BT-Drucksache 15/2395

Wüstenbildung wirksam bekämpfen - Armut überwinden, Ernährung sichern, Konflikte verhindern

Vom 28. Januar 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2395
15. Wahlperiode 28. 01. 2004

Antrag
der Abgeordneten Dagmar Schmidt (Meschede), Karin Kortmann, Detlef
Dzembritzki, Siegmund Ehrmann, Gabriele Groneberg, Anke Hartnagel, Reinhold
Hemker, Klaus Werner Jonas, Ulrich Kelber, Dr. Sascha Raabe, Walter Riester,
Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Brigitte Wimmer
(Karlsruhe), Franz Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck
(Köln), Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Wüstenbildung wirksam bekämpfen – Armut überwinden, Ernährung sichern,
Konflikte verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Wüstenbildung ist ein globales Umwelt- und Entwicklungsproblem. Nicht nur
die Länder des Südens sind betroffen. Übernutzung von Böden und Wäldern,
Versiegelung von Flächen und durch den Menschen verursachter Klimawandel
führen auch in den reichen Ländern des Nordens zur Degradation von Land und
zum Verlust von Mutterboden. Es geht bei der Bekämpfung von Desertifikation
nicht um bereits bestehende Wüsten, sondern um den Schutz komplexer
Lebensgrundlagen, die von Landverödung bedroht sind.
Jährlich gehen weltweit durch Bodendegradierung in den trockenen, halbtro-
ckenen sowie sub-humiden und wasserarmen Gebieten der Erde 24 Mrd. Ton-
nen Boden und rund 41 000 km² landwirtschaftliche Anbaufläche verloren.
Trockengebiete machen rund 40 Prozent der Landfläche der Erde aus; sie bil-
den den Lebensraum und die Existenzgrundlage für weite Teile der Bevölke-
rung. Auswirkungen der Desertifikation sind in 70 Prozent aller Trockengebiete
festzustellen. Betroffen sind derzeit 36 Mio. km²,eine Fläche dreieinhalb mal
so groß wie Europa.
Wüstenbildung, Dürre und Bodenerosion bedrohen die Existenz von mehr als
einer Milliarde Menschen in 110 Ländern: Wenn auch in unterschiedlichem
Ausmaß sind die ärmsten Entwicklungsländer davon ebenso betroffen wie
einige Schwellenländer (z. B. Argentinien, Brasilien, Mexiko, Indien, China)
sowie die zentralasiatischen Transformationsländer und eine Reihe von Indus-
trieländern (USA, Mittelmeerländer).
Besonders bedrohlich sind Szenarien des Worldwatch Institutes für den Fall,
dass die Desertifikation in den nächsten beiden Jahrzehnten mit der bisher ent-
wickelten Dynamik weiter voranschreitet: Bis zum Jahr 2025 wird mit dem
Rückgang der landwirtschaftlichen Nutzfläche von zwei Dritteln in Afrika,
einem Drittel in Asien und einem Fünftel in Lateinamerika gerechnet.

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Wüstenbildung ist eng mit dem Problem der Wasserknappheit verbunden.
Landverödung verringert die Verfügbarkeit von Wasser und Boden: Weltweit
sind im Durchschnitt 7 000 m³Wasser pro Kopf verfügbar, in Trockenzonen
sind es unter 1 000 m³,und diese Menge wird sich in den nächsten 20 Jahren
voraussichtlich halbieren.
Weitere Faktoren, die zur Desertifikation beitragen und ein nachhaltiges Res-
sourcenmanagement behindern, sind die fehlende Rechtssicherheit für die
Landnutzer beim Bodenrecht, der Mangel an technischen Kenntnissen und un-
günstige weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen, vor allem die Welthandels-
bedingungen. Kriege und andere von Menschen ausgelöste Katastrophen tragen
ebenso zu Prozessen der Landverödung bei.
Die Folgen für die Betroffenen sind gravierend. Desertifikation führt insbeson-
dere in den Partnerländern zu Hunger, zum Zusammenbruch sozialer Struktu-
ren, zu Migration, Landflucht und politischer Destabilisierung.
Wüstenbildung ist kein natürliches Phänomen, sie wird hauptsächlich durch
menschliche Aktivitäten hervorgerufen. Komplexe Wechselwirkungen zwi-
schen physikalischen, biologischen, politischen, sozialen, kulturellen und öko-
nomischen Faktoren spielen eine maßgebliche Rolle: Nicht nachhaltige Land-
nutzungspraktiken der lokalen Bevölkerung sowie Versiegelung von Flächen
begünstigen Desertifikationsprozesse. Überlieferte Strategien und Methoden
der Landbewirtschaftung erweisen sich heute vielfach als nicht ausreichend an-
gesichts ökonomischer und politischer Veränderungen aufgrund des Bevölke-
rungswachstums und des Sesshaftwerdens von Nomaden.
In diesem Teufelskreis ist Armut sowohl Ursache als auch Folge der Desertifi-
kation. Bei der Umsetzung des deutschen Aktionsprogramms 2015 zur Armuts-
bekämpfung und die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele – insbe-
sondere die Halbierung der Zahl der Menschen in extremer Armut und die
Halbierung der Zahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser bis
2015 – muss die konsequente Bekämpfung der Desertifikation eine wichtige
Rolle spielen.
Mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Deserti-
fikation (UNCCD) steht seit 1996 ein internationaler, für die Unterzeichner-
staaten völkerrechtlich verbindlicher Rahmen zur Verfügung, um das Problem
der Desertifikation zu bekämpfen. Neben dem Schutz der Böden in Trockenge-
bieten hat die Konvention ausdrücklich die Bekämpfung der Armut zum Ziel.
Das Übereinkommen leistet einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen und men-
schenwürdigen Entwicklung und basiert auf den Prinzipien Zusammenarbeit,
Partnerschaft und Dezentralisierung. Sie trägt damit zur Förderung guter Regie-
rungsführung sowie zur Stärkung der Zivilgesellschaft und demokratischer
Strukturen in den Partnerländern bei.
II. Der Deutsche Bundestag
l unterstützt ausdrücklich, dass die Desertifikationsbekämpfung seit Mitte der

1980er Jahre einen Förderschwerpunkt der deutschen bilateralen Entwick-
lungszusammenarbeit bildet. Das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert derzeit weltweit rund
250 Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von 1,5 Mrd. Euro, davon 60 Pro-
zent in Afrika, 25 Prozent in Asien und 15 Prozent in Lateinamerika. Zusätz-
lich werden dort durch Regionalvorhaben der grenzüberschreitende Erfah-
rungsaustausch und die Realisierung von Pilotvorhaben unterstützt;

l begrüßt, dass Deutschland mit der Ansiedlung des UNCCD-Sekretariats in
Bonn eine besondere Verantwortung in diesem Aktionsfeld übernommen
hat. Zusätzlich zum Regulärbeitrag unterstützt die Bundesregierung das
Sekretariat der UNCCD durch freiwillige Beiträge zum Kernbudget von

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511 300 Euro. Mit einem gleich hohen Betrag fördert sie das Sekretariat bei
der Ausrichtung von Konferenzen;

l begrüßt, dass das BMZ im Rahmen eines GTZ-CCD-Projektes die Umset-
zung des Konventionsprozesses in ausgewählten Entwicklungsländern un-
terstützt sowie ein Netzwerk deutscher Wissenschaftler (DesertNet) und die
Beratung des Sekretariats der UNCCD in strategischen und organisatori-
schen Fragen fördert;

l nimmt die Hamburger Deklaration des DesertNets und des Hamburger Dry-
land Research Centers vom 24. Juni 2003 zustimmend zur Kenntnis, die eine
stärkere Gewichtung der Konvention auch in den Industrieländern fordert;

l begrüßt die Forderung des Europäischen Parlaments vom 4. September 2003
nach dem Einsatz von „Debt-for-Water-Swaps“ im Rahmen eines Europäi-
schen Wasserfonds;

l befürwortet die EU-Initiative „Armutsbekämpfung durch nachhaltige Land-
nutzung“. Sie will in Partnerschaft mit den betroffenen Ländern und in-
ternationalen Organisationen, dem privaten Sektor und Nichtregierungs-
organisationen geeignete Projekte und Programme zur Bekämpfung der
Desertifikation im Rahmen eines ganzheitlichen Entwicklungsansatzes vor-
anbringen;

l begrüßt, dass inzwischen 190 Staaten die Wüstenkonvention ratifiziert und
über 70 Staaten nationale Aktionsprogramme vorgelegt haben. Die Bundes-
republik Deutschland trägt ihrer Verpflichtung als Vertragsstaat durch die
Vorlage eines jährlichen Nationalberichtes Rechnung;

l begrüßt ausdrücklich, dass die Globale Umweltfazilität (GEF), wie auf dem
Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 gefordert, auf
der sechsten UNCCD-Vertragsstaatenkonferenz in Havanna im September
2003 offiziell als ein Finanzmechanismus für die Konvention anerkannt
worden ist. Dadurch werden in den kommenden drei Jahren 500 Mio. US-
Dollar für Programme im Bereich Entwaldung und Desertifikation zur
Verfügung stehen;

l unterstützt das parlamentarische Aktionsprogramm mit der Selbstverpflich-
tung zur Intensivierung des Informationsaustausches, zur Sensibilisierung
der Öffentlichkeit und zur Stärkung der Rolle der Parlamentarierinnen und
Parlamentarier bei der Umsetzung der UN-Konvention auf allen Ebenen,
das die 5. Parlamentarierkonferenz zur Desertifikationsbekämpfung am
3./4. September 2003 in Havanna verabschiedet hat.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l sich weiterhin dafür einzusetzen, die Welthandelsrunde zu einer wirklichen

Entwicklungsrunde auszugestalten und insbesondere durch den zügigen
Abbau von allgemeinen Agrarsubventionen und Exportsubventionen für
landwirtschaftliche Produkte aus den Industrieländern die Voraussetzung
für eine effektive Desertifikationsbekämpfung in den Partnerländern zu
schaffen;

l für eine bessere Koordinierung und ein abgestimmtes Handeln der drei gro-
ßen Umweltkonventionen Desertifikation, Klimaschutz und Artenvielfalt
zu sorgen, um die Finanzmittel noch effizienter und zielgerichteter einset-
zen zu können;

l sich dafür einzusetzen, dass die nationalen Aktionsprogramme zur Deserti-
fikationsbekämpfung mit ihren Maßnahmen zur nachhaltigen Landnutzung,
zur Wiederaufforstung und zum nachhaltigen Wassermanagement in die

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nationalen und in die von der internationalen Gemeinschaft initiierten Ar-
mutsbekämpfungs- und Länderstrategien der Partnerländer integriert werden;

l im Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit vor allem die
Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Desertifikationsbekämpfung in
Angriff zu nehmen und für eine stärkere Ausrichtung aller relevanten ent-
wicklungspolitischen Maßnahmen im Hinblick auf Bekämpfung von Bo-
denerosion und Landverödung zu sorgen. Projekte von Durchführungs-
organisationen, NGOs und Kirchen müssen mit Maßnahmen, die struktur-
politische Wirkungen haben und sich am nachhaltigen Ressourcenmanage-
ment orientieren, vernetzt werden;

l Ausbildungsprogramme im Bereich der Desertifikationsbekämpfung an Be-
dürfnissen und traditionellem Wissen in den Partnerländern zu orientieren
und mit ihnen die Teilhabe von Frauen zu stärken sowie die Partizipation der
Betroffenen sicherzustellen;

l sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass sich die Bewirtschaf-
tung von und der Zugang zu Gemeinschaftsgütern wie Wasser und Boden
einer rein profitorientierten Logik entzieht;

l in der EU darauf hinzuwirken, dass eine Regionalisierung der Konvention zur
Bekämpfung der Wüstenbildung unterstützt und ein effizienter Einsatz ihrer
finanziellen Mittel vorgenommen wird;

l den konstruktiven Gedankenaustausch zwischen Wissenschaft und Wirt-
schaft imBereich der Saatgutentwicklung, der erneuerbaren Energien und des
Wassermanagements in Form von Foren und öffentlichen Konferenzen zu
fördern und so die Problematik der Wüstenbildung und die UNCCD noch
stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken;

l den Zugang der Menschen in den Partnerländern zu diesem Wissen und zu
Saatgut ebenso zu verbessern, wie die Kenntnisse über angepasste Bewässe-
rungsmethoden, Drainagen und effiziente Wasserlenkungssysteme;

l auf allen Ebenen Verhaltenskodices für Unternehmen mit ethischen, sozialen
und ökologischen Vorschriften bei Direktinvestitionen – insbesondere im
Bereich der Grundversorgung – in Entwicklungsländern zu fördern und das
Bewusstsein für dieses Thema im Rahmen der UNCCD als Konvention zu
schärfen.

Berlin, den 28. Januar 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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