BT-Drucksache 15/2602

Lage der Kommunen dokumentieren und verbessern

Vom 3. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2602
15. Wahlperiode 03. 03. 2004

Antrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Ina Lenke, Ulrike Flach, Hans-Michael Goldmann,
Gudrun Kopp, Dr. Max Stadler, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst
Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Michael Kauch,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Lage der Kommunen dokumentieren und verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Lage der Kommunen hat sich in den letzten Jahren extrem zugespitzt. In
finanzieller Hinsicht befinden sich die meisten Kommunen in einer schwie-
rigen Lage. Durch die ständig ansteigende Zahl übertragener Aufgaben von
Bund und Land auf die Kommunen werden von diesen zunehmend Leistungen
ohne einen entsprechenden finanziellen Ausgleich abverlangt. Dem gegenüber
bestehen große Einnahmedefizite auf Seiten der Kommunen, die teilweise auf
Einnahmeausfälle aus der Gewerbesteuer zurückgehen.

Diese Entwicklung hinterlässt deutliche Spuren: sowohl bei den Kommunen als
auch für jeden einzelnen Bürger und jedes Unternehmen. Die Kommunen leben
zunehmend von der Substanz. Notwendige Neuinvestitionen müssen unterblei-
ben und dringende Instandhaltungsaufgaben können nicht erledigt werden.
Weitere Folgen sind die Schließung kommunaler Büchereien, Schwimmbäder,
Museen und Theater und vieler weiterer Einrichtungen.

Das bedeutet zugleich eine Gefahr der kommunalen Selbstverwaltung, wie sie
in Artikel 28 Abs. 2 GG garantiert ist.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Bericht bis zum 31. Mai 2004 zur Lage der Kommunen vorzulegen.

Mit diesem Bericht soll die Bundesregierung die Situation der kommunalen
Selbstverwaltung (Artikel 28 GG) insgesamt und im Besonderen die finanzielle
Lage der Kommunen in Deutschland darstellen. Die Bundesregierung soll dar-
stellen, inwieweit die Kommunen ihr verfassungsgemäßes Recht, alle Angele-
genheiten des örtlichen Wirkungskreises zu regeln, tatsächlich noch wahrneh-
men können. Sie soll dabei unter anderem die von ihr nach Artikel 84 GG auf-

Drucksache 15/2602 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

erlegten Aufgaben an die Kommunen im Einzelnen benennen, die von ihr
geleisteten finanziellen Ausgleichszahlungen an die Kommunen und die tat-
sächlich getätigten Ausgaben der Kommunen gegenüberstellen.

Weiter soll sie die Haushaltsituation der Städte und Gemeinden dokumentieren.
Darüber hinaus soll der Bericht aufzeigen, wie die weitere Belastung für die
Kommunen durch den Bund vermieden und damit die kommunale Selbstver-
waltung gestärkt werden kann.

Berlin, den 2. März 2004

Begründung

Die finanzielle Lage der Kommunen wird von Jahr zu Jahr dramatischer. Auch
für 2004 rechnen die Kommunen mit einem Etatdefizit in Höhe von ca. 10 Mrd.
Euro. Kernproblem der finanziellen Krise ist das Wegbrechen der Einnahmen
und das Ansteigen der Ausgaben. Die Handlungsfähigkeit der Gemeinden ist
nicht mehr gewährleistet.

Daran haben auch die Kompromisse im Vermittlungsausschuss kurz vor Weih-
nachten 2003 strukturell nichts geändert. Zwar bekommen die Kommunen
durch die Senkung der Gewerbesteuerumlage wieder etwas mehr Geld in ihre
Kassen, allerdings reichen diese Maßnahmen bei weitem nicht aus. Die Ausga-
ben der Kommunen steigen durch die immer stärker zunehmende Aufgaben-
verlagerung des Staates an die Kommunen weiter an, wie es bereits beim Recht
auf einen Kindergartenplatz oder der Grundsicherung geschehen ist. Die Zu-
ständigkeit der Kommunen für die Verwaltung und Ausschüttung sozialer Leis-
tungen ist richtig. Dazu müssen den Kommunen ausreichende finanzielle Mittel
aus ihren Einnahmen verbleiben. Bund und Länder aber, die diese Aufgaben-
übertragungen beschlossen haben, lassen die Kommunen bei der Finanzierung
weitgehend allein oder ersetzen die notwendige Auslage erst sehr viel später.
Eine flexible Kostenerstattung ist in der Regel nicht vorgesehen. Gleiches gilt
für die Zunahme der Sozialhilfeausgaben, die nicht zuletzt auf der verfehlten
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Koalition beruht.

Gisela Piltz
Ina Lenke
Ulrike Flach
Hans-Michael Goldmann
Gudrun Kopp
Dr. Max Stadler
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich

Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2602

Die kommunalen Investitionen sind in den letzten Jahren radikal eingebrochen.
Dagegen sind die Ausgaben für soziale Leistungen von 1992 um rund ein Drit-
tel gestiegen. Beispielsweise sind die Ausgaben für die Eingliederung behin-
derter Menschen seit 1994 um 6 Mrd. Euro gestiegen und haben sich so nahezu
verzweifacht. Für die nächsten 10 bis 15 Jahre wird prognostiziert, dass sich die
Zahl der Betroffenen verdoppelt. Das ist von den Kommunen ohne entspre-
chenden finanziellen Ausgleich nicht mehr zu tragen. Ein anderes Beispiel ist
die Erhöhung der Betreuungsquote: Die Bundesregierung fordert von den
Kommunen einen Ausbau des Betreuungsangebots für Kinder unter drei Jahren
im finanziellen Umfang von 1,5 Mrd. Euro jährlich, stellt den Kommunen zur
Finanzierung aber nur die nicht näher bezifferten, aber wahrscheinlich deutlich
unter diesem Betrag liegenden Einsparungen aus der Zusammenlegung von Ar-
beitslosen- und Sozialhilfe zur Verfügung.

Reformvorschläge liegen auf dem Tisch. Die FDP-Bundestagsfraktion hat be-
reits im letzten Jahr mit dem Gesetzentwurf zur kommunalen Finanzreform
(Bundestagsdrucksache 15/1247) grundlegende Reformvorschläge in den
Deutschen Bundestag eingebracht, mit denen den Kommunen dauerhaft gehol-
fen werden könnte.

Die Auswirkungen mangelnden Reformwillens sind fatal und müssen schnells-
tens behoben werden. Sie haben erhebliche negative Folgen für Kommunen,
Bürger und Unternehmen. Viele Städte und Gemeinden sind seit Jahren nicht
mehr in der Lage, die grundlegenden Aufgaben für die Menschen vor Ort zu er-
füllen. Damit wird die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung auf der ört-
lichen Ebene unmittelbar in Frage gestellt. Die kommunale Selbstverwaltung
stellt einen Grundpfeiler unserer Verfassung und unserer Staatsorganisation dar.

Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag müssen sich im Interesse
eines demokratischen und lebenswerten Deutschlands ihrer Verantwortung für
die verfassungsmäßigen Rechte der Kommunen stellen. Dazu bedarf es zu-
nächst einer umfassenden Darstellung der Situation der kommunalen Selbstver-
waltung und im Besonderen der finanziellen Lage der Kommunen.

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