BT-Drucksache 15/2691

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -15/2149,15/2678- Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz)

Vom 10. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2691
15. Wahlperiode 10. 03. 2004

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Helga Daub, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Christoph Hartmann (Homburg), Klaus
Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Dr. Günter Rexrodt, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion
der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 15/2149, 15/2678 –

Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen
Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
(RV-Nachhaltigkeitsgesetz)

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit dem im Jahre 2001 in Kraft getretenen Altersvermögensaufbaugesetz ist
die Umsetzung des notwendigen Einstiegs in die kapitalgedeckte Alterssiche-
rung gescheitert. Bislang haben sich nur rund 10 Prozent der förderberechtigten
Bürger für die überregulierte private Riester-Rente entschieden. Zudem ist seit
1998 die Rentenpolitik unaufhörlich kurzfristigen, hektischen Eingriffen ausge-
setzt gewesen, die zu einem weit verbreiteten Misstrauen in die Zukunftssicher-
heit der gesetzlichen Rentenversicherung geführt hat. Dieses Misstrauen ist ge-
rechtfertigt, denn immer noch wird die gesetzliche Rente als Lebensstandard
sichernde Altersversorgung angesehen, obwohl mittlerweile die Sicherung des
Lebensstandards nicht mehr Gegenstand des gesetzlichen Auftrages der Ren-
tenversicherung ist, wie sich aus dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Sicherung der Nachhaltigkeit in der
gesetzlichen Rentenversicherung ergibt. Mit der Absenkung des Rentenniveaus
von heute 53 Prozent auf 43 Prozent im Jahre 2030 (so genanntes steuerberei-
nigtes Nettorentenniveau) erhält die gesetzliche Rentenversicherung für weite
Kreise der Bevölkerung immer mehr den Charakter einer Grundsicherung. Zur
Sicherung der Altersvorsorge der Bürger ist daher ein Paradigmenwechsel not-
wendig, der eine Reduzierung der Umlagefinanzierung der gesetzlichen Ren-
tenversicherung hin zu einem schnellen und effektiven Aufbau privater und
betrieblicher kapitalgedeckter Altersvorsorge beinhaltet. Das heutige umlage-
finanzierte Alterssicherungssystem ist aufgrund der demographischen Entwick-

Drucksache 15/2691 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

lung nicht nur immer weniger in der Lage, den Menschen im Alter ihre Alters-
sicherung zu garantieren, sondern belastet die künftigen Generationen mit einer
verdeckten Staatsschuld von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und ver-
letzt damit das Gebot der Generationengerechtigkeit. Notwendig ist daher eine
umfassende Reform der Rahmenbedingungen der Alterssicherung in der Bun-
desrepublik Deutschland: Die private Altersvorsorge ist von bürokratischen
Regelungen zu befreien, und ein sofortiger Ausbau der staatlichen Förderung
für alle Bundesbürger ist vorzunehmen. Die betriebliche Altersvorsorge muss
für die Unternehmen und Betriebe wie für die abhängig Beschäftigten deutlich
attraktiver gestaltet werden. Die steuerliche Freistellung von Rentenbeiträgen
muss umfassend schon im Jahr 2005 einsetzen. Der immer höheren Lebens-
erwartung ist mit deutlich kürzeren Schul- und Ausbildungszeiten zu begegnen,
zudem sind jegliche Anreize zur Frühverrentung zu beenden. Alle versiche-
rungsfremden Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung sind zu über-
prüfen und bei fehlender verfassungsrechtlicher Notwendigkeit unter Wahrung
des Vertrauensschutzes zu reduzieren. Mittelpunkt der Rentenpolitik muss ne-
ben der Ausweitung der kapitalgedeckten Altersvorsorge die steuerliche Förde-
rung der Familie mit Kindern sein sowie eine bessere Vereinbarkeit von Beruf
und Familie durch Ausbau der Kinderbetreuung. Die Förderung von Familien
mit Kindern muss zum Zeitpunkt der Kindererziehung erfolgen und sollte aus
Steuermitteln erfolgen, um alle Bürger an der Finanzierung unserer gesell-
schaftlichen Zukunft zu beteiligen. Nur mit einer deutlichen Erhöhung der
Frauenerwerbsquote ist die Bewältigung der demographischen Herausforde-
rung möglich.
Das Fundament der gesetzlichen Rentenversicherung wird durch die drama-
tisch schlechte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung im-
mer weiter unterhöhlt, so dass die beginnende demographische Entwicklung zu
einer ernsten Gefahr für die Existenz der gesetzlichen Rentenversicherung
wird. Es ist daher notwendig, das heutige Alterssicherungssystem wieder auf
ein sicheres Fundament zu stellen, indem die umlagefinanzierte Rentenversi-
cherung durch eine kapitalgedeckte Absicherung der Altersversorgung ergänzt
wird und versicherungsfremde Leistungen konsequent beschnitten werden,
damit durch eine Absenkung des Beitragssatzes den Bürgern die Möglichkeit
eröffnet wird, steuerlich geförderte private Altersvorsorge zu betreiben.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bis zum 1. Januar

2005 einen Gesetzentwurf über einen generationengerechten und zukunfts-
sichernden Umbau der Altersvorsorgesysteme in der Bundesrepublik
Deutschland nach folgenden Eckpunkten vorzulegen:

1. Der Ausbau der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge wird gefördert, in-
dem die Notwendigkeit der privaten Alterssicherung transparenter und die
staatliche Förderung entbürokratisiert und vereinfacht wird:
a) Statt der zahlreichen komplizierten Kriterien des Altersvermögensauf-

bau-Zertifizierungsgesetzes soll als wesentliches Kriterium für die geför-
derte private Vorsorge eine praktikable Zweckbestimmung für die Alters-
vorsorge ausreichen. Die angebotenen privaten Altersvorsorgeprodukte
sollen folgenden drei Mindeststandards genügen: Auszahlung nach dem
65. Lebensjahr, die Nominalwert-Garantie der eingezahlten Beiträge so-
wie eine Verrentung mit oder ohne Auszahlungsplan. Die Vererbbarkeit
des Kapitalstocks muss zulässig sein wie eine Teilkapitalisierung zumin-
dest in Höhe des Ertragsanteils.

b) Die steuerfähigen Höchstbeträge nach § 10a EStG werden zum 1. Januar
2005 auf 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Ren-
tenversicherung angehoben. Damit wird den Betroffenen die Dringlichkeit
vor Augen geführt, sobald wie möglich mit der eigenen Zusatzvorsorge zu
beginnen. Mit einer Anhebung der Höchstbeiträge auf 4 Prozent der Bei-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2691

tragsbemessungsgrenze würden damit auch die Förderhöchstgrenzen von
Riester-Rente und betrieblicher Altersvorsorge (Entgeltumwandlung)
nach § 3 Nr. 63 EStG einander angeglichen. (Dies sieht auch der Gesetz-
entwurf der FDP-Bundestagsfraktion vom 14. Januar 2004 „Entwurf eines
Gesetzes zur Einführung einer neuen Einkommensteuer und zur Abschaf-
fung der Gewerbesteuer“, Bundestagsdrucksache 15/2349 vor.)

c) Die Förderung der Altersvorsorge durch Erwerb einer Immobilie wird
verbessert, indem ein steuerlich gefördertes Tilgungssparen bis zur För-
dergrenze von 2 100 Euro zugelassen wird, das zur Finanzierung des
Erwerbs der Immobilie verwendet werden kann. Die enthaltene Förder-
summe wird bei Renteneintritt zur Steuerbemessungsgrundlage hinzu-
gezählt und die darauf zu zahlende Steuerschuld in Analogie zu § 23
ErbStG über einen Zeitraum von 10 Jahren gestreckt. Eine eventuell ver-
bleibende Steuerschuld wird mitvererbt.

d) Der Zugang zur kapitalgedeckten Altersvorsorge soll verbessert werden,
indem die Förderberechtigung der Riester-Rente auf alle Steuerpflich-
tigen ausgeweitet wird, so dass z. B. gering verdienende Selbständige und
geringfügig Beschäftigte zur Altersvorsorge motiviert werden können.
Diese Forderung der Kommission zur Nachhaltigkeit der Finanzierung
der sozialen Sicherungssysteme (Rürup-Kommission) setzt der Gesetz-
entwurf nicht um.

e) Die Möglichkeiten von Personen mit geringen oder schwankenden Ein-
kommen werden stärker berücksichtigt, um einen faktischen Ausschluss
zu vermeiden. Gerade der Erwerbs- und Einkommenssituation von
Frauen soll mit einer solchen Erweiterung der Zugangsvoraussetzungen
besser Rechnung getragen werden. (Ausweitung des Pfändungsschutzes
nach § 850e ZPO auf Mindesteigenbeiträge; Ausschluss von Anbietern
mit zu hohen Mindestbeiträgen jenseits des Sockelbeitrages nach § 86
EStG in § 1 Abs. 1 Satz 1 AltZertG; Angebot zu Beitragsanpassungen
zum Ausgleich an schwankende Einkommen durch Regelung in § 1
Abs. 1 Satz 1 AltZertG als Voraussetzung für die Zertifizierung.)

f) Die Anreize zum Kapitalaufbau auch für liquiditätsschwache Personen,
insbesondere allein erziehende Frauen, die auf Sozialhilfe angewiesen
sind, müssen verstärkt werden. So sollten nachträgliche Beitragszahlun-
gen zur Ausschöpfung förderfähiger Höchstbeträge 5 Jahre lang rückwir-
kend ermöglicht werden, wenn dem Vertragspartner die Bedienung der
Altersvorsorge nicht möglich ist.

g) Das steuerliche Fördersystem soll vereinfacht werden, indem die bis-
herigen Fördermöglichkeiten nach § 3 Nr. 63, §§ 10a und 40b EStG
durch einen neuen § 10a EStG (für betriebliche und private AV) mit Son-
derausgabenabzug und Zulagenförderung ersetzt wird. Dabei ist jedoch
zu beachten, dass die Förderung nach § 40b EStG gegenwärtig zusätzlich
zur Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG in Anspruch genommen werden
kann. Eine ersatzlose Abschaffung des § 40b EStG würde somit den ge-
samten Förderrahmen der betrieblichen Altersvorsorge für Neuverträge
beschneiden. Eine derartige Verschlechterung der Rahmenbedingungen
für die betriebliche Altersvorsorge aus rein steuersystematischen Grün-
den läuft den Bestrebungen zuwider, die Bürger zu mehr zusätzlicher
Altersvorsorge zu bewegen. Um dies zu vermeiden, ist eine Aufstockung
des Höchstbeitrages in § 3 Nr. 63 EStG notwendig.

h) Eine verbesserte Information über die Notwendigkeit der privaten Alters-
vorsorge ist dringend notwendig. Die privaten bzw. betrieblichen und
gesetzlichen Rentenversicherer müssen verpflichtet werden, für die Ver-
sicherten inflationsbereinigte Werte anhand realistischer Annahmen über
die künftige wirtschaftliche Entwicklung zu erstellen.

Drucksache 15/2691 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

i) Eine unabhängige Beratungs- und Vermittlungsstelle, die in Deutschland
etwa beim Verbraucherschutz angesiedelt werden könnte, soll für die Bürger
Transparenz in die Vielzahl der Produkte der privaten Altersvorsorge brin-
gen und preiswerte Standardprodukte ermitteln. Diese Standardrente soll
auch allen Arbeitnehmern per Entgeltumwandlung als betriebliche Alters-
vorsorge zur Verfügung stehen.

2. Die betriebliche Altersvorsorge als zweite Säule im System der Alterssiche-
rung in Deutschland muss weiter gestärkt werden. Zwar wurden mit der Ren-
tenreform 2001 die bisherigen Regelungen zum Anspruch der Arbeitnehmer
auf Betriebsrente, zur Unverfallbarkeit dieses Anspruchs, zu möglichen Durch-
führungsformen und zur steuerlichen Begünstigung von Betriebsrenten erwei-
tert. Hier müssen dennoch weitere Reformen folgen:
a) Es soll ein individuelles Altersvorsorgekonto als staatlich anerkanntes und

gefördertes Instrument der kapitalgedeckten Altersvorsorge eingeführt wer-
den, das alle Erscheinungsformen (Versicherungsvertrag, Banksparplan, In-
vestmentsparplan u. a.) umfasst. Im Rahmen des individuellen Altersvorsor-
gekontos sollen einheitlich der Bereich der betrieblichen Altersversorgung
wie der privaten Altersvorsorge erfasst werden.

b) Reine Beitragszusagen der Unternehmen sollen zugelassen werden, um das
Altersvorsorgekonto als neuen Durchführungsweg in der betrieblichen
Altersvorsorge zu ermöglichen (Änderung des § 1 Abs. 2 BetrAVG). Die
Beitragszusage zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Verpflichtung des
Arbeitgebers auf die Zahlung bestimmter Beiträge beschränkt. Eine Rück-
griffshaftung für Ausfälle auf Seiten des Anbieters bzw. die Versorgungs-
einrichtung ist ausgeschlossen. Weitergehende Ansprüche gegen den Arbeit-
geber bestehen nicht; dem Arbeitnehmer stehen direkte Ansprüche gegen den
jeweiligen Anbieter des Altersvorsorgevertrages zu. Gerade für kleine und
mittlere Unternehmen liegt hier eine kalkulierbare Alternative, die den Ein-
stieg in eine überschaubare betriebliche Altersvorsorge erleichtert.

c) Die Arbeitnehmer sollten über das Jahr 2008 hinaus einen Anspruch auf
Entgeltumwandlung zugunsten des individuellen Altersvorsorgekontos gel-
tend machen können (Änderung des § 115 SGB IV).

d) Das Altersvorsorgekonto soll dem Arbeitnehmer uneingeschränkte Porta-
bilität/Unabhängigkeit vom Arbeitgeber gewährleisten. Im Rahmen der
betrieblichen Altersversorgung sollte ein und derselbe individuelle
Altersvorsorgevertrag bei Wechsel des Arbeitsplatzes oder Beginn bzw.
Ende einer Selbständigkeit durchgängig dotiert werden. Im Hinblick auf die
innerhalb der EU bestehende Freizügigkeit müssen europaweite Standards
zur Geltung dieses Altersvorsorgekontos eingeführt werden.

e) Aus Sicht der Unternehmen und der Arbeitnehmer ist es wünschenswert,
neben dem bestehenden Pensionsfonds zusätzliche individuelle Pensions-
fonds zuzulassen, die nach dem US-amerikanischen Vorbild als Kapitalanla-
gegesellschaft gestaltet sind.

f) Die Bundesregierung hat zu prüfen, ob eine Vorgabelösung auf betrieblicher
Ebene wie in den USA einzuführen ist. Danach werden Arbeitnehmer bei
Aufnahme des Arbeitsverhältnisses automatisch in eine förderfähige Direkt-
versicherung, Pensionskasse oder einen Pensionsfonds aufgenommen, so-
fern sie nicht widersprechen.

g) Der Rechnungszinsfuß für Pensionsrückstellungen wird von heute 6 Prozent
auf 3,5 Prozent zurückgeführt. Der Zinsfuß von 6 Prozent ist überhöht und
führt dazu, dass die Rückstellungen den Umfang der Versorgungsverpflich-
tung nicht abdecken können.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/2691

h) Der mit der Rentenreform 2001 eingeführte Tarifvorbehalt bei der Ausge-
staltung der betrieblichen Altersvorsorge wird aufgehoben. Der Tarifvor-
behalt schränkt die Wahlfreiheit der Anlage für Tarifbeschäftigte unnötig
ein, während Mitarbeiter tarifungebundener Unternehmen weiterhin die
freie Wahl haben.

3. Zur besseren Nutzung der Lebensarbeitszeit und zur Wiederherstellung von
Generationengerechtigkeit sind die Lebensarbeitszeit auszuschöpfen und
alle Anreize zur Frühverrentung zeitnah abzubauen.
a) Eine frühe Einschulung, das Abitur nach 12 Jahren, die Aussetzung der

Wehrpflicht und kürzere Ausbildungs- und Studienzeiten verlängern im
Ergebnis die Beitragszeiten und führen damit zu deutlichen Einnahme-
verbesserungen der Rentenversicherung wie auch zu höheren Rentenan-
sprüchen der Versicherten im Alter.

b) Die Förderung der Frühverrentung zu Lasten der sozialen Sicherungssys-
teme muss beendet werden. § 428 SGB III ist abzuschaffen und die
Anspruchsbegründung nach Altersteilzeitgesetz zum nächstmöglichen
Zeitpunkt zu beenden (vgl. Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion
zur Beendigung der Frühverrentung vom 22. Oktober 2003, Bundestags-
drucksache 15/1810).

c) Zur Steigerung des Rentenzugangsalters müssen die Beschäftigungschan-
cen Älterer verbessert und vorhandene Beschäftigungsbarrieren insbe-
sondere im Arbeitsrecht abgebaut werden. Maßnahmen zum Abbau be-
schäftigungshemmender Arbeitsmarktregulierungen müssen über die in
der so genannten Agenda 2010 auf den Weg gebrachten Reformvorhaben
hinausgehen. Auf das Lebensalter als Kriterium der Sozialauswahl bei
betriebsbedingten Kündigungen sollte generell verzichtet werden. Damit
ließe sich vermeiden, dass es zu einer Bündelung betrieblicher Abfin-
dungsleistungen mit öffentlichem Transfer kommt, die die Inaktivität für
Ältere im Vergleich zur Aufnahme einer neuen, gegebenenfalls niedriger
bezahlten Beschäftigung finanziell attraktiv macht. Zusätzlich sind Maß-
nahmen zur Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung älterer Arbeitneh-
mer vorzunehmen. So ist durch Beendigung der Frühverrentung auch der
Fehlanreiz aufgehoben, dass sich Zeit und Geld für Weiterbildung bereits
Jahre vor dem offiziellen Renteneintrittsalter nicht mehr lohnen. Die
Tarifparteien werden aufgefordert eine Revision tarifvertraglicher Senio-
ritätsregelungen einzuleiten. Beschäftigungsfeindliche Effekte von alters-
abhängigen und nach Betriebszugehörigkeit gestaffelten Einkommens-
zuwächsen, von manteltarifvertraglichen Vereinbarungen, die verlängerte
Kündigungsfristen oder sonstige Einschränkungen der Kündigung Älterer
vorsehen, sowie von Entgeltsicherungsklauseln, die auf einen faktischen
Abgruppierungsschutz für ältere Arbeitnehmer selbst im Falle einer
geminderten Produktivität hinauslaufen, müssen zurückgeführt werden.
Solche Regelungen kommen zwar den beschäftigten Älteren zugute, ver-
teuern aber deren Arbeit und vermindern ihre Reintegrationschancen,
wenn sie arbeitslos werden. Die Wirtschaft ist aufgefordert, die Erfah-
rung älterer Arbeitnehmer als Chance zu begreifen und angesichts der
demographischen Entwicklung nicht weiter auf die Verjüngung der
Belegschaften zu setzen.

d) Die Rentenabschläge bei vorgezogenem Rentenbeginn von derzeitig
3,6 Prozent pro Jahr werden auf 4,8 Prozent erhöht, um künftig noch
stärker die angestiegene Lebenserwartung zu berücksichtigen und den
Anreiz zur Inanspruchnahme vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter zu
mindern. Die Rentenabschläge sollen variabel sein und die erreichten
Versicherungszeiten berücksichtigen, indem zum Beispiel die Höhe der
Abschläge je nach Anzahl der Versicherungsjahre variiert. Bei schwerer

Drucksache 15/2691 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

gesundheitlicher Beeinträchtigung leistet auch künftig die Solidargemein-
schaft Ausgleich. Die Abschläge sollen daher nach Gesundheitszustand
des Versicherten differenzieren.

e) Die Hinzuverdienstgrenzen für Rentnerinnen und Rentner nach § 34
Abs. 2 SGB VI werden angehoben, um den älteren Bürgern die Möglich-
keit zu verschaffen, bei vorzeitigem Rentenbeginn ohne Verlust des
vollen Rentenanspruchs noch weiter arbeiten zu können und die entspre-
chenden Rentenabschläge auszugleichen. Dadurch könnte neben den ers-
ten drei Säulen ein vierter Eckpfeiler für Alterseinkünfte etabliert wer-
den, der dem Bedürfnis breiter Bevölkerungsschichten nach partiellem
Übergang in den Ruhestand weitgehend entgegen kommt.

f) Die Altersrente für langjährig Versicherte (§§ 36, 236 SGB VI) wird so
verändert, dass ein Anspruch auf abschlagsfreien Rentenbezug mit Voll-
endung des 62. Lebensjahr besteht, wenn der Versicherte 45 Beitragsjahre
oder 45 Entgeltpunkte erreicht hat.

4. Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
a) Es wird ein steuerlicher Grundfreibetrag eingeführt, der für Kinder wie

für Erwachsene bei 7 700 Euro pro Jahr liegen soll. Dem entsprechend
wird das Kindergeld auf etwa 200 Euro erhöht. Eine Entlastung gerade
für Familien bedeutet die Anerkennung von Privathaushalten als Arbeit-
geber: Für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse zur Pflege und
Betreuung von Kindern und sonstigen Angehörigen können im Kalender-
jahr bis zu 12 000 Euro nachgewiesene Aufwendungen vom Gesamt-
betrag der Einkünfte abgezogen werden. (Siehe Gesetzentwurf der FDP-
Bundestagsfraktion vom 14. Januar 2004 „Entwurf eines Gesetzes zur
Einführung einer neuen Einkommensteuer und zur Abschaffung der
Gewerbesteuer“, Bundestagsdrucksache 15/2349.)

b) Im Rahmen des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz (halbtags
ab dem 3. Lebensjahr bis zur Einschulung) soll Kinderbetreuung kosten-
los sein. Die Infrastruktur zur Kinderbetreuung muss ausgebaut und qua-
litativ verbessert werden. Ganz besonders wichtig ist die Förderung von
Betreuungsplätzen für Kinder von 2 bis 3 Jahren. Denn in dieser Zeit,
wenn kein Erziehungsgeld mehr gezahlt wird und noch kein gesetzlicher
Kindergartenanspruch besteht, gibt es für Eltern eine Lücke in der Förde-
rung. Die Tagespflege, das heißt die Betreuung von Kindern durch Tages-
mütter und -väter, wird als qualitativ hochwertiges, doch kostengünstige-
res Kinderbetreuungsangebot gleichrangig neben der institutionellen
Betreuung in Krippen in die staatliche Förderung einbezogen (vgl. im
Detail Antrag der FDP-Bundestagsfraktion vom 24. September 2003
„Tagespflege als Baustein zum bedarfsgerechten Kinderbetreuungsange-
bot – Bessere Rahmenbedingungen für Tagesmütter und -väter, Eltern
und Kinder, Bundestagsdrucksache 15/1590).

c) Zur Berücksichtigung der Erziehungsleistung wird eine „kapitalgedeckte
Kinderrente“ aufgebaut. Die heute schon im Bundeshaushalt aufgewen-
deten Mittel in Höhe von 11 Mrd. Euro zur Finanzierung der Kindererzie-
hungszeiten in der umlagefinanzierten Rente sollen umgewidmet werden.
Den Eltern werden während der Kindererziehungszeit die entsprechenden
Mittel zum Auf- und Ausbau einer ergänzenden „kapitalgedeckten Kin-
derrente“ zur Verfügung gestellt, die die jetzige staatliche Förderung
(Riester-Rente) verstärken wird. So könnte zum Beispiel der Mindestbei-
trag durch die Kinderrente geleistet werden. Die aus der Umstellung
resultierenden – vorübergehenden – Mehrbelastungen der Rentenversi-
cherung bzw. des Bundes können durch Übergangsregelungen, wie z. B.
durch eine zeitliche Streckung oder stufenweise Einführung der „kapital-
gedeckten Kinderrente“, minimiert werden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/2691

5. Eine Konsolidierung und Neuorganisation der gesetzlichen Rentenversiche-
rung ist erforderlich, um die umlagefinanzierte Säule der Alterssicherung auf
die Herausforderungen der demographischen Entwicklung vorzubereiten:
a) Versicherungsfremde Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung

(GRV) bedürfen aufgrund des Vorrangs der Beitragssatzstabilität einer
besonderen Legitimation. Die Zahlungen, die die GRV der Arbeiter und
Angestellten an die Knappschaft leistet, um deren strukturell bedingten
Rückgang an Beitragzahlern auszugleichen, sind allerdings schrittweise
zu verringern. Es ist nicht länger zu vertreten, über den Wanderungsaus-
gleich zwischen GRV und Knappschaft (2002: 1,6 Mrd. Euro) das höhere
Leistungsniveau der Knappschaft von der GRV finanzieren zu lassen.
Das Leistungsniveau der Knappschaft sollte deshalb dem der GRV der
Arbeiter und Angestellten angenähert werden, indem die Rentenanpas-
sungen in der Knappschaft für längere Zeit geringer ausfallen als in der
GRV. Die Anspruchsvoraussetzungen in Knappschaft und GRV sind
ebenfalls anzugleichen.

b) Der Gesetzentwurf nimmt mit der vorgeschlagenen Neuregelung der Be-
wertung von Ausbildungszeiten eine Ungleichbehandlung vor, die durch
einen Änderungsantrag der FDP-Bundestagsfraktion korrigiert wird.
Grundsätzlich ist es angesichts der demographischen Entwicklung und
der angestrebten Beitragssatzstabilität nicht mehr zu rechtfertigen, Aus-
bildungszeiten rentenrechtlich höher zu bewerten. Im Rahmen notwendi-
ger Vertrauensschutzregelungen sind daher die Höherbewertung für die
akademische wie nichtakademische Ausbildung bis zum Jahre 2009 ab-
zuschaffen (Änderung der §§ 74, 263 SGB VI).

c) Die Schwankungsreserve der gesetzlichen Rentenversicherung muss wie-
der deutlich aufgestockt werden. Sie muss konjunkturbedingte Einnah-
meausfälle abfedern können, um das vertrauensschädigende kurzfristige
Auf und Ab des Rentenbeitragssatzes weitgehend zu vermeiden. Die in
§ 216 SGB VI vorgeschlagene Nachhaltigkeitsrücklage ist jedoch unzu-
reichend finanziert. Die Berechnungen der finanziellen Auswirkung des
Gesetzentwurfs auf die Rentenversicherung gehen offenbar nur von einer
Rücklage von maximal 0,9 Monatsausgaben aus. Die angestrebte Rück-
lage von 1,5 Monatsausgaben wird aus gegenwärtiger Sicht erst deutlich
nach 2007 erreicht werden können. Insoweit ist der für das Jahr 2010 aus-
gewiesene Beitragssatz allein aus diesem Grund nicht richtig.

d) Im Interesse der Beitrags- und Steuerzahler ist die Organisationsreform in
der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Ziel einer effektiven und
leistungsfähigen Gestaltung der Rentenversicherungsträger zügig umzu-
setzen. Die bestehenden Institutionen auf Bundesebene (BfA, VDR,
Bundesknappschaft, Seekasse und Bahnversicherungsanstalt) sollten zu
einem Träger fusioniert werden, um eine kosteneffiziente Bündelung von
strategischen und Querschnittsaufgaben zu erreichen und Koordinie-
rungsaufwand abzubauen. Dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit muss
stärker Rechnung getragen werden, um Einsparpotenziale und Synergie-
effekte auch auf der Landesebene zu erzielen. Die Zahl der Landesver-
sicherungsanstalten soll ebenfalls deutlich verringert werden, um im
Stabs- und Grundsatzbereich Verwaltungskosten zu sparen und den Ko-
ordinierungsaufwand zwischen den Trägern zu verringern. Eine neue
Finanzverfassung der Rentenversicherungsträger ist von diesen gemein-
sam mit den Experten des Bundesversicherungsamtes und unter Hinzu-
ziehung des Bundesrechnungshofes und ggf. externer privater Gutachter
zu erarbeiten, die eine Vereinfachung der Finanzströme herbeiführt.

Drucksache 15/2691 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
6. Die Pluralität der Alterssicherungssysteme in der Bundesrepublik Deutsch-
land wird beibehalten. Eine „Bürgerversicherung“, die den Charakter einer
Volkszwangsversicherung hat, vergrößert eher die mit der demographischen
Entwicklung zusammenhängenden Finanzierungsprobleme der gesetzlichen
Rentenversicherung. Notwendig ist auch eine konsequente Erstreckung der
Reformpolitik in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Altersversor-
gung der Beamten und öffentlich Bediensteten wie auch der Politiker.
a) Die Pluralität in den Alterssicherungssystemen wird festgeschrieben. Die

eigenständigen Systeme der Altersvorsorge werden beibehalten, wie die
soziale Sicherung der Beamten und die berufsständischen Versorgungs-
werke der Freien Berufe. Eine Einbeziehung der Selbstständigen und
Beamten in die GRV wird – auch nach Meinung der vom Deutschen Bun-
destag eingesetzten Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ –
langfristig die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung eher
verschärfen, als erleichtern und leistet nach Meinung aller renommierten
Sachverständigen keinen Beitrag zur Bewältigung der demographischen
Entwicklung.

b) Eine Übertragung der Reformelemente für die gesetzliche Rentenversi-
cherung und die kapitalgedeckte Vorsorge auf den angestellten öffent-
lichen Dienst und die Beamten ist erforderlich. Bund, Länder und Ge-
meinden haben bereits heute ungedeckte Pensionslasten von mehr als 600
Mrd. Euro. Vor allem die Bundesländer werden ihren Personalausgaben-
anteil um 10 Prozentpunkte von heute ca. 40 auf 50 im Jahr 2020 erhöhen
müssen. Daher muss neben den schon eingeleiteten Strukturreformen un-
mittelbar eine weitere Modernisierung des Versorgungsrechtes erfolgen.
So sollte die Bundesregierung prüfen, ob die Festsetzung der Pension
nicht nach dem Durchschnitt der letzten drei Dienstjahre, sondern unter
Wahrung des Vertrauensschutzes vielmehr nach dem Durchschnitt des
gesamten Erwerbslebens erfolgen sollte.

c) Auch die Altersversorgung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages
ist vor dem Hintergrund der Leistungseinschränkungen in der gesetzlichen
Rentenversicherung wie bei den Versorgungsbezügen der Beamten
grundsätzlich zu reformieren. Es wird hierzu auf den Gesetzentwurf der
FDP-Bundestagsfraktion vom 2. April 2003 zur Änderung des Abgeord-
netengesetzes verwiesen (Bundestagsdrucksache 15/753), das die Be-
rufung einer unabhängigen Sachverständigenkommission durch den
Bundespräsidenten vorsieht, die eine Reform der Abgeordentenaltersver-
sorgung nach folgenden Bedingungen konzipieren soll: So soll einer stär-
keren Eigenverantwortung der Abgeordneten Rechnung getragen werden
und die Abgeordneten sich mit Eigenbeiträgen selbst an der Finanzierung
beteiligen können. Die Kompatibilität mit anderen Altersversorgungssys-
temen muss gewährleistet bleiben, damit der formalisierte Gleichheits-
satz im Blick auf identische Versorgungsanwartschaften für gleiche Man-
datszeiten gewährt wird und die Gleichwertigkeit von mandatsbedingtem
Nachteilsausgleich einerseits und Vermeidung einer das Verbleiben im
Parlament beeinflussenden Überversorgung andererseits Beachtung fin-
det.

Berlin, den 10. März 2004
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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