BT-Drucksache 15/4549

Nichtanwendungserlasse im Steuerrecht

Vom 15. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4549
15. Wahlperiode 15. 12. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Volker
Wissing, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Andreas Pinkwart,
Dr. Rainer Stinner, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Nichtanwendungserlasse im Steuerrecht

Mit einem Nichtanwendungserlass wird die Finanzverwaltung angewiesen,
eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs über den entschiedenen Fall hinaus
nicht anzuwenden. Die Zulässigkeit solcher Nichtanwendungserlasse ist um-
stritten. Sie werden teils für völlig unbedenklich gehalten. Es gibt aber auch die
Auffassung, dass die Finanzverwaltung an höchstrichterliche Urteile gebunden
ist und dass Nichtanwendungserlasse daher rechtswidrig sind.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Nichtanwendungserlasse wurden seit dem Jahr 2000 herausgege-

ben?
2. Wie viele davon wurden aus rein fiskalischen Gründen herausgegeben?
3. Wie beurteilt die Bundesregierung den Nichtanwendungserlass unter dem

Gesichtspunkt der Gewaltenteilung?
4. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Aufgabe

des Bundesfinanzhofs, als oberster Gerichtshof des Bundes die Steuer-
gesetze für die Praxis verbindlich auszulegen, die Einheitlichkeit der Rechts-
anwendung zu gewährleisten sowie das maßgebliche Recht auszulegen und
über den entschiedenen Streitfall hinaus fortzubilden?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass vor dem Hintergrund von
§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung Entscheidungen des Bundesfinanz-
hofs nicht nur den Einzelfall betreffen, sondern darüber hinaus Bedeutung
für die Rechtsordnung haben können?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Nichtan-
wendungserlass?

Drucksache 15/4549 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es in diesem Zusammen-
hang Aufgabe der Finanzverwaltung ist, im Rahmen des Vollzugs der
Steuergesetze diese zu interpretieren und in Verwaltungsvorschriften Aus-
legungsfragen von allgemeiner Bedeutung festzuhalten?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung Forderungen, in einem ablehnenden
Steuerbescheid auf eine für den Steuerpflichtigen günstige Entscheidung
des Bundesfinanzhofs hinzuweisen, die von der Finanzverwaltung durch
einen Nichtanwendungserlass für nicht anwendbar erklärt wurde?

9. Lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung eine Verpflichtung der
Finanzbehörde auf einen solchen Hinweis aus dem Recht des Steuer-
bürgers auf rechtliches Gehör herleiten?

10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Nichtanwendungserlasse
Rechtsunsicherheit schaffen?

11. Warum enthalten Nichtanwendungserlasse häufig keine Begründung?
12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das aus Artikel 3 Abs. 1

des Grundgesetzes abgeleitete Willkürverbot auch für die Praxis der Nicht-
anwendungserlasse gilt?

13. Falls ja, teilt die Bundesregierung dann die Auffassung, dass das Willkür-
verbot es gebietet, Nichtanwendungserlasse zu begründen?

14. Wie ist aus Sicht der Bundesregierung ein Nichtanwendungserlass sachlich
zu rechtfertigen?

15. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein Nichtanwendungserlass
nur dann gerechtfertigt ist, wenn er aus Sicht der Finanzverwaltung mit
Recht und Gesetz im Sinne von Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes ver-
einbar ist?

16. Falls ja, welche rechtliche Grundlage hat aus Sicht der Bundesregierung
die Herausgabe von Nichtanwendungserlassen aus fiskalischen Gründen?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Überlegung, bei Sachverhalten, die
von Nichtanwendungserlassen betroffen sind, nur vorläufig im Sinne von
§ 165 der Abgabenordnung zu veranlagen?

18. In wie vielen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof seit dem Jahr 2000, zu
deren Entscheidung ein Nichtanwendungserlass herausgegeben wurde, war
das Bundesministerium der Finanzen (BMF) Beteiligter im Sinne der
Finanzgerichtsordnung?

19. In wie vielen dieser Verfahren hat das BMF keine Stellungnahme abgege-
ben?

Berlin, den 15. Dezember 2004
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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