BT-Drucksache 15/4198

Auswirkungen so genannter 1-Euro-Jobs auf den Zivildienst und Formen des bürgerschaftlichen Engaments

Vom 10. November 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4198
15. Wahlperiode 10. 11. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Dirk Niebel, Dr. Karl Addicks,
Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher,
Dr. Christel Happach-Kasan, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Auswirkungen so genannter 1-Euro-Jobs auf den Zivildienst
und Formen des bürgerschaftlichen Engagements

Mit der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe („Hartz IV“) zum
1. Januar 2005 kann Beziehern des künftigen Arbeitslosengeldes (ALG) II eine
„Beschäftigung mit Mehraufwandentschädigung“ zugewiesen werden. Dabei
soll es sich dem Gesetz zufolge um zusätzliche, gemeinnützige Arbeit handeln.
Von der Bundesregierung werden 2005 für solche Beschäftigungsverhältnisse
rund 6,35 Mrd. Euro bereitgestellt.
Arbeitsgelegenheiten gehören zu den Eingliederungsleistungen die in § 16
Abs. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeit-
suchende (SGB II) geregelt sind und ab Jahresbeginn 2005 gelten. Diese – teil-
weise auch als „Gemeinwohlarbeiten“ bezeichneten – Tätigkeiten sind abgelei-
tet aus den Arbeitsgelegenheiten in § 19 Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Künftig wird also der Angebotskatalog für Arbeitsuchende, der Lohnkostenzu-
schüsse, Zeitarbeit in einer Personalserviceagentur (PSA), Einstiegsgeld, Quali-
fizierungs- oder berufsvorbereitende Maßnahmen vorsieht um das Instrument
der Zusatzjobs erweitert. Bisher werden diese Art Zusatzjobs nur für erwerbs-
fähige Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger angeboten.
Wer einen Zusatzjob hat, erhält weiterhin Arbeitslosengeld II und zusätzlich
eine so genannte Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 1 bis 2 Euro je
gearbeiteter Stunde. Je nach Stundenzahl und Bedürftigkeit kann ein Gesamt-
betrag zwischen 850 und 1 000 Euro erreicht werden. Dieser Betrag setzt sich
zusammen aus Kosten für Unterkunft und Heizung plus Regelleistung von
345 Euro (alte Bundesländer u. Berlin) bzw. 311 Euro (neue Bundesländer)
plus evtl. einen befristeten Zuschlag plus Mehraufwandaufwandsentschädi-
gung.
Bis zu 30 Stunden pro Woche sollen Langzeitarbeitslose zur gemeinnützigen
Arbeit herangezogen werden können. Die Beschäftigungsgeber erhalten eine

Drucksache 15/4198 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

monatliche Pauschale zwischen 300 und 500 Euro pro Mitarbeiter für Auf-
wandsentschädigung und Verwaltung. Angesichts der Zahlen ist zu erwarten,
dass an vielen Stellen Zivildienstleistende durch 1-Euro-Jobber ersetzt werden.
Arbeitslose werden solche Beschäftigungsangebote annehmenmüssen, da ihnen
sonst massive Leistungskürzungen drohen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorhaben vieler potentieller Träger,

das 1-Euro-Jobangebot vor allem auf „Jugendliche mit Vermittlungshandi-
caps“ zu fokussieren?

2. Wie viele Stellen für Zusatzbeschäftigungen erwartet die Bundesregierung
angesichts der Tatsache, dass der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit,
Wolfgang Clement, bisher von einem Potential von ca. 600 000 Zusatz-
beschäftigungen ausgeht, während die Bundesagentur für Arbeit eine Zahl
von ca. 350 000 Zusatzbeschäftigungen benennt?

3. Mit wie vielen Beschäftigten in Zusatzjobs pro Jahr rechnet die Bundes-
regierung angesichts der Unterjährigkeit des Dienstes zwischen 6 und 9
Monaten?

4. Darf ein solcher 1-Euro-Job nur einmal angenommen werden bzw. welche
Wartezeit muss zwischen zwei derartigen Beschäftigungsverhältnissen
liegen?

5. Wie wird sichergestellt, dass ein Arbeitsloser jederzeit aus einem 1-Euro-
Job in ein reguläres Arbeitsverhältnis wechseln kann?

6. Ist es zutreffend, dass in ersten Gesprächen mit den Verbänden der Wohl-
fahrtspflege seitens der Bundesregierung zugesichert wurde, dass die Zu-
satzbeschäftigungen (1-Euro-Jobs) nur mit Langzeitarbeitlosen, die sich
freiwillig für diese Zusatzbeschäftigung melden, besetzt werden?

7. Wenn ja, warum hat sich die Bundesregierung von dieser Vorgehensweise
gelöst?

8. Wie gewährleistet die Bundesregierung angesichts der erwartenden An-
tragsflut von Hunderttausenden Anträgen eine sachgemäße Prüfung der
Anträge auf „Zusätzlichkeit“ und „Gemeinnützigkeit“?

9. Wie viele Beschäftigte von Arbeitsagentur bzw. Kommunen werden bun-
desweit durch die Verwaltung und Genehmigung der 1-Euro-Jobs gebunden
sein?

10. Welche negativen Arbeitsmarkteffekte können aus Sicht der Bundesregie-
rung durch Wettbewerbsverzerrungen eintreten?

11. Aus welchen Mitteln werden die bereits in der Erprobungsphase befind-
lichen 1-Euro-Jobs bezahlt?

12. Wie viele Stellen für 1-Euro-Jobs wurden bundesweit bisher geschaffen und
wie viele wurden davon besetzt (bitte nach Bundesländern gliedern)?

13. Wie viele Träger bieten gleichzeitig Zivildienststellen bzw. FSJ/FKJ/FÖJ-
Stellen (Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwilliges Kulturelles Jahr, Frei-
williges Ökologisches Jahr) an?

14. Welche Auswirkungen sind auf das künftige Angebot von Freiwilligen-
plätzen in dem o. g. Bereich zu erwarten?

15. Beinhaltet das Kriterium der „Zusätzlichkeit“ auch ehrenamtliche oder
freiwillige Arbeit bzw. die Leistungen, die im Rahmen des Zivildienstes
erbracht werden?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4198

16. Ist es möglich, dass eine bürgerschaftlich Engagierte, die die Kriterien zur
Aufnahme eines 1-Euro-Jobs erfüllt, ihre bisherige unentgeltliche Tätigkeit
im Rahmen eines 1-Euro-Jobs erbringt?

17. Rechnet die Bundesregierung damit, dass Leistungen, die bisher durch
ehrenamtliches Engagement erbracht wurden, durch 1-Euro-Jobs ersetzt
werden?

18. Wie soll verhindert werden, dass Träger aus Kostengründen z. B. auf die
Besetzung einer Zivildienststelle verzichten, die zu 30 % seitens des Trägers
finanziert werden muss, während der Träger bei Schaffung eines 1-Euro-
Jobs einen über die zu zahlende Mehraufwandsentschädigung hinausgehen-
den Betrag erhält?

19. Nach welchen Kriterien wird die Höhe der monatlichen Pauschale für den
Träger (Aufwands- und Verwaltungsentschädigung), die zwischen 300 und
500 Euro pro 1-Euro-Jobber liegen soll, festgelegt?

20. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass auch private Träger, die die ge-
forderten Kriterien zur Schaffung von 1-Euro-Jobs erfüllen, die gleichen
Zugangsmöglichkeiten zu dieser Beschäftigungsform haben, wie z. B. kom-
munale Träger (z. B. Altenheime)?

21. Dürfen 1-Euro-Jobs an Schulen in öffentlicher bzw. privater Trägerschaft
angeboten werden?

22. Sieht die Bundesregierung in der Schaffung der 1-Euro-Jobs eine geeignete
Möglichkeit den Zivildienst zu ersetzen?

Berlin, den 9. November 2004
Ina Lenke
Klaus Haupt
Dirk Niebel
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer

Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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