BT-Drucksache 15/3074

Forschung und Entwicklung in der Nanotechnologie voranbringen

Vom 5. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3074
15. Wahlperiode 05. 05. 2004

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg),
Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Helga Daub, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer
Funke, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt,
Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich
L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard
Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Forschung und Entwicklung in der Nanotechnologie voranbringen

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Nanotechnologie gilt wegen ihres hohen Potenzials zur grundlegenden Ver-
änderung ganzer Technologiefelder als eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahr-
hunderts, die maßgeblichen Einfluss auf Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft
ausüben wird. Sie richtet sich auf die Herstellung, Analyse und Anwendung von
Materialien, Strukturen und ganzen Systemen aus, die nur unter dem Elektro-
nenmikroskop sichtbar sind. Wie der Name schon sagt, geht es um Dimensionen
im Milliardstel-Meter-Bereich.
Als Querschnitttechnologie wird die Nanotechnologie in den verschiedensten
Anwendungsbereichen, von der Medizin, Chemie, Raumfahrt über die Optik bis
hin zur Sensorik Einzug halten. Nanomaterialien werden künftig zu einer ver-
besserten und verträglichen Individualmedizin und somit zu einer verbesserten
Diagnose und Therapie führen. Sie werden Wirkstoffe von Medikamenten im
menschlichen Körper zielgenau zumOrt der Erkrankung transportieren und eine
optimale Dauermedikation ermöglichen. In der klinischen Forschung sind be-
reits Nanomaterialien mit magnetischen Eigenschaften bekannt, die der ge-
zielten nichtinvasiven Tumorbekämpfung dienen. Nanomaterialien werden die
Effizienz der Energieerzeugung, -umwandlung und -speicherung wesentlich
verbessern. So werden Nanomaterialien wesentlich zur Lösung des Problems
einer effizienten Speicherung von Wasserstoff beitragen. Nanoskalierte Werk-
stoffe werden die mechanischen Eigenschaften von Werkstoffen verändern.
Schon heute kennen wir Automobillacke auf der Basis von Nanomaterialien, die
sich durch ihre hohe Kratzfestigkeit auszeichnen.
Der Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung vom Juli 2003 liefert einen
guten Überblick über die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Nano-
technologie und gibt Handlungsempfehlungen für eine zukünftige Nanotechno-
logie-Strategie.

Drucksache 15/3074 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Mit der Nanotechnologie verbinden sich große wirtschaftliche Erwartungen.
Weltweit erzielten nanotechnologische Produkte im Jahr 2003 bereits einen Um-
satz von 100 Mrd. US-Dollar. Der Verband Deutscher Ingenieure sieht für nano-
technologische Anwendungen bis zum Jahr 2015 Umsatzchancen von mehr als
einer Billion US-Dollar jährlich. Im Jahr 2010 wird es keinen Bereich unseres
Lebens mehr geben, in dem nicht Materialien in Nano-Größe eine Rolle spielen.
Patententwicklungen und Fachpublikationen belegen, dass im weltweiten Ver-
gleich der Standort Deutschland in der Nanotechnologie ein hohes Niveau er-
reicht hat. Es besteht aber die Gefahr, dass – wie bei vielen anderen Techno-
logien, die in Deutschland entwickelt wurden – die herausragenden Forschungs-
ergebnisse aus der Grundlagenforschung und der anwendungsorientierten For-
schung bei uns nicht im erforderlichen Umfang in neue innovative Produkte
einfließen und damit die Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen
im Ausland erfolgt. Der Bericht der Bundesregierung zur technologischen Leis-
tungsfähigkeit fordert alle Akteure auf, Höchsttechnologiefelder zu erschließen,
die Deutschland auf Dauer seine Leistungs- und Exportfähigkeit sichern.
Andere Länder holen im internationalen Wettbewerb auf und investieren erheb-
liche Mittel in die Förderung der Nanotechnologie. Während in Deutschland
Bund und Länder im Jahr 2003 lediglich 250Mio. Euro für die Nanotechnologie
investierten, legten die Vereinigten Staaten im Januar ein mehrjähriges umfas-
sendes und Ressort übergreifendes Programm in Höhe von 3,7 Mrd. US-Dollar
(2005 allein 850 Mio. Euro) auf. Im Haushalt des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung (BMBF) dagegen wurden für das Jahr 2004 die Titel für
Nanoelektronik und Nanomaterialien um jeweils ca. 3 Mio. Euro gekürzt. Zwar
wurden die verschiedenen Aktivitäten des BMBF zu einer „Zukunftsinitiative
Nanotechnologie“ gebündelt, jedoch sind auch für den Haushalt 2005 nicht
mehr als 300 Mio. Euro veranschlagt.
Eine Schlüsselrolle beim Transfer neuer Technologien spielen Ausgründungen
und Startup-Unternehmen aus Hochschulen und außeruniversitären Forschungs-
einrichtungen. Doch werden potenzielle Gründer in Deutschland durch büro-
kratische Auflagen, Dokumentations- und Berichtspflichten, einen überregulier-
ten Arbeitsmarkt und nicht zuletzt durch die Drohung mit einer Ausbildungs-
platzabgabe im Wettbewerb behindert.
Die Nanotechnologie muss in der öffentlichen Forschungsförderung ein priori-
tärer Bereich bleiben, damit die deutsche Forschung ihre derzeit starke Position
behaupten kann. Das Anwendungspotenzial und der ökonomische und gesell-
schaftliche Nutzen sollten als Beurteilungskriterium für öffentliche Förderung
stärkeres Gesicht erhalten.
Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundesregierung die bereits von der
Vorgängerregierung eingerichteten Nano-Kompetenzzentren weitergeführt und
ausgeweitet hat. Allerdings müssen die Förderbedingungen transparenter ge-
handhabt und insbesondere der Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen
erleichtert werden.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– eine Ressort übergreifende, konsistente Nanotechnologie-Strategie vorzule-

gen, die konkrete Förderschwerpunkte definiert und eine verlässliche Finanz-
ausstattung der Programme des Bundes vorsieht;

– die Grundlagenforschung in der Nanotechnologie in den Hochschulen und
außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu stärken;

– die anwendungsorientierte Forschung in enger Kooperation mit Unterneh-
men fortzuentwickeln, wobei der Zugang von kleinen und mittleren Unter-
nehmen zu Fördermitteln erleichtert werden muss;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3074

– die bestehenden Nano-Kompetenz-Netzwerke finanziell zu stärken und ih-
nen mehr Freiheit zur Selbstorganisation zu geben. Eine Cluster- und Netz-
werkbildung zwischen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrich-
tungen und Wirtschaft müssen im Rahmen ihrer überregionalen Bedeutung
für den Standort Deutschland auch vom Bund gefördert werden;

– den Kompetenzzentren bei der Begutachtung von Anträgen eine ausführliche
Begründung für Zusage oder Ablehnung zu geben, aus der die Defizite in der
Punktbewertung klar hervorgehen, sollte der Antrag ablehnend beschieden
worden sein. Nur so können die Zentren ihre Schwächen erkennen und ab-
bauen;

– die notwendige Förderung der Nanotechnologie nicht auf Kosten ebenso
wichtiger Bereiche wie z. B. der Mikroelektronik und der optischen Techno-
logien zu betreiben, sondern vielmehr Synergieeffekte durch Kombination
der jeweiligen Technologiebereiche zu erzielen;

– in die Begutachtungsausschüsse des BMBF stärker Vertreter der Hochschu-
len und der kleinen und mittleren Unternehmen zu integrieren, um eine
Schwerpunktbildung hin zu einer „Auftragsforschung für die Großindustrie“
zu verhindern;

– die ethischen Fragen der Nanotechnologie, sowie die möglichen Auswirkun-
gen auf Umwelt und Gesundheit besser zu erforschen, ohne dabei durch
ideologisch vorgeprägte Fragestellungen die Ergebnisse zu beeinflussen;

– für die Etablierung der Nanotechnologie als Zukunftstechnologie in die ver-
schiedenen Bereiche der deutschen Volkswirtschaft Sorge zu tragen und
nicht, wie das z. B. bei der Gentechnik geschieht, durch überzogene Kontroll-
und Nachweispflichten und haftungsrechtliche Auflagen die wachsende
Nanotechnologie-Branche aus Deutschland zu vertreiben;

– auf europäischer Ebene dafür zu sorgen, dass die Nanotechnologie ein
Schwerpunkt im derzeit diskutierten 7. Forschungsrahmenprogramm der EU
bildet;

– sich dafür einzusetzen, dass die europäische Forschungsförderung (Antrag-
stellung, Dokumentation etc.) vereinfacht und entbürokratisiert wird;

– ihren Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass die EU-Gesetzgebung
nicht, wie es z. B. im Chemikalienrecht geschieht, die Innovationskraft dieser
Nanotechnologie-Branche durch überzogene Auflagen und Nachweispflich-
ten behindert;

– sich über das BMBF in europäische Pilotvorhaben zur Erforschung der Miss-
brauchsmöglichkeiten der Nanotechnologie durch Terroristen für Zwecke der
biologischen und chemischen Kriegsführung einzubringen;

– gemeinsam mit den Bundesländern eine Initiative zu starten, um mehr Stu-
diengänge in den für die Nanotechnologie besonders wichtigen Bereichen
Chemie, Physik, Elektrotechnik, Verfahrenstechnik und Biotechnologie an
den Hochschulen einzurichten. Auch bei der Schaffung neuer Berufsbilder
und der Novellierung von Berufsausbildungsordnungen muss die Nanotech-
nologie integriert werden. Nur mit entsprechender Fachkompetenz sind die
Vorsprünge Deutschlands in der Nanotechnologie zu halten;

– den Bedarf an Weiterbildungs- und Qualifizierungsbedarf verschiedener Be-
rufsgruppen zu untersuchen und im Verbund mit Ländern, Hochschulen und
Trägern der Weiterbildung auf entsprechende Angebote hinzuwirken;

– gemeinsam mit den Wissenschaftsorganisationen und der Wirtschaft eine In-
formationskampagne zu Chancen und Potenzialen der Nanotechnologie für
die Bürgerinnen und Bürger zu starten. Dabei wäre der Vorschlag des Büros

Drucksache 15/3074 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
für Technikfolgenabschätzung zu prüfen, eine zentrale Informationsstelle zu
schaffen, die mit Informationsangeboten der einzelnen Kompetenzzentren
und anderen europäischen Informationsportalen vernetzt werden sollte.

Berlin, den 4. Mai 2004
Ulrike Flach
Cornelia Pieper
Christoph Hartmann (Homburg)
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.