregierung erst kürzlich bestätigt (Bundestagsdrucksache 15/3560 vom
5. Juli 2004). Danach seien die Strafverfolgungsbehörden befugt, gemäß den
§§ 161, 163 StPO Ermittlungen jeder Art vorzunehmen. Der Gesetzgeber hat bei
der molekulargenetischen Untersuchung gemäß § 81e StPO auf einen besonde-
ren Verdachtsgrad verzichtet, da er davon ausging, dass es auch zu Beginn eines
Strafverfahrens möglich sein muss, eine molekulargenetische Untersuchung
durchzuführen. Dementsprechend reicht ein bloßer Anfangsverdacht. Die Bun-

Drucksache 15/4695 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
desregierung vertritt daher die Auffassung, dass es vertretbar sei, DNA-Reihen-
tests auf der Basis einer freiwilligen Mitwirkung der davon betroffenen Perso-
nen durchzuführen. Dabei räumt die Bundesregierung ein, dass auch freiwillige
DNA-Reihentests nicht unerheblich in die Grundrechte der Betroffenen eingrei-
fen. Die Teilnahme an einem Reihentest ist formal freiwillig. Daher ist bislang
auch eine richterliche Anordnung entbehrlich. Die richterliche Anordnung ist
erst dann erforderlich, wenn ein Bürger trotz Weigerung zur Abgabe der Spei-
chelprobe gezwungen werden soll. Die Freiwilligkeit wird aber oft ausgehöhlt,
wenn jemand nicht an der Speichelprobe teilnehmen will. Auch die Bundesre-
gierung verkennt nicht, dass mit der Durchführung eines DNA-Reihentests in
der Praxis ein nicht unerheblicher Druck erzeugt werden kann, sich der Teil-
nahme an der Maßnahmen nicht zu entziehen (Bundestagsdrucksache 15/3560).
Es sind Fälle bekannt geworden, in denen Betroffene, die sich geweigert haben,
eine Speichelprobe abzugeben, von den zuständigen Staatsanwaltschaften als
Verdächtige bzw. als Beschuldigte ins Strafsachenregister eingetragen wurden.
DieWeigerung zur Abgabe einer Speichelprobe führte dabei zur Begründung ei-
nes vorher nicht vorhandenen Tatverdachts. Dadurch wird die Unschuldsvermu-
tung umgekehrt. Die von einem Reihenscreening Betroffenen müssen ihre Un-
schuld nachweisen. Faktisch wird dadurch ein Generalverdacht begründet. Das
Landgericht Regensburg hat 2003 in einem solchen Fall entschieden, dass
„keine Rechtsgrundlage“ für die überdies „unverhältnismäßige“ Entnahme von
Speichelproben gegen den Willen der Betroffenen vorgelegen habe; die Verwei-
gerung eines Gentests begründe keinen hinreichenden „Anfangsverdacht“. Der
Bundesgerichtshof hat in einemUrteil vom 21. Januar 2004 ausgeführt, dieWei-
gerung, bei einer Speichelprobe aktiv mitzuwirken dürfe grundsätzlich keine der
Verurteilung des Angeklagten dienende Beweisbedeutung beigemessen werden
(1 StR 364/03).
Die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat am 17. Juni 2004
beschlossen, den Strafrechtsausschuss mit der Prüfung einer ausdrücklichen ge-
setzlichen Grundlage für Reihengentests zu beauftragen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen, der eine
Rechtsgrundlage für DNA-Reihentests vorsieht. Der Gesetzentwurf soll insbe-
sondere folgenden Vorgaben entsprechen:
1. Die Anordnung eines DNA-Screenings von Personengruppen, deren Zusam-

mensetzung nach abstrakt festgelegten Kriterien ohne konkreten Tatverdacht
gegenüber einzelnen erfolgt, bedarf der richterlichen Anordnung.

2. Das Gesetz muss abschließend die Straftatbestände festlegen, für deren Auf-
klärung ein DNA-Screening eingesetzt werden darf.

3. Die erhobenen Daten sind unmittelbar zu löschen, wenn sie für das Anlass-
strafverfahren nicht mehr erforderlich sind.

4. Die Daten dürfen nicht in verfahrensübergreifenden DNA-Dateien gespei-
chert werden und auch nicht mit solchen Datenbeständen abgeglichen wer-
den.

Berlin, den 17. Januar 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.