BT-Drucksache 15/4561

Gegen die Zerfaserung wettbewerbsrechtlicher Kompetenzen

Vom 16. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4561
15. Wahlperiode 16. 12. 2004

Antrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, Rainer Funke, Dirk Niebel,
Daniel Bahr (Münster), Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub,
Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
JoachimGünther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Christel Happach-Kasan,
Klaus Haupt, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut
Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Gegen die Zerfaserung wettbewerbsrechtlicher Kompetenzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Soziale Marktwirtschaft ist eine Wettbewerbswirtschaft. Wettbewerb sorgt
für ein effizientes Angebot, für eine preiswerte Versorgung der Verbraucher mit
Waren und Dienstleistungen, für permanenten Innovationsdruck sowie für eine
marktgerechte Verteilung. Der wirksame Schutz des Wettbewerbs ist deshalb
einer der Grundpfeiler unserer Wirtschaftsordnung. Folglich wird das Gesetz
gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auch das „Grundgesetz der Sozia-
len Marktwirtschaft“ genannt. Für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln war
in den vergangenen fünfzig Jahren ein starkes und unabhängiges Bundeskartell-
amt zuständig. Das Bundeskartellamt hat dabei wettbewerbliche Fehlentwick-
lungen immer wieder erfolgreich bekämpft.
Wenn die Politik wettbewerbsrechtliche Entscheidungen des Bundeskartell-
amtes nicht akzeptiert, steht ihr das Instrument der Ministererlaubnis zur Ver-
fügung. Damit verbunden ist insbesondere im Rahmen der Fusionskontrolle ein
geregeltes, transparentes Verfahren, das z. B. feste Fristen, eine Anhörung der
vom Antrag auf Ministererlaubnis betroffenen Marktteilnehmer und ein Gut-
achten der Monopolkommission beinhaltet. So umstritten einzelne Entschei-
dungen des Ministers in der Vergangenheit waren, so sehr hat dieses Instrument
auch die Unabhängigkeit des Kartellamtes gestärkt, denn die Verantwortung für
Entscheidungen, die nicht zu erst nach wettbewerblichen Gesichtspunkten er-
folgen, hat der Wirtschaftsminister bzw. die Bundesregierung zu übernehmen.
Seit Einführung der Fusionskontrolle im Jahr 1973 sind im Übrigen sechs
Zusammenschlüsse unter Auflagen vom Minister erlaubt worden.

Drucksache 15/4561 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Die Unabhängigkeit des obersten Wettbewerbshüters ist eine zwingende Vor-
aussetzung für einen wirksamen Wettbewerbsschutz. In Deutschland wird diese
Unabhängigkeit durch eine strikte Trennung von Gesetzesaufstellung und
Gesetzesvollzug, den gesetzlichen Ausschluss von Einzelweisungen zu Ent-
scheidungen des Bundeskartellamtes sowie eine beamtenrechtliche Besetzung
der Führungsämter des Kartellamtes gewährleistet. Lange Jahre war auch un-
umstritten, dass eine zentrale Wettbewerbsbehörde für die Wettbewerbsaufsicht
zuständig ist. Sektorale Wettbewerbspolitik mit sektoralen Kontrollinstanzen
wurde aufgrund der Anfälligkeiten gegen leichter organisierbare Interessenein-
flüsse lange Zeit von allen politischen Parteien abgelehnt.
Mit der Liberalisierung des Telekommunikations- und Postmarktes ist im Jahr
1995 die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation gegründet
worden. Ursprünglich herrschte die Annahme, dass die Regulierungsbehörde
eine vorübergehende Einrichtung zur Überführung der beiden staatsmonopolis-
tisch organisierten Märkte in den Wettbewerb sein werde. Mittlerweile ist klar,
dass insbesondere das Telekommunikationsnetz als natürliches Monopol einer
längeren Kontrolle zur Schaffung von Wettbewerb bedarf.
Die Regulierungsbehörde war bei der Schaffung von wettbewerblichen Struk-
turen im Telekommunikations- und Postmarkt durchaus erfolgreich. Sie muss
aber frei von politischer Einflussnahme sein. Mit der Novellierung des Tele-
kommunikationsgesetzes im Jahr 2004 ist dem Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Einzel-
weisungsrecht gegenüber einer Wettbewerbsbehörde eingeräumt worden. Damit
sind ordnungspolitische Dämme gebrochen und die Unabhängigkeit der Regu-
lierungsbehörde ist massiv in Frage gestellt worden. Gerade angesichts dieser
Entwicklung wäre es sachgerechter sowie wettbewerbs- und ordnungspolitisch
sauberer gewesen, die Kompetenz für die notwendige Energieregulierung dem
Bundeskartellamt zuzuweisen. Stattdessen hat sich die Bundesregierung offen-
kundig aus politischen Gründen dafür entschieden, der Regulierungsbehörde
auch die Zuständigkeit für die Kontrolle des Energiesektors zu geben. Damit ist
eine faktische Bestandsgarantie für die ursprünglich nur als Übergangseinrich-
tung vorgesehene Behörde geschaffen worden.

II. Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregie-
rung auf,

1. im Interesse eines wirkungsvollen Wettbewerbsschutzes alles zu tun, um
eine weitere Zerfaserung wettbewerblicher Kompetenzen in Deutschland zu
verhindern;

2. keine weiteren Parallelstrukturen in der Wettbewerbsaufsicht zuzulassen,
um die Interesseneinflüsse auf wettbewerbliche Entscheidungen zu mini-
mieren. Deshalb sind weitere sektorale Wettbewerbsbehörden strikt abzu-
lehnen;

3. auf ein von der Europäischen Kommission unabhängiges Europäisches
Kartellamt als oberster europäischer Wettbewerbsbehörde hinzuwirken;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4561

4. die bestehenden Wettbewerbsbehörden in ihrer Eigenständigkeit und Unab-
hängigkeit zu stärken und dazu
a) einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den das Einzelweisungsrecht in

§ 117 des Telekommunikationsgesetzes durch das gängige allgemeine
Weisungsrecht entsprechend § 52 GWB ersetzt wird, um so jeden An-
schein der politischen Einflussnahme auf wettbewerbsrechtliche Ent-
scheidungen zu vermeiden,

b) sich mittelfristig für eine beamtenrechtliche Besetzung der Führung der
Regulierungsbehörde nach Vorbild des Bundeskartellamtes stark zu
machen sowie

c) keinen zusätzlichen – politisch besetzten – Vizepräsidenten bei der Regu-
lierungsbehörde einzurichten.

Berlin, den 16. Dezember 2004
Rainer Brüderle
Gudrun Kopp
Rainer Funke
Dirk Niebel
Daniel Bahr (Münster)
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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