BT-Drucksache 15/3766

Behandlung von Tierabfällen in Biogasanlagen

Vom 22. September 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3766
15. Wahlperiode 22. 09. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Hans-Michael Goldmann, Birgit
Homburger, Michael Kauch, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
JoachimGünther (Plauen), Ulrich Heinrich, Hellmut Königshaus, Jürgen Koppelin,
Harald Leibrecht, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Behandlung von Tierabfällen in Biogasanlagen

Zum 26. Januar 2004 ist das Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher
Vorschriften über die Verarbeitung und Beseitigung von nicht für den mensch-
lichen Verzehr bestimmten tierischen Nebenprodukten in Kraft getreten. Rele-
vant für die Behandlung sowie die Beseitigung bzw. Verwertung von Tierab-
fällen ist u. a. auch das Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien (EEG, § 8
Abs. 1, 2. Halbsatz) in Verbindung mit der die Biomasseverordnung (§ 3 Nr. 9).
Die dem eingangs genannten Gesetz zugehörige Verordnung (EG) 1774/2002
unterscheidet tierischen Abfall in drei Kategorien: Abfälle der Kategorie 1 (vor
allem Gewebeteile, die den BSE-Erreger enthalten können) dürfen als „Spezi-
fisches Risikomaterial“ ausschließlich in Tierkörperbeseitigungsanlagen unter
Drucksterilisation behandelt und anschließend beseitigt, also nicht verwertet
werden. Demgegenüber werden Abfälle der Kategorien 2 und 3 der Verwertung
zugeführt, wobei Abfälle der Kategorie 2 vorher in der Regel drucksterilisiert
werden müssen. Gegen die Verwertung von behandelten tierischen Abfällen der
Kategorie 3 in Biogasanlagen (Erhitzung auf lediglich 70 ° C) ohne vorherige
Drucksterilisation wird eingewandt, dass für den Menschen risikoreiche Sporen
und Bakterien die angewandten Hygienisierungsverfahren überleben und wei-
terhin über lange Zeiträume vermehrungsfähig bleiben können. Dessen unge-
achtet gewinnt die energetische Verwertung dieses Materials in Biogasanlagen
zunehmend an Bedeutung, weil dieser Verwertungsweg den Vergütungsregeln
nach EEG unterfällt.
Die bestehende Gesetzes- und Verordnungslage verschärft damit den wirtschaft-
lichen Druck, unter dem Tierkörperbeseitigungsanlagen betrieben werden, da
dort nicht nur keine Erlöse erzielt, sondern im Gegenteil die Beseitigung tieri-
scher Abfälle in erheblichen Maße Kosten verursacht, welche in erster Linie die
Landwirte über Beiträge zur Tierseuchenkasse und über direkte Beseitigungs-
entgelte zu tragen haben. Durch die direkte Verbringung von Schlachtabfällen in
Biogasanlagen verringert sich der Substratanteil, der den Tierkörperbeseiti-
gungsanlagen zur wirtschaftlichen Auslastung ihrer Anlagen zur Verfügung
steht bzw. angedient wird. Das hat bereits zu Kapazitätsabbau und zur Schlie-
ßung einzelner Anlagen geführt und senkt zudem die Investitionsbereitschaft.

Drucksache 15/3766 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung den zunehmenden wirtschaftlichen

Druck, unter dem Tierkörperbeseitigungsanlagen betrieben werden, den in-
folge dessen einsetzenden Kapazitätsabbau und die sinkende Investitions-
möglichkeit eingedenk der Überlegung, dass bei einem möglichen groß-
flächigen Tierseuchenfall keine ausreichenden Kapazitäten an Tierkörper-
beseitigungsanlagen mehr zur Verfügung stehen?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr, dass von den Restsubstraten
der Biogasanlagen ein gesundheitliches Risiko für den Menschen ausgehen
könnte, weil diese als Dünger wieder auf die Äcker ausgebracht und damit
letztlich wieder in den Nahrungskreislauf eintreten?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage, dass in der Praxis Materi-
alien der Kategorien 2 und 3, beispielsweise Därme und deren Inhalt, kaum
trennscharf voneinander unterschieden werden (können)?

4. Trifft es zu, dass derzeit die Schlachtereien selbst bewerten, welches tieri-
sche Abfallmaterial sie der Kategorie 2 oder 3 zuordnen (siehe Frage 3) und
damit über die Notwendigkeit kostenwirksamer Nachbehandlungsmaßnah-
men selbst entscheiden, und wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung die-
sen Sachverhalt?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Beobachtung, dass in jüngerer Ver-
gangenheit ein deutlicher „Schwund“ an Material der Kategorie 2 und ge-
genläufig eine Zunahme des Materials der Kategorie 3 zu beobachten sei,
welch letzteres von Biogasanlagenbetreibern nachgefragt wird?

6. Welche Schlussfolgerungen leitet die Bundesregierung daraus ab?
7. Trifft es zu, dass das aus Material der Kategorie 1 nach Behandlung hervor-

gehende Produkt zum einen steril ist und zum anderen energetische Eigen-
schaften aufweist, die den energetischen Eigenschaften anderer Arten von
Biomasse entsprechen?

8. Wenn nein, worin bestehen maßgebliche Unterschiede, und wenn ja, was
spricht gegen eine Verwertung dieses Materials in Biomasseanlagen?

9. Ist die eingangs beschriebene Ungleichbehandlung von tierischen Abfällen
im Rahmen bestehender Reglungen zur energetischen Nutzung von Bio-
masse beabsichtigt, und wenn nein, gedenkt die Bundesregierung dies zu
ändern?

10. Wenn ja, welche Gründe bewegen die Bundesregierung zu einer solchen
Ungleichbehandlung?

11. Welche konkreten betriebswirtschaftlichen Konsequenzen hat die Un-
gleichbehandlung für die relative Wettbewerbsposition der betroffenen An-
lagenbetreiber (Tierkörperbeseitigungsanlagen und Biogasanlagen) bzw.
der Energieträger und (Energiegewinnungs-)Techniken?

12. Sind diese Auswirkungen beabsichtigt, und wenn ja, weshalb?
13. Wie hoch ist jeweils der technische, energetische und finanzielle Aufwand

der Behandlungsmaßnahmen bei tierischen Abfällen der Kategorien 1 und 2
einerseits und Kategorie 3 andererseits?

14. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass organisches Material
(neben tierischen und pflanzlichen Abfällen z. B. auch Klärschlämme und
Kunststoffe) unter geeigneten Bedingungen stets chemische Zustände an-
nimmt, welche denen von fossilen Brennstoffen entsprechen bzw. diesen
vergleichbar sind?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3766

15. Hat die Bundesregierung allgemein Kenntnis von Technologien bzw. von
Anlagen, die auf eine Verarbeitung organischen Materials im vorgenannten
Sinne abzielen, und wenn ja, welche derartigen Technologien bzw. Anlagen
sind der Bundesregierung bekannt und wie bewertet sie diese Technologien
jeweils in ökologischer, gesundheits- und verbraucherpolitischer sowie in
ökonomisch-energiewirtschaftlicher Hinsicht?

16. Verfügt die Bundesregierung in diesem Sinne über besondere Kenntnisse
oder nähere Informationen über Technologien bzw. Anlagen, welche Medi-
enberichten zufolge in den USA entwickelt und u. a. dort sowie in Italien er-
folgreich betrieben werden (vgl. Bericht „Truthähne zu Erdöl“, in: DER
SPIEGEL vom 16. Juni 2003)?

17. Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung derartige Verfahren und Tech-
nologien vor dem Hintergrund des energie- und umweltpolitischen Ziels,
fossile Brennstoffe durch nachwachsende zu substituieren und auf diese
Weise zu einer nachhaltigen und umweltverträglichen Energieversorgung
beizutragen?

18. Wie hoch sind die in Deutschland jährlich anfallende Menge und der Ener-
giegehalt des organischen Abfalls, der für eineWiederverwertung bzw. Ver-
arbeitung mit Hilfe von Verfahren im Sinne der Fragen 15 und 16 prinzipiell
in Frage käme?

19. Welche Einsatzmengen fossiler Energieträger wären auf diesem Wege zu
welchen Kosten grundsätzlich substituierbar und wie bewertet die Bundes-
regierung die Marktchancen solcher Technologien?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die Überlegung, dass durch zusätzliche
Kapazitäten zur Wiederverwertung bzw. Verarbeitung organischen Abfalls
mit Hilfe von Verfahren im Sinne der Fragen 15 und 16 oder vergleichbarer
Verfahren potentiell auch ein Beitrag zur Tierseuchenbekämpfung geleistet
werden könnte?

Berlin, den 7. September 2004
Angelika Brunkhorst
Hans-Michael Goldmann
Birgit Homburger
Michael Kauch
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Joachim Günther (Plauen)
Ulrich Heinrich
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.