BT-Drucksache 15/4415

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung -15/3135 Nr. 2.14- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens KOM (2004) 173 endg.; Ratsdock. 7615/04

Vom 1. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4415
15. Wahlperiode 01. 12. 2004

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 15/3135 Nr. 2.14 –

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates
zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens
KOM (2004) 173 endg.; Ratsdok. 7615/04

A. Problem
Ein Großteil der Gerichtsverfahren in den Mitgliedstaaten ist bekanntermaßen
nicht in erster Linie darauf gerichtet, eine abschließende, unparteiische Ent-
scheidung über streitige Tatsachen oder Rechtsfragen zu erwirken. Es ist viel-
mehr immer häufiger die Regel und nicht die Ausnahme, dass der Gläubiger,
ohne dass ein konkreter Rechtsstreit besteht, die Justiz in Anspruch nehmen
muss, um einen vollstreckbaren Titel zu erwirken, mit dem er eine Forderung,
der der Schuldner nicht nachkommen kann oder will, im Wege der Zwangsvoll-
streckung beitreiben kann.
Die rasche Beitreibung ausstehender Forderungen, deren Rechtmäßigkeit nicht
in Frage gestellt wird, ist für die Wirtschaftsbeteiligten in der Europäischen
Union und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes von größter Be-
deutung. Diese Situation stellt die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vor
vielfältige Herausforderungen.

B. Lösung
Kenntnisnahme der Vorlage und Annahme einer Entschließung, die die Bun-
desregierung auffordert, im Rahmen der Verhandlungen im weiteren Verlauf
des Rechtssetzungsverfahrens in den Organen und Gremien der EU darauf hin-
zuwirken, dass der Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags aus-
schließlich auf grenzüberschreitende Angelegenheiten beschränkt und nicht auf
rein innerstaatliche Angelegenheiten ausgedehnt wird.
Einstimmige Annahme einer Entschließung

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Wurden im Ausschuss nicht erörtert.

Drucksache 15/4415 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
in Kenntnis der Unterrichtung – Drucksache 15/3135 Nr. 2.14 – folgende Ent-
schließung anzunehmen:
1. Der Deutsche Bundestag unterstützt das Ziel des Vorschlags für eine Verord-

nung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Eu-
ropäischen Mahnverfahrens, ein schnelles und wirksames Verfahren für die
Beitreibung unbestrittener Forderungen in Zivil- und Handelssachen einzu-
führen, soweit es sich um grenzüberschreitende Verfahren handelt. Der
Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass für die Anwendung des Euro-
päischen Mahnverfahrens auf rein innerstaatliche Angelegenheiten aufgrund
fehlender Zuständigkeit keine Rechtsgrundlage besteht. Wird die Frage der
Zuständigkeit anders bewertet, würde eine Regelung für rein nationale Ver-
fahren zudem gegen den Subsidiaritätsgrundsatz nach Artikel 5 Satz 2 EGV
und das Übermaßverbot nach Artikel 5 Satz 3 EGV verstoßen.

2. Mit dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und
des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens soll ein EU-
weit einheitliches Mahnverfahren zur Beitreibung unbestrittener Forderun-
gen in Zivil- und Handelssachen eingeführt werden. Die Anwendung des
Verfahrens soll fakultativ ausgestaltet sein, so dass der Gläubiger entschei-
den kann, ob er seinen Anspruch im Wege des Europäischen Mahnverfah-
rens oder im Wege eines abgekürzten oder ordentlichen Verfahrens nach
dem Recht des Mitgliedstaates, in dem sich der Gerichtsstand befindet,
durchzusetzen sucht.
Für den Erlass der Verordnung beruft sich die Europäische Kommission auf
die Rechtsetzungskompetenz aus Artikel 65 Buchstabe c des EG-Vertrages,
wonach Maßnahmen im Bereich der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsa-
chen mit grenzüberschreitenden Bezügen getroffen werden können, soweit
sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind.
Zur Begründung führt die Kommission aus, dass die Mahnverfahren der
Mitgliedstaaten nicht effizient seien, eine Unterscheidung zwischen „grenz-
überschreitend“ und „innerstaatlich“ schwierig und dadurch unweigerlich
willkürlich sei und im Übrigen jede gerichtliche Entscheidung potentiell
grenzüberschreitenden Charakter habe.
Der Deutsche Bundestag ist mit der Bundesregierung der Auffassung, dass
die Voraussetzungen des Artikels 65 Buchstabe c EG-Vertrag nicht vorlie-
gen, soweit die Verordnung nicht nur auf grenzüberschreitende, sondern
auch auf rein innerstaatliche Angelegenheiten anwendbar sein soll. Auch
wenn die Unterscheidung zwischen grenzüberschreitenden und innerstaat-
lichen Angelegenheiten, die Artikel 65 Buchstabe c EG-Vertrag voraussetzt,
im Einzelfall problematisch sein kann, bedeutet dies nicht unweigerlich,
dass sie willkürlich getroffen würde und sich daraus eine Kompetenz für
eine europäische Regelung herleiten ließe. Für den Bereich der rein inner-
staatlichen Angelegenheiten besteht auch keine Notwendigkeit einer ge-
meinschaftlichen Regelung. Insbesondere die Begründung der Europäischen
Kommission für ein Europäisches Mahnverfahren, nämlich dass in grenz-
überschreitenden Fällen die Dauer und Kosten der Verfahren oft nicht in
einem angemessenen Verhältnis zur Höhe der unbestrittenen Forderung
stünden, greift in innerstaatlichen Fällen gerade nicht.

3. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf, im Rahmen
der Verhandlungen im weiteren Verlauf des Rechtssetzungsverfahrens in den

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4415

Organen und Gremien der EU darauf hinzuwirken, dass der Anwendungsbe-
reich des Verordnungsvorschlags ausschließlich auf grenzüberschreitende
Angelegenheiten beschränkt und nicht auf rein innerstaatliche Angelegen-
heiten ausgedehnt wird.

Berlin, den 1. Dezember 2004

Der Rechtsausschuss
Andreas Schmidt (Mülheim)
Vorsitzender

Christoph Strässer
Berichterstatter

Thomas Silberhorn
Berichterstatter

Jerzy Montag
Berichterstatter

Sibylle Laurischk
Berichterstatterin

Drucksache 15/4415 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Christoph Strässer, Thomas Silberhorn, Jerzy Montag
und Sibylle Laurischk

I. Überweisung
Der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäi-
schen Mahnverfahrens – KOM (2004) 173 endg.; Ratsdok.
7615/04 (Anlage) – wurde mit Überweisungsdrucksache
15/3135 Nr. 2.14 vom 12. Mai 2004 gemäß § 93 Abs. 1
GO dem Rechtsausschuss zur federführenden Beratung so-
wie dem Finanzausschuss, dem Ausschuss für Wirtschaft
und Arbeit, dem Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft und dem Ausschuss für die An-
gelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung
überwiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse
Der Finanzausschuss hat die Vorlage in seiner 63. Sitzung
vom 16. Juni 2004 beraten und Kenntnisnahme empfohlen.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit hat die Vorlage
in seiner 61. Sitzung vom 16. Juni 2004 beraten und ohne
Aussprache Kenntnisnahme empfohlen.
Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft hat die Vorlage in seiner 44. Sit-

zung vom 16. Juni 2004 beraten und Kenntnisnahme
empfohlen.
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union hat die Vorlage in seiner 56. Sitzung vom 1. Dezember
2004 beraten und hat Kenntnisnahme sowie einstimmige An-
nahme des Entschließungsantrags 15(6)146 empfohlen.

III. Beratung im Rechtsausschuss
Der Unterausschuss Europarecht des Rechtsausschusses hat
die Vorlage in seiner 14. Sitzung vom 18. Juni 2004 behandelt
und zur weiteren Beratung an den Rechtsausschuss überwie-
sen. In seiner 65. Sitzung vom 1. Dezember 2004 hat der
Rechtsausschuss das Dokument – KOM (2004) 173 endg.;
Ratsdok. 7615/04 (Anlage) – abschließend beraten. Die Frak-
tionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
FDP legten hierzu einen gemeinsamen Entschließungsantrag
vor (siehe Beschlussempfehlung).
Der Ausschuss beschloss einstimmig, dem Deutschen Bun-
destag zu empfehlen, in Kenntnis der Unterrichtung durch
die Bundesregierung – Drucksache 15/3135 Nr. 2.14 – die
in der Beschlussempfehlung wiedergegebene Entschließung
anzunehmen.

Berlin, den 1. Dezember 2004
Christoph Strässer
Berichterstatter

Thomas Silberhorn
Berichterstatter

Jerzy Montag
Berichterstatter

Sibylle Laurischk
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/4415

7615/04 GT/go 1
DG H III DE

RAT DER
EUROPÄISCHEN UNION

Brüssel, den 26. März 2004 (29.03)
(OR. fr)

Interinstitutionelles Dossier:
2004/0055 (COD)

7615/04

JUSTCIV 48
CODEC 411

VORSCHLAG
der Europäischen Kommission
vom 22. März 2004
Betr.: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur

Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens

Die Delegationen erhalten in der Anlage den mit Schreiben von Frau Patricia BUGNOT,
Direktorin, an den Generalsekretär/Hohen Vertreter, Herrn Javier SOLANA, übermittelten
Vorschlag der Europäischen Kommission.

________________________

Anl.: KOM(2004) 173 endg.

Drucksache 15/4415 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

DE DE

KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

Brüssel, den 19.03.2004
KOM(2004)173 endgültig

2004/0055 (COD)

Vorschlag für eine

VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens

(von der Kommission vorgelegt)

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/4415

BEGRÜNDUNG

1. EINFÜHRUNG UND HINTERGRUND

1.1. EINFÜHRUNG

Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam hat sich die Europäische Union selbst
das Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen. Dazu
gehört auch die Annahme von Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in
Zivilsachen. Laut Artikel 65 Buchstabe c) des Vertrages über die Gründung der Europäischen
Gemeinschaft schließen diese Maßnahmen die Beseitigung der Hindernisse für eine
reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der
Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften,
ein.

Der vom Rat 1998 angenommene Wiener Aktionsplan des Rates und der Kommission1

forderte dazu auf, die Zivilverfahrensregeln mit grenzüberschreitenden Auswirkungen zu
ermitteln, die im Hinblick auf einen erleichterten Zugang der europäischen Bürger zu den
Gerichten dringend anzugleichen sind, und zu prüfen, ob entsprechende zusätzliche
Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit der Zivilverfahren auszuarbeiten sind.

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere2 wurden Rat und
Kommission ersucht, neue Vorschriften zu jenen zivilverfahrensrechtlichen Aspekten
auszuarbeiten, die für eine reibungslose justizielle Zusammenarbeit und für einen verbesserten
Zugang zum Recht unabdingbar sind. In die Liste der Punkte, die Gegenstand einer
Rechtsetzungsinitiative werden sollen, wurde ausdrücklich auch das Mahnverfahren
aufgenommen.

Das gemeinsame Maßnahmenprogramm der Kommission und des Rates zur Umsetzung des
Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen, das am 30. November 2000 vom Rat angenommen wurde3, hob die
Abschaffung des Exequaturverfahrens für unbestrittene Forderungen als eine der Prioritäten
der Gemeinschaft hervor. Das Programm, das auf die vereinfachte Anerkennung und
Vollstreckung von Gerichtsurteilen abzielt, nennt als mögliche flankierende Maßnahme auch
die Angleichung von verfahrensrechtlichen Vorschriften, die sich in bestimmten Bereichen
als Vorbedingung für die gewünschten Forschritte bei der Abschaffung des
Exequaturverfahrens erweisen könnte. So wird denn auch in dem Dokument betont, dass in
bestimmten Bereichen, vor allem bei der Beitreibung unbestrittener Forderungen, die
Abschaffung des Exequaturverfahrens in Gestalt der Schaffung eines echten europäischen
Vollstreckungstitels erfolgen könnte, der im Wege eines in der Gemeinschaft eingeführten
spezifischen einheitlichen oder harmonisierten Verfahrens erlangt würde4. Es sei jedoch
betont, dass die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die Harmonisierung des

1 ABl. C 19 vom 23.1.1999, S.1, Rdnr. 41 Buchstabe d).
2 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Ziffer 38.
3 ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 1.
4 Abschnitt II.A Buchstabe b) des Programms. Auch wenn dabei das Mahnverfahren (oder ein anderes

spezielles Verfahren) nicht weiter erwähnt wird, spricht die spätere Bezugnahme auf den Vorschlag für
einen europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen in der ersten Phase der
Umsetzung des Programms (siehe Abschnitt III) dafür, dass eine Harmonisierung nach diesem Muster
vor allem für die Beitreibung unbestrittener Forderungen ins Auge gefasst worden ist.

Drucksache 15/4415 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Verfahrensrechts zwei verschiedene Dinge sind, auch wenn sie in dem hier zitierten Abschnitt
des Programms miteinander verknüpft werden. Das Exequaturverfahren setzt voraus, dass
eine Entscheidung ergangen ist, und betrifft den Zugang zu einer grenzüberschreitenden
Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat, während es im anderen Fall um den effizienten
Zugang zur Gerichtsbarkeit geht mit dem Ziel, eine Entscheidung zu erwirken, unabhängig
davon, ob diese im Ausland vollstreckt werden muss oder nicht. Es handelt sich somit um
dem Wesen nach unterschiedliche Sachfragen, die unabhängig voneinander behandelt werden
können, wie auch die Schlussfolgerungen von Tampere zeigen, in denen ebenfalls auf beide
Aspekte eingegangen wird, ohne sie jedoch miteinander zu verknüpfen.

Die Kommission hat beschlossen, beide Zielsetzungen - die gegenseitige Anerkennung von
Entscheidungen betreffend unbestrittene Forderungen und die Einführung eines speziellen
Verfahrens zur Erwirkung von Entscheidungen bei unbestrittenen Forderungen - in Gestalt
zweier unterschiedlicher Rechtsinstrumente zu verfolgen. Auf diese Weise besteht nicht die
Gefahr von Überschneidungen oder Ungereimtheiten zwischen beiden Vorhaben, die jeweils
eindeutig auf die Phasen beschränkt sind, die der Verkündung der vollstreckbaren
Entscheidung vorausgehen (Mahnverfahren) bzw. nachfolgen (Anerkennung und
Vollstreckung). Vielmehr bietet dieses Vorgehen eine Reihe wesentlicher Vorteile gegenüber
einer Rechtsetzungsinitiative, die beide Aspekte miteinander verbinden würde. So lässt sich
beispielsweise der Anwendungsbereich für die Abschaffung des Exequaturverfahrens auf
sämtliche Urteile erweitern, bei denen Wesen und Höhe der Forderung nachweislich unstrittig
sind, anstatt nur für Entscheidungen zu gelten, die in einem speziellen Verfahren ergehen.

Im April 2002 nahm die Kommission den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur
Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen5 an, der die
Beseitigung aller zwischengeschalteten Maßnahmen bei sämtlichen vollstreckbaren Titeln in
Bezug auf unbestrittene Forderungen unter der Voraussetzung vorsieht, dass eine Reihe
prozessualer Mindestvorschriften bei der Zustellung der Schriftstücke eingehalten werden.
Der vorliegende Vorschlag bildet die zweite Säule des oben erläuterten zweistufigen
Vorgehens.

1.2. Das Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren und über Maßnahmen
zur einfacheren und schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem
Streitwert

Der Annahme dieses Vorschlags gingen umfassende Konsultationen der Mitgliedstaaten und
sämtlicher betroffener Bereiche der Zivilgesellschaft voraus. Das von der Kommission am 20.
Dezember 2002 vorgelegte Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren und über
Maßnahmen zur einfacheren und schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem
Streitwert6 gab einen Überblick über die derzeit im Recht der einzelnen Mitgliedstaaten
existierenden Arten von Mahnverfahren. Ausgehend von einer vergleichenden Untersuchung
der gegenwärtig in den Mitgliedstaaten praktizierten Lösungen für die relevanten
Verfahrensfragen wurden in dem Grünbuch eine Vielzahl von Fragen über den
wünschenswerten Umfang und die wünschenswerten Merkmale eines europäischen
Instruments formuliert. Die wichtigsten Fragen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

– Sollte ein europäisches Instrument für ein Mahnverfahren nur auf Streitsachen mit
grenzüberschreitendem Bezug oder auch auf reine Inlandssachen anwendbar sein?

5 KOM(2002)159 endg., ABl. C 203 E vom 27.8.2002, S. 86..
6 KOM(2002)746 endg.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/4415

– Für welche Arten von Forderungen sollte das Europäische Mahnverfahren gelten?
Sollte es auf reine Geldforderungen beschränkt werden und wenn ja, sollten diese
nochmals in verschiedene Kategorien unterteilt werden?

– Besteht Bedarf an Sonderregeln zur internationalen Zuständigkeit oder vielleicht
sogar zur innerstaatlichen Zuständigkeitsverteilung?

– Soll beim Europäischen Mahnverfahren ein Urkundsbeweis zur Untermauerung des
Anspruchs verlangt werden und eine summarische Prüfung der Begründetheit des
Anspruchs durch das Gericht erfolgen oder genügt eine einfache Beschreibung des
Sachverhalts und das Nichtbestreiten des Anspruchs, um eine vollstreckbare
Entscheidung zu erwirken?

– Soll der Antragsgegner ein- oder zweimal das Recht haben, den Anspruch zu
bestreiten und die Sache in ein ordentliches Verfahren überzuleiten?

Die Kommission erhielt von den Mitgliedstaaten und sonstigen Kreisen, die die Interessen der
Wirtschaft, der Verbraucher und der Rechtsberufe vertreten, rund 60 Antworten. Diese
Reaktionen auf das Grünbuch, die in einer von der Kommission veranstalteten öffentlichen
Anhörung am 26. Juni 2003 ausführlich erörtert wurden, zeigten, dass die Einführung eines
Europäischen Mahnverfahrens nahezu ausnahmslos als weiterer Schritt hin zu einem Raum
der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betrachtet wird.

Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung zum Grünbuch7 die Initiative der
Kommission in hohem Maße begrüßt. Es rief dabei die vom Europäischen Rat in Tampere
formulierte politische Zielsetzung, gemeinsame Regeln für die rasche und effiziente
Beitreibung unbestrittener Forderungen auszuarbeiten, in Erinnerung und hob die Bedeutung
eines solchen Vorhabens für alle Wirtschaftsteilnehmer hervor, die ein Interesse am
reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes haben. Die Stellungnahme des Parlaments
stimmt in weiten Teilen mit dem vorliegenden Vorschlag überein, beispielsweise was die
Wahl des Instruments betrifft (Verordnung) und die Tatsache, dass das Europäische
Mahnverfahren eine Alternative zu den bestehenden innerstaatlichen Verfahren darstellen
soll.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßte in seiner Stellungnahme8

nachdrücklich die von der Kommission ergriffene Initiative, eine Anhörung zu diesem Thema
zu veranstalten. Die Einführung eines beschleunigten, effizienten und fairen Mahnverfahrens
wurde darin als Schlüsselelement des Grundrechts auf Zugang zum Recht bezeichnet, wobei
der Ausschuss die Kommission ermutigte und drängte, die Einführung eines europäischen
Standardverfahrens in einem Rechtsetzungsakt zu regeln.

In den nachfolgenden Abschnitten und vor allem bei der Erläuterung der einzelnen Artikel
wird auf die Kommentare zu den einzelnen, in dem Grünbuch aufgeworfenen Fragen und
deren Berücksichtigung bei der Ausarbeitung des vorliegenden Vorschlags näher eingegangen
werden.

7 Noch nicht veröffentlicht.
8 Stellungnahme des EWSA 742/2003 vom 18. Juni 2003.

Drucksache 15/4415 – 10 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

2. ZIELE UND ANWENDUNGSBEREICH

2.1. Übergeordnetes Ziel

2.1.1. Bedeutung eines effizienten Verfahrens zur Beitreibung von unbestrittenen
Forderungen

Ein Großteil der Gerichtsverfahren in den Mitgliedstaaten ist bekanntermaßen nicht in erster
Linie darauf gerichtet, eine abschließende, unparteiische Entscheidung über streitige
Tatsachen oder Rechtsfragen zu erwirken. Es ist vielmehr immer häufiger die Regel und nicht
die Ausnahme, dass der Gläubiger, ohne dass ein konkreter Rechtsstreit besteht, die Justiz in
Anspruch nehmen muss, um einen vollstreckbaren Titel zu erwirken, mit dem er eine
Forderung, der der Schuldner nicht nachkommen kann oder will, im Wege der
Zwangsvollstreckung beitreiben kann. Im Jahr 2000 leitete die Kommission eine
Untersuchung über spezielle innerstaatliche Verfahren bei Bagatellforderungen ein. Der an
die Mitgliedstaaten verteilte Fragebogen enthielt auch einige Fragen zu unbestrittenen
Forderungen. Die Antworten der Mitgliedstaaten zeigen, dass dort, wo statistisches
Datenmaterial vorliegt, der Prozentsatz unbestrittener Forderungen zwischen 50% und 80%
aller vor ein ordentliches erstinstanzliches Zivilgericht gebrachten Fälle liegt9.

Die rasche Beitreibung ausstehender Forderungen, deren Rechtmäßigkeit nicht in Frage
gestellt wird, ist für die Wirtschaftsbeteiligten in der Europäischen Union und das
reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes von größter Bedeutung. Ein Rechtsrahmen,
der dem Gläubiger keinen Zugang zu rascher Regulierung unbestrittener Forderungen
garantiert, räumt zahlungsunwilligen Schuldnern möglicherweise bis zu einem gewissen Grad
Straffreiheit ein und schafft auf diese Weise einen Anreiz, Zahlungen absichtlich zum eigenen
Vorteil zurückzuhalten10. Zahlungsverzug ist einer der wichtigsten Gründe für die Insolvenz,
die das Überleben der Unternehmen, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen,
gefährdet und zahlreiche Arbeitsplätze kostet. Wenn selbst für die Beitreibung unbestrittener
Forderungen lästige zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren angestrengt werden
müssen, führt dies zwangsläufig zu einer Verschärfung dieser schädlichen wirtschaftlichen
Folgen.

Diese Situation stellt die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vor vielfältige
Herausforderungen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass die tatsächlich strittigen Fälle zu
einem möglichst frühen Zeitpunkt im Verfahren von denjenigen unterschieden werden, die im
Grunde unstrittig sind. Eine solche Unterscheidung ist für die effiziente Nutzung der den
Gerichten zur Verfügung stehenden begrenzten Ressourcen eine notwendige, wenn auch nicht
hinreichende Bedingung. Sie ermöglicht es den Gerichten, sich auf die Beilegung
tatsächlicher Streitfälle zu konzentrieren und in einem angemessenen Zeitrahmen Recht zu
sprechen. Dieses Ziel lässt sich jedoch nur verwirklichen, wenn über unstrittige Forderungen
in einem schnellen wirksamen Verfahren entschieden werden kann, dass der Justiz die zur
Vermeidung beträchtlicher Rückstände unerlässliche Entlastung bringt. Angesichts der oben

9 Evelyne Serverin, Directeur de recherche beim CNRS IDHE-ENS CACHAN, Des Procedures de
traitement judiciares des demandes de faible importance ou non contestées dans les droits des Etats-
Membres de l’Union Européenne, Cachan 2001, S. 30.

10 Ausgehend von den Ergebnissen einer von ihr 1994 in Auftrag gegebenen Studie (‘European Late
Payment Survey’ – Intrum Justitia) schätzt die Kommission in ihrer Mitteilung an den Rat und das
Europäische Parlament 'Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen
Entscheidungen in der Europäischen Union' (ABl. C 33 vom 31.1.1998, S. 3, Rdnr. 38) den Anteil
mutwilliger Zahlungsverzögerungen in der Europäischen Union auf 35%.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/4415

erwähnten Zahl unstrittiger Fälle ist daher ein Prozessrecht, das eine effiziente
Rechtsprechung gewährleistet, ein entscheidender Faktor für die Leistungsfähigkeit der
gesamten Rechtsordnung.

2.1.2. Definition des Mahnverfahrens

Alle Mitgliedstaaten versuchen, das Problem der Beitreibung einer Masse unbestrittener
Forderungen auf dem Rechtsweg aus ihrer eigenen Perspektive im Rahmen ihrer
Rechtstraditionen und prozessrechtlichen Verfahren zu lösen. Wie zu erwarten, weichen die
einzelstaatlichen Lösungswege sowohl in verfahrenstechnischer Hinsicht als auch in Bezug
auf die Erfolgsquote stark voneinander ab. In manchen Mitgliedstaaten sind die wichtigsten
verfahrensrechtlichen Instrumente im Umgang mit Forderungen, die nicht Gegenstand eines
Rechtsstreits sind, Versäumnisurteile, im Rahmen des ordentlichen Zivilprozesses
vorgesehene besondere Schnellverfahren oder sogar einstweilige Verfügungen, die ihrer
Wirkung nach so gut wie definitiv sind, da sich in der Praxis kaum ein Hauptverfahren
anschließt.

In den meisten Mitgliedstaaten hat sich allerdings ein eigenes Mahnverfahren als besonders
wirkungsvoll erwiesen, um die rasche und kostengünstige Beitreibung von Forderungen zu
erwirken, die nicht Gegenstand eines Rechtsstreits sind. Derzeit ist ein solches Verfahren im
Zivilprozessrecht von elf Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Finnland, Frankreich,
Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, Portugal, Spanien, Schweden) vorgesehen.
Die bekanntesten Beispiele sind die französische injonction de payer und das deutsche
Mahnverfahren. In den letzten Jahren wurden Zahlungsbefehle auch in Spanien und Portugal
eingeführt, wo Gläubigern bisher ein vollstreckbarer Titel dieser Art nicht zur Verfügung
stand. Diese Entwicklung zeigt, dass sich dieser Verfahrenstyp in der Europäischen Union
zunehmender Beliebtheit erfreut.

Die Mahnverfahren der Mitgliedstaaten weisen in so entscheidenden Punkten wie
Anwendungsbereich, Zuständigkeit für den Erlass eines Zahlungsbefehls oder formal- und
materiellrechtliche Voraussetzungen für einen positiven Bescheid erhebliche Unterschiede
auf. Trotz dieser Unterschiede gibt es jedoch Gemeinsamkeiten, die für die Definition des
Mahnverfahrens herangezogen werden können.

Auf Antrag des Gläubigers entscheidet das Gericht oder eine andere zuständige Instanz über
die Forderung, ohne dass der Schuldner in das Verfahren einbezogen wird. Diese
Entscheidung wird dem Schuldner mit der Aufforderung zugestellt, entweder der
Entscheidung nachzukommen oder die Forderung innerhalb einer bestimmten Frist zu
bestreiten. Bleibt der Schuldner untätig, kann der Zahlungsbefehl vollstreckt werden. Nur im
Widerspruchsfall wird ein ordentliches Verfahren eingeleitet. Im Gegensatz zu den üblichen
Verfahrensregeln bleibt es dem Adressaten des Zahlungsbefehls überlassen, das streitige
Verfahren einzuleiten. Diese Umkehr der Verfahrensinitiative, die im Französischen mit
inversion du contentieux bezeichnet wird, in Kombination mit dem Schutz der
Verteidigungsrechte durch die Möglichkeit für den Schuldner, die Vollstreckung des Titels zu
verhindern, ist das Hauptmerkmal des Mahnverfahrens.

2.2. Anwendungsbereich

2.2.1. Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene

Es dürfte auf der Hand liegen, dass Dauer und Kosten eines ordentlichen Zivilverfahrens, das
für unbestrittene Ansprüche ungeeignet ist, bei Rechtssachen mit grenzüberschreitendem

Drucksache 15/4415 – 12 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bezug erst recht die Grenze des Verhältnismäßigen überschreiten können. Die Unkenntnis
über die Rechtsordnung anderer Mitgliedstaaten und die daraus folgende Notwendigkeit,
einen Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen, die zeitaufwendige Zustellung von gerichtlichen
Schriftstücken an Parteien außerhalb des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren stattfindet,
sowie die Auslagen für Übersetzungen sind nur die augenfälligsten Faktoren, die Gläubigern
mit grenzüberschreitenden Ansprüchen das Leben schwer machen. Mit diesen Problemen ist
jeder grenzüberschreitende Rechtsstreit verbunden, unabhängig davon, ob ein Anspruch
strittig ist oder nicht. Dessen ungeachtet wird die Diskrepanz zwischen einem raschen
Beitreibungsverfahren für reine Inlandssachen und dem Zeit- und Kostenaufwand, der
entsteht, wenn die Parteien ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten haben,
unerträglich, wenn die Rechtmäßigkeit des betreffenden Anspruchs noch nicht einmal vom
Schuldner bestritten wird. Diese Situation begünstigt zahlungsunwillige Schuldner in
grenzüberschreitenden Streitigkeiten und schreckt Wirtschaftsbeteiligte möglicherweise
davon ab, ihre Tätigkeit über die Grenzen ihres Herkunftsmitgliedstaats hinaus auszuweiten,
beeinträchtigt also den Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Selbst wenn es in allen
Mitgliedstaaten ein effizientes einzelstaatliches Verfahren zur Beitreibung unbestrittener
Forderungen gäbe - was gegenwärtig bei weitem nicht der Fall ist, da es sich dann, wenn der
Schuldner seinen Wohnsitz im Ausland hat, häufig als unzulässig oder ungangbar erweist -,
würde dies die Situation nicht entscheidend verbessern, da die tief greifenden Unterschiede
zwischen derartigen Verfahren und die mangelnde Vertrautheit mit ihnen an sich bereits
erhebliche Hindernisse für die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten darstellen. Ein
harmonisierter europäischer Zahlungsbefehl würde maßgeblich dazu beitragen, den Zugang
zu einer effizienten Rechtsprechung zu erleichtern.

2.2.2. Reichweite des Vorschlags

Aus den oben dargelegten Gründen liegt der Bedarf an einem einheitlichen Mahnverfahren
zur Beitreibung unbestrittener Forderungen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr auf der
Hand. Nach Ansicht der Kommission wäre es jedoch nicht nur unangemessen, sondern sogar
kontraproduktiv, den Anwendungsbereich dieses Verfahrens auf grenzüberschreitende Fälle
zu beschränken.

Artikel 65 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft überträgt der
Gemeinschaft Legislativbefugnisse im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in
Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen, soweit dies für das reibungslose
Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist. Der grenzüberschreitende Bezug ist
natürlich eine Vorbedingung für die Gemeinschaftskompetenz, doch bedeutet dies nicht, dass
auf dieser Grundlage angenommene Vorschriften einzig bei grenzüberschreitenden
Streitigkeiten, d. h. bei Fällen mit konkretem grenzüberschreitendem Bezug, zur Anwendung
kommen könnten. Dies wäre eine allzu enge Auslegung der Bestimmung, die durch den
Wortlaut nicht geboten ist. Die bewusste Verwendung des breiteren Begriffs von
Rechtssachen mit grenzüberschreitendem Bezug speziell im Lichte von Artikel 65 ermöglicht
ein gewisses Maß an Flexibilität, Rechtsvorschriften anzunehmen, die nicht nur zur Regelung
von grenzüberschreitenden Streitigkeiten dienen. Angesichts der fundamentalen
wirtschaftlichen Bedeutung eines effizienten Verfahrens für die Beitreibung unbestrittener
Forderungen und der Folgen, die sich für den Binnenmarkt aus den großen Unterschieden
zwischen den einzelstaatlichen Systemen ergeben, die vorstehend in Abschnitt 2.2.1 und in
diesem Abschnitt dargelegt werden, wäre ein sowohl auf grenzüberschreitende als auch auf
innerstaatliche Fälle anwendbares Rechtsinstrument für das Funktionieren des Binnenmarktes
außerordentlich wichtig. Nach Artikel 65 ist ein solches Instrument, das nicht nur zur
Beilegung von grenzüberschreitenden Streitigkeiten im engeren Sinne dient, sondern auf rein
innerstaatliche Rechtssachen angewandt werden kann, zulässig. Dabei ist zu berücksichtigen,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13 – Drucksache 15/4415

dass die Anwendung des Europäischen Mahnverfahrens fakultativ ist. Auf die Wahlfreiheit
im Zusammenhang mit dem Instrument und seinen Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten
wird weiter unten eingegangen (2.2.3).

Überdies ist die Unterscheidung zwischen "grenzüberschreitenden" und "innerstaatlichen"
Szenarien sehr viel schwieriger, als es auf den ersten Blick scheinen mag, und wäre
unweigerlich bis zu einem gewissen Grad willkürlich. Gesetzt den Fall, die Beteiligten an
einem Autounfall in Deutschland sind beide in Frankreich wohnhaft und tragen vor einem
französischen Gericht einen Rechtsstreit über die Schadensfolgen aus: Ist dies dann eine rein
innerstaatliche Angelegenheit, da sich beide Parteien und der Gerichtsstand in demselben
Mitgliedstaat befinden, oder strahlt sie über die Landesgrenzen hinaus, weil ein anderer
Mitgliedstaat insofern mit beteiligt ist, als dessen Gerichte für die Sache zuständig wären,
wenn der Geschädigte es vorgezogen hätte, dort Klage zu erheben? Im ersten Fall hieße dies,
dass der grenzüberschreitende Charakter einer Sache von der subjektiven Entscheidung des
Anspruchsberechtigten abhängig gemacht würde; je nachdem, für welchen Gerichtsstand er
sich in ein und derselben Sache entscheidet, hätte diese entweder grenzüberschreitenden
Charakter oder wäre trotz eines Sachverhalts, der in zwei Mitgliedstaaten hineinwirkt, eine
rein innerstaatliche Angelegenheit. Es bestünde die Möglichkeit zu sagen, dass jede Sache,
die Anknüpfungspunkte zu mehr als einem Mitgliedstaat aufweist, grenzüberschreitende
Wirkung hat. Dann müsste jedoch zwangsläufig definiert werden, was ein hinreichender
Anknüpfungspunkt wäre, und darin bestünde schon die erste Schwierigkeit. Reicht es
beispielsweise schon aus, wenn das materielle Recht eines Mitgliedstaats anwendbar ist, in
dem sich nicht der Gerichtsstand befindet, um einen solchen Anknüpfungspunkt herzustellen?
Zudem dürfte sich ein europäisches Mahnverfahren, dessen eigentliches Ziel die
beschleunigte, einfachere Beitreibung unbestrittener Forderungen ist, nicht unbedingt dazu
eignen, um nebenbei noch so komplexe Fragen wie die Zulässigkeit eines Mahnantrags zu
klären.

Dies in Verbindung mit dem Umstand, dass jede gerichtliche Entscheidung potenziell
grenzüberschreitenden Charakter annehmen kann, lässt den Nutzen einer Unterscheidung
zwischen "innerstaatlich" und "grenzüberschreitend" zweifelhaft erscheinen.

Außerdem würde eine Beschränkung auf grenzüberschreitende Fälle im speziellen Fall der
Beitreibung unbestrittener Forderungen unerwünschte politische und wirtschaftliche Folgen
nach sich ziehen. So würde der Zugang von Wirtschaftsteilnehmern zu Verfahren mit
unterschiedlicher Erfolgsquote zu einer Wettbewerbsverfälschung im Binnenmarkt führen,
unabhängig davon, ob die Beteiligten in demselben Mitgliedstaat wohnhaft sind oder nicht.
Wenn zwei Unternehmen in ein und demselben Mitgliedstaat miteinander konkurrieren und
eines davon dort ansässig ist, ist keine Gleichbehandlung gewährleistet, wenn nur das im
Ausland niedergelassene Unternehmen ein effizientes europäisches Mahnverfahren in
Anspruch nehmen kann. Desgleichen könnte ein Unternehmen, das seine Kunden
überwiegend im Ausland hat, infolge eines solchen Verfahrens gegenüber einem im gleichen
Mitgliedstaat niedergelassenen Wettbewerber, der hauptsächlich im Inland tätig ist, bevorteilt
werden. Überdies dürften dann jene Mitgliedstaaten, die derzeit über kein sehr effizientes
Instrument zur Beitreibung unbestrittener Forderungen verfügen, gegenüber Gläubigern und
Schuldnern bei der Frage, warum sie in einer grenzüberschreitenden Situation besser gestellt
sind als bei einer rein innerstaatlichen Angelegenheit, in einen Erklärungsnotstand geraten.
Die überwiegende Mehrheit der Kommentare von Wirtschaftsteilnehmern oder deren
Interessenverbänden zum Grünbuch und auch die Stellungnahme des Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschusses machen deutlich, dass ein europäischen Mahnverfahren
benötigt wird, das durchweg ohne Unterscheidung zwischen innerstaatlichen und
grenzüberschreitenden Fällen anwendbar ist.

Drucksache 15/4415 – 14 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

2.2.3. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit

Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass das zentrale Ziel dieses Vorschlags, nämlich die
Schaffung eines einheitlichen europäischen Verfahrens für eine schnelle Erwirkung einer
vollstreckbaren Entscheidung über die Beitreibung einer Forderung, deren Rechtmäßigkeit
nicht bestritten wird, von den Mitgliedstaaten nicht in hinreichender Weise verwirklicht
werden kann, da sie selbst keine Gleichwertigkeit der Vorschriften innerhalb der
Gemeinschaft herstellen können, weshalb diese Aufgabe auf Gemeinschaftsebene besser
aufgehoben ist.

Der vorliegende Vorschlag ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, da er
den Regelbedarf auf das zur Verwirklichung des Ziels absolut erforderliche Minimum
beschränkt. Dabei sei insbesondere auf die Vorzüge eines Systems gegenüber vergleichbaren
einzelstaatlichen zivilprozessrechtlichen Verfahren verwiesen, bei dem das gewählte
Rechtsinstrument wahlweise mit dem europäische Mahnverfahren kombiniert wird. Die hier
vorgeschlagene Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich dazu, das europäische
Verfahren als zusätzliches Instrument zur Verfügung zu stellen, und sorgt dabei gleichzeitig
für dessen Einheitlichkeit und unmittelbare Anwendbarkeit. Die Mitgliedstaaten müssten ihre
einzelstaatlichen Regelungen des Mahnverfahrens oder eines sonstigen Verfahrens zur
Beitreibung unbestrittener Forderungen somit weder abschaffen noch an das
Gemeinschaftsrecht anpassen. Der vorliegende Verordnungsvorschlag, der den
Mitgliedstaaten die Anwendung ihrer innerstaatlichen Vorschriften parallel zum europäischen
Mahnverfahren gestattet, greift weitaus weniger in ihre prozessualen Systeme ein als eine
Richtlinie, bei der die nationalen Rechtsvorschriften an die Standards des europäischen
Instruments angepasst werden müssten. Diese Art des Vorgehens gewährleistet somit ein
Mindestmaß an Effizienz bei der Beitreibung unbestrittener Forderungen und gibt den
Mitgliedstaaten, die ein noch besseres System entwickelt haben, gleichzeitig das Recht, dieses
System beizubehalten. Letztlich bleibt es dem Gläubiger überlassen zu beurteilen, welches
Verfahren er für leistungsfähiger oder praktischer hält, wobei der letzte Aspekt vor allem für
diejenigen von Belang ist, die in mehreren Mitgliedstaaten Geschäfte betreiben und somit
dank des Europäischen Mahnverfahrens der Mühe enthoben werden, sich mit dem
Prozessrecht sämtlicher dieser Staaten vertraut machen zu müssen. Nicht zu vergessen ist
schließlich, dass sich bei einem Mahnverfahren die Grundsätze der Subsidiarität und der
Verhältnismäßigkeit per definitionem besonders leicht beachten lassen, da dieser
Verfahrenstyp mit den übrigen Vorschriften des Zivilprozessrechts nicht direkt verwoben ist,
sondern ein Kapitel für sich darstellt. Nur wenn das Mahnverfahren durch den Widerspruch
des Schuldners beendet wird, kann es in ein ordentliches Zivilverfahren übergehen. Daher
macht die Einführung eines europäischen Mahnverfahrens keine weitere Annäherung der
verfahrensrechtlichen Vorschriften in den Mitgliedstaaten erforderlich, wobei die Kollision
mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf ein Mindestmaß beschränkt bleibt.

3. ERLÄUTERUNGEN ZU DEN EINZELNEN ARTIKELN

Artikel 1 - Anwendungsbereich

Der in Absatz 1 beschriebene allgemeine Anwendungsbereich beschränkt sich auf Zivil- und
Handelssachen und stimmt insofern mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.
Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen überein.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 15 – Drucksache 15/4415

Absatz 2 schließt bestimmte zivil- und handelsrechtliche Geldforderungen vom
Anwendungsbereich der Verordnung aus. Im Rahmen ehelicher oder eheähnlicher
Gemeinschaften (z.B. eingetragene Lebenspartnerschaft) erworbene Rechte an
Vermögenswerten wurden ausgenommen, da die Gerichte bei Familiensachen oft gezwungen
sind, den Sachverhalt von Amts wegen zu prüfen, und sich nicht mit einer Gegenrede gegen
das Vorbringen des Antragstellers begnügen können. Wie schon in der Verordnung Nr.
44/2001 sind insolvenz- und sozialversicherungsrechtliche Ansprüche ebenfalls
ausgenommen. Abgesehen von diesen Bereichen besteht nach Auffassung der Kommission
kein Grund, weitere Arten von Forderungen vom Anwendungsbereich der Verordnung
auszunehmen. Allein die Zuständigkeit von Sondergerichten (z.B. Arbeitsgerichte für
Ansprüche aus Beschäftigungsverhältnissen) anstatt von ordentlichen Zivilgerichten ist noch
kein plausibler Grund für die Nichtanwendbarkeit des Mahnverfahrens. Zwingende Gründe,
die für eine weitere Beschränkung des Anwendungsbereichs des Verfahrens aufgrund der Art
oder der Rechtsgrundlage des Anspruchs sprechen, sind a priori nicht erkennbar; weitere
Auflagen würden im Gegenteil zu großen Problemen bei der Abgrenzung zwischen
zulässigen und unzulässigen Ansprüchen führen. Ferner sieht der vorliegende Vorschlag in
Übereinstimmung mit der überwiegenden Mehrheit der Kommentare zum Grünbuch keinen
Höchstbetrag vor, bis zu dem Forderungen im Wege des Mahnverfahrens beigetrieben werden
können, da zwischen dem Geldwert der fraglichen Forderung und dem Bestreiten eines
Anspruchs offensichtlich kein so enger Zusammenhang besteht, als dass die Inanspruchnahme
des Verfahrens auf die Beitreibung von Beträgen unterhalb eines bestimmten
Schwellenwertes beschränkt werden müsste. Selbst wenn, wie von Einigen behauptet wird,
die Wahrscheinlichkeit streitiger Verfahren mit zunehmendem Geldwert der Forderung
steigen würde, wäre dies noch kein Grund, einen Höchstbetrag einzuführen, da es dem
Gläubiger überlassen bleibt abzuschätzen, ob ein Widerspruch eher unwahrscheinlich ist und
es sich daher lohnt, den Weg des Mahnverfahrens zu beschreiten, oder ob mit einem
Widerspruch zu rechnen ist; in diesem Fall wird der Gläubiger gleich ein ordentliches
Gerichtsverfahren anzustrengen.

Die Unterschiede im Anwendungsbereich dieses Vorschlags und der Verordnung Nr.44/2001
in Bezug auf die ausgenommenen Bereiche sind darauf zurückzuführen, dass beide
unterschiedliche Sachverhalte regeln, die jeweils einen völlig anderen Ansatz und eine andere
Sicht der Dinge erfordern. Der vorliegende Entwurf konzentriert sich auf die
verfahrensmäßigen Regeln und Voraussetzungen im Zusammenhang mit der Erwirkung einer
vollstreckbaren Entscheidung und greift keine der in der Verordnung Nr. 44/2001 behandelten
Fragen auf. Auf die Frage der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit bei Mahnverfahren
wird nicht weiter eingegangen, da die Interessen der Antragsteller und Antragsgegner in der
Verordnung Nr. 44/2001 bereits so ausgewogen berücksichtigt sind, dass keine
Notwendigkeit besteht, von diesen Regeln abzuweichen und eine Sonderregelung für
Mahnverfahren einzuführen. Fragen der Anerkennung und Vollstreckung in einem anderen
Mitgliedstaat als dem, dessen Gerichte den Zahlungsbefehl ausgestellt haben, werden
ausschließlich nach der Verordnung Nr. 44/2001 sowie nach der künftigen Verordnung zur
Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen geregelt.
Es versteht sich daher von selbst, dass die Überlegungen, die dazu geführt haben, dass einige
Arten von Forderungen oder Verfahren, von denen einige noch nicht einmal ansatzweise mit
Geldforderungen zu tun haben, vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001
ausgenommen wurden, für den vorliegenden Vorschlag irrelevant oder sogar sinnwidrig sind.

Drucksache 15/4415 – 16 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Artikel 2 - Europäisches Mahnverfahren

Absatz 1 beschränkt die Anwendbarkeit des Verfahrens auf bezifferte fällige
Geldforderungen. Es gilt somit nicht für Geldforderungen, die sich nicht in Form eines
konkreten Betrages ausdrücken lassen (wie etwa im Falle immaterieller Schäden), und auch
nicht für Forderungen, die die Verpflichtung beinhalten, etwas zu tun oder zu unterlassen, wie
die Forderung nach Heraus- oder Rückgabe von Vermögenswerten oder die Zwangsräumung.
Theoretisch könnte das der Ermittlung unbestrittener Forderungen zugrunde liegende Prinzip
auch auf andere Arten von Forderungen als Geldforderungen ausgeweitet werden, und in der
Tat ist dies in einigen Mitgliedstaaten bei bestimmten, nicht auf Zahlung gerichteten
Ansprüchen bereits der Fall. Wie die Reaktionen auf das Grünbuch zeigen, besteht jedoch
generell Einigkeit darin, dass sich diese sonstigen Forderungen, die nur einen kleinen
Prozentsatz aller im Rahmen dieses Verfahrens abgewickelten Fälle ausmachen, zweifellos
sehr viel weniger für eine standardisierte Abwicklung eignen. Allein schon die
Notwendigkeit, die Forderung so zu formulieren, dass sie die Voraussetzungen für die
Erwirkung eines vollstreckbaren Titels erfüllt, ist - um nur ein Beispiel zu nennen - für einen
Nichtfachmann häufig schon ein unüberwindliches Hindernis und würde die Abweisung einer
großen Zahl von Anträgen allein schon aus diesem Grund zur Folge haben oder aber den
Gerichten einen unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand aufbürden.

Absatz 2 hebt den fakultativen Charakter des Europäischen Mahnverfahrens hervor. Es liegt
völlig im Ermessen des Gläubigers zu entscheiden, ob er seinen unter diese Verordnung
fallenden Anspruch im Wege des Europäischen Mahnverfahrens oder im Wege eines
abgekürzten oder ordentlichen Verfahrens nach dem Rechts des Mitgliedstaates, in dem sich
der Gerichtsstand befindet, durchzusetzen sucht.

Artikel 3 - Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls

In diesem Artikel wird aufgelistet, welche Angaben ein Antrag auf Erlass eines europäischen
Zahlungsbefehls enthalten muss (Angaben zu den Verfahrensparteien, Beschreibung und
Begründung des Anspruchs). Die dort genannten Punkte bedürfen größtenteils keiner
weiteren Erläuterung.

Zu betonen ist, dass in dem vorliegenden Vorschlag von der Vorlage eines Urkundsbeweises
als Voraussetzung für den Erlass eines Zahlungsbefehls abgesehen wird. Bei genauerer
Prüfung der Antworten auf das Grünbuch im Zusammenhang mit der wichtigen
Unterscheidung zwischen zwei Verfahrensarten beim Zahlungsbefehl (im Grünbuch als
"beweispflichtiges" bzw. "nicht beweispflichtiges" Modell bezeichnet) kam die Kommission
zu dem Schluss, dass beim beweispflichtigen Modell die einheitliche Anwendung der
Verordnung in Bezug auf das, was als ausreichender Beleg für die Forderung gelten soll, stark
in Frage gestellt wäre. Vor allem ist zu berücksichtigen, dass der eigentliche Zweck eines dem
Antrag beigefügten Urkundsbeweises darin besteht, dass er als Grundlage für die
summarische Prüfung der Begründetheit des Anspruchs herangezogen wird, die in jenen
Mitgliedstaaten vorgeschrieben ist, die dem "beweispflichtigen" Modell anhängen. Der
vorliegende Vorschlag sieht jedoch keine systematische umfassende oder auch nur
summarische Prüfung der Begründetheit der Forderung vor.

Die Kommission hat stattdessen versucht, eine Lösung zu finden, die die Vorteile des "nicht
beweispflichtigen" Modells in punkto Einfachheit und Effizienz des Verfahrens mit einem
angemessenen Schutz der Rechte des Antragsgegners verbindet. Letzterem Ziel dient die in
Absatz 2 Buchstabe e) enthaltene Verpflichtung des Antragstellers, ein Beweismittel, das bei

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 17 – Drucksache 15/4415

einem Vorgehen gegen die Forderung in einem ordentlichen Verfahren Bestand hätte, wenn
schon nicht vorzulegen, so doch zumindest zu beschreiben. Diese Bedingung, die es dem
Antragsteller ermöglicht, auf alle zulässigen Beweismittel und nicht nur auf Schriftstücke
zurückzugreifen, ohne ihn jedoch zu verpflichten, eine erschöpfende Liste der Beweisstücke
zu erstellen, bildet eine formalrechtliche Voraussetzung für den Erlass eines Europäischen
Zahlungsbefehls, die leicht zu überprüfen ist.

Der Antragsteller muss dem Gericht gemäß Absatz 2 Buchstabe d) eine Beschreibung des
Streitgegenstands liefern. Diese Beschreibung kann und sollte sogar möglichst kurzgefasst
sein, sie muss aber das Rechtsverhältnis zwischen den Vertragsparteien erläutern, den
konkreten Grund für die Forderung und deren Höhe nennen und den Zusammenhang
zwischen der Forderung und den angebotenen Beweismitteln darstellen.

Absatz 3 ermöglicht die Verwendung einer elektronischen anstatt einer handschriftlichen
Unterschrift, wenn sie gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche
Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen ausschließlich dem Unterzeichner
zugeordnet ist und seine Identifizierung ermöglicht, mit Mitteln erstellt wird, die der
Unterzeichner unter seiner alleinigen Kontrolle halten kann und so mit den Daten, auf die sie
sich bezieht, verknüpft ist, dass ihre nachträgliche Veränderung erkannt werden kann. Diese
Bestimmung, die wiederholt in dem Vorschlag auftaucht, ist Ausdruck der generellen
Bereitschaft, den Gebrauch der elektronischen Datenverarbeitung und Kommunikation
zuzulassen, sofern die Rechte der Parteien dabei angemessen geschützt werden.

Artikel 4 - Voraussetzungen für den Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls

Absatz 1 dieses Artikels enthält eine erschöpfende Aufzählung aller für den Erlass eines
Europäischen Zahlungsbefehls erforderlichen Voraussetzungen, deren Erfüllung das Gericht
im Falle seiner Befassung mit der Sache prüfen muss. Die Prüfung muss folgende Punkte
umfassen, darf jedoch nicht darüber hinausgehen:

– Anwendbarkeit des Verfahrens nach Maßgabe von Artikel 1 und 2 und

– Erfüllung der formalen Voraussetzungen gemäß Artikel 3.

Abgesehen von diesen Bedingungen, die von Amts wegen zu prüfen sind, ist es Sache des
Antragsgegners, anhand der Angaben in dem Antrag, die genauen Aufschluss über den gegen
ihn geltend gemachten Anspruch geben, abzuschätzen, ob der Antrag begründet ist, und
daraufhin zu entscheiden, ob er die Forderung bestreiten oder sich ihm beugen soll. Im
letzteren Fall gibt es keinen plausiblen Grund, dem Antragsteller einen positiven Bescheid zu
verweigern.

Absatz 2 gibt dem Gericht, ohne dass jedoch die Verpflichtung hierzu bestünde, einen
gewissen Ermessensspielraum bei der Frage, ob der Antrag an den Antragsteller
zurückverwiesen wird, um ihm die Möglichkeit zur Ausmerzung von Mängeln in seinem
Antrag für den Fall zu geben, dass er nicht alle in Artikel 3 genannten formalrechtlichen
Voraussetzungen erfüllt hat und sich der Mangel leicht beheben lässt, so z.B. wenn er schlicht
vergessen hat, eine obligatorische Rubrik des Antrags auszufüllen. Auf keinen Fall soll mit
dieser Bestimmung jedoch der zügige und effiziente Ablauf des Verfahrens gestört werden.
Bei Zurückweisung eines Antrags bleibt dem Antragsteller gemäß Artikel 5 auf jeden Fall

Drucksache 15/4415 – 18 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

noch die Möglichkeit, seinen Anspruch in einem ordentlichen Gerichtsverfahren
durchzusetzen.

Artikel 5 - Zurückweisung des Antrags

Im Interesse der Wahrung der Einfachheit und Einheitlichkeit des Verfahrens und zur
Vermeidung von dessen möglicher Aufspaltung in zwei getrennte Verfahren soll durch
Absatz 1 vor allem klargestellt werden, dass das Gericht im Hinblick auf die Erfüllung der
Voraussetzungen gemäß Artikel 4 nur die Wahl zwischen uneingeschränkter Bewilligung des
Zahlungsbefehls oder Zurückweisung des gesamten Antrags hat. Hieraus folgt, dass ein
Antrag, der die verlangten Voraussetzungen nur zum Teil erfüllt, in seiner Gesamtheit
zurückgewiesen werden muss. Wo dies unangebracht erscheint, kann das Gericht von der ihm
in Artikel 4 Absatz 2 gebotenen Möglichkeit Gebrauch machen.

In Übereinstimmung mit den Kommentaren zum Grünbuch und den bestehenden
einzelstaatlichen Mahnverfahren bestimmt Absatz 3, dass die Zurückweisung eines Antrags
nicht die Wirkung einer res iudicata hat. Dem Gläubiger, der davon ausgeht, dass seine
Forderung unbestritten bleibt, wird dadurch lediglich ein zusätzliches Instrument an die Hand
gegeben. Wenn sich diese Annahme als falsch erweist und der Antragsgegner Widerspruch
erhebt, wird die Sache automatisch in ein streitiges Verfahren überführt. Die Verfolgung eines
Anspruchs in einem ordentlichen zivilrechtlichen Verfahren muss jedoch auch dann möglich
sein, wenn der Antrag aus formal- oder verfahrungsrechtlichen Gründen (z.B.
Nichtanwendbarkeit des Verfahrens) und nicht wegen Unbegründetheit der Forderung nach
Absatz 1 abgewiesen wird. Die logische Folge aus der Möglichkeit der Weiterverfolgung des
Anspruchs ist, dass auf Rechtsmittel gegen die Zurückweisung eines Antrags verzichtet
werden kann, die das Verfahren nur grundlos schwerfällig machen würden.

Artikel 6 - Europäische Zahlungsaufforderung

Der vorliegende Vorschlag sieht ein zweistufiges Mahnverfahren vor, bei dem das vom
Gericht im Fall eines positiven Bescheids ausgestellte Papier noch nicht der eigentliche
Zahlungsbefehl ist, der erst nach Ablauf der Verteidigungsfrist vollstreckbar ist, sondern eine
Zahlungsaufforderung, die den Antragsgegner sowohl über die Forderung als auch über seine
verfahrensmäßigen Rechte und Pflichten einschließlich des voraussichtlichen Erlasses eines
Zahlungsbefehls bei Nichtbestreiten der Forderung unterrichtet. Es sei jedoch daran erinnert,
dass in den Mitgliedstaaten, die ein einstufiges Modell praktizieren, auch dort das Gericht im
Allgemeinen ein zweites Mal tätig werden muss, um zu prüfen, ob die Forderung nicht
bestritten wird, und um dann eine Vollstreckungsklausel (formule exécutoire) hinzuzufügen.
Da bei dem vorliegenden Vorschlag im zweiten Schritt keine Prüfung des Anspruchs mehr
erfolgt, sondern der Zahlungsbefehl automatisch erlassen wird, wenn der Antragsgegner nicht
anzeigt, dass er sich gegen den Anspruch verteidigt, sind die Unterschiede in Bezug auf die
Effizienz des Verfahrens, wenn überhaupt, nur minimal. Der Hauptvorteil besteht darin, dass
eine gesonderter Bescheid ergeht, gegen den Rechtsmittel eingelegt werden können, was
normalerweise in den Mitgliedstaaten, die sich für ein einstufiges Verfahren entschieden
haben, nicht möglich ist, von der Kommission jedoch im Rahmen eines europäischen
Zahlungsbefehls aus den in den Anmerkungen zu Artikel 11 ausgeführten Gründen für
notwendig erachtet wird.

Die europäische Zahlungsaufforderung ist ihrem Inhalt nach mit dem Antragsformular
identisch, wird jedoch durch einen gut sichtbaren, auch für Laien leicht verständlichen
Vermerk über die Bedeutung des Papiers im Sinne der Absätze 3 und 4 ergänzt. Es sollten

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 19 – Drucksache 15/4415

daher die nötigen praktischen Vorkehrungen getroffen werden, damit die Angaben im
Antragsformular automatisch in die Zahlungsaufforderung und anschließend in den
Zahlungsbefehl übernommen werden können. Die Zusatzinformationen für den
Antragsgegner sollten nicht auf einem Beiblatt erfolgen, sondern fester Bestandteil der
Zahlungsaufforderung sein, um mögliche Verfahrensfehler auszuschließen.

Der vorliegende Vorschlag enthält keine besonderen Vorschriften über die Zustellung der
Zahlungsaufforderung an den Antragsgegner, die sich nach innerstaatlichem Recht und
gegebenenfalls nach der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 vom 29. Mai 2000 über die
Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in
den Mitgliedstaaten richtet. In Absatz 2 wird jedoch spezifiziert, dass Zustellungsarten ohne
Nachweis darüber, dass der Schuldner die Zahlungsaufforderung persönlich in Empfang
genommen hat, für die Zwecke dieser Verordnung nicht zulässig sind, wenn die Anschrift des
Schuldners unbekannt ist.

Die dreiwöchige Widerspruchsfrist berücksichtigt die Zeit, die nach dem Recht der
Mitgliedstaaten allgemein als notwendig erachtet wird, um festzustellen, ob jemand einen
Anspruch bestreiten will. Da eine Verteidigungsanzeige gemäß Artikel 7 unkompliziert ist,
müsste diese Frist sowohl für grenzüberschreitende als auch für rein innerstaatliche
Streitsachen ausreichen.

Absatz 5 soll sicherstellen, dass ein Gläubiger, auch wenn er das Mahnverfahren
grundsätzlich für zweckmäßig hält, dessen Anwendung nicht deshalb scheut, weil er
befürchten muss, dass der Anspruch aufgrund der Verjährungsvorschriften erlischt, wenn er
die Frist nicht durch Erhebung einer Zivilklage unterbricht. Die Zahlungsaufforderung wird
daher in diesem besonderen Punkt einem Prozesseröffnungsbeschluss gleichgestellt.

Artikel 7 - Verteidigungsverfahren

Gemäß der dem Europäischen Mahnverfahren zugrunde liegenden Philosophie, wonach es in
erster Linie um das Herausfiltern unbestrittener Forderungen und den Erlass von
diesbezüglich vollstreckbaren Entscheidungen ohne Prüfung der Begründetheit des Anspruchs
geht, werden die Voraussetzungen für eine zulässige Verteidigungsanzeige auf das
notwendige Mindestmaß beschränkt. Der Antragsgegner braucht dem Gericht nur innerhalb
der vorgesehenen Frist in schriftlicher (gegebenenfalls auch elektronischer),
unmissverständlicher Form mitteilen, dass er den Anspruch ganz oder teilweise bestreitet.
Weitere Ausführungen erübrigen sich; das Vorbringen sachverhalts- und rechtserheblicher
Argumente und die Vorlage von Beweismitteln kann dem nachfolgenden ordentlichen
Verfahren vorbehalten bleiben. Es ist dem Antragsgegner freigestellt, für das
Widerspruchsverfahren das Standardformular verwenden, das ihm zusammen mit der
Zahlungsaufforderung zugestellt wird.

Artikel 8 - Wirkung der Verteidigungsanzeige

Dieser Artikel bestimmt, dass eine zulässige Verteidigungsanzeige das Mahnverfahren
automatisch beendet und die Sache in ein ordentliches Zivilverfahren überführt wird, ohne
dass es hierzu eines besonderen Antrags bedarf. Dahinter steht die Annahme, dass Gläubiger,
die einen Zahlungsbefehl erwirken wollen, dieses Verfahren in der Regel wählen, weil sie
davon ausgehen, dass die Forderung nicht bestritten wird, aber willens sind, ihren Anspruch
gegebenenfalls auf dem ordentlichen Rechtsweg durchsetzen. Absatz 1 sieht jedoch vor, dass

Drucksache 15/4415 – 20 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

der Antragsteller in dem Antrag angeben kann, ob er im Falle einer Verteidigungsanzeige auf
die Fortsetzung des Rechtsstreits verzichten möchte. Dies könnte dann der Fall sein, wenn der
Antragsteller den Streitwert gemessen am Aufwand und den Kosten für ein ordentliches
Verfahren als zu gering erachtet.

Absatz 2 stellt klar, dass sich die Modalitäten der Überleitung in ein ordentliches Verfahren
nach dem Recht des Mitgliedstaates richten, in dem sich der Gerichtsstand befindet.

Artikel 9 - Europäischer Zahlungsbefehl

Hat der Antragsgegner die Forderung anerkannt oder es versäumt, die Forderung innerhalb
der vorgeschriebenen Frist ganz oder teilweise zu bestreiten, wird der Zahlungsbefehl vom
Gericht von Amts wegen - d.h. ohne dass die andere Partei erneut einen Antrag stellen muss -
erlassen.

Dieser Artikel ist, was die Zustellung und Aufklärung des Antragsgegners betrifft, analog zu
Artikel 6 (Zahlungsaufforderung) aufgebaut, nur dass diesmal die Verteidigungsanzeige durch
einen Widerspruch ersetzt wird.

Artikel 10 - Vollstreckbarkeit des Europäischen Zahlungsbefehls

Dieser Artikel besagt, dass ein einmal erlassener Zahlungsbefehl ohne das Erfordernis einer
Sicherheitsleistung vollstreckbar ist, wobei dem Antragsgegner jedoch die Möglichkeit bleibt,
Widerspruch einzulegen und den Anspruch so möglicherweise abzuwehren. Der Umstand,
dass der Antragsgegner in vollem Bewusstsein der Folgen seines Tuns beschlossen hat, sich
der Forderung nicht zu widersetzen, rechtfertigt eine unbeschränkte Vollstreckbarkeit, weil
daraus nach dem ersten Anschein geschlossen werden kann, dass die Forderung unbestritten
ist und bleiben wird.

Absatz 2 stellt klar, dass der vorliegende Vorschlag weder in die Vollstreckungsvorschriften
der Mitgliedstaaten eingreifen noch ein gesondertes ausgetüfteltes Regelwerk für das
Mahnverfahren einführen will. Die formalrechtlichen Voraussetzungen für die
Vollstreckbarkeit und die Bedingungen für eine Aussetzung oder Beschränkung der
Vollstreckung richten sich im Einzelnen nach innerstaatlichem Recht. Dies gilt beispielsweise
auch für die Wirkung eines Widerspruchs gegen die Vollstreckbarkeit.

Artikel 11 - Widerspruch gegen den Europäischen Zahlungsbefehl

Die Voraussetzungen für die Einlegung eines Widerspruchs gegen den Zahlungsbefehl sind
dieselben wie für die Verteidigungsanzeige. Deshalb kann in diesem Zusammenhang auf
Artikel 7 verwiesen werden.

Die Kommission ist der festen Überzeugung, dass der Antragsteller in diesem speziellen Fall
ein zweites Mal die Möglichkeit haben sollte, die Forderung zu bestreiten und damit die
Überleitung der Sache in ein ordentliches Verfahren zu bewirken, auch wenn er es trotz
Aufklärung über seine Rechte und Pflichten durch das Gericht in der Zahlungsaufforderung
versäumt hat zu erklären, dass er den Anspruch zu bestreiten gedenkt. Eine unwiderrufliche
rechtskräftige Entscheidung würde eine allzu harte Zwangsmaßnahme darstellen, vor allem
im Vergleich mit Versäumnisurteilen, bei denen die Situation ähnlich ist, d.h. die Gegenpartei
vorgeladen und über die Folgen des Nichterscheinens vor Gericht aufgeklärt wird, und gegen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21 – Drucksache 15/4415

die dennoch im Allgemeinen Einspruch oder ein anderes Rechtsmittel eingelegt werden kann.
Dafür spricht auch, dass das Europäische Mahnverfahren im Gegensatz zu den Systemen der
meisten Mitgliedstaaten, die ein einstufiges System praktizieren und keine weiteren
Rechtsmittel zulassen, keine vorschriftsmäßige summarische Prüfung der Begründetheit des
Anspruchs vorsieht. Diese Vereinfachung des Verfahrens im Interesse des Antragstellers, der
sich ein effizientes Verfahren wünscht, rechtfertigt ein Gegengewicht in Form der
Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung.

Absatz 4 soll den Antragsgegner zusätzlich absichern, was von der Kommission wegen des
Fehlens besonderer Vorschriften zur Zustellung von Dokumenten in dieser Verordnung für
unbedingt nötig gehalten wird. In den Verhandlungen über die Verordnung zur Einführung
eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen wurde es für notwendig
erachtet, dem Antragsgegner die Möglichkeit zu geben, unabhängig von den geltenden Fristen
gegen eine Gerichtsentscheidung vorzugehen, wenn

– eine Zustellungsform ohne persönliche Empfangsbestätigung gewählt wurde und das
fragliche Dokument ihm nicht in einer Form zuging, dass ihm eine Verteidigung
ermöglicht hätte, oder

– er aus Gründen höherer Gewalt oder wegen außergewöhnlicher Umstände daran
gehindert wurde, den Anspruch zu bestreiten.

Zu diesem Zweck wurde die entsprechende Vorschrift aus der oben zitierten Verordnung
übernommen und an den Kontext dieser Verordnung angepasst.

Artikel 12 - Wirkung des Widerspruchs

Was die Überleitung der Sache in ein ordentliches Verfahren betrifft, gelten die gleichen
Bestimmungen wie in Artikel 8 über die Auswirkungen einer Verteidigungsanzeige. Für die
Überführung in ein streitiges Verfahren ist es unerheblich, ob der Antragsgegner zu einem
früheren oder späteren Zeitpunkt des Verfahrens beschließt, den Anspruch zu bestreiten.
Rechtlich gesehen besteht der Unterschied zwischen einer Zahlungsaufforderung und einem
Zahlungsbefehl darin, dass letzterer vollstreckbar ist (zur Vollstreckbarkeit siehe Artikel 10).

Absatz 3 bestimmt, dass eine Verteidigungsanzeige, die das Gericht erst nach Erlass des
Zahlungsbefehls, aber noch vor Ablauf der Frist für die Einlegung eines Widerspruchs
erreicht, wie ein Widerspruch behandelt wird, da hieraus die Absicht, den Anspruch
abzuwehren, klar zu erkennen ist.

Artikel 13 - Rechtliche Vertretung

Da es bei dem vorliegenden Vorschlag darum geht, den Gläubigern ein einfaches Kosten
sparendes Instrument zur Beitreibung von unbestrittenen Forderungen an die Hand zu geben,
wäre es ein Widerspruch in sich, die rechtliche Vertretung zur Vorbedingung für die
Inanspruchnahme des Verfahrens zu machen. Erstens ist die Beantragung eines
Zahlungsbefehls und noch mehr das Bestreiten des Anspruchs so unkompliziert, dass hierzu
nicht der fachliche Beistand eines Juristen benötigt wird. Zweitens würde die Hinzuziehung
eines Anwalts die Kosten zwangsläufig in die Höhe treiben. Wer rechtlichen Beistand in
Anspruch nehmen möchte, kann dies selbstverständlich tun, doch sollte dies nicht zur
Bedingung gemacht werden. Absatz 2 stellt klar, dass diese Bestimmung nur für das

Drucksache 15/4415 – 22 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

eigentliche Mahnverfahren, nicht aber für den auf eine Verteidigungsanzeige oder einen
Widerspruch folgenden Zivilprozess gilt.

Artikel 14 - Kosten

Die Gläubiger könnten davon abgehalten werden, das Verfahren in Anspruch zu nehmen,
wenn sie bei einem Widerspruch des Antragsgegners mit höheren Gerichtskosten rechnen
müssten als bei sofortiger Anstrengung eines Zivilprozesses. Genauso wenig wäre es
gerechtfertigt, dem Antragsgegner höhere Gerichtskosten aufzuerlegen, nur weil der
Antragsteller, wenn auch erfolglos, versucht hat, zunächst eine Entscheidung im
vereinfachten Verfahren zu erwirken.

Dieser Artikel sieht daher den Grundsatz der Kostenneutralität eines vorausgehenden
Mahnverfahrens gemessen an den gesamten Kosten eines ordentlichen zivilrechtlichen
Verfahrens vor, überlässt aber die Art und Weise der Umsetzung dieses Grundsatzes in die
Praxis den Mitgliedstaaten. Eine mögliche Lösung wäre, dass die Kosten des
Mahnverfahrens, sofern solche überhaupt anfallen, auf die Kosten des nachfolgenden
ordentlichen Verfahrens angerechnet werden.

Artikel 15 - Verhältnis zum einzelstaatlichen Prozessrecht

In mehreren Artikeln dieses Vorschlags wird in Bezug auf bestimmte Aspekte des Verfahrens
auf das einzelstaatliche Recht verwiesen. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen,
wird in diesem Artikel klargestellt, dass für alle verfahrensrechtlichen Fragen, die nicht in
dieser Verordnung geregelt sind und für die die Anwendung innerstaatlichen Rechts nicht
ausdrücklich vorgeschrieben ist, das innerstaatliche Recht des Mitgliedstaates gilt, in dem das
Mahnverfahren stattfindet.

Artikel 16 - Informationen über die gerichtliche Zuständigkeit

Mit dieser Bestimmung soll der Zugang zu Informationen über die Gerichte, an die die
Antragsteller ihren Antrag auf Einleitung eines Europäischen Mahnverfahrens richten
müssen, erleichtert werden. Die Mitgliedstaaten sollten in ihrer Mitteilung an die Kommission
angeben, welche Gerichte für dieses Verfahren zuständig sind, z.B. erstinstanzliche Gerichte
der unteren oder höheren Ebene dort, wo eine solche Unterscheidung getroffen wird. Einige
Mitgliedstaaten müssen eventuell mehr als nur ein Gericht anführen, unter anderem dann,
wenn bestimmte Forderungen in die Zuständigkeit von Sondergerichten fallen (z.B.
Arbeitsgerichte für Forderungen aus Arbeitsverträgen). Dabei könnte auch angegeben werden,
ob die allgemeinen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit der Gerichte auf dieses
Verfahren Anwendung finden (ohne dass diese Vorschriften näher erläutert werden müssen)
oder ob es eine Sonderregelung gibt wie die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts am
Wohnsitz des Antragsgegners oder die Zentralisierung bei einem oder einer begrenzten
Anzahl von Gerichten.

Die Kommission wird diese Informationen in möglichst zweckmäßiger Form verbreiten,
darunter auch durch Veröffentlichung im Internet, und zwar wahrscheinlich im Rahmen des
laufenden Projekts zur Schaffung eines europäischen Rechtsatlasses für Zivilsachen, einer
Datenbank mit benutzerfreundlichem Zugang in allen Amtsprachen der Europäischen Union.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 23 – Drucksache 15/4415

Artikel 17 und 18 - Durchführungsbestimmungen und Ausschuss

Artikel 18 verweist auf den Beratenden Ausschuss gemäß der Verordnung (EG) Nr. 44/2001
des Rates, der die Kommission bei der Durchführung der Verordnung nach Maßgabe von
Artikel 17 unterstützen wird, namentlich bei der Ausarbeitung oder Aktualisierung
technischer Änderungen an den als Anhang beigefügten Formblättern. Der Ausschuss wird
nur dann einberufen, wenn ein derartiger Änderungsbedarf festgestellt wird.

Drucksache 15/4415 – 24 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

2004/0055 (COD)

Vorschlag für eine

VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION -

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf
Artikel 61 Buchstabe c),

auf Vorschlag der Kommission11,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses12,

gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrages13

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) Die Gemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und
weiterzuentwickeln. Dazu erlässt die Gemeinschaft unter anderem im Bereich der
justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen die für das reibungslose Funktionieren des
Binnenmarkts erforderlichen Maßnahmen.

(2) Auf seiner Tagung am 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere forderte der Europäische
Rat den Rat und die Kommission auf, neue Vorschriften zu jenen Aspekten
auszuarbeiten, die unabdingbar für eine reibungslose justizielle Zusammenarbeit und
einen verbesserten Zugang zum Recht sind, und nannte in diesem Zusammenhang
ausdrücklich auch das Mahnverfahren.

(3) Am 30. November 2000 verabschiedete der Rat ein gemeinsames Programm der
Kommission und des Rates über Maßnahmen zur Umsetzung des Grundsatzes der
gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen14. Darin wird die Schaffung eines besonderen, gemeinschaftsweit
einheitlichen oder harmonisierten Verfahrens zur Erwirkung einer gerichtlichen
Entscheidung in speziellen Bereichen, darunter die Beitreibung unbestrittener
Forderungen, in Erwägung gezogen.

(4) Am 20. Dezember 2002 nahm die Kommission ein Grünbuch über ein europäisches
Mahnverfahren und über Maßnahmen zur einfacheren und schnelleren Beilegung von
Streitigkeiten mit geringem Streitwert an. Das Grünbuch lieferte den Ausgangspunkt

11 ABl. C […] vom […], S. […].
12 ABl. C […] vom […], S. […].
13 ABl. C […] vom […], S. […].
14 ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 1.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25 – Drucksache 15/4415

für eine Anhörung zu den möglichen Zielen und Merkmalen eines einheitlichen oder
harmonisierten europäischen Mahnverfahrens zur Beitreibung unbestrittener
Forderungen.

(5) Für die Wirtschaft der Europäischen Union ist die rasche und effiziente Beitreibung
ausstehender Forderungen, die nicht Gegenstand eines Rechtsstreits sind, von größter
Bedeutung, da Zahlungsverzug eine der Hauptursachen für Zahlungsunfähigkeit ist,
die vor allem die Existenz von kleinen und mittleren Unternehmen bedroht und für
den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze verantwortlich ist.

(6) Zwar versuchen alle Mitgliedstaaten, dem Problem der Beitreibung unzähliger
unbestrittener Forderungen beizukommen, die meisten von ihnen im Wege eines
vereinfachten Mahnverfahrens, doch gibt es bei der inhaltlichen Ausgestaltung der
einzelstaatlichen Vorschriften und der Effizienz der Verfahren erhebliche
Unterschiede. Überdies sind die derzeitigen Verfahren in einem grenzüberschreitenden
Kontext häufig entweder unzulässig oder praktisch undurchführbar.

(7) Der daraus resultierende erschwerte Zugang zu einer effizienten Rechtsprechung
insbesondere bei grenzüberschreitenden Rechtssachen und die Verfälschung des
Wettbewerbs im Binnenmarkt, die sich als Folge der unterschiedlichen
Funktionsweise der den Gläubigern in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Verfügung
stehenden verfahrensrechtlichen Instrumente einstellt, erfordern eine
Gemeinschaftsregelegung, die für Gläubiger und Schuldner in der gesamten Union
gleiche Bedingungen schafft.

(8) Das Europäische Mahnverfahren soll die nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen
Mechanismen zur Beitreibung unbestrittener Forderungen weder ersetzen noch
harmonisieren, sondern eine Alternative für den Gläubiger darstellen, dem es nach wie
vor freisteht, sich für ein innerstaatliches Rechtsinstrument zu entscheiden.

(9) Das Europäische Mahnverfahren soll für sämtliche vertraglichen und
außervertraglichen zivilrechtlichen Geldforderungen gelten außer für im Rahmen
ehelicher oder eheähnlicher Gemeinschaften erworbene Rechte an Vermögenswerten,
da die Gerichte hier selbst bei Nichtbestreiten der Forderung häufig nicht auf das
Vorbringen des Antragstellers vertrauen dürfen, sondern den Sachverhalt von Amts
wegen prüfen müssen. Das Verfahren wird auch nicht auf Forderungen bis zu einer
bestimmten Höhe beschränkt. Es gilt jedoch nicht für Forderungen, die zum Zeitpunkt
der Antragstellung noch nicht fällig geworden sind, und insbesondere nicht für künftig
anfallende laufende Zahlungen.

(10) Der Schriftverkehr zwischen dem Gericht und den Parteien sollte so weit wie möglich
mit Hilfe von Standardformularen abgewickelt werden, um die Verwaltung der
Verfahren zu erleichtern und eine automatisierte Verarbeitung der Daten zu
ermöglichen.

(11) Der Antragsteller wird verpflichtet, in dem Antrag auf Erlass eines Europäischen
Zahlungsbefehls Angaben zu machen, aus denen der geltend gemachte Anspruch und
seine Begründung klar zu entnehmen sind, damit der Antragsgegner anhand fundierter
Informationen entscheiden kann, ob er Widerspruch einlegen oder die Forderung
unbestritten lassen will. Dabei soll er auch einige Beweismittel anführen müssen, mit
denen er die Richtigkeit seiner Angaben gegebenenfalls untermauern könnte, ohne
dass dem Gericht jedoch ein Urkundsbeweis vorgelegt werden muss.

Drucksache 15/4415 – 26 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

(12) Das Gericht ist gehalten, nach Prüfung der Erfüllung der in dieser Verordnung
genannten formalrechtlichen Voraussetzungen eine Europäische
Zahlungsaufforderung auszufertigen. Eine Prüfung des jeweiligen Sachverhalts sollte
jedoch unterbleiben.

(13) Die Europäische Zahlungsaufforderung soll den Antragsgegner darüber aufklären,
dass er entweder seine ausstehenden Verbindlichkeiten gegenüber dem Antragsteller
zu begleichen hat oder, wenn er die Forderung bestreiten will, innerhalb einer
dreiwöchigen Frist eine Verteidigungsanzeige einreichen muss. Neben der vollen
Aufklärung über den vom Antragsteller geltend gemachten Anspruch soll der
Antragsgegner auf die rechtliche Bedeutung der Zahlungsaufforderung und die Folgen
eines Verzichts auf Widerspruch hingewiesen werden.

(14) Ein fristgerecht eingereichte Verteidigungsanzeige beendet das Europäische
Mahnverfahren und führt zur automatischen Überleitung der Sache in einen
ordentlichen Zivilprozess, es sei denn, der Antragsteller hat ausdrücklich erklärt, dass
er in diesem Fall auf die Fortsetzung des Rechtsstreits verzichtet.

(15) Der bei fehlender Verteidigungsanzeige zu erlassende Zahlungsbefehl ist gegenüber
dem Antragsteller unmittelbar vollstreckbar. Es ist jedoch möglich, hiergegen
Widerspruch einzulegen, der im Wesentlichen dieselben Rechtsfolgen nach sich zieht
wie das Verteidigungsverfahren. Wird kein Widerspruch eingelegt, ist der
Zahlungsbefehl rechtlich genauso zu behandeln wie ein in einem ordentlichen
Zivilprozess ergangenes rechtskräftiges Urteil.

(16) Die vorliegende Verordnung lässt sowohl die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates
vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen15 als auch die
Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung
gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den
Mitgliedstaaten16 unberührt.

(17) Da die Ziele dieser Verordnung, nämlich die Schaffung eines einheitlichen,
zeitsparenden und effizienten Instruments zur Beitreibung unbestrittener
Geldforderungen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nur unzureichend verwirklicht und
wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkung daher besser auf Gemeinschaftsebene
erreicht werden können, darf die Gemeinschaft gemäß dem in Artikel 5 EG-Vertrag
verankerten Subsidiaritätsprinzip entsprechende Maßnahmen ergreifen. Entsprechend
dem ebenfalls in diesem Artikel festgeschriebenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
geht die vorliegende Verordnung nicht über das zur Erreichung dieser Ziele
erforderliche Maß hinaus, da sie die Eingriffe in das innerstaatliche Prozessrecht
insofern auf ein Minimum beschränkt, als sie nicht an die Stelle innerstaatlicher
vereinfachter Verfahren tritt, sondern diese um eine zusätzliche Alternative erweitert.

(18) Die vorliegende Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und
Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts anerkannt wurden. Sie zielt

15 ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1.
16 ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 37.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 27 – Drucksache 15/4415

vor allem darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des Rechts auf ein faires
Verfahren, wie es in Artikel 47 der Charta verankert ist, zu gewährleisten.

(19) Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen sind nach
Maßgabe des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung
der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen
Durchführungsbefugnisse17 zu erlassen.

(20) [Das Vereinigte Königreich und Irland beteiligen sich gemäß den Artikeln 1 und 2 des
dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position des Vereinigten
Königreichs und Irlands nicht an der Annahme dieser Verordnung, die daher für sie
weder bindend noch auf sie anwendbar ist.] [Das Vereinigte Königreich und Irland
haben gemäß Artikel 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag
zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die
Position des Vereinigten Königreichs und Irlands mitgeteilt, dass sie sich an der
Annahme und Anwendung der vorliegenden Verordnung beteiligen möchten.]

(21) Dänemark wirkt gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische
Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten
Protokolls über die Position Dänemarks an der Annahme dieser Verordnung nicht mit.
Diese Verordnung ist daher für diesen Mitgliedstaat nicht verbindlich und ihm
gegenüber nicht anwendbar.

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Anwendungsbereich

1. Diese Verordnung gilt für Zivil- und Handelssachen unabhängig von der Art des
sachlich zuständigen Gerichts. Nicht von ihr erfasst werden unter anderem Steuer-
und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.

2. Das Europäische Mahnverfahren gilt nicht für

a) Rechte an Vermögenswerten aus ehelichen oder eheähnlichen Gemeinschaften,

b) Ansprüche aus Konkursverfahren gegen zahlungsunfähige Unternehmen oder
sonstige juristische Personen sowie aus Vergleichs- oder ähnlichen Verfahren,

c) Sozialversicherungsansprüche.

3. Im Sinne dieser Verordnung schließt der Begriff "Gericht" die schwedische
Vollstreckungsbehörde (kronofogdemyndighet) mit ein.

4. In dieser Verordnung bezeichnet der Begriff "Mitgliedstaat" alle Mitgliedstaaten mit
Ausnahme Dänemarks [des Vereinigten Königreichs, Irlands].

17 ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

Drucksache 15/4415 – 28 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Artikel 2

1. Diese Verordnung gilt für Zivil- und Handelssachen unabhängig von der Art des
sachlich zuständigen Gerichts. Nicht von ihr erfasst werden unter anderem Steuer-
und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.

2. Dem Gläubiger steht es frei, eine Forderung im Sinne von Absatz 1 im Wege eines
anderen abgekürzten oder ordentlichen Verfahrens nach innerstaatlichem Recht
durchzusetzen.

Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls

1. Der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls ist unter Verwendung des
als Anhang 1 beigefügten Formblattes zu stellen.

2. Der Antrag muss Folgendes beinhalten:

a) Namen und Anschrift der Verfahrensbeteiligten sowie das Gericht, bei dem
Antrag eingereicht wurde,

b) die Höhe der Forderung,

c) bei Geltendmachung von Verzugszinsen der angewandte Zinssatz und der
Zeitraum, für den der Zinssatz erhoben wird, es sei denn, auf die Forderung
wird nach dem Recht des Mitgliedstaates, dessen Gerichte mit dem Verfahren
befasst werden, automatisch der gesetzliche Zinssatz erhoben,

d) den Streitgegenstand einschließlich einer kurzen Darstellung des Sachverhalts,
der der Haupt- und ggf. der Zinsforderung zugrunde liegt,

e) eine kurze Beschreibung zumindest eines Beweismittels, das in einem
ordentlichen Zivilprozess zur Untermauerung des Anspruchs beigebracht
werden könnte.

3. Der Antrag ist vom Antragsteller oder seinem Vertreter handschriftlich oder in Form
einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 der
Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.
Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische
Signaturen zu unterzeichnen.

Artikel 4

Voraussetzungen für den Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls

1. Das mit einem Antrag befasste Gericht prüft, ob die in den Artikeln 1, 2 und 3
genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

2. Soll eine Zurückweisung des Antrags wegen Nichterfüllung der in Artikel 3
genannten Voraussetzungen erfolgen, kann das Gericht dem Antragsteller die
Möglichkeit geben, seinen Antrag zu vervollständigen oder zu berichtigen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29 – Drucksache 15/4415

Artikel 5

Zurückweisung des Antrags

1. Das Gericht weist den Antrag in seiner Gesamtheit zurück, wenn die Forderung oder
Teile davon die in Artikel 4 genannten Voraussetzungen nicht erfüllen.

2. Gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Erlass eines Europäischen
Zahlungsbefehls kann kein Rechtsmittel eingelegt werden.

3. Die Zurückweisung des Antrags hindert den Antragsteller nicht daran, in Bezug auf
dieselbe Forderung ein ordentliches Gerichtsverfahren anzustrengen.

Artikel 6

Europäische Zahlungsaufforderung

1. Bei Erfüllung der in Artikel 4 genannten Voraussetzungen kann das Gericht unter
Verwendung des Formblattes in Anhang 2 eine Europäische Zahlungsaufforderung
ausfertigen.

2. Die Europäische Zahlungsaufforderung wird dem Antragsgegner zugestellt. Eine
Zustellungsart ohne persönliche Empfangsbestätigung durch den Antragsgegner ist
nicht zulässig, wenn die Anschrift des Antragsgegners nicht zweifelsfrei bekannt ist.

3. In der Zahlungsaufforderung wird der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass er die
Wahl hat zwischen

a) der Zahlung des verlangten Betrages einschließlich der geforderten Zinsen und
Verfahrenskosten an den Antragsteller und der Vorlage einer
Zahlungsmitteilung oder

b) einer Verteidigungsanzeige gegen die gesamte Forderung oder Teile davon.

Beide Erklärungen müssen innerhalb von drei Wochen ab dem Zeitpunkt der
Zustellung der Zahlungsaufforderung im Einklang mit den Vorschriften des
Mitgliedstaats, in dem die Zustellung erfolgt, bei Gericht eingehen.

4. In der Zahlungsaufforderung wird der Antragsteller darüber aufgeklärt, dass

a) der Ausfertigung der Zahlungsaufforderung keine Prüfung der Begründetheit
der Forderung durch das Gericht vorausgegangen ist,

b) das Gericht einen vollstreckbaren Bescheid erlassen wird, wenn ihm nicht
innerhalb der in Absatz 3 genannten Frist eine Verteidigungsanzeige oder eine
Zahlungsmitteilung des Antragsgegners zugeht.

5. Zum Zwecke der Unterbrechung der Verjährungsfrist wird die europäische
Zahlungsaufforderung einem Prozesseröffnungsbeschluss gleichgestellt.

Drucksache 15/4415 – 30 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Artikel 7

Verteidigungsverfahren

1. Der Antragsgegner kann sich entweder unter Verwendung des dem Anhang 2
beigefügten Antwortformulars, das ihm zusammen mit der Zahlungsaufforderung
zugestellt wird, oder in sonstiger Form gegen die Forderung verteidigen.

2. Aus seinen Angaben muss klar hervorgehen, ob er die fragliche Forderung insgesamt
oder nur Teile davon bestreitet. Eine Begründung, weshalb er die Forderung
bestreitet, muss nicht geliefert werden.

3. Die Verteidigungsanzeige ist vom Antragsteller oder seinem Vertreter
handschriftlich oder in Form einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur im
Sinne von Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche
Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen zu unterzeichnen.

Artikel 8

Wirkung der Verteidigungsanzeige

1. Verteidigt sich der Antragsgegner innerhalb der in Artikel 6 Absatz 3 genannten Frist
gegen die Forderung, wird das Verfahren gemäß den Regeln eines ordentlichen
Zivilprozesses weitergeführt, es sei denn, der Antragsteller hat in dem Antrag
ausdrücklich erklärt, dass das Verfahren in diesem Fall eingestellt werden soll.

2. Die Überleitung in ein ordentliches Verfahren im Sinne von Absatz 1 erfolgt nach
dem Recht des Mitgliedstaates, in dem die Zahlungsaufforderung ausgefertigt wurde.

Artikel 9

Europäischer Zahlungsbefehl

1. Geht innerhalb der in Artikel 6 Absatz 3 genannten Frist bei Gericht weder eine
Verteidigungsanzeige noch eine Zahlungsmitteilung ein, kann das Gericht unter
Verwendung des als Anhang 3 beigefügten Formblattes von Amts wegen einen
Europäischen Zahlungsbefehl erlassen.

2. Der Europäische Zahlungsbefehl wird dem Antragsgegner zugestellt. Eine
Zustellungsart ohne persönliche Empfangsbestätigung durch den Antragsgegner ist
nicht zulässig, wenn die Anschrift des Antragsgegners nicht zweifelsfrei bekannt ist.

3. In dem Zahlungsbefehl wird der Antragsgegner darüber aufgeklärt, dass er gegen den
Zahlungsbefehl Widerspruch einlegen kann, der bei dem ausfertigenden Gericht
innerhalb von drei Wochen ab dem Zeitpunkt der Zustellung des Zahlungsbefehls im
Einklang mit den Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Zustellung erfolgt,
eingehen muss.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 31 – Drucksache 15/4415

Artikel 10

Vollstreckbarkeit des Europäischen Zahlungsbefehls

1. Der europäische Zahlungsbefehl ist vorläufig vollstreckbar, ohne dass eine
Sicherheitsleistung erbracht werden muss.

2. Unbeschadet der Bestimmung in Absatz 1 gelten für die Vollstreckbarkeit und deren
Aussetzung oder Beschränkung insbesondere bei Einlegung eines Widerspruchs
gemäß Artikel 11 die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem der
Zahlungsbefehl erlassen wurde.

Artikel 11

Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl

1. Der Antragsgegner kann unter Verwendung des dem Anhang 3 beigefügten
Antwortformulars, das ihm zusammen mit dem Zahlungsbefehl zugestellt wird, oder
in sonstiger Form gegen den Zahlungsbefehl Widerspruch einlegen.

2. Aus seinen Angaben in dem Widerspruch muss klar hervorgehen, ob er die fragliche
Forderung insgesamt oder nur Teile davon bestreitet. In letzterem Fall ist anzugeben,
gegen welche Teile er Rechtsmittel einlegt. Eine Begründung, weshalb er die
Forderung bestreitet, muss nicht geliefert werden.

3. Der Widerspruch ist vom Antragsteller oder seinem Vertreter handschriftlich oder in
Form einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur im Sinne von Artikel 2 Absatz
2 der Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.
Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische
Signaturen zu unterzeichnen.

4. Nach Ablauf der in Artikel 9 Absatz 3 genannten Frist hat der Schuldner das Recht,
unter den Bedingungen, die das Recht des Mitgliedstaates vorsieht, in dem der
Europäische Zahlungsbefehl erlassen wurde, und die der Kommission gemäß Artikel
--- (19A) der Verordnung ----/--/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
-------- zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene
Forderungen mitgeteilt wurden, eine Überprüfung des Zahlungsbefehls zu
beantragen, wenn

a) (i) der Zahlungsbefehl ohne Nachweis der persönlichen Inempfangnahme
durch ihn selbst zugestellt wurde und

(ii) die Zustellung ohne eigenes Verschulden nicht rechtzeitig oder dergestalt
erfolgte, dass er keine Möglichkeit hatte, sich gegen den Anspruch zu
verteidigen,

oder

Drucksache 15/4415 – 32 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

b) er aus Gründen höherer Gewalt oder aufgrund von nicht von ihm zu
vertretenden außergewöhnlichen Umständen daran gehindert wurde, die
Forderung zu bestreiten.

Dieses Recht gilt nur bei sofortigem Tätigwerden.

Artikel 12

Wirkung des Widerspruchs

1. Wird innerhalb der in Artikel 9 Absatz 3 genannten Frist Widerspruch eingelegt,
wird das Verfahren gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses
weitergeführt, es sei denn, der Antragsteller hat in dem Antrag ausdrücklich erklärt,
dass das Verfahren in diesem Fall eingestellt werden soll.

2. Die Überleitung in ein ordentliches Verfahren im Sinne von Absatz 1 erfolgt nach
dem Recht des Mitgliedstaates, in dem der Europäische Zahlungsbefehl erlassen
wurde.

3. Eine Verteidigungsanzeige, die nach Ablauf der in Artikel 6 Absatz 3, aber vor
Ablauf der in Artikel 9 Absatz 3 genannten Frist erfolgt, erhält die rechtliche
Wirkung eines Widerspruchs.

Artikel 13

Rechtliche Vertretung

1. Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen Rechtsbeistand ist nicht
zwingend. Dies gilt

a) für den Antragsteller im Hinblick auf die Beantragung eines Europäischen
Zahlungsbefehls

b) für den Antragsgegner im Hinblick auf das Verteidigungs- und da
Widerspruchsverfahren.

2. Bei dem auf die Verteidigungsanzeige oder die Einlegung eines Widerspruchs gegen
einen Europäischen Zahlungsbefehl folgenden ordentlichen Zivilprozess richtet sich
das Erfordernis der rechtlichen Vertretung nach den Vorschriften des
Mitgliedstaates, in dem das Verfahren stattfindet.

Artikel 14

Kosten

Die Gerichtskosten eines Europäischen Mahnverfahrens und eines ordentlichen
Zivilprozesses, der sich an eine Verteidigungsanzeige oder die Einlegung eines Widerspruchs

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33 – Drucksache 15/4415

gegen den Europäischen Zahlungsbefehl anschließt, dürfen insgesamt nicht höher sein als die
Kosten eines ordentlichen Zivilprozesses ohne vorausgehendes Europäisches Mahnverfahren.

Artikel 15

Verhältnis zum einzelstaatlichen Prozessrecht

Sämtliche verfahrensrechtlichen Fragen, die in dieser Verordnung nicht ausdrücklich geregelt
sind, richten sich nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem das Europäische
Mahnverfahren stattfindet.

Artikel 16

Informationen über die gerichtliche Zuständigkeit

1. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission bis spätestens 1. Juli 2005 mit, welche
Gerichte für den Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls zuständig sind. Sie
setzen die Kommission von etwaigen nachfolgenden Änderungen in Kenntnis.

2. Die Kommission veröffentlicht und aktualisiert gegebenenfalls die von den
Mitgliedstaaten gemäß Absatz 1 gelieferten Informationen.

Artikel 17

Durchführungsbestimmungen

Die Formblätter in den Anhängen werden nach dem in Artikel 18 vorgesehenen Verfahren
aktualisiert oder geändert.

Artikel 18

Ausschuss

1. Die Kommission wird von dem gemäß Artikel 75 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001
des Rates eingesetzten Ausschuss unterstützt.

2. Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so gelten die Artikel 3 und 7 des
Beschlusses 1999/468/EG unter Berücksichtigung von Artikel 8 desselben
Beschlusses.

Artikel 19

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am 1 Januar 2006 in Kraft.

Drucksache 15/4415 – 34 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Brüssel, den

Für das Europäische Parlament Für den Rat
Der Präsident Der Präsident

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