BT-Drucksache 15/3508

Strafverfolgung deutscher Soldaten im Auslandseinsatz rechtsstaatlich sicherstellen

Vom 30. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3508
15. Wahlperiode 30. 06. 2004

Antrag
der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Günther Friedrich Nolting,
Helga Daub, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Ulrike
Flach, Otto Fricke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Ulrich
Heinrich, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning, Dirk Niebel, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Strafverfolgung deutscher Soldaten im Auslandseinsatz rechtsstaatlich
sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Deutsche Soldaten sind in vielen Krisenregionen dieser Welt im Einsatz. Durch
die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien ist eindeutig der Wandel von
einer Verteidigungsarmee zur weltweit operierenden Einsatzarmee vollzogen.
Deutsche Soldaten unterliegen auch bei einem Einsatz im Ausland dem deut-
schen Strafrecht, sofern die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7
Abs. 2 Nr. 1 StGB) oder es sich um eine in den §§ 5 oder 6 StGB genannte
Straftat (z. B. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Taten deutscher
Amtsträger, unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln, Verbreitung pornogra-
phischer Schriften in den Fällen des § 184 Abs. 3 und 4 StGB, Subventions-
betrug) handelt. Noch ist es bei einem Einsatz von deutschen Soldaten im
Ausland nicht zu schwerwiegenden Straftaten von Soldaten der Bundeswehr
gekommen. Eine vorausschauende Politik macht es aber erforderlich, auch für
solche Fälle Vorsorge zu treffen. Dabei muss sichergestellt sein, dass bei Taten
deutscher Soldaten eine effiziente Strafverfolgung möglich ist, die zugleich
rechtsstaatliche Verfahrensgarantien gegenüber den verdächtigen Soldaten
wahrt, aber auch die Besonderheit bei Soldaten im Einsatz beachtet. Fälle in der
Vergangenheit haben gezeigt, dass es besonders in zwei Bereichen erheblichen
Regelungsbedarf gibt.
Eine besondere Ermittlungszuständigkeit besteht derzeit nicht. Demnach ist
nach geltendem Recht die jeweilige Staatsanwaltschaft und das Gericht des
Wohnortes des Soldaten zuständig (§ 8 Abs. 1, § 143 Abs. 1 StPO). Dies ist bei
Zeit- und Berufssoldaten der letzte inländische Standort (§ 9 Abs. 1, 2 BGB).
Gleiches gilt für Wehrdienstleistende, wenn diese noch Heranwachsende sind.
Der letzte inländische Standort ist die Stammeinheit des Soldaten, nicht jedoch
der Standort, an dem das Auslandskontingent organisatorisch zusammengefasst
ist. Diese Rechtslage führt zu komplizierten Zuständigkeitsverteilungen, weil
damit grundsätzlich jede Staatsanwaltschaft in der Bundesrepublik Deutsch-
land zuständig sein kann. Sind an einer Straftat mehrerer Soldaten verschiede-

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ner Stammeinheiten beteiligt, kommt es sogar zu einer Zuständigkeit mehrerer
Staatsanwaltschaften.
Zwar übernimmt ist Staatsanwaltschaft Potsdam eine Koordinierungsfunktion.
Diese Aufgabe ist ihr aber nicht gesetzlich zugewiesen und in der staatsanwalt-
schaftlichen Praxis auch nicht unumstritten.
Die Konzentration aller Verfahren, die anlässlich von Auslandseinsätzen be-
gangene Straftaten betreffen, bei einer Staatsanwaltschaft ist aus Sachgründen
geboten. Die Ermittlungstätigkeit bei solchen Taten erfordert eine Kenntnis der
militärischen Strukturen und Abläufe, die in aller Regel in Staatsanwaltschaften
nicht in der nötigen Tiefe vorhanden ist. Die Begründung einer speziellen
Zuständigkeit kann hier eine Verbesserung der Abläufe bewirken. Schon in
anderen Bereichen hat sich die Einrichtung von Staatsanwaltschaften mit spezi-
ellen Zuständigkeiten bewährt, weil so Einheiten mit besonderem Fachwissen
errichtet werden können, beispielsweise die Schwerpunktstaatsanwaltschaften
in Wirtschaftssachen.
Ein weiteres Defizit der jetzigen Rechtslage besteht darin, dass die Ermittlungs-
tätigkeit imAusland nicht geregelt ist. Begeht ein deutscher Soldat imAuslands-
einsatz eine Straftat, sind in aller Regel Ermittlungen vor Ort erforderlich. Er-
mittlungen, die nicht sofort getätigt werden, sind später kaum mehr nachholbar.
Betroffene Soldaten undZeugen, die ebenfallsAngehörige der Bundeswehr sind,
können mittels Befehl/Anordnung in die Bundesrepublik Deutschland zurück-
geführt und so für Ermittlungshandlungen, insbesondere Vernehmungen, durch
die Staatsanwaltschaft verfügbar gemacht werden. Ein beachtlicher Teil der Er-
mittlungsarbeit muss aber auch am Tatort erfolgen. So muss der Tatort für an-
schließende Untersuchungen unverändert erhalten bleiben. Dort müssen Spuren
gesichertwerden.UmdieTat später rekonstruieren zu können,muss die Lage von
Personen undGegenständen genau festgehaltenwerden. Esmüssen verschiedene
Spuren, wie beispielsweise Fingerabdrücke, Blutspuren, Fußspuren, Fahrspuren,
Schussspuren oder Schmauchspuren aufgenommen werden. Die meteorologi-
schenBedingungen sowie die Sichtverhältnisse amTatort zur Tatzeitmüssen auf-
gezeichnet werden. Ausländische Zeugen müssen vor Ort vernommen werden.
Auch mit der Vernehmung des mutmaßlichen Täters sollte nicht gewartet wer-
den, bis dieser sich wieder in der Bundesrepublik Deutschland befindet.
Die Staatsanwaltschaft selbst kann vor Ort keine Ermittlungstätigkeiten durch-
führen, weil dem die ausschließliche Hoheitsgewalt des Aufnahmestaates auf
seinem Territorium entgegensteht. Gleiches gilt für Beamte des Bundesgrenz-
schutzes und Landespolizeibeamte, die als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft
in den Aufnahmestaat einreisen, um Ermittlungen durchzuführen.
Dieses Problem lässt sich nicht dadurch lösen, den Aufnahmestaat im Wege der
Rechtshilfe um die Vornahme von Ermittlungshandlungen zu ersuchen. In vie-
len Fällen befindet sich der Aufnahmestaat in einer Krisensituation, die auch
die Funktionsfähigkeit seines Justizsystems berührt. Überdies müsste für ein
solches Vorgehen ein völkerrechtliches Abkommen über die Rechtshilfe mit
diesem Staat bestehen. Selbst wenn diese Hürden überwunden wären, erfordert
ein Rechtshilfeersuchen ein aufwändiges Verfahren, das die Aufnahme zeit-
naher Ermittlungen unmöglich macht.
Eine sachgerechte Lösung dieses Problems liegt darin, den Feldjägern der Bun-
deswehr im Rahmen von Auslandseinsätzen die Funktion von Hilfsbeamten der
Staatsanwalt zuzuweisen. Die Feldjäger besitzen bereits heute eine ausreichende
Sachkunde, um bestimmte Ermittlungen durchzuführen. Sie werden bereits
heute im Inland eingesetzt, um Kfz-Unfälle der Bundeswehr aufzunehmen, Ver-
stöße gegen die Gefahrgutverordnung (Straße) im Rahmen des militärischen
Verkehrsdienstes festzustellen und Manöverschäden zu dokumentieren. Durch
weitere Fortbildung können Feldjäger in die Lage versetzt werden, bei Auslands-
einsätzen die Ermittlungstätigkeit nach Straftaten zu übernehmen.

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Dabei muss aber sichergestellt werden, dass die Grundsätze eines fairen Ver-
fahrens eingehalten werden. Insbesondere müssen die Rechte der Beschuldig-
ten gewahrt werden. Dabei unterliegen Disziplinarverfahren und Strafverfahren
unterschiedlichen Regelungen. Während der Soldat im Disziplinarverfahren
weitgehend verpflichtet ist, wahrheitsgemäße Angaben zu machen, besteht
diese Pflicht im Strafverfahren gerade nicht. Deshalb müssen auch die Ermitt-
lungszuständigkeiten für diese Verfahren bei verschiedenen Stellen liegen.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
1. das Gerichtsverfassungsgesetz so zu ändern, dass eine eindeutige Zuständig-

keit für die Verfolgung von Straftaten von Soldaten der Bundeswehr bei
Auslandseinsätzen sichergestellt ist, durch das Einfügen eines neuen § 74f:
„§ 74f Für Straftaten, die Angehörige der Bundeswehr im Rahmen von
Auslandseinsätzen begangen haben, ist das Gericht zuständig, in dessen
Bezirk das für den Auslandseinsatz zuständige Einsatzführungskommando
seinen Sitz hat.“;

2. das Gerichtsverfassungsgesetz so zu ändern, dass Feldjägern die Funktion
von Hilfsbeamten der Staatsanwalt zugewiesen wird, durch das Einfügen
eines neuen Absatzes 3 in den § 152:
„(3) In Verfahren gegen Angehörige der Bundeswehr, die diese im Rah-

men von Auslandseinsätzen begangen haben, sind auch die Feldjäger der
Bundeswehr Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft.“

Berlin, den 30. Juni 2004
Jörg van Essen
Rainer Funke
Günther Friedrich Nolting
Helga Daub
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Otto Fricke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Markus Löning
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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