BT-Drucksache 15/2819

Das gemeinsame historische Erbe für die Zukunft bewahren

Vom 30. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2819
15. Wahlperiode 30. 03. 2004

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen),
Günter Nooke, Christa Reichard (Dresden), Matthias Sehling, Veronika Bellmann,
Renate Blank, Klaus Brähmig, Helge Braun, Hartmut Büttner (Schönebeck), Albert
Deß, Anke Eymer (Lübeck), Jochen-Konrad Fromme, Dr. Peter Gauweiler, Roland
Gewalt, Dr. Wolfgang Götzer, Kurt-Dieter Grill, Reinhard Grindel, Manfred Grund,
Holger Haibach, Klaus-Jürgen Hedrich, Ernst Hinsken, Klaus Hofbauer, Susanne
Jaffke, Dr. Egon Jüttner, Steffen Kampeter, Julia Klöckner, Hartmut Koschyk,
Michael Kretschmer, Gunther Krichbaum, Dr. Hermann Kues, Vera Lengsfeld,
Peter Letzgus, Eduard Lintner, Dr. Michael Luther, Dorothee Mantel, Stephan
Mayer (Altötting), Dr. Michael Meister, Bernd Neumann (Bremen), Henry Nitzsche,
Dr. Peter Paziorek, Beatrix Philipp, Hans Raidel, Franz Romer, Kurt J. Rossmanith,
Anita Schäfer (Saalstadt), Dr. Ole Schröder, Erika Steinbach, Christian Freiherr von
Stetten, Thomas Strobl (Heilbronn), Arnold Vaatz, IngoWellenreuther, Klaus-Peter
Willsch, Elke Wülfing, Wolfgang Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Willi Zylajew und
der Fraktion der CDU/CSU

Das gemeinsame historische Erbe für die Zukunft bewahren

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes (BVFG) verpflich-
tet Bund und Länder entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zu-
ständigkeit, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Ver-
triebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes
zu erhalten, Archive, Bibliotheken und Museen zu sichern, zu ergänzen und
auszuwerten sowie Einrichtungen des Kulturschaffens und der Ausbildung
sicherzustellen und zu fördern.
Gemäß § 96 BVFG haben Bund und Länder Wissenschaft und Forschung bei
der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung
der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, zu unterstützen sowie die Weiterent-
wicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge zu fördern.

Der Deutsche Bundestag nimmt mit Bedauern zur Kenntnis,
– dass die Bundesregierung die Verpflichtung des § 96 BVFG mit der Umset-

zung der vom Bundeskabinett am 20. September 2000 beschlossenen „Kon-
zeption zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte
im östlichen Europa“ (Bundestagsdrucksache 14/4586) nicht mehr in dem
vom Gesetz vorgesehenen Maße nachkommt,

Drucksache 15/2819 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

– dass die Bundesregierung den organisatorischen Rahmen des § 96 BVFG,
die Kultureinrichtungen der Vertriebenen, zunehmend ignoriert und die Ver-
triebenen, ihre Organisationen und Kultureinrichtungen zunehmend von der
Förderung ausschließt,

– dass die Bundesregierung die Kulturarbeit nach § 96 BVFG in insgesamt zu
geringem Umfang fördert und damit ihren Teil der Verpflichtungen, die sich
aus dem § 96 BVFG für den Bund ergeben, nicht erfüllt,

– dass die Bundesregierung mit der Umsetzung ihrer „Konzeption zur Er-
forschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte im östlichen
Europa“ das kulturelle Erbe des deutschen Ostens zunehmend den Museen
überantwortet, statt gerade angesichts der Osterweiterung der Europäischen
Union eine zukunftsgerichtete auf eine Weiterentwicklung des kulturellen
Erbes gerichtete Förderung zu betreiben,

– dass die Änderung der Rechtsanwendung des § 96 BVFG lediglich durch
Kabinettbeschluss über die „Konzeption zur Erforschung und Präsentation
deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa“ (Bundestagsdruck-
sache 14/4586) nicht dem Stellenwert eines hochrangigen Rechts entspricht,
wie es der § 96 BVFG durch seine Festschreibung im Einigungsvertrag dar-
stellt.

Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,
– eine neue Konzeption zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG

dem Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung vorzulegen, die Wesen und
Inhalt des § 96 BVFG entspricht,

– eine Konzeption zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG dem
Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung vorzulegen, die unter Einbezie-
hung der kulturschaffenden Einrichtungen der Heimatvertriebenen Maßnah-
men beinhaltet, im grenzüberschreitenden Austausch mit den Partnern in
Europa das gemeinsame kulturelle Erbe des deutschen Ostens zu sichern
und zukunftsgerichtet weiter zu entwickeln,

– die Förderstruktur nach § 96 BVFG bezogen auf die geförderten Institutio-
nen und bezogen auf das Fördervolumen wiederherzustellen, die bis zum
Inkrafttreten der Konzeption im Jahre 2000 bestanden hat,

– denweiterenVollzug der „Konzeption zur Erforschung und Präsentation deut-
scher Kultur und Geschichte im östlichen Europa“ (Bundestagsdrucksache
14/4586) vom 20. September 2000 solange auszusetzen und den Status quo
ante wieder herzustellen, bis eine Neuregelung erfolgt ist,

– sicherzustellen, dass im Haushalt der Staatsministerin beim Bundeskanzler
und Beauftragten für Kultur und Medien frei werdende Mittel, etwa durch
die Kündigung der Beteiligung des Bundes an der Kulturstiftung der Länder,
dazu verwendet werden, Kunst und Kultur von nationalem Rang zu fördern
und zu bewahren.

Berlin, den 30. März 2004
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2819

Begründung
Kultur und Geschichte der Herkunftsgebiete der deutschen Heimatvertriebenen
und Spätaussiedler sind Bestandteil unserer nationalen und europäischen Kul-
tur. Die Pflege dieser Kultur nach § 96 Bundesvertriebenen- und Flüchtlings-
gesetz (BVFG) ist im zusammenwachsenden Europa mit der Erweiterung der
Europäischen Union nach Osten aktueller denn je. Sie ist Auftrag und Ver-
pflichtung für Bund und Länder und richtet sich an unser ganzes Volk.
Die Verbände der deutschen Heimatvertriebenen waren in den vergangenen
mehr als 50 Jahren wesentliche Träger der Kulturarbeit nach § 96 BVFG.
Kulturarbeit nach § 96 BVFG dient dem Brückenschlag zu den jüngeren Gene-
rationen in Deutschland und zu dem benachbarten Ausland.
Die bis in die fünfziger Jahre zurückreichenden Rahmenbedingungen für die
Kulturpflege nach § 96 BVFG haben sich geändert:
– Wiederherstellung der Einheit Deutschlands,
– Fall des eisernen Vorhangs und Öffnung unserer östlichen und südöstlichen

Nachbarländer,
– Erweiterung der Europäischen Union nach Osten,
– Verlust von authentischer Erinnerung.
Diese tief greifenden Veränderungen fordern eine in die Zukunft ausgerichtete
Neuausrichtung der Kulturpflege.
Mit der Kulturförderung nach § 96 BVFG kommt auch ein Bekenntnis zur his-
torischen Verantwortung gegenüber den deutschen Heimatvertriebenen und
Flüchtlingen zum Ausdruck. Daraus folgt eine angemessene Unterstützung ih-
rer kulturellen Belange. Die seit dem Jahr 2000 deutlich verminderte Kulturför-
derung trägt dem Auftrag des § 96 BVFG nicht mehr ausreichend Rechnung.
Europa ist eine Rechts- und Wertegemeinschaft. Kultur und Geschichte der
Mitgliedsländer sind tragende Säulen dieser Gemeinschaft. Dazu gehören die
kulturelle Überlieferung der deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge
und ihre Geschichte.
Weiterer Ausbau grenzüberschreitender Kontakte mit den Herkunftsgebieten,
länderübergreifende Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Erforschung
ihres Kulturguts, Paten- und Partnerschaften und gezielte Verstärkung der kul-
turellen Zusammenarbeit sind Bausteine einer auf ein weiteres Zusammen-
wachsen in Europa und einer auf Völkerverständigung ausgerichteten Kultur-
pflege.

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