BT-Drucksache 15/3534

Zur Tibet-Politik der Bundesregierung

Vom 30. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3534
15. Wahlperiode 30. 06. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Leibrecht, Dr. Werner Hoyer, Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Zur Tibet-Politik der Bundesregierung

Tibet war bis zur Invasion der chinesischen Kommunisten 1949 ein unabhängi-
ger Staat, dessen Bevölkerung auch heute noch ethnisch, geschichtlich, kultu-
rell und sprachlich ein homogenes Volk bildet. Gegen die Besatzung wurde
1959 im Rahmen eines Volksaufstandes in Lhasa protestiert. Dieser wurde bru-
tal durch das chinesische Militär niedergeschlagen, der Dalai Lama und 80 000
weitere Tibeter flohen ins Exil nach Indien. Sie bildeten dort eine auf demokra-
tischen Grundlagen basierende Exilregierung, welche sich als legitime Regie-
rung und wahre Vertretung der tibetischen Bevölkerung versteht.
Deutschland erkennt diese Exilregierung aufgrund seiner Ein-China-Politik
nicht an. Die Bundesregierung empfängt das politische und religiöse Oberhaupt
der tibetischen Exilregierung, den Dalai Lama, nicht auf politischer Ebene, son-
dern lediglich als religiöses Oberhaupt des tibetischen Buddhismus. Es wird auf
jeden außenpolitischen Druck, der die Haltung Chinas gegenüber Tibet verär-
gern könnte, verzichtet und nur eine religiöse und kulturelle Autonomie Tibets
befürwortet.
Dabei drohen allerdings die den Tibetern von China aufgezwungenen
Lebensbedingungen und die massiven Menschenrechtsverletzungen in Verges-
senheit zu geraten. China schränkt die individuelle und vor allem religiöse Frei-
heit der Tibeter stark ein. Es verhängt Gefängnis- oder Arbeitsstrafen für poli-
tisch Andersdenkende, und es hält diese in Lagern jahrelang gefangen. Auch
wird immer wieder von Folter, Exekutionen und über Repressalien berichtet.
Schon eine Sympathiebekundung zum Dalai Lama durch Aufhängen seines
Porträts zog Haftstrafen sowie Landenteignungen nach sich. Durch die Entfüh-
rung des als Panchen Lama ausgerufenen Gendun Choekyi Nyima wird von
China versucht, die kulturelle Kontrolle über das tibetische Volk zu erlangen.
Weiterhin dezimiert die chinesische Regierung durch Umsiedlungsmaßnahmen
und strenge Geburtenkontrolle die Zahl der Tibeter, die schon heute im eigenen
Land zur Minderheit geworden sind. Der Dalai Lama bezeichnet diese Ent-
wicklung als „kulturellen Genozid“. Durch den politisch motivierten Bau der
Eisenbahn zwischen Gormo (Provinz Qinghai) und Lhasa (Autonome Region
Tibet (TAR)) wird diese Entwicklung noch verstärkt, da er einen starken wach-

Drucksache 15/3534 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

senden Zustrom chinesischer Einwanderer mit sich bringen wird. Zu all diesen
Vorgängen schweigt die Bundesregierung gegenüber der chinesischen Regie-
rung.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie steht die Bundesregierung grundsätzlich zu den tibetischen

Autonomiebestrebungen?
2. Wie bewertet die Bundesregierung die schon 1989 vertretene Erkenntnis

eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundes-
tages, wonach der Status Tibets ungeklärt sei und China keinen legalen
Anspruch auf das Territorium von Tibet erworben habe?

3. Wie beschreibt die Bundesregierung ihr Verhältnis zur offiziellen Vertre-
tung Tibets?

4. Welche diplomatischen Mittel setzt die Bundesregierung ein, um den Kon-
flikt zwischen China und Tibet zu entschärfen?

5. In welcher Form unterstützt die Bundesregierung den beginnenden Dialog
zwischen den Vertretern des Dalai Lama und der Volksrepublik China vor
dem Hintergrund, dass eine tibetische Delegation des Dalai Lama China
seit September 2002 zweimal, das letzte Mal im Mai 2003 besucht hat?
Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um weitere Be-
suche von tibetischer Seite zu ermöglichen?
Wird dieser Dialog aktiv unterstützt und gefördert?

6. Hat der Bundeskanzler im Gespräch mit dem chinesischen Ministerpräsi-
denten Wen Jiabao im Mai 2004 in Berlin die Fortführung des Dialogs
zwischen den Tibetern und der chinesischen Regierung thematisiert?

7. Beabsichtigt die Bundesregierung ein Gespräch zwischen Bundeskanzler
und dem Dalai Lama?
Wenn nein, warum nicht?

8. Ist es richtig, dass sich vonseiten der Bundesregierung bislang nur der
Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, mit dem Dalai Lama in
einem Restaurant in Berlin getroffen hat?

9. Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, damit im bi-
lateralen Dialog zwischen der EU und China die Situation in Tibet ange-
sprochen wird?

10. Wie stellt sich die Bundesregierung zur Forderung des Europäischen Parla-
ments nach Einrichtung eines europäischen Koordinators für Tibet?

11. Sind der Bundesregierung nähere Umstände über die Entführung des Pan-
chen Lama (Gendun Choekyi Nyima) durch die chinesischen Behörden be-
kannt?
Wenn ja, sieht die Bundesregierung ihrerseits Handlungsbedarf und wie
will sie diesen gegebenenfalls umsetzen?

12. Wann und von wem wurde das Schicksal des Panchen Lama das letzte Mal
von der Bundesregierung gegenüber der chinesischen Regierung zur Spra-
che gebracht?

13. Hat sich die Bundesregierung bei der chinesischen Regierung dafür einge-
setzt, dass die Erlaubnis zum Besuch eines internationalen Kindergutach-
ters beim elften Panchen Lama erteilt wird?

14. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass chinesische Behör-
den die Bevölkerung in den Distrikten Kardze und Lithang mit der Be-
schlagnahme ihres Grundbesitzes bedroht haben, wenn sie die Porträts des
Dalai Lama aufhängen?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3534

15. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung konkret, um die Vollstre-
ckung des gegen Tenzin Delek Rinpoche ohne rechtsstaatliches Verfahren
ergangenen Todesurteils zu verhindern?
Mit welchen Maßnahmen wirkt sie auf eine Freilassung von Tenzin Delek
Rinpoche hin?

16. Bei welchen Gesprächen hat wer innerhalb der Bundesregierung bei wem
innerhalb der chinesischen Regierung den Fall Tenzin Delek Rinpoche er-
wähnt, und in welchen Gesprächen wurde der Fall detailliert erörtert?
Was hat die chinesische Regierung entgegnet?

17. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über weitere im Zusammenhang
mit Tenzin Deleks Inhaftierung verhafteten und noch im Gefängnis befind-
liche Tibeter bzw. Tibeterinnen?

18. Wurden beim Menschenrechtsdialog des Auswärtigen Amtes am 25. Mai
2004 Einzelfälle aus Tibet angesprochen, und wenn ja, wie war das Feed-
back der chinesischen Seite und wurden konkrete Zusagen von dieser un-
ternommen?

19. Wird die spezielle Situation Tibets im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs
zwischen der Bundesregierung und der chinesischen Regierung themati-
siert?

20. Wie verhält sich die Bundesregierung gegenüber Nepal in Bezug darauf,
dass weiterhin tibetische Flüchtlinge abgeschoben werden, wohl wissend,
dass ihnen in ihrer Heimat eine Gefangennahme droht?

21. Wie behandelt die Bundesregierung tibetische Asylsuchende in Deutsch-
land?

22. Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung die Auffassung vertritt, dass Ti-
beter, die im Ausland einen Asylantrag stellen, bei Rückkehr nach China
nicht mit einer Bestrafung rechnen müssen?
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass tibetische Flüchtlinge
wegen illegalen Grenzübertritts als politische Straftäter eingestuft und be-
sonders streng bestraft werden?

23. Sieht die Bundesregierung Chancen, die Ausrichtung der Olympischen
Spiele 2008 in Peking zu nutzen, um Druck auf die chinesische Regierung
zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Tibet auszuüben?

Berlin, den 29. Juni 2004
Harald Leibrecht
Dr. Werner Hoyer
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin

Sibylle Laurischk
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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