BT-Drucksache 15/3950

Verwertung von Elektronik-Altgeräten ökologisch sachgerecht und unbürokratisch gestalten

Vom 20. Oktober 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3950
15. Wahlperiode 20. 10. 2004

Antrag
der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael Kauch,
Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Dr. Werner
Hoyer, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Eberhard Otto
(Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker
Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Verwertung von Elektronik-Altgeräten ökologisch sachgerecht und
unbürokratisch gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Bundesregierung hat am 1. September 2004 den Entwurf einesGesetzes über
das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung
von Elektro- und Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronikgerätegesetz –
ElektroG) vorgelegt. Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der EG-Richt-
linien 2002/96/EG über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (Elektro-Altgeräte-
RL) und 2002/95/EG zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefähr-
licher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (Elektro-Stoff-RL) in nationales
Recht. Ziel der Richtlinien und des genannten Gesetzentwurfs ist es, über ein
Sammel- und Rücknahmesystem, an dem Hersteller, öffentlich-rechtliche Ent-
sorgungsträger (ÖRE) und privatwirtschaftliche Entsorger beteiligt sind, den
Anfall von Abfällen aus Elektro- und Elektronikgeräten zu vermeiden und
– soweit dies nicht möglich ist – deren Verwertung zu fördern.
Der Deutsche Bundestag begrüßt grundsätzlich die abfallwirtschaftlichen Ziele
zur Schonung der Ressourcen, zur Minimierung der zu deponierenden Abfälle
sowie zum Erhalt und zur Weiterentwicklung des erreichten Gesundheits- und
Umweltschutzniveaus auch mit Blick auf den Bereich der Elektro- und Elektro-
nik-Altgeräte.
Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele müssen dabei unter anderem auch den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel berücksichtigen. Der durch zu-
sätzliche regulierende Maßnahmen erreichbare Vorteil muss den damit verbun-
denen finanziellen und bürokratischen Aufwand rechtfertigen und darf die
Betroffenen nicht unnötig und übermäßig belasten. In dieser Hinsicht weist der
eingangs genannte Gesetzentwurf zahlreiche Schwächen auf. Die betroffenen
Unternehmen werden zum Teil mit erheblichem bürokratischemAufwand unan-
gemessen und undifferenziert in umfangreiche Dokumentations-, Melde- und

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Finanzierungspflichten eingebunden. Abgrenzungsprobleme, Verwaltungsauf-
wand und Kosten stehen dabei in keinem vertretbaren Verhältnis zum erziel-
baren Umweltschutz. Hinzu kommt, dass der technische Fortschritt bei Sortier-
und Verwertungsanlagen die Ausgangsbedingungen für die Abfallwirtschafts-
politik erheblich verändert hat. Insbesondere mit Blick auf die vom Gesetzent-
wurf betroffenen Kunststoffteile erscheint das die Richtlinie und den Gesetzent-
wurf prägende Prinzip der Getrenntsammlung mehr als zweifelhaft, da zahlrei-
che Abfallfraktionen mittlerweile wesentlich zuverlässiger und kostengünstiger
unter Nutzung vollautomatischer Sortieranlagen aufbereitet werden können.
Überdies wird die durch die beabsichtigten Regelungen absehbare Überbürokra-
tisierung Bürgerinnen und Bürger sowie insbesondere auch klein- und mittel-
ständisch strukturierte Unternehmen belasten.

Hervorzuheben sind beispielgebend folgende Unzulänglichkeiten:
– Die im Zuge der vorgeschriebenen Registrierung von Produkten nach § 6

vorgesehenen Pflichten gehen in ihrer Regulierungstiefe über das gebotene
Maß hinaus und vermindern die Flexibilität und Praxistauglichkeit des Geset-
zes. Dies betrifft z. B. den Markenbezug als verpflichtendes Registrierungs-
element, die Verknüpfung von Registrierungsantrag und Garantienachweis
sowie die vorgesehene Mehrfachzertifizierung von Entsorgungsbetrieben.
Die damit verbundenen Regelungen erhöhen die bürokratischen Prozesse in
den Unternehmen und stünden damit der Zielsetzung einer schlanken aber
effektiven Umsetzung der Richtlinienvorgaben entgegen. Möglichkeiten zur
Zusammenfassung von Geräten zu geeigneten Kategorien, zur effizienten
Gestaltung von Meldeintervallen und zur Bildung von Registrierungsge-
meinschaften für kleinere betroffene Unternehmen werden nicht oder nicht
hinreichend genutzt.

– § 6 Abs. 3 ElektroG-E verlangt eine „insolvenzsichere Garantie“, zu deren
jährlicher Abgabe bei der zuständigen Behörde jeder Hersteller verpflichtet
ist, um die Finanzierung der Rücknahme und Entsorgung seiner Elektro- und
Elektronikgeräte nachzuweisen. Durch diese undifferenzierte Vorgabe wer-
den – ohne ökologische Rechtfertigung – auch Hersteller von elektronischen
Geräten belastet, deren Anteil an der Gesamtmenge von Elektro- und Elek-
tronik-Altgeräten vernachlässigbar gering oder Null ist (z. B. Hersteller von
Spielwaren mit Sammlerwert oder Uhren aus Edelmetallen). Allgemein soll-
ten die Anforderungen an den Garantienachweis unbürokratisch und flexibel
gestaltet werden, beispielsweise durch eine Klarstellung, wonach die Teil-
nahme an einem Rücknahmesystem, bei dem sich die Hersteller wechsel-
seitig zusichern, für die Entsorgung ihrer Altgeräte einzustehen, als Garantie
anerkannt wird.

– Die in der Richtlinie vorgesehene obligatorische Entfernung von Kunststof-
fen, beispielsweise solche, die bromierte Flammschutzmittel enthalten, ist
ökologisch fragwürdig, da das aufwendig separierte Material im Anschluss
dieselben rohstofflichen oder energetischen Verwertungsverfahren durch-
läuft wie ein Großteil der nach der Entfernung übrigen Kunststoff-Frak-
tionen. Eine vorhergehende Entfernung von Kunststoffen, die bromierte
Flammschutzmittel enthalten, ist deshalb nicht grundsätzlich erforderlich
und würde lediglich zusätzliche Kosten verursachen.

– Die Regelungen insbesondere zur Überwachung und Kontrolle der Verwer-
tungsmengen nach § 11 f. ElektroG-E enthalten im Zusammenhang des so
genannten Monitoring begriffliche Unklarheiten, Redundanzen und übermä-
ßig detaillierte Vorgaben. Überdies wird die Zertifizierung von Behandlungs-
und Verwertungsanlagen durch einen Sachverständigen zwingend vorge-
schrieben, wobei das betreffende Zertifikat nur dann erteilt werden darf,
wenn durch die Anlage bestimmte Verwertungsquoten erfüllt werden. Diese

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Vorgabe ist weder ökologisch begründet noch den Vorschriften aus der euro-
päischen Richtlinie geschuldet.

– § 9 Abs. 3 fordert eine „Abstimmung“mit dem öffentlich-rechtlichen Entsor-
gungsträger, wenn Altgeräte vom Handel angenommen und kommunalen
Sammelstellen übergeben werden, wobei der Handel – der Gesetzesbegrün-
dung folgend – mit einer „Nachweispflicht“ konfrontiert werden kann, dass
die angelieferten Geräte tatsächlich aus der annehmenden Kommune stam-
men. Die Regelung erscheint kaum praktikabel sowie unnötig zeit- und kos-
tenaufwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– den eingebrachten ElektroG-Entwurf zu überarbeiten und dabei die vorste-

hend genannten Kritikpunkte zu berücksichtigen bzw. die zugehörigen Fehl-
regelungen zu korrigieren und dafür Sorge zu tragen, dass unnötige und nicht
sachgerechte Belastungen sowie verzichtbarer Verwaltungs-, Kontroll- und
Bürokratieaufwand von vornherein vermieden werden,

– durch geeignete Anpassung der Termine des Inkrafttretens dafür Sorge zu tra-
gen, dass die im Gesetzgebungsverfahren verursachten Verzögerungen bei
den vom Gesetz Betroffenen nicht zu unbilligem Zeitdruck und den damit
verbundenen Nachteilen führen,

– die bei der nationalen Umsetzung bestehenden Spielräume im Interesse der
in Deutschland betroffenen Branchen zu nutzen und die zu erlassenden Re-
gelungen auf das europarechtlich geschuldete Maß zu beschränken, umWett-
bewerbsnachteile für Unternehmen in Deutschland zu vermeiden („Eins-zu-
Eins-Umsetzung“),

– sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass Stoffverbote und
Getrennthaltungspflichten nur dann vorgesehen werden, wenn dies aus öko-
logischen oder gesundheitlichen Gründen zwingend erforderlich und eine
Getrennthaltung technisch unumgänglich und verhältnismäßig ist,

– auf europäischer Ebene im Ausschuss nach Artikel 14 der Elektro-Alt-
geräte-Richtlinie (TAC – Technical Adaption Committee) einerseits auf
eine schnellstmögliche Definition und Beschlussfassung bezüglich we-
sentlicher Begriffe hinzuwirken und andererseits zu vermeiden, dass im
Vorgriff auf die noch ausstehende Festlegung von Einzelheiten durch den
TAC in Deutschland bereits Vorgaben festgeschrieben bzw. andere und
detailliertere Randbedingungen für anwendbar erklärt werden als in ande-
ren Mitgliedstaaten.

Berlin, den 19. Oktober 2004
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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