BT-Drucksache 15/4079

Auswirkungen des sogenannten Caroline-Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auf die Pressefreiheit und das Presserecht in Deutschland

Vom 28. Oktober 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4079
15. Wahlperiode 28. 10. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Rainer Funke, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Jörg van Essen,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Christel Happach-Kasan, Ulrich Heinrich, Michael Kauch, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht, Dirk Niebel,
Günther Friedrich Nolting, Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr,
Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Auswirkungen des sog. Caroline-Urteils des Europäischen Gerichtshofes
für Menschenrechte auf die Pressefreiheit und das Presserecht in Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Deutschland mit
Urteil vom 24. Juni 2004 wegen mangelhaften gesetzlichen Schutzes der Privat-
sphäre in den Medien verurteilt. Prinzessin Caroline von Monaco hatte wegen
der unerlaubten Veröffentlichung von Paparazzi-Fotos in mehreren deutschen
Illustrierten geklagt. Zur Begründung führt das Gericht aus, das Recht auf
Meinungsfreiheit müsse in einem ausgewogenen Verhältnis zum Grundrecht auf
Schutz des Privatlebens stehen. Bei der Abwägung zwischen dem Grundrecht
auf Meinungsfreiheit und dem Schutz der Privatsphäre müsse die Frage im
Vordergrund stehen, ob die Veröffentlichung von Fotos ein „Beitrag des allge-
meinen Interesses“ sei. Damit widersprachen die Straßburger Richter einem Ur-
teil des Bundesverfassungsgerichts von 1999 (BVerfG v. 15. Dezember 1999 –
1 BvR 635/96, „Caroline I“), in dem lediglich wegen des besonderen Schutz-
bedürfnisses von Kindern die Veröffentlichung derjenigen Fotos als unzulässig
gerügt worden war, die Caroline von Monaco mit ihren Kindern zeigen. Zu-
gleich stellte das Bundesverfassungsgericht jedoch fest, die Prinzessin selbst
müsse als „absolute Person der Zeitgeschichte“ die Verbreitung von Aufnahmen
hinnehmen, die sie an einem öffentlich zugänglichen Ort zeigen. Nach Auf-
fassung des EGMR hat das Bundesverfassungsgericht keine „ausgewogene
Balance“ zwischen den unterschiedlichen Interessen hergestellt. Somit liege ein
Verstoß gegen das Grundrecht auf Schutz des Familien- und Privatlebens
(Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK) vor. Mit seiner
Forderung nach Unterscheidung zwischen Berichten über Tatsachen, die einen
Beitrag zu einer öffentlichen Debatte in einer demokratischen Gesellschaft leis-
ten, und Berichten über das Privatleben von Personen ohne offizielle Funktion
hat der EGMR im Spannungsfeld zwischen der Pressefreiheit und Persönlich-
keitsrechten eine Verschiebung der Gewichte zugunsten der Persönlichkeits-
rechte vorgenommen. Die Bundesregierung hat die Entscheidung getroffen, von
einem Einspruch vor der Großen Kammer des EGMR abzusehen.

Drucksache 15/4079 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung das Urteil des EGMR vom 24. Juni 2004

in der Rechtssache von Hannover gegen Deutschland (sog. Caroline-
Urteil)?

2. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass das sog. Caroline-Urteil eine
Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland zur Folge hat, wenn ja,
warum, wenn nein, warum nicht?

3. Welche konkreten Folgen wird das sog. Caroline-Urteil künftig für die
Presseberichterstattung in Deutschland haben?

4. Welche konkreten Konsequenzen ergeben sich für die Bundesregierung aus
ihrer völkerrechtlichen Bindung an die Rechtsprechung des EMGR gemäß
Artikel 46 EMRK im Hinblick auf das sog. Caroline-Urteil?

5. Inwieweit haben nach Auffassung der Bundesregierung die deutschen Ge-
richte und die deutschen Behörden das sog. Caroline-Urteil bei der Aus-
legung des Grundgesetzes, bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite
der Grundrechte und des einfachen Gesetzesrechts zu berücksichtigen?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des EGMR, dass beim Umfang
des Schutzes der Pressefreiheit unterschieden werden muss, ob die Bericht-
erstattung der Information im politischen Bereich oder der Unterhaltung
dient?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Unterscheidung des EGMR in Per-
sonen in Ausübung ihrer Funktion und in andere Persönlichkeiten des
öffentlichen Lebens?

8. Unter welchen Voraussetzungen leisten Berichte nach Auffassung der
Bundesregierung einen „Beitrag zu einer öffentlichen Debatte in einer
demokratischen Gesellschaft“ (sog. Caroline-Urteil des EGMR vom
24. Juni 2004)?

9. Hält die Bundesregierung eine Unterscheidung in „relative“ und „absolute“
Personen der Zeitgeschichte weiterhin für geboten?

10. Hält die Bundesregierung eine gesetzliche Klarstellung der Begriffe „rela-
tive und absolute Person der Zeitgeschichte“ im Kunsturhebergesetz für
geboten?

11. Hält die Bundesregierung im Hinblick auf das sog. Caroline-Urteil Ände-
rungen des Kunsturhebergesetzes generell für geboten?

12. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass das Kunsturhebergesetz von 1907
geeignet ist, den aktuellen rechtlichen und technischen Entwicklungen im
Bereich der Medien (Presse, Film, Fernsehen) Rechnung zu tragen?

13. Sieht die Bundesregierung sich aus vertragsvölkerrechtlichen Verpflichtun-
gen heraus veranlasst, Gesetzesmaßnahmen zu ergreifen, um ausgehend
von dem sog. Caroline-Urteil einen den Anforderungen der EMRK und
einen der konventionskonformen Interpretation des Urteils entsprechenden
Rechtszustand in Deutschland zu schaffen?

14. Welche Gründe waren für die Bundesregierung ausschlaggebend, auf einen
Einspruch vor der Großen Kammer des EGMR gegen das sog. Caroline-
Urteil zu verzichten?

15. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 zur Berücksichtigung
der Entscheidungen des EGMR durch innerstaatliche Organe, insbesondere
deutsche Gerichte (2 BvR 1481/04)?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4079

16. Hält die Bundesregierung es für wünschenswert, vor dem Hintergrund des
Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 (2 BvR
1481/04) und im Hinblick auf die Schaffung eines gemeinsamen euro-
päischen Rechtsraums, wenn den Urteilen des EGMR künftig eine größere
innerstaatliche Bindungswirkung zukäme?

Berlin, den 25. Oktober 2004
Rainer Funke
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Jörg van Essen
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Ulrich Heinrich
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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