BT-Drucksache 15/3329

Zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika

Vom 16. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3329
15. Wahlperiode 16. 06. 2004

Antrag
der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Detlef Dzembritzki, Siegmund
Ehrmann, Petra Ernstberger, Gabriele Groneberg, Reinhold Hemker, Monika
Heubaum, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Klaus Werner Jonas, Karin Kortmann,
Ute Kumpf, Lothar Mark, Dr. Rolf Mützenich, Volker Neumann (Bramsche), Dietmar
Nietan, Johannes Pflug, Dr. Sascha Raabe, Walter Riester, Rudolf Scharping,
Dr. Hermann Scheer, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Jörg Vogelsänger, Gert Weisskirchen (Wiesloch), BrigitteWimmer (Karlsruhe), Uta
Zapf, Dr. Christoph Zöpel, Franz Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln),
Thilo Hoppe, Winfried Nachtwei, Claudia Roth (Augsburg), Marianne Tritz,
Dr. Ludger Volmer, Kerstin Müller (Köln), Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges
im damaligen Deutsch-Südwestafrika

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Im Jahr 2004 jährt sich zum 100. Mal der Beginn der blutigen Niederschlagung
der Aufstände im damaligen Deutsch-Südwestafrika durch die kaiserliche
Schutztruppe, der zwischen 1904 und 1908 große Teile der Völker der Herero
und der Nama zum Opfer fielen.
Der Deutsche Bundestag erinnert anlässlich dieses Jahrestages an den beson-
deren Charakter der deutsch-namibischen Beziehungen und bekräftigt die un-
gebrochene Aktualität und Bedeutung seiner Entschließung von 1989, in der die
Bundesregierung aufgrund ihrer besonderen historischen und moralischen Ver-
antwortung gegenüber Namibia zum Aufbau und zur Pflege besonders enger
und vertrauensvoller Beziehungen zu dem Land und seinen Bürgerinnen und
Bürgern aufgerufen wird.
Deutschland muss sich seiner kolonialen Vergangenheit in aller Klarheit und
Deutlichkeit stellen. Auch wenn nach 100 Jahren, nach mehr als drei Generati-
onen, Schuldige nicht mehr leben und nicht mehr zur Verantwortung gezogen
werden können, erkennt der Deutsche Bundestag eine besondere politische und
moralische deutsche Verantwortung für Namibia an: Der Feldzug gegen die afri-
kanischen Völker in Südwest-Afrika ab 1904 und insbesondere die Opfer aus
der Herero- und Nama-Bevölkerung stehen heute im Mittelpunkt des Geden-
kens. Der Deutsche Bundestag bringt sein tiefes Bedauern und seine Trauer ge-
genüber den unterdrückten afrikanischen Völkern zum Ausdruck. Wir wollen
damit dazu beitragen, den zehntausenden Opfern ihre Würde und Ehre wieder-
zugeben.

Drucksache 15/3329 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen. Wir lehnen auch jede
Relativierung des geschehenen Unrechtes durch Vergleiche mit anderen Kolo-
nialverhältnissen ab. Wir wissen um die besondere Bedeutung dieses Ge-
schehens in der deutschen Geschichte.
Wir wissen aber auch, dass es der deutschen Kolonialmacht zu keinem Zeitpunkt
gelang, das gesamte beanspruchte Territorium in Südwest-Afrika vollständig zu
beherrschen. Brutalste Gewalt wurde als exemplarisch gerechtfertigt, gerade
weil die Herrschaft äußerst unvollständig war. Dies zeigt der anhaltende Wider-
stand der unterdrückten afrikanischen Völker. Dieser wirkte bis ins Deutsche
Reich und führte dort zu heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen, die
1906 zur Ablehnung weiterer Kriegskredite und schließlich zur Auflösung des
Reichstages führten. Den deutschen Kolonialherren und der Schutztruppe ge-
lang es nicht, die Bevölkerung im Ovambo-Land zu unterwerfen und zu enteig-
nen. Mut, ein langer Atem, geschickte Übernahme von Fähigkeiten der Koloni-
alherren und Anpassung sowie gegenseitige Hilfe der afrikanischen Völker in
der Region hatten letztlich Erfolg. Das Volk der Hereros existiert weiter und
konnte seine Kultur wiederbeleben und ausbauen.
Seit dem Erfolg des Befreiungskampfes der Völker Namibias hat das Land sich
positiv entwickelt. Die Infrastruktur wurde ausgebaut und eine gerechte Landre-
form auf denWeg gebracht. Innere Sicherheit wurde weitgehend erreicht und die
Gesellschaft demokratisiert. Gegensätze wurden ausgeglichen und rechtsstaatli-
che Verhältnisse entwickelt. Die Entwicklung Namibias ist trotz aller verbliebe-
ner Probleme für die Region im südlichen Afrika in vielen Bereichen beispiel-
haft und gibt Anlass zu berechtigten Hoffnungen für die Zukunft.
Daran wollen wir anknüpfen, wenn wir angesichts der historischen und morali-
schen Verantwortung Deutschlands unsere besondere Beziehung zu Namibia be-
wusst in den Dienst einer zukunftsgewandten Entwicklung des ganzen Landes
stellen.
Die Vertreibung einheimischer Bevölkerungsgruppen aus ihren angestammten
Wohngebieten war Voraussetzung für den späteren massenhaften Landerwerb
durch weiße Siedler.
Das Projekt einer umfassenden Landreform in Namibia, die kommerzielles und
kommunales Farmland einbezieht, basierend vor allem auf der Freiwilligkeit
der Beteiligten mit Vorkaufsrecht durch die Regierung („willing-seller-willing-
buyer“) bietet Ansatzpunkte, auf behutsameWeise einen Beitrag leisten zu kön-
nen, zukunftsorientiert verstärkt auch größeren Teilen der Bevölkerung eine
Existenz in der Landwirtschaft zu ermöglichen. Die Initiativen der namibischen
Regierung haben hier sehr Beachtliches erreicht, aber der existierende Boden-
rechtsdualismus und die vorhandenen Interessengegensätze verschiedener Be-
völkerungsgruppen in der jungen namibischen Republik stellen das Land wei-
terhin vor erhebliche Aufgaben. Eine gezielte und ausgewogene Unterstützung
der Landreform kann dazu beitragen, die infolge der historisch gewaltsam ge-
schaffenen ungleichen Voraussetzungen noch immer ungleichen Chancen für ei-
nen Teil der Bevölkerung zu verbessern.

I. Der Deutsche Bundestag begrüßt,
– dass mit der Entschließung im Jahre 1989 die besondere historische und

moralische Verantwortung Deutschlands vom Deutschen Bundestag deutlich
erklärt worden ist und bekräftigt diese Entschließung angesichts des histori-
schen Datums im Namen des nunmehr geeinten Deutschen Volkes;

– dass die Bundesrepublik Deutschland in der Folge die bilateralen Beziehun-
gen zu Namibia seit der Unabhängigkeit mit hohem Vorrang gestaltet;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3329

– dass Namibia einen Schwerpunkt in der Deutschen Entwicklungszusammen-
arbeit bildet und seit der Befreiung 1990 über 500 Mio. Euro in diese Arbeit
von deutscher Seite geflossen sind;

– dass dieses besondere Gewicht in den Beziehungen auch durch gegenseitige
Besuche deutscher und namibischer Spitzenrepräsentanten unterstrichen und
sichtbar gemacht wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die guten bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia in

Anbetracht der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands
weiter zu vertiefen und

2. die Entwicklungszusammenarbeit mit Namibia auf hohem Niveau weiter
fortzuführen.

Berlin, den 16. Juni 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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