BT-Drucksache 15/2338

Die Entwicklungszusammenarbeit der EU konstruktiv weiterentwickeln - Effizienz und Nachhaltigkeit verbessern

Vom 14. Januar 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2338
15. Wahlperiode 14. 01. 2004

Antrag
der Abgeordneten Karin Kortmann, Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann,
Gabriele Groneberg, Anke Hartnagel, Klaus Werner Jonas, Lothar Mark,
Dr. Sascha Raabe, Walter Riester, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Brigitte Schulte (Hameln), Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Franz
Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), Antje Hermenau,
Anna Lührmann, Rainder Steenblock, Hans-Christian Ströbele, Katrin Göring-
Eckhardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Entwicklungszusammenarbeit der EU konstruktiv weiterentwickeln –
Effizienz und Nachhaltigkeit verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Entwicklungszusammenarbeit der EU steht auch weiterhin vor großen Her-
ausforderungen. Die Beratungen über eine neue Verfassung der Europäischen
Union sind zurzeit in einer entscheidenden Phase. Diese Verfassung soll die
Gemeinschaft, auch angesichts der Erweiterung um zehn neue Mitgliedstaaten,
auf eine neue (juristische und institutionelle) Basis stellen. Auch die Entwick-
lungszusammenarbeit der EU wird im Vertragsentwurf in einem eigenen Kapi-
tel geregelt. Armutsbekämpfung, Menschenrechte und nachhaltige Entwick-
lung werden als Ziele der gesamten Handlungen der Gemeinschaft festge-
schrieben, um so mehr Kohärenz zwischen den verschiedenen Politikbereichen
wie Handel, Agrar-, Außen- und Sicherheitspolitik und Entwicklungszusam-
menarbeit zu erreichen.
Auch international ist eine starke und kohärente Europäische Entwicklungs-
politik von großer Bedeutung. Das Scheitern der WTO-Konferenz von Cancun
hat einmal mehr eine Spaltung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern
offenbart. Besonders im Agrarbereich, der für die Entwicklungsländer von
existentieller Bedeutung ist, konnte keine Einigung erzielt werden. Um welt-
weit eine gerechte und nachhaltige Entwicklung, auch im Bezug auf die Er-
reichung der internationalen Entwicklungsziele, zu ermöglichen, ist aber ein
gemeinsames Handeln aller Akteure vonnöten. Eine weitere Ausrichtung der
gemeinschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit auf die Millennium Deve-
lopment Goals (MDG) bedeutet, dass in Zukunft auch eine institutionelle und
operative Verankerung auf diese Ziele erfolgen wird.
Mit dem Abschluss des EU-AKP Partnerschaftsabkommen im Juni 2000 hat
die EU bereits bewiesen, dass unter Respektierung der jeweiligen Interessen
eine Einigung zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern möglich ist.
Das Abkommen, das im April 2003 in Kraft trat, steht sinnbildlich für eine

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moderne Entwicklungspolitik, die politische wie wirtschaftliche Aspekte be-
rücksichtigt. Die EU bestätigte damit ihren Willen, die partnerschaftliche und
gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den AKP Staaten fortzuführen.
Mit der Verhandlung über die so genannten Wirtschafts-Partnerschafts-Abkom-
men (WPA) steht nun eine weitere Etappe an, um den AKP-Ländern eine faire
und behutsame Integration in den Welthandel zu ermöglichen.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind sich ihrer Rolle als weltweit größte Geber
von Entwicklungshilfeleistungen bewusst. Die ODA der EU (Kommission und
Mitgliedstaaten) liegt mit 50,2 Prozent (in 2001) knapp über der Hälfte der
weltweiten ODA aller OECD/DAC-Länder, sie hat damit in den letzten Jahren
zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Der im November 2000 von Kommission, Rat und Europaparlament eingelei-
tete umfangreiche Reformprozess der EU-Entwicklungszusammenarbeit ver-
deutlicht den Willen der Gemeinschaft, die Effizienz und Qualität ihrer Ent-
wicklungspolitik weiter zu verbessern.
Die organisatorische und strukturelle Neuausrichtung der EU-Entwicklungszu-
sammenarbeit, zeigt durch die Schaffung von Europe Aid, durch die Dekonzen-
tration und Verlagerung von Personal in nahezu alle Partnerländer und die Ver-
einfachung von Umsetzungs- und Verwaltungsabläufen bereits erste positive
Wirkungen. Auch der Mittelabfluss des EEF hat sich verbessert. Eine gründli-
che Wirkungsanalyse der begonnen Reformen steht jedoch noch aus. Der Weg
von der Projektplanung bis zur Durchführung ist immer noch lang und bürokra-
tisch. Weitere Reformmaßnahmen sind also notwendig, um dem Ziel einer effi-
zienten und qualitativ hochwertigen EU-Entwicklungspolitik zu entsprechen.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:
– die konstruktive Rolle, die die Bundesregierung durch Initiativen und Vor-

schläge bei der Reform der EU-Entwicklungspolitik gespielt hat, und durch
die kritische Begleitung des Reformprozesses auch weiterhin spielt;

– die Fokussierung der EU-Entwicklungszusammenarbeit auf sechs Schwer-
punktbereiche sowie die verstärkte Berücksichtigung von horizontalen
Aspekten (Menschenrechte, Umwelt, Gender) in Einklang mit den interna-
tionalen Entwicklungszielen und dem Aktionsprogramm 2015 der Bundes-
regierung;

– die explizite Erwähnung von Frieden, nachhaltiger Entwicklung, Solidarität
und Achtung unter den Völkern, freiem und gerechtem Handel, Armuts-
bekämpfung, Menschenrechten sowie Wahrung der Charta der VN als Ziele
der gesamten Politik der EU in der künftigen Verfassung; ferner den im ent-
wicklungspolitischen Kapitel des Verfassungsentwurfs enthaltenen Grund-
satz, wonach die Union bei der Durchführung politischer Maßnahmen, die
sich auf die Entwicklungsländer auswirken können, den Zielen der Entwick-
lungszusammenarbeit Rechnung trägt;

– die Initiativen der Bundesregierung, die nationale und EU-Entwicklungs-
politik, z. B. durch abgestimmte Länderstrategien und programmorientierte
Gemeinschaftsfinanzierungen, zu synchronisieren, und so eine größere Wir-
kung und Effizienz auch der deutschen EZ zu erhalten (und die eigenen
komparativen Vorteile zu nutzen);

– die Bemühungen der Bundesregierung, auch im europäischen Rahmen, auf
eine Verbesserung der Handelsbedingungen für die Entwicklungsländer,
z. B. durch den Abbau Agrarsubventionen hinzuwirken.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2338

Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,
1. sich verstärkt dafür einzusetzen, dass die Entwicklungspolitik als wichtiger

Bereich der EU-Außenbeziehungen ihr eigenständiges Profil mit ihren spe-
zifischen auf die langfristige Zukunftssicherung gerichteten Aufgaben be-
wahrt. Oberstes Ziel der Entwicklungspolitik der Gemeinschaft muss die
Überwindung von Hunger und Armut sein. Die Entwicklung hin zu einer
besseren Verknüpfung aller Elemente des auswärtigen Handelns zu einem
kohärenten Ganzen ist zu befürworten. Maßnahmen der EU in Bereichen
wie Migration, Kampf gegen den Terrorismus oder bewaffnete Friedensein-
sätze bei akuten Konflikten sollten jedoch grundsätzlich nicht zu Lasten der
für die nachhaltige Bekämpfung von Hunger und Armut bereitgestellten
Ressourcen verfolgt werden;

2. weiterhin die Entbürokratisierung und Flexibilisierung der EU-Entwick-
lungszusammenarbeit voranzutreiben und die strukturellen Reformen in die-
sem Bereich zu unterstützen;

3. sich für ein systematisches Monitoring und regelmäßige Evaluierungen der
Programme der Gemeinschaftshilfe einzusetzen, um so einen gezielten ar-
mutswirksamen Mitteleinsatz zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang
ist auch die parlamentarische Kontrolle des EEF sicherzustellen um zu ge-
währleisten, dass Mittel zur Erreichung politischer und entwicklungspoliti-
scher Ziele adäquat eingesetzt werden und zu verhindern, dass Entwick-
lungsgelder der EU für sicherheitspolitische- oder militärische Einsätze
zweckentfremdet werden. Zuständigkeitsunschärfen und bürokratische
Hemmnisse im Verfahren sollen weiter abgebaut werden, damit der Mittel-
abfluss aus dem EEF an Bedarfsgerechtigkeit und Effizienz gewinnt;

4. sich verstärkt für die Ausbildung und Entsendung von entwicklungspoliti-
schem Fachpersonal aus Deutschland in die jeweiligen EU-Institutionen ein-
zusetzen;

5. sich für eine stärkere Abstimmung zwischen der EU und der Bundesregie-
rung bei der Entwicklung von Länderkonzepten sowie bei der Formulierung
von EU-Entwicklungsprogrammen einzusetzen, um ein höheres Maß an
Kohärenz und Koordinierung zu erreichen; außerdem sollen die Kommis-
sion, die Mitgliedstaaten und die Partnerländer zunehmend Länderstrategie-
papiere für die Hilfe der EU erarbeiten. Dabei ist in erster Linie auf eine
Politikkohärenz zu achten, durch eine bessere Abstimmung der Entwick-
lungspolitik und anderer Politikfelder, die auf die Entwicklungsländer Aus-
wirkungen haben, wie z. B. Landwirtschaft, Fischerei, Handel, Umwelt,
Migration, Konfliktmanagement, Friedenssicherung. Dies ist insbesondere
für die Europäische Union eine entwicklungspolitische Herausforderung
und damit eine entscheidende Aufgabe für die Zukunft;

6. die Verantwortung der entwicklungspolitischen Programme der EU unter
der Leitung eines Kommissars und einer Generaldirektion sollte weiterhin
unterstützt werden. Besonders die Neuwahl der Kommissare sollte in die-
sem Zusammenhang eine neue Perspektive schaffen;

7. auf eine verbesserte und arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen den natio-
nalen und EU-Durchführungsinstitutionen hinzuwirken, die den jeweiligen
komparativen Vorteilen entspricht. Insgesamt soll die Entwicklungszusam-
menarbeit der EU gleichzeitig nach Komplementarität, Koordination und
Kohärenz streben;

8. sich in Bezug auf den Abschluss der WTO-Entwicklungsrunde von Doha für
einen weitergehenden Abbau der marktverzerrenden EU-Agrarsubventionen
als es die bisherigen Beschlusslage vorsieht, eine weitere Verbesserung des
Marktzugangs für Entwicklungsländer im nicht-agrarischen Bereich und da-
mit eine Flexibilisierung des EU-Verhandlungsmandats einzusetzen;

Drucksache 15/2338 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
9. sich mit Blick auf die weiteren WTO-Verhandlungen für eine verstärkte
Zusammenarbeit der Europäischen Union mit den Mercosur- und ASEM/
ASEAN-Staaten einzusetzen. Dies ist für eine erfolgreiche WTO-Handels-
runde sowie die Unterstützung von regionalen Integrationsbestrebungen
eine wichtige Voraussetzung;

10. auf nationaler und europäischer Ebene einen verstärkten Austausch mit den
neuen Mitgliedstaaten der EU anzuregen, um Erfahrungen und Know-how
im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit weiterzugeben. Hier könnten
vor allem die nationalen Durchführungsorganisationen wie KfW und GTZ
eine wichtige Rolle spielen. Ebenso ist der Einfluss des europäischen und
der nationalen Parlamente auf die Entwicklungs- und Handelspolitik der
Gemeinschaft zu stärken.

Berlin, den 14. Januar 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckhardt, Krista Sager und Fraktion

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