BT-Drucksache 15/2166

Für eine OSZE-Antisemitismuskonferenz 2004 in Berlin

Vom 10. Dezember 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2166
15. Wahlperiode 10. 12. 2003

Antrag
der Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wiesloch), Wolfgang Thierse, Monika
Griefahn, Lothar Mark, Ulrike Merten, Uta Zapf, Dr. Christoph Zöpel, Doris Barnett,
Gernot Erler, Petra Ernstberger, Rolf Kramer, Johannes Pflug, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Dr. Angelica Schwall-Düren, Franz Müntefering und der Fraktion
der SPD,
der Abgeordneten Claudia Nolte, Hans Raidel, Helmut Rauber, Willy Wimmer
(Neuss), Kurt-Dieter Grill, Hermann Gröhe, Sibylle Pfeiffer, Kurt J. Rossmanith,
Michael Stübgen, Dr. Angela Merkel, Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Dr. Ludger Volmer, Volker Beck
(Köln), Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
sowie der Abgeordneten Markus Löning, Helga Daub, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Für eine OSZE-Antisemitismuskonferenz 2004 in Berlin

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Entscheidung der OSZE in Berlin eine
Konferenz zum Thema Antisemitismus durchzuführen. Diese Konferenz soll
am 28. und 29. April 2004 stattfinden.
Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ist die Aufgabe aller.
Antisemitismus, Judenfeindschaft war die zentrale Voraussetzung für die
Shoah, die im nationalsozialistischen Deutschland organisierte Verfolgung und
Ermordung der deutschen und europäischen Juden. Das Zentrum der Planung
war Berlin. Es gehört zu den bleibenden historischen und moralischen Ver-
pflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, sich mit den Ursachen und Fol-
gen dieses Menschheitsverbrechens auseinander zu setzen. Dazu gehört der
Antisemitismus, der mit dem Sieg über den Nationalsozialismus und dem er-
folgreichen Aufbau einer demokratischen Gesellschaft keineswegs verschwun-
den ist. Unabhängig von Alter, sozialem Status und politischer Anschauung
gibt es antisemitische Vorurteile, die in einzelnen Fällen auch zu tätlichen An-
griffen auf Juden geführt haben. Antisemitismus ist eine Bedrohung der deut-
schen Demokratie und beginnt keineswegs erst mit einer Verharmlosung, Leug-
nung oder gar Befürwortung von Auschwitz.
Antisemitismus ist kein ausschließlich deutsches Phänomen, es ist ein Problem
des gesamten OSZE-Raumes und reicht auch darüber hinaus. Das hat nicht zu-
letzt die Auseinandersetzung mit dem Thema bei der OSZE-Konferenz in Wien
im Juni 2003 gezeigt. Der Rahmen der OSZE bietet die Möglichkeit, Erkennt-
nisse und Analysen über Antisemitismus zusammenzutragen, soweit er in
christlich-abendländisch geprägten Gesellschaften entsteht, als auch in isla-

Drucksache 15/2166 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

misch geprägten Gesellschaften. Bei der Analyse müssen die religiösen, sozial-
psychologischen und die ökonomischen Ursachen des Antisemitismus berück-
sichtigt werden.
Die Konferenz soll dem Austausch zwischen OSZE-Staaten über das Problem
des Antisemitismus in den unterschiedlichen Kontexten dienen und Möglich-
keiten erörtern, gegen ihn vorzugehen. Hierzu gehört auch die Frage, welche
Beobachtungsinstrumente es in unterschiedlichen Staaten bisher gibt und wel-
che möglicherweise für den OSZE-Raum geschaffen werden sollten. Die
OSZE-Konferenz soll bereits vorhandene nationale Ansätze evaluieren und da-
raufhin untersuchen, welche von ihnen für den gesamten OSZE-Raum über-
nommen werden sollten („best practice“).
Neue Impulse im Kampf gegen den Antisemitismus im OSZE-Raum sind jetzt
nötig. Ziel der Konferenz sollte es daher sein, einen Aktionsplan gegen Anti-
semitismus zu entwickeln und die Mitgliedstaaten aufzufordern, diesen umzu-
setzen. Dabei wird sich die Konferenz unter anderem mit dem schwerwiegen-
den Umstand beschäftigen müssen, dass bisherige Erfahrungen im Umgang mit
antisemitischen Vorurteilen eine erhebliche Aufklärungsresistenz belegen.
Der Deutsche Bundestag schlägt für die Konferenz der OSZE-Staaten folgende
Diskussionsschwerpunkte vor:
Parlamente und Regierungen sollen
– aktiv und beispielhaft zu einer offenen und öffentlichen Auseinandersetzung

mit allen Formen des Antisemitismus beitragen und wo nötig, gesetzliche
Schritte verabschieden;

– Beobachtungsinstrumente schaffen, z. B. auch auf OSZE-Ebene, die in eige-
ner Verantwortung antisemitische Übergriffe und Vergehen in den Teilneh-
merstaaten der OSZE erfassen und auswerten;

– die Zusammenarbeit von Initiativen im OSZE-Raum, die sich kritisch und
selbstkritisch mit dem Thema Antisemitismus befassen, fördern;

– die Arbeit der unterschiedlichen internationalen Parlamentarierversammlun-
gen, wie z. B. des Europarats und der OSZE, in ihrem Engagement gegen
Antisemitismus fortsetzen.

In Schule und Ausbildung sollen
– Bildung und Erziehung mit ihrer Aufklärungsarbeit in Familie, Schule und

Gesellschaft die Fähigkeit vermitteln, Antisemitismus in seinen vielfältigen
Erscheinungsformen zu erkennen und ihm im Alltag entgegenzutreten;

– neue politische Anreize und Maßnahmen entwickelt werden, um Menschen
zu sensibilisieren, damit sie die verschiedenen Formen des Antisemitismus
erkennen und ihnen entgegentreten können;

– Vorschläge entwickelt werden, die u. a. durch die Bundeszentrale für politi-
sche Bildung und ihre jeweiligen Landeszentralen bzw. entsprechende Insti-
tutionen in anderen Staaten umgesetzt werden könnten;

– alle Formen des Antisemitismus im Rahmen von Lehrerbildung und -fortbil-
dung angemessen berücksichtigt werden.

Medien sollen
– es sich verstärkt zur Aufgabe machen, Antisemitismus und antisemitische

Übergriffe zu erkennen, darzustellen und zu verurteilen;
– Sensibilität für untergründig vorhandene Ressentiments schaffen;
– in der journalistischen Ausbildung das Problem des Antisemitismus behan-

deln;
– auf Genauigkeit in der Berichterstattung achten und die eigene Sprache und

verwendete Bilder kritischer hinterfragen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2166

Die Zivilgesellschaft soll
– Antisemitismus als ein Problem für die Demokratie und damit als ihr Pro-

blem erkennen und sich aktiv damit auseinandersetzen;
– religiöse Vielfalt und Toleranz gegenüber Andersgläubigen unterstützen;
– sich von Personen, die dem Antisemitismus Vorschub leisten, distanzieren;
– antisemitisches Denken, Reden und Handeln bekämpfen. Es ist die Aufgabe

aller Demokraten, die Akzeptanz gegenüber religiöser Vielfalt und unter-
schiedlichen Lebensweisen zu fördern. Der Deutsche Bundestag unterstützt
zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Antisemitismus, Rassismus und Dis-
kriminierung von Minderheiten.

Der Deutsche Bundestag erwartet von dieser Konferenz ein starkes Signal im
Kampf gegen Antisemitismus im OSZE-Raum.

Berlin, den 10. Dezember 2003
Franz Müntefering und Fraktion
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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