BT-Drucksache 15/2796

Entwurf eines Gesetzes zur Angleichung der Pfändungsfreigrenzen in der Sozialversicherung

Vom 26. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2796
15. Wahlperiode 26. 03. 2004

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt,
Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Gudrun
Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae,
Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Angleichung der Pfändungsfreigrenzen in der
Sozialversicherung

A. Problem
§ 51 Abs. 2 SGB I sieht eine Aufrechnungsmöglichkeit des zuständigen Leis-
tungsträgers mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleis-
tungen und mit Beitragsansprüchen vor. Der Aufrechnungsanspruch des Leis-
tungsträgers wird auf die Hälfte der zu leistenden Geldansprüche begrenzt,
soweit der Leistungsberechtigte nicht hilfebedürftig im Sinne des Bundes-
sozialhilfegesetzes wird. Dies stellt eine Privilegierung der Sozialversiche-
rungsträger dar, weil die gegenüber sonstigen Gläubigern geltenden Pfändungs-
grenzen (§ 850c BGB) im Sozialrecht für die Leistungsträger nicht gelten.

B. Lösung
§ 51 Abs. 2 wird ersatzlos gestrichen und somit die nicht zu rechtfertigende
Privilegierung der Sozialversicherungsträger aufgehoben. In der Konsequenz
gelten die Pfändungsfreigrenzen auch im Sozialrecht.

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Finanzwirkungen für den Bund können durch eine Mehrbelastung der Sozial-
versicherung entstehen.

Drucksache 15/2796 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Nach Angabe der Sozialversicherungsträger ist mit Einnahmeausfällen durch
den Wegfall der Aufrechnungsmöglichkeit zu rechnen. So ergäbe sich allein für
die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auf Basis des Jahres 2002 be-
rechnet ein Einnahmeausfall in Höhe von ca. 3 Mio. Euro.
2. Vollzugsaufwand
Mit der Fixierung eines nicht aufrechnungsfähigen Mindestbeitrages gemäß
§ 850c ZPO ist eine Verwaltungsvereinfachung für die Träger der Sozialver-
sicherung verbunden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2796

Entwurf eines Gesetzes zur Angleichung der Pfändungsfreigrenzen in der
Sozialversicherung

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Ersten Buches Sozialgesetzbuch

(SGB I)
Das Erste Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – in

der Fassung der Bekanntmachung vom … (BGBl. …), zu-
letzt geändert durch …, wird wie folgt geändert:
§ 51 Abs. 2 wird ersatzlos gestrichen.

Artikel 2
Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch

(SGB III)
Das Dritte Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung –

in der Fassung der Bekanntmachung vom … (BGBl. …),
zuletzt geändert durch …, wird wie folgt geändert:

In § 333 Abs. 1 wird die Angabe „abweichend von § 51
Abs. 2 des Ersten Buches“ ersetzt durch die Angabe „ent-
sprechend § 51 des Ersten Buches“ ersetzt.

Artikel 3
Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch

(SGB V)
Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Kran-

kenversicherung – in der Fassung der Bekanntmachung
vom … (BGBl. …), zuletzt geändert durch …, wird wie
folgt geändert:
In § 255 Abs. 2 Satz 1 wird die Angabe „§ 51 Abs. 2 des
Ersten Buches gilt entsprechend“ gestrichen.

Artikel 4
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 26. März 2004
Dr. Heinrich L. Kolb
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp

Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 15/2796 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines
Die Vorschrift in § 51 Abs. 2 SGB I stellt eine Privilegie-
rung der Sozialversicherungsträger dar. Diese Privilegie-
rung ist vom Gesetzgeber bei Schaffung der Regelung im
Jahre 1980 bewusst gewollt worden. Sie dient sozialpoli-
tischen und verwaltungstechnischen Gründen.
Der § 51 Abs. 2 SGB I dient nach Sinn und Zweck einzig
dem Schutz der Interessen der Sozialversicherungsträger
und nicht dem der Versicherten. Die Beschränkung der Auf-
rechnungsmöglichkeiten durch die Grenzen der Hilfsbe-
dürftigkeit im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes dient
nicht dem Pfändungsschutz des Betroffenen, sondern soll
verhindern, dass sich ein Leistungsträger nicht auf Kosten
eines anderen Trägers, hier des Trägers der Sozialhilfe, be-
friedigen kann. Nach der Ausgestaltung der Norm wird das
Schuldnerinteresse nicht berücksichtigt und damit auch kein
Bezug auf die sonst geltenden Pfändungsfreigrenzen in
§ 850c ZPO genommen, die seit dem Siebten Gesetz zur
Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 13. Dezember
2001 eine deutliche Besserstellung der betroffenen Schuld-
ner vorsehen. So beträgt der Grenzbetrag für eine Person
ohne unterhaltsberechtigten Angehörigen 940 Euro, wäh-
rend nach einer Vereinbarung der Arbeitsgruppe des Fach-
ausschusses Versicherung und Rente (AGFAVR) vom
23. Mai 2002 bei der Prüfung nach § 51 Abs. 2 SGB I ein
Grenzwert von 685 Euro zugrunde gelegt wird.
Schon aus rechtssystematischen Gründen sollten bei Pfän-
dungsmaßnahmen, gleichgültig von welchem Gläubiger sie
durchgeführt werden, für alle Schuldner die gleichen Pfän-
dungsfreigrenzen gelten. Es ist nicht überzeugend, dass der
Gesetzgeber einerseits Pfändungsfreigrenzen geschaffen hat
und diese in regelmäßigen Abständen zu Gunsten der be-
troffenen Schuldner den wirtschaftlichen Verhältnissen an-
passt und andererseits gesetzliche Regelungen gelten, die
im Sozialrecht die Schuldner pfändungs- bzw. aufrech-
nungsrechtlich ungeschützt lassen.
Es wird nicht verkannt, dass die Reglung in § 51 Abs. 2
SGB I den Sozialleistungsträgern einen besonderen Schutz
vor Einnahmenausfällen sichert. Dieser aus Gründen der

Sicherung der Finanzen der Sozialversicherung durchaus
wünschenswerte Effekt kann jedoch nicht allein zuunguns-
ten der Sozialversicherungspflichtigen erzielt werden. Im
Einzelfall führt diese Privilegierung dazu, dass die Rege-
lung ohne Berücksichtigung bestehender Pfändungsfrei-
grenzen zu erheblichen Forderungen gegenüber Betroffenen
führen kann, die bei Pfändungsmaßnahmen durch einen an-
deren Gläubiger nicht befriedigt werden könnten.
Dieser Ansicht hat sich auch der Petitionsausschuss des
Deutschen Bundestags angeschlossen (Bundestagsdruck-
sache 15/2343) und der Bundesregierung empfohlen dies
bei der künftigen Gesetzgebung zu berücksichtigen.

B. Einzelbegründung
Zu Artikel 1 (Änderung des Ersten Buches Sozial-

gesetzbuch)
§ 51 Abs. 2 SGB I wird ersatzlos gestrichen, so dass der Pri-
vilegierungstatbestand der Sozialversicherungsträger auf-
gehoben wird und die allgemeinen Pfändungsfreigrenzen im
Wege von § 51 Abs. 1, § 54 Abs. 2 und 4 auch auf die So-
zialversicherung Anwendung finden.

Zu Artikel 2 (Änderung des Dritten Buches Sozial-
gesetzbuch)

Folgeänderung, die sich aus der Streichung des § 51 Abs. 2
SGB I ergibt.

Zu Artikel 3 (Änderung des Fünften Buches Sozial-
gesetzbuch)

Folgeänderung, die sich aus der Streichung des § 51 Abs. 2
SGB I ergibt.

Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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