BT-Drucksache 15/3204

Fortsetzung und Anpassung der Arbeit der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo

Vom 26. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3204
15. Wahlperiode 26. 05. 2004

Antrag
der Abgeordneten Gernot Erler, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Rainer Arnold,
Dr. Hans-Peter Bartels, Rudolf Bindig, Hans Büttner (Ingolstadt), Detlef
Dzembritzki, Marga Elser, Petra Ernstberger, Karin Evers-Meyer, Petra Heß,
Monika Heubaum, Gerd Höfer, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Klaas Hübner,
Hans-Ulrich Klose, Karin Kortmann, Rolf Kramer, Ute Kumpf, Lothar Mark,
Markus Meckel, Ulrike Merten, Ursula Mogg, Dr. Rolf Mützenich, Volker Neumann
(Bramsche), Dietmar Nietan, Johannes Pflug, Reinhold Robbe, Rudolf Scharping,
Dr. Hermann Scheer, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Hedi Wegener, AndreasWeigel,
Dr. Wolfgang Wodarg, Verena Wohlleben, Uta Zapf, Dr. Christoph Zöpel, Franz
Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Dr. Ludger Volmer, Volker Beck
(Köln), Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Fortsetzung und Anpassung der Arbeit der Internationalen Sicherheitspräsenz
im Kosovo

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag hat am 11. Juni 1999 dem Einsatz bewaffneter deut-
scher Streitkräfte entsprechend der von der Bundesregierung am 11. Juni 1999
beschlossenen Beteiligung an einer internationalen Sicherheitspräsenz im
Kosovo (KFOR) zugestimmt.
Die deutsche Beteiligung im Rahmen der NATO an der KFOR dient der militä-
rischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage
der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom
10. Juni 1999. Insbesondere dient die Beteiligung der Umsetzung folgender
Prinzipien:
– Schaffung und Aufrechterhaltung eines sicheren Umfeldes für alle Bürger

im Kosovo,
– Unterstützung der internationalen Organisationen bei ihren Aufgaben zur

Entwicklung selbsttragender demokratischer Übergangsstrukturen sowie zur
Sicherstellung friedlicher und normaler Lebensbedingungen für die Bewoh-
ner im Kosovo,

– Demilitarisierung im gesamten Kosovo.
Der Deutsche Bundestag misst den internationalen Präsenzen im Kosovo fort-
dauernd höchste politische Bedeutung bei. Die internationale Sicherheitspräsenz
schafft die Voraussetzungen für eine dauerhafte Stabilität in der Region, die für

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Europa insgesamt von erheblicher außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung
ist. Das Engagement der KFOR trägt entscheidend dazu bei, ein sicheres Umfeld
für alle Bürger im Kosovo zu schaffen. Ferner sollen durch die Unterstützung
der zivilen internationalen Präsenz sowie anderer internationaler Organisationen
bei der Entwicklung selbsttragender demokratischer Übergangsstrukturen die
Voraussetzungen zur Gewährleistung friedlicher und normaler Lebensbedingun-
gen für die Bewohner des Kosovo geschaffen werden. In diesem Zusammen-
hang sollen Maßnahmen, die den Handel mit Frauen und Mädchen und die
Zwangsprostitution beenden, konsequent umgesetzt werden.
Der Deutsche Bundestag bekräftigt, dass die Hauptverantwortung für die Her-
stellung eines demokratischen Gemeinwesens bei den Kosovaren selbst liegt.
Sie bleiben aufgefordert, aktiv gegen alle destabilisierenden, gewaltbereiten und
kriminellen Kräfte vorzugehen und dabei eng mit allen zuständigen Institutio-
nen zusammen zu arbeiten.
Die Soldaten der Bundeswehr, die deutschen Polizeikräfte, die deutschen Beam-
ten in der UNMIK-Verwaltung sowie viele andere Deutsche, die in internationa-
len Organisationen und Nichtregierungsorganisationen im Kosovo arbeiten,
leisten einen hervorragenden Dienst. Es ist auch ihrer Professionalität und Be-
sonnenheit zu verdanken, dass die fragile Stabilität dort überhaupt Bestand hat.
Sie leisten darüber hinaus einen unersetzlichen Beitrag zum Wiederaufbau, der
vor Ort hohe Anerkennung findet. Als besonders sinnvoll und notwendig haben
sich gerade auch die von der Bundesregierung unterstützten Bemühungen um
die Stärkung der Zivilgesellschaf im Kosovo erwiesen (derzeit 35 deutsche
Langzeitexperten im Rahmen der OSZE-Mission; Projekte des Zivilen Frie-
densdienstes, Zivik), die wertvolle Beiträge zur Krisenprävention, Friedens- und
Verständigungsarbeit im Kosovo leisten.
Trotz erheblicher Fortschritte bei der Entwicklung selbsttragender demokrati-
scher Übergangsstrukturen sowie bei der Gewährleistung friedlicher und norma-
ler Lebensbedingungen für die Bewohner des Kosovo ist die Lage im Kosovo
nach wie vor nicht stabil. Bei gewalttätigen Ausbrüchen am 17. und 18. März
2004 kam es im Kosovo bei nahezu flächendeckenden Ausschreitungen zu
19 Todesopfern, beinahe 900 Verletzten und fast 4000 Vertriebenen. Hinzu kam
die Zerstörung von über 30 orthodoxen Kirchen und Klöstern. Die Gewalt rich-
tete sich hauptsächlich gegen die serbische Minderheit, aber auch gegen Perso-
nen sowie Liegenschaften und Fahrzeuge der internationalen Gemeinschaft
(UNMIK, KFOR). Der Deutsche Bundestag verurteilt die gewaltsamen Aus-
schreitungen aufs Schärfste und begrüßt die Initiative der Provisional Institu-
tions of Self-Government (PISG) des Kosovo, die Wiedergutmachung der ent-
standenen Zerstörungen aus dem eigenen Haushalt zu finanzieren. Die Straftäter
müssen zügig verfolgt und vor Gericht gestellt werden. Die Ausschreitungen be-
deuten einen schweren Rückschlag für das Ziel eines stabilen und demokrati-
schen Kosovo und für das Verhältnis der Internationalen Gemeinschaft zur Be-
völkerung des Kosovo. Sie haben erneut deutlich werden lassen, wie notwendig
die internationale Präsenz einschließlich militärischer und polizeilicher Kräfte
im Kosovo ist.
Darüber hinaus verurteilt der Deutsche Bundestag die in Serbien und Bosnien-
Herzegowina in Reaktion auf die Ereignisse im Kosovo erfolgten Zerstörung
von Moscheen und kulturellen Einrichtungen.
Die Ausschreitungen vom März 2004 haben gezeigt, wie weit das Kosovo noch
von der Erfüllung der von der UNMIK-Verwaltung gegenüber den PISG defi-
nierten Standards entfernt ist und wie viel internationaler Unterstützung es zu
ihrer Erfüllung bedarf. Nach wie vor gilt der Grundsatz „Standards vor Status“.
Mit „Standards vor Status“ ist gemeint, dass erst bestimmte Konditionen seitens
der PISG erfüllt sein müssen, ehe Verhandlungen über den Endstatus des
Kosovo begonnen werden können. Sie betreffen den Aufbau funktionierender

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staatlicher Institutionen, Rechtsstaatlichkeit, Bewegungsfreiheit, Flüchtlings-
rückkehr, wirtschaftliche und eigentumsrechtliche Voraussetzungen, Dialog mit
Belgrad und Reform des Kosovo Protection Corps.
Der Deutsche Bundestag bekräftigt hiermit die Befolgung des Grundsatzes
„Standards vor Status“. Dazu ist eine vorbehaltlose Zusammenarbeit aller koso-
varischen Institutionen miteinander und mit UNMIK unabdingbare Vorausset-
zung.
Die Ereignisse vom 17. und 18. März haben Anpassungsbedarf im Bereich der
Zusammenarbeit zwischen VN-Verwaltung, internationalen Streitkräften und
internationalen Polizeikräften offenbart.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:
– Die Intensivierung der Arbeit der Kosovo-Kontaktgruppe, die sich fortan in

sechswöchigem Turnus in Pristina trifft;
– die angekündigten Anpassungen in Ausbildung, Ausstattung, Einsatztaktik

und Kräftestruktur, die die Kräfte von KFOR und Polizei dazu befähigen,
schwierige gewalttätige und großflächige Demonstrationslagen zu bewälti-
gen;

– dass die Kommunikation und Kooperation der Ressorts der Bundesregierung
für den westlichen Balkan weiter intensiviert werden.

– die fortgesetzte und intensivierte Unterstützung der Bundesregierung für
Projekte der zivilen Krisenprävention, Friedens- und Versöhnungsarbeit.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich international
einzusetzen für:

1. die vollständige Aufklärung der Hintergründe der Ausschreitungen vom
März 2004, ein entschiedenes Vorgehen gegen ihre Hintermänner und eine
konsequente Ahndung der begangenen Verbrechen;

2. eine verstärkte Überwachung und Bekämpfung von extremistischen Grup-
pen, einschließlich der Nachfolgestrukturen der ehemaligen, selbsternann-
ten Befreiungsarmee (UCK);

3. die Aussetzung der Reduzierung der internationalen Polizeikräfte;
4. eine Anpassung von Kommunikations- und Kooperationsstrukturen zwi-

schen internationaler Polizei und KFOR mit dem Ziel einer engeren und
effizienteren Kooperation;

5. eine verstärkte Förderung des Aufbaus des multiethnischen Kosovo Police
Service (KPS);

6. weitere Bemühungen um den wirtschaftlichen Transformationsprozess und
die Schaffung einer selbsttragendenWirtschaft im Kosovo mit dem Ziel der
Entwicklung einer ökonomischen Perspektive, insbesondere für die heran-
wachsende Bevölkerung;

7. konsequente Umsetzung aller gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution
gerichteten Maßnahmen und die Bestrafung der Täter;

8. die Gewährleistung von fairer und ausgewogener Berichterstattung der Me-
dien im Kosovo, die ethnisch oder religiös motivierter Propaganda keinen
Raum lässt;

9. ein verstärktes Engagement beim Aufbau einer kosovarischen Zivilgesell-
schaft, vor allem in den Bereichen Schul- und Ausbildung;

Drucksache 15/3204 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
10. die Wiederaufnahme des direkten Dialogs zwischen Pristinas proviso-
rischen Selbstverwaltungsinstitutionen, (PISG) und Belgrad über tech-
nische Fragen;

11. die Aufrechterhaltung eines verlässlichen Engagements der Internationalen
Gemeinschaft im Kosovo, das eine vorschnelle Reduzierung von militä-
rischen, polizeilichen und zivilen Kräften nicht zulässt.

Berlin, den 26. Mai 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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