BT-Drucksache 15/4072

Menschenhandel und Zwangsprostitution im Kosovo

Vom 27. Oktober 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4072
15. Wahlperiode 27. 10. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ina Lenke, Dr. Rainer Stinner, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Klaus Haupt, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich
(Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Ulrich Heinrich, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun
Kopp, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Menschenhandel und Zwangsprostitution im Kosovo

Organisiert begangene Verbrechen, auch mit Einsatz von Waffen, sind im
Kosovo nachweisbar ein Problem. Neueste Schätzungen ergaben, dass sich
ungefähr noch 330 000 bis 450 000 Waffen im privaten Besitz befinden.
Die „Central Intelligence Unit“ (CIU) der UNMIK-Polizei hat in ihrem Bericht
für das Jahr 2004 drei Bereiche organisiert begangener Verbrechen im Kosovo
hervorgehoben:
1. Drogenhandel: Die so genannte „Balkanroute“ (Türkei-Ehemalige Jugosla-

wische Republik Mazedonien-Kosovo-Westeuropa) war ursprünglich eine
der Haupthandelswege zwischen Orient und Okzident. Ca. 80 Prozent des in
Westeuropa verkauften Heroins kommt über diese Route.

2. Waffenschmuggel: Laut CIU können die Aktivitäten von Kosovaren im Be-
reich des Drogenhandels als Versuch gewertet werden, die mit kriminellen
Mittel erworbenen Geldmittel und die Gebietskontrolle zu nutzen, um Waf-
fen in das Kosovo und in angrenzende, mehrheitlich von Albanern besiedelte
Gebiete zu schmuggeln. Auf diesem Wege wird versucht, politische Extre-
misten zu unterstützen.

3. Handel/Schmuggel von Menschen: Der Handel mit Frauen und Kindern in
Südosteuropa ist besorgniserregend. Das Kosovo wurde in den vergangenen
Jahren nicht nur als Transitland für verschleppte Frauen und Mädchen aus
osteuropäischen Ländern benutzt, sondern hat sich mittlerweile auch als Ziel-
land dieser Verschleppungen erwiesen. Dort werden die Frauen undMädchen
zur Prostitution gezwungen. Neben Frauen und Mädchen aus osteuropäi-
schen Ländern werden aber auch zunehmend kosovarische Frauen und Mäd-
chen in und außerhalb des Kosovos zur Prostitution gezwungen.

Auch dieser dritte Bereich des organisiert begangenen Verbrechens, der Men-
schenhandel, bedarf einer intensiven internationalen Beachtung. In verschiede-
nen Medienberichten der vergangenen Monate wurde das Thema Zwangspros-

Drucksache 15/4072 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

titution im Kosovo vor allem von Amnesty International (ai) behandelt. Der
Kosovo-Bericht im ai-Journal Juni 2004 belegt die tendenziell steigende Zahl
der in Nachtclubs, Tanzhallen, Restaurants, Motels, Hotels und immer mehr in
privaten „Appartements“ zur Prostitution gezwungenen Mädchen und Frauen
sowie den sexuellen Missbrauch von Kindern im Kosovo. ai geht davon aus,
dass der Zuwachs von 18 in diesem Bereich tätigen „Gewerbebetrieben“ im Jahr
1999 bis auf über 2000 „Betriebe“ Ende 2003 mit den im Kosovo stationierten
Soldaten der Nato-geführten Schutztruppe zusammenhängt. Ebenso heißt es in
einem Anfang Mai von ai in der Pristina vorgestellten Bericht: „Alle zugängli-
chen Daten weisen darauf hin, dass das Kosovo ohne die Präsenz der internati-
onalen Gemeinschaft und den Einfluss gut ausgestatteter westlicher Konsumen-
ten einen eher geringen Stellenwert in der Balkan-Frauenhandelsindustrie
behalten hätte.“ Der ai-Bericht beschreibt u. a. die Versäumnisse der verant-
wortlichen UN-Stellen bzw. der Kosovo-albanischen Provisorischen Selbst-
regierung, den betroffenen Frauen und Mädchen zu helfen.
Da funktionierende demokratische Institutionen und Rechtsstaatlichkeit zu den
Standards gehören, die im Kosovo erreicht werden sollen, sind die Bemühungen
im Bereich des Vorgehens gegen organisiert begangene Verbrechen zu inten-
sivieren. Dies gilt vor allem für den besonders menschenverachtenden „Zweig“
der organisierten Kriminalität, den Menschenhandel.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Stellen befassen sich im Kosovo mit der Bekämpfung des organi-

siert begangenen Verbrechens, welche Mittel stehen ihnen zur Verfügung
und befindet die Bundesregierung dies für ausreichend?

2. An welchen dieser Stellen ist die Bundesrepublik Deutschland in welcher
Form beteiligt, und welche nationalen personellen und finanziellen Mittel
werden dafür zur Verfügung gestellt (nach Institutionen aufschlüsseln)?

3. Ist Menschenhandel und Zwangsprostitution ein Straftatbestand im Kosovo
und welcher rechtliche Rahmen steht den offiziellen Stellen im Kosovo zur
Verfügung, um gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel vorzuge-
hen?

4. Welche Maßnahmen werden in Anbetracht der Tatsache, dass das Kosovo
ein Transitland für Menschenhandel ist, auf internationaler Ebene durchge-
führt, mit welchen Institutionen/Organisationen und mit welchen Staaten?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Zusammenarbeit der im Kosovo
agierenden Geheimdienste in Bezug auf die organisierte Kriminalität im
Kosovo?

6. Auf welche Erfolge können nach Kenntnis der Bundesregierung die Maß-
nahmen gegen das organisiert begangene Verbrechen bisher verweisen?

7. Sieht die Bundesregierung Defizite im Kampf gegen die organisierte Krimi-
nalität im Kosovo, und wenn ja, welche, und was gedenkt die Bundesregie-
rung dagegen zu unternehmen?

8. Sind die deutschen Soldaten und Soldatinnen gegenüber der Problematik
der Zwangsprostitution und des sexuellen Missbrauchs von Kindern sensi-
bilisiert worden, und wenn ja, mit welchen Mitteln und welcher Zielset-
zung?

9. WelcheMittel stehen den deutschen Soldaten imKosovo zur Verfügung und
ggf. unter welchen Voraussetzungen, um auf ihnen bekannt werdende Fälle
zu reagieren?

10. Was geschieht mit deutschen Mitarbeitern der UNMIK, mit deutschen
Soldaten oder mit deutschen Polizeibeamten, wenn sie während einer

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4072

Razzia in einer der 200 Lokalitäten aufgefunden werden, die auf der „Off-
Limits“-Liste der UNMIK verzeichnet sind, bzw. welche Konsequenzen
sind vorgesehen, falls Fälle bekannt werden, in denen Deutsche der
Zwangsprostitution oder dem sexuellen Missbrauch von Kindern Vorschub
geleistet haben?

11. Gibt es bei den Aussagen von betroffenen Frauen, Kindern und Jugend-
lichen einen Schutz für sie als Opfer von Menschenhandel und Zwangspro-
stitution im Kosovo?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Lokalitäten, in denen
die Zwangsprostitution betrieben wird, nicht geschlossen werden, da die
lokalen Richter der Auffassung sind, dass das Gesetz eine solche Schlie-
ßung nicht erlaube?

13. Aus welchen Ländern stammen nach Kenntnis der Bundesregierung die
Frauen und Mädchen, die im Kosovo zur Prostitution gezwungen werden?

14. Was passiert mit den Frauen und Mädchen, bei denen festgestellt wird, dass
sie sich „illegal“ im Kosovo aufhalten?

Berlin, den 27. Oktober 2004
Ina Lenke
Dr. Rainer Stinner
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Klaus Haupt
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Ulrich Heinrich
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.