BT-Drucksache 15/4660

Das Programm "Soziale Stadt" weiterentwickeln und ausweiten

Vom 19. Januar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4660
15. Wahlperiode 19. 01. 2005

Antrag
der Abgeordneten Sören Bartol, Sabine Bätzing, Uwe Beckmeyer, Ute Berg, Hans-
Günter Bruckmann, Ulla Burchardt, Dr. Peter Danckert, Marga Elser, Annette Faße,
Rainer Fornahl, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), Kerstin Griese,
Gabriele Groneberg, Christel Humme, Dr. Heinz Köhler, Ernst Kranz, Ute Kumpf,
Christine Lehder, Dr. Christine Lucyga, Lothar Mark, Caren Marks, Heinz Paula,
Karin Rehbock-Zureich, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Anton Schaaf, Bernd
Scheelen, Siegfried Scheffler, Horst Schild, Silvia Schmidt (Eisleben), Wilhelm
Schmidt (Salzgitter), Karsten Schönfeld, Wolfgang Spanier, Ludwig Stiegler, Rita
Streb-Hesse, Andreas Weigel, Petra Weis, Reinhard Weis (Stendal), Dr. Margrit
Wetzel, Jürgen Wieczorek (Böhlen), Heidi Wright, Franz Müntefering und der
Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), Peter
Hettlich, Rainder Steenblock, Albert Schmidt (Ingolstadt), Ursula Sowa, Katrin
Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Programm „Soziale Stadt“ weiterentwickeln und ausweiten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ ist seit seiner Einführung 1999 zu
einem sehr wichtigen und unverzichtbaren Instrument zur Stabilisierung be-
nachteiligter Quartiere geworden. Gefördert werden heute ca. 330 Projekte in
ganz Deutschland. Die aktuellen Ergebnisse der Zwischenevaluation durch das
Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik (IfS) nach fünf Jahren bieten
eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung des Programms.
Die Zwischenevaluation hat gezeigt, dass die gesellschaftliche Relevanz des
Programms weiterhin groß ist: städtebauliche Missstände, hohe Arbeitslosig-
keit, Armut und Segregation entlang ethnischer Zugehörigkeiten konzentrieren
sich in bestimmten Stadtquartieren. Diese Konzentration führt zu einem „Fahr-
stuhleffekt“ nach unten mit erhöhtem sozialem Konfliktpotential, Überforde-
rung der Schulen, Abwanderung von einkommensstabilen Haushalten und
sinkender Kaufkraft.
Die Evaluation belegt, dass das Programm „Soziale Stadt“ geeignet ist, Segre-
gationstendenzen entgegenzuwirken, negative Auswirkungen auf die Leben-
schancen der Bewohnerinnen und Bewohner zu verringern und das Zusammen-
leben – insbesondere verschiedener ethnischer Gruppen – im Quartier zu
verbessern. Das Programm hat in kurzer Zeit positive Ansätze und Entwicklun-
gen in den Quartieren hervorgerufen, insbesondere durch eine steigende Iden-

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tifikation der Bewohnerinnen und Bewohner mit ihren Quartieren und ein bes-
seres Image der Quartiere. Dies geschieht vor allem durch die Förderung eines
aktiven und partnerschaftlichen, nachbarschaftlichen Zusammenlebens, durch
positive Entwicklungen im städtebaulichen Bereich und durch die Verbesse-
rung sozialer Angebote, insbesondere für Kinder und Jugendliche mit dem
komplementären Programm „E & C“ (Entwicklung und Chancen junger Men-
schen in sozialen Brennpunkten) und „Lokales Kapital für Soziale Zwecke“
(LOS). Die besondere Qualität des Programms „Soziale Stadt“ liegt in seinem
ressortübergreifenden integrierten Ansatz, der die Menschen und ihren konkre-
ten Lebensort ins Zentrum des Programms stellt. Das Programm genießt hohe
Akzeptanz bei den lokalen Akteuren und in der Fachöffentlichkeit.
Das Programm „Soziale Stadt“ geht über städtebauliche Förderung hinaus, es
ermöglicht durch die Bündelung von Fördermitteln und -programmen auch
nichtinvestive Maßnahmen. Dies hat sich als sehr sinnvoll und wirksam erwie-
sen. Die Vielfalt der Projekte ist der jeweiligen Gebietsproblematik angepasst
und reicht von Wohnumfeld- und Baumaßnahmen über Jugend-, Kultur- und
Sozialprojekte bis zu Gründer- und Beschäftigungsinitiativen und Kleinstpro-
jekten für und von Bewohnerinnen und Bewohnern in den Stadtteilen.
Das Programm ist gleichzeitig ein wichtiger Impulsgeber für die Einübung
ressortübergreifender Zusammenarbeit von Politik und Verwaltung. In neuer
Weise werden Synergieeffekte erzeugt zwischen Städtebaupolitik, Arbeits-
marktpolitik, Jugendpolitik, Integrationspolitik, Bildungspolitik etc. von der
Bundes- über die Länderebene bis hin zur Kommune.
Das Programm aktiviert bürgerschaftliches Engagement und vernetzt lokale
Initiativen. Vor Ort werden mit lokalen Akteuren und mit den Bewohnerinnen
und Bewohnern Lösungen für die dringenden sozialen und städtebaulichen Pro-
bleme erarbeitet, in integrierten Handlungskonzepten geplant und gemein-
schaftlich umgesetzt.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,
1. dass die Bundesregierung mit dem Programm „Soziale Stadt“ einen inte-

grierten und wirksamen neuen Ansatz für die Stadtentwicklung initiiert hat,
der mit den Grundgedanken der ressortübergreifenden Kooperation und
Mittelbündelung, der Einbeziehung nichtinvestiver Maßnahmen und der Ak-
tivierung der Bewohnerinnen und Bewohner auch beispielhaft für andere
Programme ist;

2. dass die Bundesfinanzhilfen mittelfristig auf hohem Niveau fortgeführt wer-
den;

3. dass der Bedeutung des Programms als Daueraufgabe mit der Aufnahme des
§ 171e „Maßnahmen der Sozialen Stadt“ in das Baugesetzbuch Rechnung
getragen und der Mittelbündelung ein besonderer Stellenwert eingeräumt
wurde;

4. dass die Bundesregierung der Programmbegleitung insbesondere bei der Im-
plementierung einen wichtigen Stellenwert eingeräumt hat und es damit ge-
lungen ist, den neuen Ansatz in kurzer Zeit zu vermitteln und umzusetzen;

5. dass die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Zwischenevaluierung
eine fundierte Bewertung undWeiterentwicklung des Programms ermöglicht
und die „Soziale Stadt“ damit als „lernendes Programm“ verstanden wird.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4660

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Kontinuität des Programms zu sichern und darauf hinzuwirken, dass das

Programm als gemeinschaftliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kommu-
nen fortgeführt wird;

2. darauf hinzuwirken, dass die Kooperation der für die „Soziale Stadt“ wich-
tigen Ressorts auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen verstärkt
wird. Auf Bundesebene sind die Ressorts Verkehr-, Bau- undWohnungswe-
sen; Wirtschaft und Arbeit; Bildung und Forschung; Familie, Senioren,
Frauen und Jugend; Gesundheit und Soziale Sicherung; Umweltschutz, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit; Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft und Inneres aufgefordert, den Sozialraumbezug in ihren Aufga-
benbereichen zu verstärken und die dafür geeigneten Förderprogramme
gezielt an die Programmgebiete der „Sozialen Stadt“ zu koppeln. Die Res-
sortkooperation ist durch eine interministerielle Arbeitsgruppe abzusichern;

3. in Zusammenarbeit mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass im Investi-
tionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ ein Schwerpunkt in den
Programmgebieten gesetzt wird;

4. die Aufgabe der „Integration von Migrantinnen und Migranten“ in die Ver-
waltungsvereinbarung zu den Maßnahmen der „Sozialen Stadt“ als einen
weiteren Schwerpunkt aufzunehmen. Es soll darauf hingewirkt werden,
dass Programme und Pilotprojekte zur sprachlichen, sozialen und schuli-
schen Integration vonMigrantinnen undMigranten in benachteiligten Quar-
tieren durchgeführt werden;

5. bei arbeitsmarktpolitischen Programmen Möglichkeiten für gezielte Maß-
nahmen der Beschäftigung und Qualifizierung in den „Soziale-Stadt“-Ge-
bieten zu eröffnen und bei der Bundesagentur für Arbeit darauf hinzuwir-
ken, dass diese Gebiete beim Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente
ein besonderes Augenmerk bekommen;

6. sich dafür einzusetzen, dass die aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF)
finanzierten lokalen Mikroprojekte (Lokales Kapital für Soziale Zwecke –
LOS), die mit viel Erfolg zur Weiterentwicklung der Stadtteile und zur so-
zialen und beruflichen Integration vor allem junger Menschen beigetragen
haben, nach Beendigung der derzeitigen ESF-Interventionsperiode fortge-
setzt werden;

7. auf eine Verbesserung der vertikalen Kooperation hinzuwirken, die Länder
zu neuen Anstrengungen bei der Ressortkooperation aufzufordern und eine
Berichtspflicht über ihre Koordinationserfolge zu vereinbaren;

8. darauf hinzuwirken, dass auf der lokalen Ebene Kooperationen mit privaten
und nichtstaatlichen Einrichtungen und die Bildung strategischer Partner-
schaften insbesondere mit der Wohnungswirtschaft, den Trägern der freien
Wohlfahrtspflege, lokalen Agenda-Gruppen und der Wirtschaft weiter vor-
angetrieben werden und die aktive Mitwirkung der Träger der kommunalen
Wirtschaftsförderung einzufordern, insbesondere auch zur Stärkung von
lokaler Ökonomie in Gebieten der „Sozialen Stadt“;

9. gemeinsam mit den Ländern zu prüfen, wie für die Kommunen Anreize ge-
schaffen werden können, zusätzliche Fördermittel aus anderen Ressorts zu
akquirieren;

10. den Erfahrungsaustausch zwischen den Projekten und eine Qualifizierung
der Akteure vor Ort durch die Arbeit der Bundestransferstelle weiter auszu-
bauen;

Drucksache 15/4660 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
11. die erfolgte Evaluierung in ein kontinuierliches Monitoring zu überführen
und gemeinsam mit den Ländern auf die Erarbeitung von Kriterien für eine
begründete Auswahl der Programmgebiete, eine Präzisierung der Problem-
beschreibung und der Zielbestimmung sowie Indikatoren für das Monito-
ring durch Erfassung sozio-ökonomischer Kontextdaten im Gebiet hinzu-
wirken;

12. alle vier Jahre einen Bericht über die Stadtentwicklung in Deutschland vor-
zulegen und dabei einen Schwerpunkt auf die Entwicklung benachteiligter
Quartiere im Verhältnis zur Gesamtstadt zu legen.

Berlin, den 19. Januar 2005
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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