BT-Drucksache 15/4253

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -15/3657, 15/4244- Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts

Vom 23. November 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4253
15. Wahlperiode 23. 11. 2004

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Gudrun Kopp, Dr. Volker Wissing, Gisela Piltz, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr
(Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael
Kauch, Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 15/3657, 15/4244 –

Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und
des Futtermittelrechts

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Lebensmittel- und Futtermittel-
gesetzbuch (LFGB) sollen die bisher nebeneinander bestehenden Lebens- und
Futtermittelgesetze in einem Gesetzbuch zusammengeführt werden. Mit dieser
Zusammenführung soll der Grundsatz „vom Acker bis zum Teller“ verwirklicht
und damit der Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene entsprochen werden.
Für die Verbraucherinnen und Verbraucher, Wirtschaftsbeteiligten und Verwal-
tungen sollen Transparenz und Handhabbarkeit verbessert werden. Zudem soll
das LFGB einen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten. Schließlich soll die Ver-
braucherinformation verbessert werden.
Diesen Zielen und Anforderungen wird der Gesetzentwurf nicht gerecht. Mit
dem LFGB sind für die Wirtschaftsbeteiligten weitere finanzielle und bürokra-
tische Belastungen verbunden. Die öffentlichen Verwaltungen werden mit
einem unpraktikablen Gesetz belastet. Verbraucherinnen und Verbraucher er-
halten von den Behörden unkommentierte und damit unverständliche sowie
ungesicherte Informationen.
Bisher waren die zentralen Regelungen des Lebens- und Futtermittelrechts in
Gesetzen geregelt. Ergänzend dazu haben spezielle Regelungen in Verordnungen
bestanden. Nach dem LFGB sollen hingegen künftig fast alle Regelungsberei-
che wie z. B. das gesamte Fleischhygienerecht in Rechtsverordnungen mit
Zustimmung des Bundesrates geregelt werden. Darüber hinaus sollen Bundes-
ministerien ermächtigt werden, auch ohne Zustimmung des Bundesrates grund-

Drucksache 15/4253 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

rechtsrelevante Fragen, wie z. B. Straftatbestände in § 61 LFGB, durch Verord-
nung zu konkretisieren. Damit werden Entscheidungen im Lebens- und Futter-
mittelrecht zukünftig weitgehend ohne Beteiligung des Deutschen Bundestages
allein von Bundesregierung und Bundesrat getroffen. Das LFGB enthält mehr
als 150 Einzelermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen. Gerade die
in der Vergangenheit aufgetretenen Diskussionen im Zusammenhang mit dem
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor möglichen Gefahren durch
BSE unterstreichen die notwendigen parlamentarischen Beratungen von Vor-
schriften im Bereich des vorsorgenden Gesundheits- und Verbraucherschutzes
im Deutschen Bundestag.
Das Nebeneinander von Gemeinschaftsrecht und Bundesrecht erschwert die
Lesbarkeit und Anwendbarkeit des LFGB erheblich.
Durch die Einführung neuer Regelungen, die über die Vorgaben der so genann-
ten Basisverordnung (EG) Nr. 178/2002 hinausgehen, wird das Lebensmittel-
und Futtermittelrecht in Deutschland zusätzlich verkompliziert und Wettbe-
werbsverzerrungen geschaffen. Jede Abweichung von den entsprechenden
Wortlauten des Gemeinschaftsrechts ist zu vermeiden. In dem vorliegenden
Gesetzentwurf der Bundesregierung erfolgt in zentralen Punkten keine wort-
wörtliche Anpassung an die gemeinschaftsrechtlich in Richtlinien enthaltenen
Vorschriften. Das gilt unter anderem für die Übernahme von gemeinschafts-
rechtlichen Begriffsdefinitionen wie z. B. „Lebensmittelzusatzstoffe“.
Für das Futtermittelrecht ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Ausweitung der
Regelungen auf über 70 Vorschriften nicht erforderlich und kontraproduktiv.
Die bislang in sich geschlossenen und auf 24 Vorschriften beschränkten Rege-
lungen im Futtermittelgesetz haben sich unter rechtlichen und fachlichen
Aspekten bewährt. Eine Zusammenführung von Lebens- und Futtermittelrecht
in einem einheitlichen Regelungswerk ist, wie das Beispiel Österreich unter-
streicht, keinesfalls notwendig, um den Anforderungen der so genannten Basis-
verordnung zu genügen.
In der abschließenden Beratung des LFGB im federführenden Ausschuss für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft am 10. November 2004
haben die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem Än-
derungsantrag 15(10)527 „die Kernregelungen des seinerzeitigen Verbraucher-
informationsgesetzes aufgegriffen und die Regelungen auf Futtermittel sowie
Wein und sonstige Erzeugnisse des Weinbaus erstreckt“. Eine derartig kom-
plexe Regelung mit weitreichenden Konsequenzen für Verbraucherinnen und
Verbraucher, Wirtschaftsbeteiligte und Behörden erfordert eine umfassende
und gründliche Beratung. Die kurze Zeitspanne zwischen der Beratung dieses
Inhalts im federführenden Ausschuss und der Verabschiedung des LFGB im
Deutschen Bundestag erlaubt dies jedoch nicht. Grundsätzlich ist anzumerken:
Informationsfreiheitsrechte sind ein wichtiger Schritt zu einer transparenten
und bürgernahen Verwaltung. Die Bundesregierung wird aufgefordert, nun-
mehr ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz vorzulegen, wie in ihrer
Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP (Bundestagsdrucksache
15/3585) noch für dieses Jahr angekündigt. Vor diesem Hintergrund ist die
Schaffung spezialgesetzlicher Regelungen wie hier im Lebensmittel- und
Futtermittelgesetz nicht sinnvoll, da ein Nebeneinander verschiedener Informa-
tionsfreiheitsrechte zu Rechtsunsicherheit bei Bürgerinnen und Bürgern wie
auch bei den verpflichteten Behörden führt. Dies gilt sowohl im Bereich eines
Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes als auch für die bestehenden und
geplanten Informationsfreiheitsgesetze der Länder. Darüber hinaus ist nicht
absehbar, wie sich die hier vorgesehenen Regelungen zu den Regelungen des
beabsichtigten Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes verhalten werden, ins-
besondere was die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens, z. B. Fristen, anbe-
trifft. Neben diesen grundsätzlichen Bedenken gegen ein solches Verbraucher-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4253

informationsgesetz als Teil des LFGB sind zusätzlich folgende Punkte im
Einzelnen zu kritisieren. Durch den neu eingeführten Informationsanspruch für
jedermann in § 62 LFGB besteht die Gefahr, dass Behörden isolierte und aus
dem Gesamtzusammenhang herausgerissene Informationen herausgeben. Für
die Verbraucherinnen und Verbraucher sind solche Daten in aller Regel nicht
aussagekräftig. Dem Verbraucher ermöglicht nur eine fachlich aufbereitete
Information eine angemessene Bewertung der Daten. Deshalb muss sicher-
gestellt sein, dass nur verständliche und gesicherte Informationen an den Ver-
braucher weitergegeben werden. Ansonsten wird mit weitreichenden wirt-
schaftlichen Konsequenzen in geschützte Rechtspositionen von Unternehmen
eingegriffen. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass laufende Verwaltungs-
verfahren einen Ausschlussgrund für den Anspruch auf Informationen bei Be-
hörden bilden. Die damit verbundene mögliche Offenlegung von Informationen
im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens, insbesondere die Nennung von „Ross
und Reiter“, kommt einer Vorverurteilung mit möglicherweise weitreichenden
Folgen für die Unternehmen gleich. Schließlich können Betriebe z. B. der
Futtermittelbranche aufgrund der Regelungen in § 62 gezwungen sein, die
Existenz ihres Unternehmens durch Offenbarung von Betriebsgeheimnissen zu
gefährden.
Das Ziel einer Bündelung von Regelungen des Lebens- und Futtermittelrechts,
die bislang in einer Vielzahl von Gesetzen enthalten sind, wird nur unvollstän-
dig erreicht. Zum Beispiel werden die Regelungen für Tabakerzeugnisse nicht
ins LFGB übertragen und auch das Lebensmittelspezialitätengesetz bleibt wei-
terhin neben dem LFGB bestehen.
Das vorgeschlagene System der Strafbewehrung wird nicht den Ansprüchen
der Rechtsvereinfachung gerecht. Anstatt über den Umweg mit mehreren
Verweisungen und Verordnungsermächtigungen eine Sanktionsmöglichkeit zu
schaffen, sollte zumindest für die Kernvorschriften der so genannten Basis-
verordnung unmittelbar auf die Verbotsnorm des Gemeinschaftsrechts Bezug
genommen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futter-

mittelrechts grundlegend zu überarbeiten. Dabei sind nationale Alleingänge,
die zu weiteren Wettbewerbsnachteilen für die heimischen Unternehmen der
Lebensmittel- und Futtermittelwirtschaft führen, zu vermeiden. Dem An-
spruch nach Vereinfachung, Erleichterung der Rechtsanwendung und ver-
besserter Transparenz sowie Bürokratieabbau muss stärker Rechnung ge-
tragen werden;

2. zur Vermeidung der Gefahr von willkürlichen Rechtsetzungen und Eingrif-
fen in die unternehmerische Freiheit von Unternehmen und um eine sachge-
rechte Information der Verbraucherinnen und Verbraucher sicherzustellen,
muss der Deutsche Bundestag an den wesentlichen Regelungen des LFGB
beteiligt werden. Eine Umgehung der Gesetzgebungskompetenz des Deut-
schen Bundestages auf der Grundlage von mehr als 150 Einzelermächtigun-
gen ist abzulehnen;

3. zur Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen und Rechtsklarheit
auf Abweichungen von den entsprechenden Wortlauten des Gemeinschafts-
rechts zu verzichten;

4. eine Neuordnung des Futtermittelrechts in einem einheitlichen Regelungs-
werk aus rechtlichen und fachlichen Gründen abzulehnen. Das wettbewerbs-
verzerrende Verbot der Verfütterung von tierischen Fetten in § 18 LFGB ist
aufzuheben;

Drucksache 15/4253 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
5. ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz vorzulegen, wie in der Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (Bundes-
tagsdrucksache 15/3585) noch für dieses Jahr angekündigt. Die Verankerung
der Kernregelungen des seinerzeitigen Verbraucherinformationsgesetzes im
LFBG ist abzulehnen. Im Einzelnen ist weiterhin zu kritisieren: Eine un-
kommentierte Verbreitung von Daten durch Behörden trägt nicht zur Ver-
besserung der Information von Verbraucherinnen und Verbrauchern bei.
Behörden müssen im Rahmen einer sachlichen Unterrichtung der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher sowie zur Vermeidung von Desinformation
Daten mit Erläuterungen versehen. Laufende Verwaltungsverfahren müssen
einen Ausschlussgrund für den Anspruch auf Informationen bei Behörden
bilden. Nur so lassen sich die Verbreitung ungesicherter Informationen und
die Entstehung schwerer wirtschaftlicher Schäden auf der Basis einer Fehl-
information vermeiden. Es ist sicherzustellen, dass Unternehmen nicht zur
Herausgabe von Betriebsgeheimnissen gezwungen werden können;

6. das System der Rechtsbewehrung ist im Sinne der Rechtsvereinfachung so
zu gestalten, dass zumindest für die Kernvorschriften der so genannten
Basisverordnung unmittelbar auf die Verbotsnorm des Gemeinschaftsrechts
Bezug genommen wird.

Berlin, den 23. November 2004
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Gudrun Kopp
Dr. Volker Wissing
Gisela Piltz
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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