BT-Drucksache 15/4665

Biologische Kohlenstoffsenken für den Klimaschutz nutzen

Vom 19. Januar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4665
15. Wahlperiode 19. 01. 2005

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Birgit Homburger, Hans-Michael
Goldmann, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Hellmut
Königshaus, Gudrun Kopp, Sibylle Laurischk, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Dr. Rainer Stinner, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Biologische Kohlenstoffsenken für den Klimaschutz nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das Kyoto-Protokoll wird nach der Ratifizierung durch Russland im Februar
2005 in Kraft treten. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Kyoto-Protokoll
bereits 2002 ratifziert. Ziel des Kyoto-Protokolls ist es, den Klimaschutz durch
die Reduktion von Treibhausgasemissionen zu stärken. Dies kann auf zwei We-
gen erfolgen: Die Abgabe von Treibhausgasen wie beispielsweise Kohlendioxid
(CO2) in die Luft ist zu vermindern und CO2 ist verstärkt zu binden, so dass esnicht in die Atmosphäre gelangt.
In diesem Sinne sieht das Kyoto-Protokoll neben den so genannten flexiblen
Instrumenten (Emissionshandel, Joint Implementation (gemeinsam durchge-
führte Projekte zwischen Industrieländern) und Clean Development Mechanism
(Projekte zur Emissionsreduktion in Entwicklungsländern)) die Möglichkeit
vor, die Kohlenstoffaufnahmefähigkeit von Ökosystemen als Klimaschutzmaß-
nahme anrechnen zu können. Es geht dabei um die Kohlenstoffeinbindung in so
genannten Senken (z. B. inWäldern) und die Möglichkeit, diese bis zu gewissen
Grenzen auf die jeweils nationalen Emissionsreduktionsverpflichtungen anzu-
rechnen.
Die große Bedeutung der Kohlenstoffsenken für den Treibhausgashaushalt der
Erde ist wissenschaftlich unbestritten. Diese haben den globalen Anstieg der
CO2-Konzentration in der Atmosphäre zweifellos verlangsamt. Während dieBeantwortung zahlreicher technischer Fragen wie die Definitionen, Einzelheiten
des Anrechnungsverfahrens sowie die Anforderungen an eine Überwachung
und Kontrolle (Monitoring) weit fortgeschritten bzw. abgeschlossen ist, sind
einige Probleme u. a. der Quantifizierung gleichwohl noch ungelöst. Ferner
steht die Ausarbeitung bestimmter Verfahrensfragen für Senkenprojekte in Ent-
wicklungsländern aus. Dessen ungeachtet haben sich jedoch die Vertragsstaaten
des Kyoto-Protokolls im so genannten Bonner Beschluss (Bonn Agreement) als
zentrales Ergebnis der Fortsetzung der 6. Vertragsstaatenkonferenz im Juli 2001
in Bonn prinzipiell darauf geeinigt, Senken als Instrumente des internationalen

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Klimaschutzes zu nutzen. Unter anderem wurde im Bonner Beschluss verein-
bart, dass Steigerungen der in Wäldern gebundenen Kohlenstoffmengen nur bis
zu einer länderspezifischen Höchstmenge angerechnet werden können. Außer-
dem können Maßnahmen im Bereich der Acker- und Grünlandbewirtschaftung
sowie der Ödlandbegrünung als Klimaschutzmaßnahmen angerechnet werden.
Hieraus ergeben sich für einige Länder zum Teil erhebliche Möglichkeiten, ihre
Emissionsreduktionsziele über Senkenaktivitäten zu erreichen.
Grundsätzlich gilt es, Klimaschutz und Emissionshandel auf größtmögliche
Wirkung und Kostenminimierung durch die Verknüpfung und integrale Anwen-
dung aller Instrumente des Kyoto-Protokolls einschließlich der Kohlenstoff-
senken zu verpflichten. Damit werden die Vorteile der Kyoto-Instrumente nicht
zuletzt auch der deutschen Land- und Forstwirtschaft zugänglich.
Neben nationalen Anstrengungen zur Verminderung der CO2-Emissionen ist esunerlässlich, alle flexiblen Mechanismen zur Erreichung des Klimaschutzziels
zu nutzen. Dazu zählt auch die Möglichkeit der CO2-Bindung durch Senken.
Für die verstärkte Bindung von CO2 sind gerade auch biologische Methodengeeignet. Wälder binden Kohlenstoff. Der Aufbau stabiler Wälder ist somit ge-
eignet, den anthropogen beeinflussten Klimawandel zu verlangsamen. Dabei
werden zusätzlich die Biodiversität gestärkt, die Böden geschützt und die Trink-
wasserversorgung verbessert. Das Instrument der Kohlenstoffsenke ist kosten-
günstig und effizient. Es leistet wichtige Beiträge für die Energie- und Rohstoff-
versorgung, für die Technologieentwicklung und sorgt für Beschäftigung in
strukturschwachen ländlichen Regionen – im Inland wie im Ausland.
In Mitteleuropa, wo die potentielle natürliche Vegetation Wälder hervorbringt,
haben diese bei der Bekämpfung des Klimawandels eine Schlüsselrolle inne.
Das Holz der Waldbäume und die humusreichen Waldböden speichern Kohlen-
stoff. Wird der Speicher Wald zerstört, werden die im Holz und den Böden
gespeicherten Treibhausgase in die Atmosphäre abgegeben. Laut IPCC (Inter-
governmental Panel on Climate Change) stammen bis zu 30 Prozent der zusätz-
lichen Belastung der Atmosphäre mit CO2 aus der Zerstörung von Wäldern ins-besondere durch illegalen Holzeinschlag in den letzten 100 Jahren. Durch
Urwaldschutz, Aufforstung und nachhaltige Bewirtschaftung von bestehenden
Wäldern kann umgekehrt der Atmosphäre CO2 wieder entzogen und langfristiggebunden werden. Somit bietet der Wald eine kostengünstige Möglichkeit, den
Klimawandel zu verlangsamen und Ökosystemen mehr Zeit für eine Anpassung
an das sich ändernde Klima zu geben.
Klimaschutz durch Waldbewirtschaftung muss sich an den regionalen Rahmen-
bedingungen orientieren. So ist es unbestritten notwendig, die riesigen Treib-
hausgasspeicher der verbliebenen Urwälder zu schützen. Für Wirtschaftswälder
wie den deutschen Wald ist jedoch eine nachhaltige Nutzung die effektivere
Variante: Die Ergebnisse der Bundeswaldinventur zeigt, dass im deutschenWald
trotz der verheerenden Orkane Vivian/Wiebke (1990) und Lothar (1999) mehr
Holz zugewachsen ist, als genutzt wurde, und somit der Wald eine Nettosenke
für CO2 darstellt. Insbesondere in den Privatwäldern wurde pro Jahr deutlich we-niger Holz eingeschlagen als nachgewachsen ist.
Wird Holz nach seiner Ernte als Produkt rohstofflich und nicht energetisch ge-
nutzt, verlängert sich seine Speicherfunktion und substituiert zusätzlich energie-
aufwändig zu produzierende Materialien wie Stahl, Beton oder Kunststoffe. In-
ternationale Vergleiche zeigen, dass in Deutschland beim Bau von Einfamilien-
häusern Holz nur in geringemUmfang eingesetzt wird (15 Prozent), während im
Nachbarland Österreich der Einsatz von Holz deutlich höher ist (35 Prozent), in
Finnland sogar 50 Prozent und in den USA 95 Prozent beträgt. Am Ende des
Produktlebenszyklus von Holz können durch die energetische Verwendung fos-

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sile Energieträger ersetzt werden. Dabei entweicht nur soviel CO2, wie zuvor derAtmosphäre entzogen wurde.
Das Kyoto-Protokoll hat Möglichkeiten geschaffen, die Instrumente Auf-
forstung, Wiederaufforstung und Forstwirtschaft zur Bekämpfung des Klima-
wandels zu nutzen. So können durch Projekte in Industriestaaten und Ent-
wicklungsländern Zertifikate erzeugt werden, die im Rahmen des internationa-
len Handels mit Emissionsrechten gehandelt oder zur Erfüllung der nationalen
Verpflichtungen verwendet werden können. Vorraussetzung dafür ist ein Ent-
schluss des jeweiligen Kyoto-Vertragsstaates, den Artikel 3.4 des Kyoto-Proto-
kolls anzuwenden. Die Bundesregierung hat diese Möglichkeiten bis heute nicht
genutzt und lehnt trotz der internationalen Vereinbarungen Senkenprojekte ab.
Die Bundesregierung hat auch verhindert, dass Unternehmen im Rahmen des
europäischen Handels mit Emissionsrechten ihre Emissionsreduktionsverpflich-
tungen durch Senkenprojekte erfüllen können. So wird ein kostengünstiges
Instrument zum Klimaschutz sowohl für Unternehmen als auch für die Regie-
rung nicht in die nationale Klimaschutzstrategie integriert.
Senkenprojekte können auch viele andere Bereiche positiv beeinflussen. So ist
zum Beispiel die Produktion von Biomasse in niederwaldartig bewirtschafteten
Laubwaldbeständen für die Energie- und Rohstoffgewinnung auf bisher land-
wirtschaftlich genutzten Flächen ein Weg, die Emissionen durch geringeren
Düngemitteleinsatz und weniger Bodenbearbeitung zu reduzieren. Die erzeugte
Biomasse kann sowohl zur Energieerzeugung als auch zur Rohstoffgewinnung
(z. B. Methanol) genutzt werden. Die Entwicklung von diesen zukunftsfähigen
Technologien schafft Beschäftigung im ländlichen Raum, sie stellt eine ökolo-
gisch wertvolle Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen dar und bietet die
Chance, neue Produktionsverfahren auch in andere Regionen der Erde zu expor-
tieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– im Rahmen des internationalen Handels mit Treibhausgaszertifikaten auch

die Option des Artikels 3.4 des Kyoto-Protokolls für den deutschen Wald
oder einen Teil davon wahrzunehmen und sich die Nettosenke im erlaubten
Rahmen anrechnen zu lassen,

– darauf hinzuarbeiten, dass innerhalb des europäischen Handels mit Zertifika-
ten, analog zum internationalen Handel, die Nutzung vonWaldsenkenprojek-
ten auch für die betroffenen Unternehmen möglich ist, damit diese so kosten-
günstig wie möglich ihre Emissionen kompensieren können,

– im Rahmen der internationalen Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass
nachhaltig genutztes Holz bei der Erfassung der Bestandsdaten über Treib-
hausgase berücksichtigt wird, um die tatsächliche Leistung von nachhaltig
genutzten Wirtschaftswäldern in Wert zu setzen,

– in Pilotregionen in Zusammenarbeit mit den Bundesländern Monitoringsys-
teme für Kohlenstoffsenkenprojekte zu entwickeln und zu realisieren und

– die Technologieentwicklung zur Nutzung von Biomasse aus Wäldern zu för-
dern.

Berlin, den 19. Januar 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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