BT-Drucksache 15/462

EU-Agrarreform mutig angehen und ausgewogen gestalten

Vom 18. Februar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/462
15. Wahlperiode 18. 02. 2003

Antrag
der Abgeordneten Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Matthias Weisheit, Sören Bartol,
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Martin Dörmann, Reinhold Hemker, Gustav Herzog,
Gabriele Hiller-Ohm, Lothar Mark, Michael Müller (Düsseldorf), Holger Ortel,
Dr. WilhelmPriesmeier,WilhelmSchmidt (Salzgitter), Karsten Schönfeld, Reinhard
Schultz (Everswinkel), Jella Teuchner, Manfred Helmut Zöllmer, Franz Müntefering
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm,
Hans-Josef Fell, Peter Hettlich, Friedrich Ostendorff, Dr. Antje Vogel-Sperl, Katrin
Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

EU-Agrarreform mutig angehen und ausgewogen gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Europäische Rat hat im März 1999 mit den Beschlüssen zur Agenda 2000
den Finanzrahmen für die EU-Agrarpolitik bis 2006 festgelegt und die EU-
Kommission beauftragt, zur Entwicklung der Agrarausgaben und zu den Re-
formmaßnahmen eine Halbzeitbewertung vorzulegen. Die EU-Kommission ist
mit ihrer Mitteilung „Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft“ vom
Juli 2002 diesem Auftrag nachgekommen. Sie stellte fest, dass mit der Agenda
2000 zwar eine tragfähige Grundlage für die Erweiterung und die WTO-Ver-
handlungen geschaffen wurde, dennoch in vielen Bereichen Handlungsbedarf
bestehe. Die Kommission schlug daher in ihrer Mitteilung eine Reihe gravie-
render Änderungen zur Anpassung der Agrarpolitik vor.
Der Europäische Rat in Brüssel im Oktober 2002 hat eine Ausgabenobergrenze
für die Agrarpolitik in der erweiterten Europäischen Union für die Jahre 2007
bis 2013 festgelegt und damit den Weg für den Abschluss der Erweiterungsver-
handlungen beim Europäischen Rat in Kopenhagen im Dezember 2002 freige-
macht. Die am 22. Januar 2003 von der Kommission verabschiedeten Legisla-
tivvorschläge berücksichtigen diese Entscheidungen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Reformvorschläge der Kommission. Er ist
der Auffassung, dass durch die Beschlüsse des Europäischen Rates Brüssel im
Oktober 2002 für die erweiterte EU ein ausreichender Finanzrahmen geschaffen
worden ist, innerhalbdessendieReformenerfolgreichumgesetztwerdenkönnen.
Die Halbzeitbewertung der Agenda 2000 eröffnet den Weg für eine umfassende
Reform der europäischen Landwirtschaftspolitik. Deutschland hat seit der
BSE-Krise die richtigen Weichen gestellt und eine Neuorientierung der Agrar-
politik eingeleitet. Die von der EU-Kommission vorgelegten Legislativ-
vorschläge zeigen: Auch die EU-Kommission sieht den Kurswechsel im Agrar-
sektor als unaufschiebbar an. Wichtige Elemente der deutschen Position finden
sich auch in den Kommissionsvorschlägen wieder.

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Wesentliche Merkmale des Reformpaketes sind die Entkopplung der Direkt-
zahlungen von der Produktion und ihre stärkere Orientierung an Verbraucher-
und Umweltschutz, die Rückführung der Marktstützungen und die Umschich-
tung von Mitteln der so genannten ersten Säule in die zweite Säule zugunsten
der ländlichen Entwicklung sowie für neue Reformen. Die Reformvorschläge
sind grundsätzlich zu begrüßen: Zum einen, weil die europäische Landwirt-
schaft ihre Produktion nachhaltiger gestalten kann und sich noch stärker am
Markt orientieren wird. Zum anderen, weil die Agrarpolitik kompatibel zu den
im September in Cancún stattfindenden WTO-Verhandlungen gestaltet werden
muss.
Deshalb ist es wichtig, über die anstehenden Reformen der EU-Agrarpolitik
möglichst zügig zu entscheiden. Landwirtschaftliche Unternehmen müssen Pla-
nungssicherheit erhalten. Es ist wichtig, das Reformpaket langfristig anzulegen
und auch für den Bereich Milch möglichst frühzeitig zu Entscheidungen zu
kommen, die den Milchviehbetrieben, besonders in Grünlandregionen, eine
wirtschaftlich tragfähige Perspektive ermöglichen. Hierzu müssen geeignete
Lösungen gefunden werden.
Die Kommission hat von der Einführung einer betrieblichen Prämienober-
grenze Abstand genommen. Dies ist zu befürworten, da die Kappungsgrenze
vor allem Betriebe in Ostdeutschland betroffen und damit zu neuen einseitigen
Belastungen einzelner Regionen geführt hätte. Die vorgesehene progressive
Ausgestaltung der Modulation ist im Grundsatz geeignet, Wettbewerbsverzer-
rungen zu entschärfen und die bäuerliche Landwirtschaft zu stärken. Allerdings
droht der betriebsbezogene Ansatz der Kommission bei der Entkopplung der
Direktzahlungen zu einem abrupten Systemwechsel zu führen und das Un-
gleichgewicht zwischen Acker- und Grünlandstandorten festzuschreiben. Des-
halb ist einer schrittweisen Entkopplung in Richtung einer regional einheitli-
chen Flächenprämie der Vorzug zu geben.
Die in der EU geltenden Vorschriften in den Bereichen Umwelt- und Tierschutz
sowie Lebensmittelsicherheit und Betriebssicherheit müssen besser durchge-
setzt werden. Die vorgesehene Cross-Compliance-Regelung und die Einfüh-
rung eines betrieblichen Beratungssystems müssen so ausgestaltet werden, dass
möglichst einheitliche Mindeststandards in den Mitgliedstaaten gelten und die
Regelung nicht zu einem unangemessenen bürokratischen Aufwand führt.
Hinsichtlich des umzuschichtenden Mittelvolumens zugunsten des Ausbaus der
„Zweiten Säule“ zur Stärkung der ländlichen Räume sind die aktuellen Vor-
schläge unzureichend. Die durch die Modulation freigesetzten Mittel sollen in
den Mitgliedstaaten verbleiben, in denen sie erwirtschaftet werden. Für kohäsi-
onspolitische Maßnahmen hat die EU andere Instrumente.
Insgesamt sind wichtige Fragen im Zusammenhang mit Ausstattung und Aus-
gestaltung der einzelnen Reformelemente noch offen. In den kommenden Mo-
naten muss das Reformpaket in den EU-Gremien intensiv beraten, konkretisiert
und verbessert werden, um zu einer Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrar-
politik zu gelangen, die den Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung
von Landwirtschaft und ländlichem Raum sowie den internationalen, insbeson-
dere auch entwicklungspolitischen, Verpflichtungen ebenso Rechnung trägt,
wie den Herausforderungen durch die EU-Osterweiterung und durch die anste-
henden WTO-Verhandlungen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l sich für zügige Beratungen und einen baldigen Abschluss der Verhandlun-

gen einzusetzen, damit die Reformen beginnen können und die Land- und
Ernährungswirtschaft Planungssicherheit erhält;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/462

l dafür Sorge zu tragen, dass die komplexen Wirkungszusammenhänge der
Vorschläge offen gelegt und die Auswirkungen für Betriebe, Produktions-
richtungen und Regionen transparent gemacht werden;

l sich in den Verhandlungen dafür einzusetzen, dass Lösungen für ein ökono-
misch ausgewogenes Preis- und Beihilfensystem in der ersten Säule der
Agrarpolitik erarbeitet werden. Insbesondere müssen Ungleichgewichte
zwischen Acker- und Grünlandstandorten abgebaut und abrupte Umvertei-
lungen und Strukturbrüche vermieden werden. Das Beihilfensystem sollte
so ausgestaltet werden, dass der Faktor Arbeit ausreichend berücksichtigt
wird. Die für Arbeitsplätze und Landschaftspflege besonders bedeutende
Bewirtschaftung von Grünlandstandorten muss besser gefördert werden.
Hierzu kann eine schrittweise Entkopplung in Richtung Flächenprämien
einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei müssen aber Detailprobleme in den
verschiedenen Produktionsbereichen gelöst werden, z. B. bei der Wander-
schaf- und Ziegenhaltung;

l darauf hinzuwirken, dass Direktzahlungen an die Erfüllung bestimmter
Standards (Cross Compliance) insbesondere in den Bereichen Tier- und Um-
weltschutz und Lebensmittelsicherheit gebunden werden, damit möglichst
einheitliche Mindeststandards in den EU-Mitgliedstaaten gelten. Durch die
Regelung darf es nicht zu einem unangemessenen bürokratischen Aufwand
kommen;

l sich dafür einzusetzen, dass die Modulation bis spätestens 2006 obligato-
risch eingeführt wird und dabei die Mittel für die „Zweite Säule“ aus Mitteln
der „Ersten Säule“ aufgestockt werden. Die dafür vorgesehenen Modulati-
onsmittel sollen in dem Mitgliedstaat verbleiben, in dem sie aufgebracht
werden. Die Förderung der ländlichen Räume, der Ausbau regionaler Qua-
litätsproduktion sowie die Verbesserungen im Umwelt- und Tierschutz
benötigen erheblich mehr Mittel – insbesondere angesichts der strukturellen
Aufgaben, die die ländlichen Regionen Europas zu bewältigen haben. Für
bestehende nationale Modulationsmodelle sind Übergangsregelungen hin-
sichtlich der Förderkriterien und des Fördervolumens zu schaffen;

l darauf hinzuwirken, dass die Kürzungslasten bei Degression und Modula-
tion ausgewogen auf die Mitgliedstaaten verteilt werden und in diesem Zu-
sammenhang auch der Faktor Arbeit bei der künftigen Prämienberechnung
und als Grundlage für die Modulation berücksichtigt wird;

l sich dafür einzusetzen, dass die Reform der Marktordnung Milch den Milch-
erzeugern eine wirtschaftlich tragfähige Perspektive eröffnet und den Zielen
der Arbeitsplatzerhaltung und der Landschaftspflege in den Grünlandregio-
nen gerecht wird. Die künftige Regelung muss zur umweltgerechten Bewirt-
schaftung der natürlichen Ressourcen beitragen;

l dafür Sorge zu tragen, dass auch bei den Reformen der anderen Marktord-
nungsprodukte eine stärkere Marktorientierung erreicht wird, ohne einzelne
Bereiche unangemessen zu belasten (z. B. Roggen);

l darauf hinzuwirken, dass die einzelnen Maßnahmenpakete möglichst un-
bürokratisch und einfach handhabbar sind;

l sich dafür einzusetzen, dass der Ausbau der stofflichen und energetischen
Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe vorangetrieben wird und der Anbau
nach wie vor eine attraktive Einkommensalternative bleibt.

Berlin, den 18. Februar 2003
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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