BT-Drucksache 15/3374

Rechtsgrundlage für so genanntes Massen-DNA-Screening

Vom 16. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3374
15. Wahlperiode 16. 06. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jörg van Essen, Gisela Piltz, Rainer Funke, Dr. Max Stadler,
Ernst Burgbacher, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Helga Daub, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Harald Leibrecht,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Eberhard Otto (Godern), Cornelia Pieper, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Rechtsgrundlage für so genanntes Massen-DNA-Screening

Zur Aufklärung von schweren Verbrechen wird oftmals auf die Methode der
genetischen Reihenuntersuchung zurückgegriffen, wenn alle anderen Versuche
zur Ermittlung des Täters gescheitert sind. Dazu wird meist ein „geographisches
Täterprofil“ erstellt, um den Raum einzugrenzen, in dem sich der Täter aufhalten
könnte. Immer wieder ist es in spektakulären und medienwirksamen Fällen
gelungen, mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks den Täter zu überführen. In
anderen Fällen werden jedoch reihenweise Speichelproben genommen, ohne
dass der Täter ermittelt werden kann.
Regelmäßig werden bei einem so genannten Massenscreening in großem Um-
fang auch Daten Unschuldiger erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat 2000
festgestellt, dass erstens die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters in
das vom Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-
mung eingreift und zweitens dieses Grundrecht nur im überwiegenden Interesse
der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßig-
keit eingeschränkt werden darf (2 BvR 1741/99).
Der Gesetzgeber hat bei der molekulargenetischen Untersuchung gemäß § 81e
Strafprozessordnung (StPO) auf einen besonderen Verdachtsgrad verzichtet, da
er davon ausging, dass es auch zu Beginn eines Strafverfahrens möglich sein
muss, eine molekulargenetische Untersuchung durchzuführen. Dementspre-
chend reicht ein bloßer Anfangsverdacht.
Die Teilnahme an einemMassentest ist formal freiwillig. Daher ist bislang auch
eine richterliche Anordnung entbehrlich. Die richterliche Anordnung ist erst
dann erforderlich, wenn ein Bürger trotz Weigerung zur Abgabe der Speichel-
probe gezwungen werden soll. Die Freiwilligkeit erweist sich aber oft als Trug-
schluss, wenn jemand nicht an der Speichelprobe teilnehmen will. In jüngster
Zeit sind Fälle bekannt geworden, in denen Betroffene, die sich geweigert haben,
eine Speichelprobe abzugeben, von den zuständigen Staatsanwaltschaften als
Verdächtige bzw. als Beschuldigte ins Strafsachenregister eingetragen wurden.
Die Weigerung zur Abgabe einer Speichelprobe führte dabei zur Begründung
eines vorher nicht vorhandenen Tatverdachts. Dadurch wird die Unschuldsver-

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mutung umgekehrt. Die von einem Massenscreening Betroffenen müssen ihre
Unschuld nachweisen. Faktisch wird dadurch ein Generalverdacht begründet.
Das Landgericht Regensburg hat 2003 in einem solchen Fall entschieden, dass
„keine Rechtsgrundlage“ für die überdies „unverhältnismäßige“ Entnahme von
Speichelproben gegen den Willen der Betroffenen vorgelegen habe; die Verwei-
gerung eines Gentests begründe keinen hinreichenden „Anfangsverdacht“.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Vorschriften der StPO eine

hinreichende Rechtsgrundlage für die Anordnung von so genannten Massen-
DNA-Screenings bieten?
Wenn nein, wird die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf
zur Konkretisierung einer Rechtsgrundlage für die Anordnung von so ge-
nannten Massen-DNA-Screenings in den Deutschen Bundestag einbringen?

2. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, die Anordnung von so ge-
nannten Massen-DNA-Screenings auf konkrete Straftaten zu begrenzen und
die StPO entsprechend zu ändern?

3. Liegen der Bundesregierung Zahlen darüber vor, wie häufig von dem Verfah-
ren des so genannten Massen-DNA-Screenings seit 1998 Gebrauch gemacht
wurde und in wie vielen Fällen das Verfahren zur Ermittlung des Täters führte?

4. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass für die Anordnung eines so genann-
ten Massen-DNA-Screenings eine richterliche Anordnung notwendig ist?
Wenn ja, wird die Bundesregierung eine entsprechende Gesetzesänderung
initiieren?
Wenn nein, warum nicht?

5. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass mit der Weigerung eines Bürgers,
eine Speichelprobe abzugeben, ein hinreichender Tatverdacht begründet wird?

6. Hält die Bundesregierung so genannte Massen-DNA-Screenings, vor dem
Hintergrund, dass dabei regelmäßig in großem Umfang Daten Unschuldiger
erhoben werden, mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
14. Dezember 2000 (2 BvR 1741/99) für vereinbar?

Berlin, den 15. Juni 2004
Jörg van Essen
Gisela Piltz
Rainer Funke
Dr. Max Stadler
Ernst Burgbacher
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Helga Daub
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger

Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Cornelia Pieper
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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