BT-Drucksache 15/4397

Nepal - Menschenrechte schützen und Gewalt beenden

Vom 1. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4397
15. Wahlperiode 01. 12. 2004

Antrag
der Abgeordneten Rudolf Bindig, Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann,
Lilo Friedrich (Mettmann), Angelika Graf (Rosenheim), Gabriele Groneberg,
Klaus Werner Jonas, Dr. Bärbel Kofler, Karin Kortmann, Ute Kumpf, Volker
Neumann (Bramsche), Dr. Sascha Raabe, Walter Riester, Dagmar Schmidt
(Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Christoph Strässer, Hans-Jürgen Uhl,
Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Franz Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Christa Nickels, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe,
Josef Philip Winkler, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nepal – Menschenrechte schützen und Gewalt beenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Im Königreich Nepal, das seit 1990 eine konstitutionelle Monarchie ist, haben
gewaltsame Auseinandersetzungen und die Verletzung der Menschenrechte ein
erschreckendes Ausmaß angenommen. Wesentlich verursacht wurde die gegen-
wärtige Lage durch den jahrelangen bewaffneten Kampf der Communist Party
of Nepal (CPN-Maoist) gegen die Regierung, aber auch durch die Weigerung
des Königshauses und der Regierungen, grundlegende Reformen durchzufüh-
ren. Ende 2001 wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Seitdem hat sich die
Staatskrise kontinuierlich zugespitzt. Leidtragend ist insbesondere die Zivilbe-
völkerung, die nicht nur ein Leben in extremer Armut fristet, sondern auch noch
politisch und militärisch zwischen die Fronten der Konfliktparteien geraten ist.
Im Mai 2002 löste König Gyanendra auf Empfehlung des damaligen Premier-
ministers Deuba das Parlament auf und ließ Neuwahlen ausschreiben. Mit die-
sem Schritt wollte Deuba eine Abstimmungsniederlage in der Frage der dritten
Verlängerung des Ausnahmezustands vermeiden. Da es ihm jedoch nicht ge-
lang, innerhalb der von der Verfassung vorgegebenen Frist von sechs Monaten
Neuwahlen abzuhalten, wurde er vom König wegen „Unfähigkeit“ entlassen.
König Gyanendra übernahm selbst die Macht und setzt seitdem die Regierungen
ein. Parlamentswahlen sind zwar für das Frühjahr 2005 geplant, doch scheint
dies unter den gegebenen Umständen im Land kaum realisierbar.
1996 bereits hatte die CPN-Maoist einen so genannten Volkskrieg gegen die
Regierung begonnen, nachdem sich diese geweigert hatte, über eine neue Ver-
fassung und die Abschaffung königlicher Privilegien zu verhandeln. Nach dem
Ende einer ersten, nur wenige Monate dauernden Waffenruhe im November
2001 und eskalierenden Angriffen der Maoisten gegen Polizei, Armee und an-
dere staatliche Einrichtungen wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Gleich-
zeitig wurde ein Sondergesetz zur Terroristenbekämpfung verabschiedet. Der

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Terrorist and Disruptive Activities Act (TADA) setzt verfassungsrechtlich ga-
rantierte Grundrechte außer Kraft und räumt den Sicherheitskräften weit rei-
chende Sonderbefugnisse ein. So können Verdächtige festgenommen und ohne
gerichtliche Überprüfung bis zu 90 Tage „präventiv“ inhaftiert werden. Auch die
Einrichtung von Sondergerichten ist auf der Grundlage des Gesetzes möglich.
Allerdings ist dies bisher nicht geschehen. TADA wurde kürzlich verschärft, so
dass nunmehr eine Festnahme ohne Gerichtsbeschluss bis zu sechsMonaten und
mit Genehmigung des Innenministeriums bis zu zwölf Monaten erlaubt ist. Ge-
gen diese Bestimmungen ist eine Klage vor dem Obersten Gericht anhängig.
Ein zweiter im Januar 2003 zwischen Regierung und Maoisten vereinbarter
Waffenstillstand wurde bereits im August 2003 von den Maoisten mit der Be-
gründung gebrochen, die Regierung zeige keine ernsthafte Verhandlungsbereit-
schaft. Seitdem wurden die Friedensgespräche nicht wieder aufgenommen.
Mittlerweile werden weite Teile der schwach besiedelten ländlichen Gebiete im
Westen von den Maoisten kontrolliert. Im Osten ist ihr Einfluss inzwischen
ebenfalls erheblich gewachsen.
Auch von außen wird auf den Konflikt in Nepal Einfluss genommen: Indien mit
seinen engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Nepal fürchtet
ein Übergreifen der Rebellion auf sein Staatsgebiet und stärkt die Regierung
u. a. mit Waffenlieferungen. Es lehnt aber jede Form von internationaler Ver-
mittlung – auch durch die Vereinten Nationen – strikt ab. Auch die USA unter-
stützen die Regierung mit Waffen. Großbritannien leistet Militärhilfe in anderen
Bereichen. Allgemein wird die Auffassung vertreten, dass keine der beiden
Konfliktparteien in der Lage ist, den Konflikt mit militärischen Mitteln für sich
zu entscheiden. Das Nachbarland China schätzt die Loyalität Nepals in der
Tibet-Frage. Trotz der gemeinsamen ideologischen Wurzeln unterstützt China
die maoistischen Rebellen daher nicht.
Nepal ist ein Schwerpunktland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Das Land gehört zu den ärmsten der Welt. Rund 42 Prozent der Bevölkerung
werden als absolut arm eingestuft, rund 80 Prozent leben überwiegend von der
Subsistenzlandwirtschaft. Im Westen des Landes brachen in den vergangenen
Jahren wiederholt Hungersnöte aus. Nepal besitzt keinerlei Bodenschätze; An-
sätze von Industrie gibt es nur im Kathmandu-Tal und im Flachlandgürtel ent-
lang der indischen Grenze. Wichtige, aber nicht ausreichende Einnahmequellen
sind der Tourismus, Transferzahlungen von im Ausland arbeitenden Nepalesen
und Programm- bzw. Budgethilfen internationaler Geber im Rahmen der Ent-
wicklungszusammenarbeit. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit kon-
zentriert sich auf Maßnahmen in den Schwerpunktbereichen Gesundheitswesen
und Familienplanung, die Förderung der kommunalen Selbstverwaltung und der
Zivilgesellschaft sowie auf die Förderung erneuerbarer Energien (Wasserkraft
und Biogas). Entwicklungschancen außerhalb der Entwicklungszusammenar-
beit werden auch im sanften Tourismus gesehen.
2. Die Eskalation des Konflikts hat zu massiven Menschenrechtsverletzungen
auf beiden Seiten geführt. Brutale Aktionen der Maoisten wie Mord, Folter, Ent-
führungen, Vergewaltigungen, Bombenanschläge sowie die auch von amnesty
international dokumentierte Verschleppung von Kindern in Umerziehungslager
bzw. die Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten verbreiten Angst und Schre-
cken in der Zivilbevölkerung. Der Deutsche Bundestag verurteilt den maoisti-
schen Terror und die davon ausgehenden Gewaltexzesse. Die nationalen Sicher-
heitskräfte reagieren mit ähnlich gewalttätigen Aktionen wie extralegalen
Tötungen, Folter, Vergewaltigungen, Verschwindenlassen von Personen und
Langzeitinhaftierungen ohne Gerichtsurteil.
Die Zahl der Toten seit Ausbruch der Unruhen 1996 wird offiziell auf 10 000 be-
ziffert; inoffiziellen Angaben zufolge liegt die Zahl der Opfer sogar bei 12 000.

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Auf Druck der EU-Missionschefs in Kathmandu wurde im August 2003 der Be-
richt der Nationalen Menschenrechtskommission veröffentlicht, in dem sie die
Erschießung von 21 Maoisten und deren Sympathisanten durch die nationalen
Sicherheitskräfte in Doramba/Ramechap untersucht hat. Daraufhin forderte der
amtierende VN-Hochkommissar für Menschenrechte Bertrand Ramcharan die
nepalesische Regierung auf, schnell zu handeln und die Schuldigen zu bestrafen.
Gleichzeitig forderte er beide Konfliktparteien auf, die von der NationalenMen-
schenrechtskommission entworfene Menschenrechtsvereinbarung zu unter-
zeichnen.
Im Rahmen der sechzigsten Sitzung der VN-Menschenrechtskommission in
Genf äußerten die beiden VN-Sonderberichterstatter zu Folter und zum Recht
auf Meinungsfreiheit sowie der Vorsitzende der Arbeitsgruppe zu willkürlichen
Verhaftungen ihre große Sorge, dass in Nepal Dutzende vonMenschen an gehei-
men Orten gefangen gehalten werden und in Gefahr sind, gefoltert oder auf an-
dere Weise misshandelt zu werden. Die Sorge war berechtigt, da das Anti-Ter-
ror-Gesetz jenen, die an der so genannten Aufstandsbekämpfung beteiligt sind,
ausdrücklich Straffreiheit zusichert. Dieser Passus ist allerdings in der kürzlich
geänderten Fassung des Anti-Terror-Gesetzes nicht mehr enthalten. Um auf der
sechzigsten Sitzung der VN-Menschenrechtskommission 2004 eine Resolution
gegen Nepal zu verhindern, hatte sich die sich nepalesische Regierung zu einer
25 Punkte umfassenden Selbstverpflichtungserklärung zur Umsetzung der Men-
schenrechte bereit erklärt. Deren Umsetzung steht allerdings bis heute aus.
Die meisten Menschenrechtsverletzungen in Nepal finden im Kontext der be-
waffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Rebellen
statt. Aber auch unabhängig davon gibt es dringenden menschenrechtlichen
Handlungsbedarf. Nepal hat zwar so wichtige Menschenrechtsabkommen wie
das Abkommen über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau,
das Abkommen über die Rechte des Kindes, das Abkommen über die Beseiti-
gung jeder Form der Rassendiskriminierung und die VN-Anti-Folter-Konven-
tion ratifiziert; die Umsetzung dieser Konventionen findet jedoch nicht ausrei-
chend statt.
Die Lage der Frauen ist geprägt von wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher
Diskriminierung. Seit mehreren Jahren wird eine Gesetzesvorlage zur Gleichbe-
rechtigung von Frauen im Erbrecht blockiert. Auch blüht nach wie vor der Men-
schenhandel. Frauen und Mädchen werden nach Indien verschleppt und dort zur
Arbeit als Hausangestellte oder Prostituierte gezwungen. Viele Kinder, aber ins-
besondere Mädchen, erhalten keine Schulausbildung.
Prekär ist auch die Lage der Dalits, der „Kastenlosen“, die 20 Prozent der Be-
völkerung ausmachen. Sie und die zahlreichen indigenen Volksgruppen sind
vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt und im Bildungswesen benachteiligt,
obwohl laut Verfassung jegliche Form von Diskriminierung aufgrund der Zuge-
hörigkeit zu einer Kaste, einer Ethnie oder einer Religionsgemeinschaft verbo-
ten ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. ihr Engagement bei der Förderung von Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlich-

keit und Menschenrechten in Nepal fortzusetzen;
2. auf den König und die Regierung einzuwirken, damit sie zur Demokratie zu-

rückkehren, die demokratischen Institutionen stärken und so rasch wie mög-
lich Parlamentswahlen durchführen;

Drucksache 15/4397 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
3. gemeinsam mit der nepalesischen Regierung und den EU-Partnern und
möglichst in Kooperation mit Indien eine Strategie zur Konfliktlösung in
Nepal zu erarbeiten und auf die Konfliktparteien einzuwirken, alle Kampf-
handlungen einzustellen und Friedensgespräche wieder aufzunehmen;

4. die Regierung nachdrücklich an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen im
Menschenrechtsbereich und im humanitärenVölkerrecht zu erinnern und sie
aufzufordern, ihre anlässlich der sechzigsten Sitzung der VN-Menschen-
rechtskommission 2004 abgegebene Selbstverpflichtungserklärung zur Um-
setzung der Menschenrechte endlich zu verwirklichen;

5. auf die Regierung einzuwirken, damit sie gegen jede Form der Diskriminie-
rung von Frauen und Mädchen einschreitet und ihnen verbesserte Bil-
dungschancen einräumt;

6. die Regierung aufzufordern, gegen jede Form der Diskriminierung von
Minderheiten vorzugehen;

7. die Regierung aufzufordern, die Nationale Menschenrechtskommission zu
stärken, ihre weitere Existenz und Unabhängigkeit auch über den Mai 2005
hinaus zu garantieren und ihr ein Mandat für ein regelmäßiges Monitoring
zu geben;

8. auf die Regierung einzuwirken, einheimische Menschenrechtsorganisatio-
nen zu unterstützen, internationalen Menschenrechtsorganisationen einen
verbesserten Zugang zu gewähren und die überfällige Vereinbarung mit
dem VN-Hochkommissar für Menschenrechte über die Einrichtung eines
Büros in Kathmandu umgehend zu unterzeichnen;

9. die nepalesische Regierung aufzufordern, bei Menschenrechtsverletzungen
durch Sicherheitskräfte und Rebellen juristische Ermittlungen zuzulassen
und konsequent gegen die Straflosigkeit anzugehen;

10. Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu nutzen, um in Abstim-
mung mit den anderen Gebernationen auf eine gewaltfreie Lösung der poli-
tischen Konflikte und die Verbesserung der menschenrechtlichen Lage hin-
zuwirken;

11. in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft nach Wiederher-
stellung von Demokratie und Frieden in Nepal das Land verstärkt bei der
Lösung seiner wirtschaftlichen Probleme zu unterstützen – insbesondere
beim Ausbau der erneuerbaren Energie, bei einer Landreform und bei der
Förderung des sanften Tourismus.

Berlin, den 1. Dezember 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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