BT-Drucksache 15/3823

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit China und Indien zu einer Zusammenarbeit in Wirtschaft, Forschung und Ausbildung umbauen

Vom 29. September 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3823
15. Wahlperiode 29. 09. 2004

Antrag
der Abgeordneten Markus Löning, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer,
Harald Leibrecht, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt,
Birgit Homburger, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Eberhard Otto (Godern),
Cornelia Pieper, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit China und Indien zu einer
Zusammenarbeit in Wirtschaft, Forschung und Ausbildung umbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit einem Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 8 Prozent in den letzten
10 Jahren konnte China die Armut auf beeindruckende Weise bekämpfen. Der
Anteil der absolut Armen in China ist auf 10 Prozent zurückgegangen. Damit ist
es trotz Bevölkerungswachstum gelungen, nicht nur den prozentualen Anteil,
sondern auch die absolute Anzahl von Menschen in Armut zu senken. China ist
ein junges Land. Mit einemDurchschnittsalter der Bevölkerung von 31,8 Jahren
verfügt das Land über ein enormes Potential an jungen, ehrgeizigen und extrem
flexiblen Menschen. Bereits heute studieren über 7,1 Millionen junge Chinesen.
Mit dem Beitritt Chinas zur WTO (Welthandelsorganisation) im Jahr 2002
wurde die Basis für den wirtschaftlichen Aufschwung Chinas weiter verbreitert.
Deutlichstes Zeichen dafür waren ausländische Direktinvestitionen in Höhe von
52,7 Mrd. US-Dollar im Jahr 2002.
Auf einem vergleichbaren Weg befindet sich Indien. Mit einem Wirtschafts-
wachstum von 8,5 Prozent für 2003 erreichte Indien ähnlich gute Werte wie
China. Seit Beginn der Wirtschaftsreformen im Jahr 1991 konnte der Anteil der
absolut Armen um 10 Prozent auf 25 Prozent verringert werden. Bis zum Jahr
2012 kann nach den Vorstellungen der indischen Regierung diese Zahl nochmals
um 15 Prozent reduziert werden. Mit einem durchschnittlichen Alter von
24,4 Jahren ist die Bevölkerung Indiens fast halb so jung wie die Deutschlands.
Die Erfolge in der Armutsbekämpfungwarenmöglich, weil dem kreativen, tech-
nologischen, wissenschaftlichen und unternehmerischen Potential der Bürger
der nötige Freiraum eingeräumt wurde. Der Aufbau der Marktwirtschaft und die
zunehmende Öffnung der beiden Länder gegenüber den Weltmärkten haben
enorme wirtschaftliche Erfolge möglich gemacht. Beide Länder verfügen über

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eine hervorragend ausgebildete Schicht von Akademikern, Technikern, For-
schern und Managern. Eine Mittelschicht mit vergleichsweise guten Einkom-
men und damit Kaufkraft entsteht. In beiden Ländern findet allerdings auch eine
asynchrone Entwicklung statt. Zwar profitiert ein beachtlicher Teil der Bevölke-
rung stark von der wirtschaftlichen Entwicklung, die Entwicklung eines anderen
Teils hinkt aber weiter hinterher. Die Bekämpfung der Armut steht somit auf
wackligen Füßen, wie die jüngsten Zahlen aus Indien zeigen. Die durch den
wirtschaftlichen Aufschwung geschaffenen eigenen Armutsbekämpfungspoten-
tiale der Länder werden bisher noch nicht ausreichend genutzt. Stattdessen un-
terhalten sowohl China als auch Indien große Armeen und bauen diese Kapazi-
täten weiter aus. Beide Länder haben eigene Nuklearprogramme, über deren je-
weilige Kosten nur spekuliert werden kann. China hat darüber hinaus im Rah-
men seinesWeltraumprogramms für über 2 Mrd. Euro einen Taikonauten in eine
Erdumlaufbahn gebracht. Trotz dieser bekannten Tatsachen sind beide Länder
Empfänger internationaler Entwicklungshilfe. Von den rund 3 Mrd. US-Dollar
jährlicher Entwicklungshilfe an beide Länder, leistet allein Deutschland an
China 281 Mio. Euro und an Indien 150 Mio. Euro entwicklungswirksame Leis-
tungen jährlich.
Besonders stark engagiert sich Deutschland im Bereich der Armutsbekämpfung.
Dabei ist bereits seit Jahren bekannt, dass spezifische Armutsbekämpfungspro-
gramme zwar hohe Beträge absorbieren, letztlich aber wenig bewirkt haben.
Auch weitere Schwerpunkte Deutschlands im Umweltsektor, beim Aufbau der
Marktwirtschaft in den Ländern und in den Bereichen Abfallentsorgung, Trans-
port und Wasserwirtschaft werden mit ihrer Bedeutung für die Armutsbekämp-
fung begründet. Damit werden aber auch die Eliten dieser Länder ein Stück aus
ihrer Verantwortung gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung entlassen.
Die Verantwortung für eine – nach europäischen Maßstäben – gerechte Vertei-
lung der Einkommen auf die gesamte Bevölkerung und eine moderne Entwick-
lung der Gesellschaften tragen die Eliten in China und Indien selbst. Das fachli-
che Know-how und die nötigen Mittel zur Durchführung von Maßnahmen zur
Armutsbekämpfung sind ohne Zweifel in beiden Ländern vorhanden. In Indien
gibt es eine sehr gut entwickelte Struktur von Nichtregierungsorganisationen in
diesem Bereich.
Deutschland sollte daher seine Entwicklungszusammenarbeit mit China und In-
dien grundlegend ändern. Alle Projekte zur Armutsbekämpfung, technischen
Zusammenarbeit, Aufbau von Marktwirtschaft und Projekte im Bereich der so-
zialen Infrastruktur sollen auslaufen. Die indische und chinesische Gesellschaft
sind ganz offensichtlich in der Lage diese Probleme aus sich selbst heraus we-
sentlich effizienter zu lösen als durch Entwicklungshilfe von außen.
Die dadurch frei gewordenen Mittel sollen in zukunftsgerichtete Projekte inves-
tiert werden, die die Zusammenarbeit zwischen unseren Völkern enger gestaltet
und an die geänderten Umstände angepasst sind. Neben Beratungsprojekten im
politischen Raum (besonders mit China) und intensiverem kulturellen Aus-
tausch sollte dabei vor allem auf einen stärkeren Austausch von Studenten und
Forschern sowie eine engere Zusammenarbeit im technologischen und wirt-
schaftlichen Bereich gesetzt werden. Gerade in diesen Bereichen werden Grund-
lagen geschaffen. Studenten und Fachkräfte aus China und Indien werden an
deutschen Standards ausgebildet und können nach Abschluss ihrer Ausbildung
in Deutschland als Verbindung zwischen unseren Ländern fungieren. Auch für
deutsche Studenten wird ein Studium in Indien oder China zunehmend interes-
sant. Für den Wissenschaftsstandort Deutschland ist es von herausragender Be-
deutung mit den starken Wissenschaftsnationen China und Indien viel engere
Beziehungen zu pflegen.
In der Auswärtigen Kulturpolitik müssen beide Länder angesichts ihrer Bevöl-
kerungsgröße eine wesentlich prominentere Rolle spielen. Die deutschen Kultur-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3823

institute sind zurzeit nicht in der Lage, das hohe Interesse an Deutschland und
der deutschen Sprache zu befriedigen.
Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich auch in einer Reihe von anderen Ländern
in Asien, wie z. B. Thailand, Vietnam, Pakistan oder Indonesien, ab. Ein großer
Teil der internationalen Gemeinschaft hat dies bereits erkannt und seine Ent-
wicklungsleistungen entsprechend korrigiert. Mit Blick auf die geänderte Situa-
tion in den sich stark entwickelnden Ländern und mit Blick auf die eigenen
außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen muss Deutschland seine
Entwicklungszusammenarbeit überdenken und neu strukturieren.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. alleMaßnahmen, die unter demBegriff der Armutsbekämpfung durchgeführt

werden, auslaufen zu lassen;
2. die dadurch frei werdenden Haushaltsmittel in Stipendiatenprogramme zum

Studenten- und Schüleraustausch, in den Wissenschaftstransfer und in For-
schungsaustauschprogramme zu investieren;

3. zusätzliche Goethe-Institute in Indien und China entsprechend dem Anteil
der beiden Länder an der Erdbevölkerung aufzubauen;

4. für den Aufbau deutscher Schulen und Universitäten in Indien und China
Unterstützungsprogramme zu erarbeiten;

5. die Außenwirtschaftsstrukturen, insbesondere in Indien, zu verbessern;
6. die Mittel für die politischen Stiftungen deutlich aufzustocken.

Berlin, den 28. September 2004
Markus Löning
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Harald Leibrecht
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan

Klaus Haupt
Birgit Homburger
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Eberhard Otto (Godern)
Cornelia Pieper
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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