BT-Drucksache 15/3105

Verschiebung des Zeitpunktes für das Inkrafttreten des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitmarkt (SGB II) auf den 1. Januar 2006

Vom 5. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3105
15. Wahlperiode 05. 05. 2004

Antrag
der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster), Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst
Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz
Guttmacher, Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit
Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Günther
Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Verschiebung des Zeitpunktes für das Inkrafttreten des Vierten Gesetzes
für moderne Dienstleistungen am Arbeitmarkt (SGB II) auf den 1. Januar 2006

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
(SGB II) werden Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe für erwerbsfähige Leis-
tungsbezieher in einem neuen Leistungssystem, der Grundsicherung für Ar-
beitsuchende, zusammengeführt. In einem Beschluss aus dem Vermittlungsver-
fahren (Entschließungsantrag, Bundestagsdrucksache 15/2264) ist festgehalten:
„Eine erfolgreiche Umsetzung des neuen Leistungssystems wird nur gelingen,
wenn die Kapazitäten und Kompetenzen sowohl der Agenturen für Arbeit als
auch der kreisfreien Städte und Kreise im Wege der Zusammenarbeit in die
Durchführung der Aufgaben eingebunden werden. Das Gesetz sieht hierfür die
Bildung von Arbeitsgemeinschaften in den Job-Centern vor. Darüber hinaus
räumt es den kreisfreien Städten und Kreisen die Option ein, ab dem 1. Januar
2005 anstelle der Agenturen für Arbeit auch deren Aufgaben – und damit alle
Aufgaben im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende – wahrzuneh-
men. Hierbei soll eine faire und gleichberechtigte Lösung entwickelt werden,
die sicherstellt, dass die optierenden Kommunen nicht gegenüber den Agentu-
ren für Arbeit benachteiligt werden.“
Der am 29. April 2003 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Entwurf der
Koalitionsfraktionen eines Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommu-
nen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Optionsgesetz)
sieht vor, dass die Kommunen im Wege der Organleihe die Aufgaben nach
dem SGB II übernehmen können. Dies bedeutet – auch ausweislich der Geset-
zesbegründung – dass die kommunalen Stellen im Rahmen der Organschaft an
die Vorgaben der Bundesagentur für Arbeit gebunden sind. Den Kreisen und
kreisfreien Städte wird damit nicht, wie im Vermittlungsverfahren im Dezem-

Drucksache 15/3105 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ber 2003 beschlossen, die Option einer tatsächlichen Trägerschaft für die Auf-
gaben des SGB II eingeräumt. Das Modell der Organleihe steht vielmehr einer
eigenverantwortlichen Wahrnehmung der Aufgaben und dem für die Kommu-
nen notwendigen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung und Wahrneh-
mung der Aufgabe entgegen. Daneben enthält das Optionsgesetz wichtige Be-
stimmungen zur Datenübermittlung der Kommunen an die Bundesagentur für
Arbeit (BA). Solange das Gesetz nicht in Kraft ist, fehlt den Kommunen die
Rechtsgrundlage für die Übermittlung der für die Berechnung der Höhe des
ALG II notwendigen Datensätze an die BA.
Weiterhin sind entgegen den Festlegungen in dem Beschluss aus dem Vermitt-
lungsverfahren für die Kommunen keine auskömmlichen und verlässlichen
Rahmenbedingungen für die Finanzierung ohne Umweg über die Länder ge-
schaffen worden. Die hätte einer Absicherung im Grundgesetz bedurft.
Die Kommunen befürchten finanzielle Mehrbelastungen in Milliardenhöhe.
Die auf die Städte und Gemeinden zukommenden Unterkunftskosten für Lang-
zeitarbeitslose werden deutlich höher ausfallen, als noch bei den Verhandlun-
gen zum Hartz IV Gesetz zu Grunde gelegt. Bislang ist nicht klar, inwieweit der
Bund seine Zusage einer Entlastung der Kommunen von 2,5 Mrd. Euro wird
einhalten können. Ohne eine gesicherte Finanzbasis sind die Kommunen aber
weder in der Lage, die Betreuung von Langzeitarbeitslosen zusammen mit der
BA in einer Arbeitsgemeinschaft zu übernehmen, noch von dem vermeint-
lichen Optionsrecht Gebrauch zu machen. Wenn die Kommunen nicht optieren,
ist nach dem SGB II die BA für alle Arbeitslosengeld II Empfänger und deren
Familien grundsätzlich zuständig. Für diese komplexe Aufgabe, Betreuung von
erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern und deren Angehörigen, ist die BA aber
schon aufgrund ihrer zentralistischen Struktur nicht geeignet und mit der prak-
tischen Umsetzung überfordert. Die BA müsste, ohne bereits zu wissen, ob und
wie viele Kommunen optieren oder in Arbeitsgemeinschaften gehen, das erfor-
derliche Personal (nach Auskunft der BA insgesamt 40 950 Mitarbeiter) bereit-
stellen und schulen, die notwendigen Daten erheben und eine EDV aufbauen,
die den komplexen Anforderungen gerecht wird – allein bei den Kommunen
wird unterschiedliche Software verwendet. Die Software der BA, die das Ar-
beitslosengeld II berechnen soll und dafür große Datenmengen der neu von der
BA zu betreuenden Hilfeempfänger, aber auch zusätzliche Daten der bisherigen
Arbeitslosenhilfeempfänger, verarbeiten muss, hat die erste Abnahme nicht
bestanden. Ein Gutachten zur Praktikabilität soll am 19. Mai 2004 vorgelegt
werden. Völlig offen ist noch, wann die Software tatsächlich eingesetzt werden
kann. Auch der Vorstandschef der BA und der Verwaltungsrat haben den
Inkrafttretenszeitpunkt am 1. Januar kommenden Jahres als sehr ehrgeizig
bezeichnet und vor den Risiken einer gleichzeitigen Arbeit an der Zusammen-
führung der von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und dem Reformprozess des BA
gewarnt.
Es bleibt damit im Ergebnis festzustellen, dass sowohl die rechtlichen und
finanziellen als auch die technischen und personellen Voraussetzungen für
einen Start des Arbeitslosengelds II nicht erfüllt sind. Sollte eine zufrieden
stellende Einbindung der Kommunen mit ihren Erfahrungen im Bereich der Be-
treuung Langzeitarbeitsloser und die administrative Abwicklung bei der BA bis
zum 1. Januar 2005 nicht sichergestellt sein, hat dies zur Konsequenz, dass die
Auszahlung des ALG II und damit die Existenzgrundlage von Millionen von
Menschen gefährdet ist. Leidtragende sind die Arbeitslosen. Das Ziel der Re-
formen der BA, die Betreuung von Arbeitslosen zu verbessern und damit deren
Chancen, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, kann so nicht erreicht
werden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3105

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vierten Gesetzes für moderne Dienst-
leistungen am Arbeitsmarkt vom 1. Januar 2005 auf den 1. Januar 2006 zu
verschieben.

Berlin, den 5. Mai 2004
Dirk Niebel
Rainer Brüderle
Daniel Bahr (Münster)
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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